Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.04.2004, Az. 2 StR 363/03

2. Strafsenat | REWIS RS 2004, 3567

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[X.] vom 21. April 2004 in der Strafsache gegen

1.

2.

3.

4.

5.

wegen Mordes
- 2 - Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und der Beschwerdeführer am 21. April 2004 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen: 1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 30. Januar 2003 mit den Fest-stellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Ju-gendkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe: Das [X.] hat die Angeklagten wegen Mordes schuldig gespro-chen und gegen die Angeklagten [X.]und A.

jeweils lebenslange Freiheitsstrafen - bei dem Angeklagten [X.]unter Einbeziehung einer Frei-heitsstrafe von zehn Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts [X.] vom 16. April 2002 als Gesamtstrafe - verhängt. Den Angeklagten [X.]hat es zu acht Jahren und sechs Monaten Jugendstrafe, den [X.]. zu acht Jahren Jugendstrafe und den Angeklagten [X.]unter Einbeziehung weiterer Verurteilungen zu einer Einheitsjugendstrafe von neun Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren auf die Sachrüge und Verfahrensrügen gestützten Revisionen. - 3 - [X.]
Nach den Feststellungen des [X.] hielten die Angeklagten [X.]

, [X.], [X.], [X.]. und [X.]

am frühen Morgen des 20. Oktober 2001 nach 3.30 Uhr Uhr in [X.] ein [X.] an, um nach dem Besuch eines Lokals nach Hause zu fahren. Der Fahrer des [X.]s, das spätere Opfer E. , weigerte sich jedoch, den erkennbar angetrunkenen Angeklagten [X.]

zu befördern und veranlaßte diesen und den ebenfalls bereits eingestiege-nen Angeklagten [X.]wieder auszusteigen. Diese waren über die Beförde-rungsverweigerung verärgert, knallten die Türen des [X.]s zu und einer von ihnen trat gegen das Fahrzeug. Der [X.]fahrer stieg aus, um die Angeklagten zur Rede zu stellen und seinen Wagen auf Beschädigungen zu untersuchen. Dies erregte den Angeklagten [X.]. , der sich auf den [X.]fahrer stürzte. Die weiteren Angeklagten folgten dem Angeklagten [X.]. .

E. flüchtete mit einem Sprung in seinen Wagen, konnte allerdings die Tür nicht mehr schlie-ßen. Der Angeklagte [X.] versuchte ihn herauszuziehen und hielt ihn fest, während die neben ihm an der geöffneten Fahrertür stehenden Angeklagten [X.]und [X.]mehrfach auf das Opfer einstachen. Ein von dem An-geklagten [X.] versetzter Stich traf die rechte Herzkammer und die Herz-scheidewand des Opfers. Die Angeklagten [X.]. und [X.]

standen [X.] hinter den anderen Angeklagten und versuchten ebenfalls auf das Opfer einzudringen. Sie billigten das Handeln der anderen Angeklagten und schlugen und traten auf E. ein, nachdem dieser aus dem [X.] gezerrt worden war. Nachdem das Tatopfer zusammengebrochen war, verließen alle Ange-klagten den [X.]. E. verstarb noch in der Nacht trotz einer Notope-ration.
- 4 - Das [X.] hat das Tatgeschehen für alle Angeklagten als [X.] Mord aus niedrigen Beweggründen gewertet. Die niedrigen Be-weggründe hat es im wesentlichen in einem krassen Missverhältnis zwischen Anlaß und Tat gesehen.
I[X.]
Die Revisionen führen zur Aufhebung des Urteils. Zwar begegnet weder die Beweiswürdigung noch die rechtliche Würdigung der [X.]. Die Rechtsmittel der Angeklagten haben jedoch mit einer Verfahrensrüge - Verletzung des § 265 Abs. 1 StPO - Erfolg.

