Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.06.2018, Az. 3 StR 206/18

3. Strafsenat | REWIS RS 2018, 7789

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Gegenstand

Strafverfahren wegen Mordes: Erteilung eines förmlichen Hinweises bei Änderung der Tatsachengrundlage für das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe


Tenor

1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 4. Januar 2018 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagte wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Ihre auf die [X.] der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit einer Verfahrensbeanstandung den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] unbegründet (§ 349 Abs. 2 [X.]).

2

1. Das [X.] hat Folgendes festgestellt und gewertet:

3

a) Zu einem nicht genauer feststellbaren Zeitpunkt am 30. oder 31. Dezember 2016 erstickte die Angeklagte, die seit 2015 in [X.] gelebt hatte, ihre am           geborene Tochter. Sie wollte in [X.] ein neues unabhängiges Leben beginnen; daran sah sie sich durch ihre Tochter gehindert. Zudem wollte sie sich am Vater des Kindes (dem Nebenkläger) rächen, der mit dem gemeinsamen Kind seinen Aufenthaltsstatus verbessern wollte, dennoch aber die Angeklagte und seine Tochter verließ. Nach Auffassung der Angeklagten hatte der Nebenkläger ihr Leben "kaputtgemacht", indem er sie geschwängert hatte und sie dann mit dem Kind allein ließ. Die Tochter wollte die Angeklagte dem Nebenkläger nicht überlassen.

4

b) Das [X.] hat das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe vor allem durch die "rücksichtslose Gier" der Angeklagten nach einem selbstbestimmten Leben ohne Einschränkungen als verwirklicht angesehen; daneben hat es auf das Motiv der Rache der Angeklagten abgestellt, dem Nebenkläger seine Tochter sowie die aus seiner Vaterschaft vermeintlich erwachsenen ausländerrechtlichen Vorteile zu nehmen.

5

2. Die Revision der Angeklagten hat mit der Verfahrensrüge der Verletzung des § 265 Abs. 2 Nr. 3 [X.] nF überwiegend Erfolg.

6

a) Der Rüge liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:

7

Die unverändert zur Hauptverhandlung zugelassene Anklage vom 13. September 2017 begründete die niedrigen Beweggründe damit, die Angeklagte habe sich am Nebenkläger rächen und ihn dafür bestrafen wollen, "dass er während des Zusammenlebens ihr gegenüber gewalttätig gewesen war". Auf die von ihm in Abweichung hiervon nach den Urteilsgründen festgestellten Beweggründe der Angeklagten für ihre Tat hat das [X.] diese in der Hauptverhandlung nicht förmlich hingewiesen.

8

b) Die Verfahrensrüge ist zulässig und begründet. Die Verfahrensweise des [X.]s ist mit § 265 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. Abs. 1 [X.] in der Fassung des Gesetzes zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens vom 17. August 2017 ([X.] I S. 3202, 3210), in [X.] getreten zum 24. August 2017, nicht vereinbar. Der Angeklagten hätte ein förmlicher Hinweis darauf erteilt werden müssen, dass das [X.] die Annahme des [X.] der niedrigen Beweggründe auf eine Motivlage der Angeklagten zu stützten gedachte, die von der ihr in der Anklageschrift angelasteten deutlich abwich. Im Einzelnen:

9

aa) Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ist dem Angeklagten gemäß § 265 Abs. 1 [X.] ein förmlicher Hinweis zu erteilen, wenn seine Verurteilung wegen Mordes auf ein anderes Mordmerkmal gegründet werden soll, als es ihm in der Anklageschrift vorgeworfen worden war (siehe nur [X.], Urteile vom 30. Juli 1969 - 4 StR 237/69, [X.]St 23, 95, 96; vom 20. Februar 1974 - 2 StR 448/73, [X.]St 25, 287 ff.; Beschluss vom 23. März 2011 - 2 StR 584/10, [X.]R [X.] § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 19). Aber auch dann, wenn die Verurteilung auf das schon in der Anklageschrift angenommene Mordmerkmal gestützt werden soll, sich indes die Tatsachengrundlage, die dieses nach Auffassung des Gerichts ausfüllt, gegenüber derjenigen ändert, von der die Anklage ausgegangen ist, war schon nach der alten Rechtslage anerkannt, dass der Angeklagte auf diese Änderung der Sachlage in entsprechender Anwendung von § 265 Abs. 1 und Abs. 4 [X.] aF hinzuweisen gewesen ist. So erfordert beim Mordmerkmal der Absicht, eine andere Straftat zu verdecken, der Austausch der [X.] einen gerichtlichen Hinweis, um den Angeklagten vor einer Überraschungsentscheidung zu schützen und ihm Gelegenheit zu geben, sich gegenüber dem Tatvorwurf sachgerecht zu verteidigen ([X.], Beschluss vom 12. Januar 2011 - 1 StR 582/10, [X.]St 56, 121, 122 ff.: Verdeckung einer Körperverletzung statt einer Unterschlagung; dort ist lediglich offen gelassen, ob ein ausdrücklicher Hinweis entbehrlich sein kann, wenn dem Angeklagten die erforderliche Kenntnis schon durch den Gang der Hauptverhandlung vermittelt worden ist). Nichts anderes kann für das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe gelten; auch insoweit ist der Angeklagte nicht nur davon in Kenntnis zu setzen, durch welche bestimmten Tatsachen das Gericht das Mordmerkmal als erfüllt ansieht (siehe nur [X.], Beschlüsse vom 25. Oktober 2016 - 2 StR 84/16, [X.]R [X.] § 265 Abs. 1 Hinweispflicht 22; vom 23. März 2011 - 2 StR 584/10, [X.], 475; vom 21. April 2004 - 2 [X.], [X.], 111, 112), vielmehr ist er auch darüber zu informieren, dass sich diese Tatsachen aus Sicht des Gerichts gegenüber der Anklageschrift oder aber auch einem früher erteilten Hinweis geändert haben könnten.

