Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.10.2017, Az. 8 AZR 845/15

8. Senat | REWIS RS 2017, 3655

ARBEITSRECHT BERUF BUNDESARBEITSGERICHT (BAG) KÜNDIGUNG

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Gegenstand

Wiedereinstellungsanspruch - Kleinbetrieb


Leitsatz

Die in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zum Wiedereinstellungsanspruch nach wirksamer betriebsbedingter Kündigung entwickelten Grundsätze sind in Kleinbetrieben iSv. § 23 Abs. 1 Satz 2 bis Satz 4 KSchG nicht anwendbar.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 7. Oktober 2015 - 4 Sa 1289/14 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Tatbestand

1

[X.]er Kläger begehrt nach einem Betriebsübergang seine Wiedereinstellung durch die [X.] als neue Betriebsinhaberin.

2

[X.]er 1949 geborene, verheiratete und einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit dem 1. März 1987 als vorexaminierter Apothekenangestellter in der [X.] in [X.] tätig. [X.]eren Betreiberin war die Apothekerin R, die vormalige [X.] zu 1. Nach den Feststellungen des [X.]s erhielt der Kläger bei einer Wochenarbeitszeit von 22 Stunden ein [X.]uttomonatsentgelt iHv. 2.500,00 Euro.

3

In der Apotheke waren neben dem Kläger vier Arbeitnehmer/innen bereits in der [X.] vor dem 1. Januar 2004 tätig. [X.]ies waren die pharmazeutisch technische Angestellte (im Folgenden PTA) [X.] mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 21 Stunden, der [X.], der [X.]uder der vormaligen [X.]n zu 1., mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden, dessen Ehefrau, die pharmazeutisch-kaufmännische Assistentin (im folgenden PKA) J mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 20,5 Stunden sowie die Reinigungskraft S mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von neun Stunden. Seit Februar bzw. Juli 2004 waren dort außerdem die [X.] und der Herr Bi als Bote mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von jeweils neun Stunden beschäftigt.

4

Mit Schreiben vom 28. November 2013 kündigte die vormalige [X.] zu 1. das Arbeitsverhältnis des [X.] und aller weiteren Arbeitnehmer zum 30. Juni 2014 mit der Begründung, die Apotheke aus gesundheitlichen Gründen nicht weiterführen zu können. [X.]er Kläger erhob gegen die Kündigung keine Kündigungsschutzklage.

5

[X.]ie vormalige [X.] zu 1. führte die Apotheke zunächst über den 30. Juni 2014 hinaus mit dem [X.], der [X.] und der Reinigungskraft S weiter. Am 15. Juli 2014 schloss sie mit der nunmehrigen alleinigen [X.]n, der früheren [X.]n zu 2., einen Vertrag über den Verkauf der Apotheke. In diesem Vertrag heißt es auszugsweise:

        

§ 1 Gegenstand des Vertrages

        

(1)     

…       

                 

[X.]er Verkäufer verkauft und überträgt dem Käufer nach Maßgabe dieses Vertrages das Eigentum an seiner gesamten vorbezeichneten Apotheke.

        

(2)     

Gegenstand dieses Vertrages sind

                 

a)    

die Apothekeneinrichtung incl. Labor, Büroausstattung, Nachtdienstzimmer und Computer …, die betrieblichen Telefon- und Faxnummern …, die E-Mail-Adresse … und die Internet-[X.]omain …

                 

b)    

der Geschäftswert,

                 

c)    

das Warenlager.

        

…       

                 
        

§ 6 Arbeitnehmer

        

(1)     

[X.]en Vertragsparteien ist die Vorschrift des § 613a Abs. 1 BGB bekannt. [X.]anach gehen die Arbeitsverhältnisse zu den Mitarbeitern, die in der Anlage 3 zu diesem Vertrag abschließend aufgelistet sind, auf den Käufer über. …“

6

In der Anlage 3 „Aufstellung gemäß § 6 … des Kaufvertrages“ sind der [X.], die [X.] und die Reinigungskraft S aufgeführt. Ferner wurde vereinbart, dass der Kaufvertrag unter der aufschiebenden Bedingung steht, dass bis zum 15. August 2014 ein langfristiger Mietvertrag über die im Eigentum der vormaligen [X.]n zu 1. stehenden Apothekenbetriebsräume zustande kommt.