a) Der Rüge liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:
Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage legte den Angeklagten [X.] , [X.], [X.]. und [X.] gemeinschaftlichen Tot-schlag in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei, dem Angeklagten [X.] versuchte Körperverletzung in Tateinheit mit Beteiligung an einer Schlägerei zur Last.
Am 3. Hauptverhandlungstag (16. Juli 2002) erteilte der Vorsitzende der [X.] - nachdem sich zuvor lediglich die Angeklagten [X.] und [X.] zur Sache eingelassen hatten - folgenden rechtlichen Hinweis: "An den Angeklagten [X.]erfolgte der rechtliche Hinweis, daß mög-licherweise eine Verurteilung wegen Mordes nach § 211 StGB unter dem Gesichtspunkt des niedrigen Beweggrundes, auch in Verbindung - 5 - mit Versuch, wie auch in Verbindung mit § 28 StGB in Betracht kommt, unter Hinweis auf Heft 2 NStZ aus 2002. Soweit die Anklage gegen [X.], [X.]. und [X.] gemeinsamen Totschlag umfaßt, könnte auch gemeinsam begangener Mord vorliegen, je nach Feststellbarkeit niedriger Beweggründe (§ 28 StGB)." Der Angeklagte [X.] wurde am 8. Hauptverhandlungstag (1. August 2002) darauf hingewiesen,
"daß der bereits erteilte rechtliche Hinweis, daß auch eine Verurteilung nach § 211 StGB wegen Mordes in Betracht kommen kann, auch für ihn gilt." Weitere Hinweise oder eine Erläuterung erfolgten nicht. Die Angeklag-ten [X.] , [X.]. und [X.] ließen sich in der Hauptverhandlung nicht zur Sache ein. b) Zu Recht beanstanden die Angeklagten, daß der Hinweis den gesetz-lichen Anforderungen nicht entsprach. Nach § 265 Abs. 1 StPO darf ein Angeklagter nicht aufgrund eines ande-ren Strafgesetzes als in der zugelassenen Anklage aufgeführt verurteilt wer-den, ohne auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes hingewiesen worden zu sein. Der Inhalt des Hinweises richtet sich nach dem konkreten Ein-zelfall ([X.] in [X.]. § 265 Rdn. 17). Er genügt nur dann den ge-setzlichen Anforderungen, wenn er es dem Angeklagten ermöglicht, die [X.] auf den neuen Gesichtspunkt einzurichten. Erfolgt der Hinweis, es komme in Abweichung zur zugelassenen Anklage Mord in Betracht, muß für den Angeklagten auch erkennbar sein, welches Mordmerkmal gemeint ist ([X.], 583). Ob bei dem Mordmerkmal der sonstigen niedrigen Beweg-- 6 - gründe dabei auch regelmäßig die Einordnung in eine der von der Rechtspre-chung und Literatur erarbeiteten Fallgruppen oder jedenfalls die Angabe der rechtlichen Anknüpfungspunkte für die Bewertung des [X.] als niedrig zu fordern ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn jedenfalls muß der [X.] erkennen lassen, durch welche Tatsachen das Gericht die gesetzlichen Merkmale der Tat als erfüllt ansieht ([X.], 200 = BGHR StPO § 265 Abs. 1 Hinweis 3; NStZ 1998, 529, 530 = [X.], 582, 583). Dem wird der den Angeklagten unter Bezugnahme auf die Entscheidung des [X.]s vom 19. Oktober 2001 - 2 [X.] (BGHSt 47, 128 = NStZ 2002, 84) erteilte [X.] nicht gerecht.
aa) [X.] hat zwar auf den Mordtatbestand und auf das Mordmerkmal des niedrigen [X.] hingewiesen. Zweifelhaft erscheint aber schon, ob die per se nicht sehr präzise Bezugnahme auf die in Heft 2 NStZ 2002 (= NStZ 2002, 84) veröffentliche [X.]sentscheidung nur für den Angeklagten [X.] oder auch für die anderen Angeklagten gelten sollte. Selbst wenn man dies dem Zusammenhang der allen Angeklagten erteilten Hinweise noch entnehmen könnte, wäre der Hinweis sowohl im Hinblick auf die rechtlichen Bewertungskriterien zur Annahme dieses [X.] als auch im Hinblick auf die dieser Bewertung zugrunde liegenden Tatsachen irrefüh-rend. Denn in der angesprochenen [X.]sentscheidung ging es um die An-nahme niedriger Beweggründe bei einer Tötung in dem Bewußtsein, keinen Grund dafür zu haben oder zu brauchen oder bei einem bewußten Abreagieren von frustrationsbedingten Aggressionen an einem unbeteiligten Opfer. Nach den Feststellungen haben sich die Angeklagten jedoch auf den [X.]fahrer [X.] und seine Tötung jedenfalls in Kauf genommen, weil dieser sich erdreis-tete, auszusteigen und gegen ihre Handlungen - Treten gegen das Fahrzeug - - 7 - aufzubegehren. Dieser Grund war bei objektiver Betrachtung allerdings gering-fügig und rechtfertigt die Annahme eines krassen Mißverhältnisses von Anlaß und Tat, von dem die Kammer ausgegangen ist. Demgegenüber läßt sich den Feststellungen mindestens nicht eindeutig entnehmen, daß die Angeklagten - entsprechend dem Sachverhalt in der angeführten [X.]sentscheidung - sub-jektiv davon ausgegangen sind, für eine Tötung keinen Anlaß zu haben oder zu brauchen.