bb) Nach diesen Maßstäben war hier ein Hinweis geboten; denn die Tatsachengrundlage, auf welche das [X.] das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe stützt, weicht in zweifacher Hinsicht wesentlich von derjenigen der Anklage ab:

Das Motiv, ein neues selbstbestimmtes und vom Kind unabhängiges Leben in [X.] zu beginnen, kann zwar als besonders "krasse Selbstsucht" bewertet und damit das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe als erfüllt angesehen werden (vgl. [X.], Urteil vom 30. Oktober 2008 - 4 [X.], [X.], 210). Indes benennt die Anklage ein solches Motiv nicht und stützt das Mordmerkmal allein auf ein Rachemotiv der Angeklagten. Diese beiden Beweggründe unterscheiden sich deutlich voneinander. Das Tatmotiv der Selbstsucht nach einem unabhängigen Leben kann - entgegen der Auffassung des [X.] - auch nicht dem wesentlichen Ermittlungsergebnis der Anklageschrift entnommen werden: Die dort mitgeteilte Einschätzung einer Zeugin, der Angeklagten fehle der "natürliche Mutterinstinkt", ist nichtssagend und gibt daher keinen Anhalt für eine selbstsüchtige Entscheidung der Angeklagten, nach dem endgültigen Scheitern der Beziehung mit dem Nebenkläger das Kind durch dessen Tötung "hinter sich zu lassen" und in [X.] ein neues Leben zu beginnen.

Das Urteil geht im Übrigen zwar wie die Anklage auch von einem Rachemotiv aus. Indes weichen die hierfür maßgeblichen Tatsachen ebenfalls deutlich voneinander ab: Der Zorn über das [X.] hat mit Gewalttätigkeiten nichts zu tun. Auch insoweit hat eine Hinweispflicht bestanden.

cc) Den danach erforderlichen Hinweis auf die in zweifacher Hinsicht geänderte Tatsachengrundlage hätte der Vorsitzende förmlich erteilen müssen. Er ist als wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens in das [X.] aufzunehmen gewesen (§ 273 Abs. 1 Satz 1 [X.]) und kann nur durch dieses belegt werden (§ 274 Satz 1 [X.]).

Dies folgt aus dem in § 265 Abs. 2 [X.] enthaltenen Verweis ("ebenso ist zu verfahren") auf die in § 265 Abs. 1 [X.] normierte Hinweispflicht. Mit der Neuregelung des § 265 Abs. 2 Nr. 3 [X.] wollte der Gesetzgeber die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelte Hinweispflicht umsetzen, wonach auch unterhalb der Schwelle des § 265 Abs. 4 [X.] in entsprechender Anwendung des § 265 Abs. 1 [X.] ein Hinweis auf die Veränderung eines tatsächlichen Umstands erforderlich war, wenn dieser in seinem Gewicht der Veränderung eines rechtlichen Gesichtspunkts gleichstand (BT-Drucks. 18/11277, S. 37 unter Hinweis auf [X.], Urteil vom 20. November 2014 - 4 StR 234/14, [X.], 233, 234 mwN). Damit soll das Recht des Angeklagten auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) gewährleistet und er nach dem rechtsstaatlichen Grundsatz des fairen Verfahrens vor Überraschungsentscheidungen geschützt werden (BT-Drucks. aaO; [X.] aaO mwN).