7

Nach den Feststellungen des [X.]s erfolgte die Übertragung und Übergabe der Apotheke an die [X.] am 1. September 2014.

8

Mit seiner am 29. Juli 2014 beim Arbeitsgericht eingegangenen, zunächst nur gegen die vormalige [X.] zu 1. gerichteten Klage hat der Kläger von dieser die Annahme seines Angebots auf Neuabschluss eines Arbeitsvertrags zu den bisherigen Bedingungen und Auskunft verlangt, an [X.] die vormalige [X.] zu 1. die Apotheke ab dem 1. September 2014 übergibt. Nach Auskunftserteilung hat der Kläger seine Klage gegen die [X.] erweitert und auch von dieser die Annahme seines Angebots auf Abschluss eines Arbeitsvertrags verlangt.

9

[X.]er Kläger hat die Auffassung vertreten, die [X.] sei als Betriebsübernehmerin verpflichtet, ihn wiedereinzustellen. [X.]em stehe weder entgegen, dass der Betriebsübergang erst nach Ablauf der Kündigungsfrist stattgefunden habe, noch, dass das [X.] keine An[X.]dung finde. Auch Arbeitnehmer in sog. Kleinbetrieben seien vor unberechtigten, weil rechtsmissbräuchlichen Kündigungen geschützt, insbesondere hätten sie Anspruch darauf, dass vom Arbeitgeber ein Mindestmaß an [X.] Rücksichtnahme gewahrt werde und ein durch langjährige Mitarbeit erdientes Vertrauen in den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nicht unberücksichtigt bleibe, [X.]n der Arbeitgeber wegen betrieblicher Erfordernisse kündige. [X.]er Kläger hat behauptet, erst im Juli 2014 erfahren zu haben, dass die Apotheke nicht geschlossen worden sei. [X.]ie vormalige [X.] zu 1. habe allerdings schon vor Ablauf der Kündigungsfrist vorgehabt, die Apotheke an die [X.] zu veräußern. Bereits im Juni 2014 hätten sich die vormalige [X.] zu 1. und die [X.] dem Grunde nach auf die Übernahme der Apotheke und die wesentlichen Konditionen hierfür geeinigt. Um den Betrieb für die [X.] attraktiv zu machen, habe die vormalige [X.] zu 1. die Gehälter der Eheleute J vorab erheblich reduziert. Ein Angebot, das Arbeitsverhältnis zu einer geringeren Vergütung fortzusetzen, habe die vormalige [X.] zu 1. ihm gegenüber, obgleich er sozial schutzwürdiger gewesen sei, entgegen den Geboten von Treu und Glauben nicht gemacht. Später habe die [X.] als Ersatz für ihn die vormalige [X.] zu 1. eingestellt.

[X.]er Kläger hat zuletzt beantragt,

        

die [X.] zu verurteilen, sein Angebot auf Abschluss eines Arbeitsvertrags als vorexaminierter Apothekenangestellter zu einem [X.]uttomonatsgehalt iHv. 2.500,00 Euro und den Arbeitsbedingungen, wie sie zuvor zwischen ihm und Frau R in der [X.] vom 1. März 1987 bis zum 30. Juni 2014 bestanden haben, unter Anrechnung der bisherigen Beschäftigungsdauer seit dem 1. März 1987 anzunehmen.