[X.]) Erst recht war dieser Hinweis nicht geeignet, die Angeklagten [X.] darüber zu informieren, welche Tatsachen nach Auffassung des [X.] einer solchen Bewertung sein könnten. Diese Angabe war hier auch nicht entbehrlich. Von einer ausdrücklichen Bezeichnung der Tatsa-chen darf nur dann abgesehen werden, wenn nach dem Inbegriff der bis dahin durchgeführten Hauptverhandlung kein Zweifel bestehen kann, an welche tat-sächlichen Umstände der Hinweis anknüpft (BGHSt 13, 320, 325; 18, 56, 57; BGHR StPO § 265 Abs. 1 Hinweis 3; BGH StV 1984, 190, 191; NStZ 1993, 200; 1998, 529, 530 = [X.], 582).
Weder der Anklageschrift noch den im Urteil wiedergegebenen Einlas-sungen der Angeklagten lassen sich Tatsachen entnehmen, die einer der an-geführten [X.]sentscheidung (BGHSt 47, 128 f.) zugrunde liegenden Fallges-taltung entsprechen. Nach der zugelassenen Anklage war Anlaß der - für den [X.]fahrer tödlich endenden - Auseinandersetzung ein Wortgefecht zwischen den Angeklagten und dem Opfer nach dessen Weigerung, den betrunkenen Angeklagten [X.] zu befördern. Der Angeklagte [X.]hatte in seiner - von der Kammer als widerlegt angesehenen - Einlassung von einem Angriff des [X.]fahrers auf den Angeklagten [X.]. berichtet und von seinen eigenen - 8 - Bemühungen, die Auseinandersetzung zu schlichten. Der Angeklagte [X.]ließ sich dahin ein, Ausgangspunkt der Tat sei gewesen, daß der [X.]fahrer den Angeklagten [X.]. getreten habe, woraufhin sich dieser mit ihm geschla-gen habe. Soweit er weiter angegeben hat, er wisse nicht, warum er dann auf den [X.]fahrer eingestochen habe, und denke seit Monaten darüber nach, läßt sich dieser Einlassung nur entnehmen, daß der Angeklagte seine [X.] nachträglich als unverständlich empfindet.
Danach blieben - abweichend von der von der Kammer im Urteil zu Grunde gelegten Fallgestaltung, nach der alle Angeklagten, die Absicht des [X.], sie zur Rede stellen zu wollen, mit Gewalt ahnden wollten - weitere Sachverhaltsvarianten, etwa Reaktion auf vorangegangenes Wortgefecht oder tätliche Auseinandersetzung, möglich.
c) Der von der [X.] erteilte Hinweis war danach rechtsfehlerhaft. Auf diesem Rechtsfehler kann das Urteil auch beruhen. Der [X.] vermag nicht auszuschließen, daß die Angeklagten bei Erteilung eines [X.] weitere bzw. die in der Hauptverhandlung bisher schweigenden Angeklagten überhaupt Angaben gemacht hätten, die zu einer abweichenden rechtlichen Würdigung geführt hätten. Dem steht nicht entgegen, daß die [X.] keine Erläuterung des Hinweises bzw. keine Unterbrechung der Hauptverhandlung beantragt hatte. Nach dem Hinweis mußten die Angeklagten [X.] , [X.], [X.]. und [X.] nicht davon ausgehen, daß die Kammer die Mordmerkmale bereits als erfüllt ansah, da der Hinweis ausdrücklich unter dem Vorbehalt der Feststellbarkeit der niedrigen Beweggründe erteilt worden war und auch die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer nur eine Verurteilung wegen Totschlags beantragt hatte. - 9 - - 10 - II[X.] Die sofortige Beschwerde des [X.] gegen die Kostenentschei-dung des angefochtenen Urteils ist damit gegenstandslos.

[X.] Dr. Rissing-van Saan Bode

Otten ist durch Urlaubsabwesenheit an der Unterschrift gehindert.

Bode

Rothfuß Fischer

Meta

2 StR 363/03

21.04.2004

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.04.2004, Az. 2 StR 363/03 (REWIS RS 2004, 3567)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 3567

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