Mit dem Verweis auf § 265 Abs. 1 [X.], wonach der Angeklagte "besonders" auf eine veränderte Sachlage hinzuweisen ist, ist die zu der alten Rechtslage vertretene Auffassung, es genüge, wenn der Angeklagte die Änderung eines wesentlichen sachlichen Umstandes dem Gang der Hauptverhandlung entnehmen könne (offengelassen, wie ausgeführt, in [X.], Beschluss vom 12. Januar 2011 - 1 StR 582/10, [X.]St 56, 121, 125; vgl. im Übrigen etwa [X.], Urteil vom 20. November 2014 - 4 StR 234/14, [X.], 233, 234 mwN), überholt. Zwar ist den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber sich mit diesem Gesichtspunkt auseinandergesetzt hat (siehe insbesondere den Gesetzesentwurf der Bundesregierung vom 22. Februar 2018, BT-Drucks. 18/11277, S. 36 f.). Indes folgt dieses Ergebnis, wie dargelegt, aus dem Verweis auf die in § 265 Abs. 1 [X.] normierte Hinweispflicht (im Ergebnis ebenso [X.]/[X.], [X.], 61. Aufl. § 265 Rn. 22; [X.] [X.]/[X.], § 265 Rn. 51).

dd) Das Urteil beruht auf dem dargestellten Verfahrensfehler (§ 337 Abs. 1 [X.]); denn der [X.] kann nicht ausschließen, dass sich die Angeklagte zu ihrer [X.] anders als geschehen hätte verteidigen können, wenn ihr der gebotene förmliche Hinweis erteilt worden wäre. Sie hätte ihre Entscheidung, zum Tatvorwurf zu schweigen, überdenken oder aber Beweisanträge zu den Beweggründen und Umständen ihrer Reise nach [X.] stellen können.

3. Der Rechtsfehler erfasst die Feststellungen zu den Voraussetzungen der Mordmerkmale und der Strafe. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen können indes aufrechterhalten bleiben (§ 353 Abs. 2 [X.]; dazu [X.], Beschluss vom 23. März 2011 - 2 StR 584/10, [X.], 475, 476); ergänzende Feststellungen sind möglich, sofern sie dazu nicht im Widerspruch stehen.

4. Der Beschluss des 5. Strafsenats vom 8. Mai 2018 (5 [X.], juris Rn. 2 ff.) steht vorliegender Entscheidung nicht entgegen.

a) Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Anforderungen, die dort an den Revisionsvortrag einer Rüge der Verletzung des § 265 Abs. 2 Nr. 3 [X.] im Hinblick auf § 344 Abs. 2 Satz 2 [X.] gestellt werden. Zwar hätte der [X.] Bedenken, dem 5. Strafsenat insoweit in sämtlichen Punkten für alle denkbaren Sachverhaltsgestaltungen zu folgen. Auf diese Bedenken kommt es hier indes nicht an; denn auch unter Beachtung der vom 5. Strafsenat formulierten Maßstäbe bestehen gegen die Zulässigkeit der Rüge der Angeklagten keine Bedenken: Soweit der 5. Strafsenat Revisionsvortrag dazu verlangt, ob der Revisionsführer durch den Gang der Hauptverhandlung über die Veränderung der Sachlage bereits zuverlässig unterrichtet war und deshalb ein ausdrücklicher Hinweis unterbleiben konnte, ist dem hier schon durch den Hinweis darauf hinreichend Genüge getan, dass selbst die Staatsanwaltschaft auf eine Verurteilung der Angeklagten nur wegen Totschlags plädiert hat. Auch war kein Revisionsvortrag dazu erforderlich, inwieweit der Hinweis für die genügende Verteidigung der Angeklagten erforderlich war, warum die Angeklagte durch dessen Unterlassen in ihrer Verteidigung beschränkt wurde und wie sie ihr Verteidigungsverhalten nach erteiltem Hinweis anders hätte einrichten können; denn all das versteht sich hier von selbst (vgl. auch oben [X.]]). Für diesen Fall verlangt aber auch der 5. Strafsenat kein entsprechendes Revisionsvorbringen ([X.], aaO Rn. 6).

b) Im Übrigen unterscheidet sich der vorliegend zu beurteilende Sachverhalt auch wesentlich von der Fallgestaltung, die der Entscheidung des 5. Strafsenats zugrunde lag. Während es dort um die Frage ging, ob der Tatrichter einen Hinweis darauf erteilen muss, welche Folgerungen für seine Überzeugungsbildung er aus dem Ergebnis einer einzelnen Beweiserhebung (Zeugenvernehmung) zu ziehen gedenkt, geht es hier um eine Änderung der Tatsachenbasis, auf die der Tatrichter in Abweichung von der Anklage das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe, mithin einer für den Schuldspruch unmittelbar relevanten Haupttatsache, stützen will.

[X.]    

        

    Spaniol    

        

    Berg

      

Ri[X.] Hoch befindet
sich im Urlaub und ist
daher gehindert zu
unterschreiben.

      

Leplow

        

      

[X.]

      

      

        

Meta

3 StR 206/18

14.06.2018

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Lüneburg, 4. Januar 2018, Az: 27 Ks 9/17

§ 265 Abs 1 StPO, § 265 Abs 2 Nr 3 StPO, § 273 Abs 1 S 1 StPO, § 274 S 1 StPO, § 211 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.06.2018, Az. 3 StR 206/18 (REWIS RS 2018, 7789)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 7789

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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