[X.]ie [X.] hat Klageabweisung beantragt. Sie hat geltend gemacht, ein Wiedereinstellungsanspruch scheide schon deshalb aus, weil das [X.] nicht an[X.]dbar sei. [X.]er Kläger habe auch keinen Sachverhalt vorgetragen, der eine willkürliche Kündigung belegen könne. [X.]ie vormalige [X.] zu 1. habe sich aus wirtschaftlichen Gründen entschließen müssen, die Apotheke zu schließen. [X.]iese sei insbesondere wegen der hohen - weit übertariflichen - Gehälter des [X.] und der PTA [X.] zunächst unverkäuflich gewesen. Nachdem sie, die [X.], am 25. Juni 2014 von der beabsichtigten Schließung der Apotheke erfahren habe, habe sie mit der vormaligen [X.]n zu 1. Kontakt aufgenommen, ihr grundsätzliches Interesse an einer Übernahme bekundet und gleichzeitig um weitere Informationen gebeten. Nach Auswertung der ihr übermittelten Unterlagen habe sie entschieden, über die Übernahme der Apotheke zu verhandeln. [X.]iese langwierigen Verhandlungen seien erst am 15. Juli 2014 abgeschlossen gewesen.

[X.]as Arbeitsgericht hat die - gegen die vormalige [X.] zu 1. und die [X.] gerichtete - Klage insgesamt abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Kläger nur insoweit Berufung eingelegt, als die Klage gegen die [X.] abgewiesen wurde. [X.]as [X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren gegenüber der [X.]n weiter. [X.]ie [X.] beantragt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision des [X.] ist unbegründet. Das [X.] hat die Berufung des [X.] zu Recht zurückgewiesen. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Annahme seines Angebots auf Abschluss eines Arbeitsvertrags mit dem aus dem Antrag ersichtlichen Inhalt.

I. Die Beklagte ist - wie das [X.] zutreffend angenommen hat - nicht nach den in der Rechtsprechung des [X.] zum [X.] nach betriebsbedingter Kündigung entwickelten Grundsätzen zur Wiedereinstellung des [X.] verpflichtet. Bei dem Betrieb der vormaligen [X.] zu 1. handelte es sich um einen Kleinbetrieb iSv. § 23 Abs. 1 Satz 2 bis Satz 4 [X.], auf den die og. Grundsätze nicht anwendbar sind.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] kann einem wirksam betriebsbedingt gekündigten Arbeitnehmer ein - ggf. auch rückwirkender - Anspruch auf Wiedereinstellung zustehen (grundlegend [X.] 27. Februar 1997 - 2 [X.] - zu [X.] der Gründe, [X.]E 85, 194; ferner etwa [X.] 26. Januar 2017 - 2 [X.] - Rn. 33; 15. Dezember 2011 - 8 [X.] - Rn. 37). Der Anspruch setzt voraus, dass zwischen dem Zugang einer betriebsbedingten Kündigung und dem Ablauf der Kündigungsfrist entweder wider Erwarten der bisherige Arbeitsplatz des gekündigten Arbeitnehmers doch erhalten bleibt (vgl. [X.] 16. Mai 2007 - 7 [X.] - Rn. 11; 28. Juni 2000 - 7 [X.] - zu [X.] der Gründe, [X.]E 95, 171) oder unvorhergesehen eine [X.] für den gekündigten Arbeitnehmer auf einem freien Arbeitsplatz iSv. § 1 Abs. 2 [X.] entsteht (vgl. etwa [X.] 26. Januar 2017 - 2 [X.] - aaO; 15. Dezember 2011 - 8 [X.] - aaO; 25. September 2008 - 8 [X.] - Rn. 33). Da der [X.] letztlich aus der auf § 242 BGB beruhenden arbeitsvertraglichen Nebenpflicht folgt (vgl. [X.] ArbR-HdB/[X.] 17. Aufl. § 146 Rn. 1; zur dogmatischen Herleitung aus § 242 BGB bzw. § 611 BGB iVm. § 242 BGB vgl. etwa [X.] 25. Oktober 2007 - 8 AZR 989/06  - Rn. 21 mwN bzw. 15. Dezember 2011 - 8 [X.] - aaO), kommt er grundsätzlich nur in Betracht, wenn sich die [X.] noch im bestehenden Arbeitsverhältnis, mithin bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ergibt (vgl. etwa [X.] 15. Dezember 2011 - 8 [X.] - aaO). Entsteht die [X.] erst nach Ablauf der Kündigungsfrist, kann der gekündigte Arbeitnehmer dagegen grundsätzlich nicht seine Wiedereinstellung verlangen (vgl. etwa [X.] 20. Oktober 2015 - 9 [X.] - Rn. 32, [X.]E 153, 62; 16. Mai 2007 - 7 [X.] - aaO; 16. September 2004 - 2 [X.] [X.] 2 b der Gründe).

Danach kann ein [X.] auch gegeben sein, wenn es noch während des Laufs der Kündigungsfrist zu einem Betriebs(teil-)-übergang und damit zur Fortführung des Betriebs oder Betriebsteils kommt, dem der Arbeitnehmer zugeordnet ist (vgl. etwa [X.] 15. Dezember 2011 - 8 [X.] - Rn. 37; 13. Mai 2004 - 8 [X.] - zu [X.] der Gründe, [X.]E 110, 336). Geht der Betrieb oder Betriebsteil, dem der Arbeitnehmer zugeordnet ist, erst nach Ablauf der Kündigungsfrist auf den neuen Inhaber über, kommt ein [X.] demgegenüber nur ausnahmsweise in Betracht. Eine Ausnahme kann geboten sein, wenn der Betriebs- oder Betriebsteilübergang bereits während des Laufs der Kündigungsfrist zwar beschlossen, aber noch nicht vollzogen wurde (vgl. etwa [X.] 15. Dezember 2011 - 8 [X.] - aaO; 25. September 2008 - 8 [X.] - Rn. 33; 21. August 2008 - 8 [X.] - Rn. 59; 13. Mai 2004 - 8 [X.] - zu [X.] bb der Gründe, aaO). Eine solche Ausnahme hat der [X.] des [X.] unter Hinweis darauf, dass die Voraussetzungen eines Betriebsübergangs nicht nur durch die Übernahme materieller und/oder immaterieller Betriebsmittel, sondern auch durch die willentliche Übernahme der Hauptbelegschaft erfüllt werden könnten, bislang nur für den Fall eines nach Ablauf der Kündigungsfrist durch willentliche Übernahme der Hauptbelegschaft eingetretenen Betriebsübergangs iSv. § 613a BGB angenommen, während er die Anerkennung eines [X.]s bei einem nach Ablauf der Kündigungsfrist durch die Übernahme von materiellen und immateriellen Betriebsmitteln vollzogenen Betriebsübergang ausdrücklich offengelassen hat (vgl. etwa [X.] 13. Mai 2004 - 8 [X.] - aaO).

 

2. Die in der Rechtsprechung des [X.] zum [X.] nach betriebsbedingter Kündigung entwickelten Grundsätze sind in sog. Kleinbetrieben und damit in der Apotheke der vormaligen [X.] zu 1. nicht anwendbar (vgl. etwa Löwisch in [X.]Spinner/Wertheimer [X.] 10. Aufl. § 1 [X.] Rn. 100; [X.]/[X.] 7. Aufl. § 1 [X.] Rn. 83; [X.] ArbR-HdB/[X.] 17. Aufl. § 146 Rn. 1). Ihre Anwendung setzt eine betriebsbedingte Kündigung voraus, die an den Maßstäben des § 1 Abs. 2 [X.] zu messen ist (so schon [X.] 28. Oktober 2004 - 8 [X.] - zu [X.] a der Gründe; 13. Mai 2004 - 8 [X.] - zu [X.] der Gründe, [X.]E 110, 336).

Der [X.] nach einer wirksam ausgesprochenen betriebsbedingten Kündigung iSv. § 1 Abs. 2 [X.] stellt einen nach § 242 BGB gebotenen spezifischen Ausgleich allein dafür dar, dass eine betriebsbedingte Kündigung nicht erst möglich ist, wenn der Arbeitsplatz tatsächlich nicht mehr zur Verfügung steht, sondern schon dann wirksam erklärt werden kann, wenn im Zeitpunkt ihres Zugangs die auf Tatsachen gestützte [X.] gerechtfertigt ist, dass jedenfalls zum Ablauf der Kündigungsfrist der die Entlassung erforderlich machende betriebliche Grund vorliegen wird; danach bleibt die spätere tatsächliche Entwicklung grundsätzlich unberücksichtigt (st. Rspr. des [X.], vgl. etwa [X.] 15. Dezember 2011 - 2 [X.] - Rn. 20, [X.]E 140, 169; 27. Februar 1997 - 2 [X.] - zu [X.] der Gründe mwN, [X.]E 85, 194). Der Umstand, dass die Kündigung daher auch dann wirksam bleibt, wenn sich die maßgeblichen Gegebenheiten entgegen der ursprünglichen Prognose noch während des Laufs der Kündigungsfrist ändern, kann dazu führen, dass der Arbeitnehmer in seinem berechtigten, durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Interesse am Bestandsschutz beeinträchtigt wird. Allein vor diesem Hintergrund kann § 242 BGB in derartigen Fällen überhaupt eine Kompensation durch einen [X.] gebieten (vgl. etwa [X.] 20. Oktober 2015 - 9 [X.] - Rn. 31, [X.]E 153, 62; 25. Oktober 2007 - 8 AZR 989/06  - Rn. 21 mwN).

II. Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die Beklagte sei nach § 242 BGB zu seiner Wiedereinstellung verpflichtet, weil die Apotheke entgegen der ursprünglichen Absicht der vormaligen [X.] zu 1. nicht geschlossen, sondern zunächst von dieser und später von der [X.] fortgeführt wurde und bei der Auswahl der weiterzubeschäftigenden Arbeitnehmer ein Mindestmaß an [X.] Rücksichtnahme nicht gewahrt wurde.

1. Zwar ist Arbeitnehmern in Kleinbetrieben angesichts der überwiegenden grundrechtlich geschützten Belange des Arbeitgebers das größere rechtliche Risiko eines Arbeitsplatzverlustes zuzumuten. Sie sind aber nicht völlig schutzlos gestellt, sondern vielmehr durch die zivilrechtlichen Generalklauseln ( §§ 138 , 242 BGB ) vor einer sitten- oder treuwidrigen Ausübung des Kündigungsrechts durch den Arbeitgeber geschützt. Im Rahmen dieser Generalklauseln ist der objektive Gehalt der Grundrechte, hier vor allem aus Art. 12 Abs. 1 GG, zu berücksichtigen (vgl. [X.] 28. Oktober 2010 - 2 [X.] - Rn. 37 mwN). Dabei verpflichtet Art. 12 Abs. 1 GG iVm. dem Sozialstaatsprinzip den Arbeitgeber bei Kündigungen außerhalb des Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes, dann ein gewisses Maß an [X.] Rücksichtnahme walten zu lassen, wenn unter mehreren Arbeitnehmern eine Auswahl zu treffen ist. Der Arbeitgeber darf ein durch langjährige Mitarbeit erdientes Vertrauen in den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nicht unberücksichtigt lassen (vgl. [X.] 28. Oktober 2010 - 2 [X.] - Rn. 38 mwN).

2. Es kann dahinstehen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen im Einzelnen sich in Kleinbetrieben iSv. § 23 Abs. 1 Satz 2 bis Satz 4 [X.] ausnahmsweise aus § 242 BGB ein [X.] ergeben kann, wenn der Betrieb entgegen der ursprünglichen Absicht des Arbeitgebers nicht geschlossen, sondern von diesem oder einem Betriebserwerber fortgeführt wird und/oder wenn bei der Auswahl der weiterzubeschäftigenden Arbeitnehmer ein Mindestmaß an [X.] Rücksichtnahme nicht gewahrt ist (einen [X.] im Kleinbetrieb für langjährig Beschäftigte erwägend [X.]/[X.] 5. Aufl. [X.] § 1 Rn. 744; [X.] 11. Aufl. § 1 [X.] Rn. 731). In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der Betrieb zunächst durch die vormalige Beklagte zu 1. - wenn auch mit verringerter Personalstärke - bis zum 31. August 2014 weitergeführt und erst danach von der [X.] übernommen wurde, hätte der Kläger einen auf § 242 BGB gestützten [X.] erfolgreich nur gegenüber der vormaligen [X.] zu 1. verfolgen können. Seine gegen die vormalige Beklagte zu 1. gerichtete Klage, mit der er von dieser seine Wiedereinstellung verlangt hatte, ist indes rechtskräftig abgewiesen worden.

III. Letztlich kann auch offenbleiben, ob sich aus § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB iVm. § 242 BGB ausnahmsweise ein [X.] bzw. Fortsetzungsanspruch ergeben kann. Nach § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB ist die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber wegen des Übergangs eines Betriebs oder Betriebsteils unwirksam. In einem solchen Fall hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses (vgl. [X.] 24. Januar 2002 - [X.]/00 - [[X.]] Rn. 28). Es kann dahinstehen, ob es der Anerkennung eines auf § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB iVm. § 242 BGB gestützten [X.]/Fortsetzungsanspruchs überhaupt bedarf. Insoweit könnte sich auswirken, dass das Gesetz dem betroffenen Arbeitnehmer mit der Kündigungsschutzklage eine Möglichkeit zur Verfügung stellt, seine Rechte wahrzunehmen. Allerdings könnte ein auf § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB iVm. § 242 BGB gestützter [X.] bzw. Fortsetzungsanspruch - auch unter Berücksichtigung der Vorgaben des Unionsrechts - jedenfalls für den Fall zu erwägen sein, dass der Arbeitnehmer erst nach Ablauf der Höchstfrist für die nachträgliche Klagezulassung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 [X.] Kenntnis von den Umständen erlangt, die aus seiner Sicht die Unwirksamkeit der Kündigung nach § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB begründen, sofern man nicht der Auffassung ist, dass die Frist des § 5 Abs. 3 Satz 2 [X.] entsprechend anzupassen ist (vgl. hierzu ablehnend [X.] 2004, 950, 951).

Jedoch gilt auch hier, dass der Kläger einen auf § 613a Abs. 4 Satz 1 BGB iVm. § 242 BGB gestützten [X.]/Fortsetzungsanspruch vor dem Hintergrund, dass der Betrieb zunächst durch die vormalige Beklagte zu 1. - wenn auch mit verringerter Personalstärke - bis zum 31. August 2014 weitergeführt und erst danach von der [X.] übernommen wurde, erfolgreich nur gegenüber der vormaligen [X.] zu 1. hätte verfolgen können. Seine gegen die vormalige Beklagte zu 1. gerichtete Klage, mit der er von dieser die Annahme seines Angebots auf Abschluss eines Arbeitsvertrags zu den ursprünglichen Bedingungen verlangt hatte, ist indes rechtskräftig abgewiesen worden.

        

    Schlewing    

        

    Vogelsang    

        

    Roloff    

        

        

        

    Kandler    

        

    [X.]    

                 

Meta

8 AZR 845/15

19.10.2017

Bundesarbeitsgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Duisburg, 5. November 2014, Az: 4 Ca 1607/14, Urteil

§ 23 Abs 1 S 2 KSchG, § 23 Abs 1 S 3 KSchG, § 23 Abs 1 S 4 KSchG, § 613a Abs 1 BGB, § 242 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.10.2017, Az. 8 AZR 845/15 (REWIS RS 2017, 3655)

Papier­fundstellen: MDR 2018, 534-535 REWIS RS 2017, 3655

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3 Sa 377/22

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