Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.02.2012, Az. 4 StR 22/12

4. Strafsenat | REWIS RS 2012, 8908

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Gegenstand

Nachträgliche Gesamtstrafenbildung bei Teilrechtskraft des Strafausspruchs durch Teilaufhebung und -zurückverweisung


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 27. Oktober 2011, soweit hinsichtlich des Angeklagten eine Entscheidung über die nachträgliche Bildung einer Gesamtstrafe unterblieben ist, mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 StPO zu treffen ist.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

3. Der Angeklagte trägt die Kosten des Rechtsmittels.

Gründe

1

Das [X.] hatte den Angeklagten mit Urteil vom 28. September 2010 wegen Beihilfe zum schweren [X.] in sechs Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Der Senat hob dieses Urteil mit Beschluss vom 8. Juni 2011 – 4 [X.] – insoweit auf, als dem Angeklagten die Strafaussetzung zur Bewährung versagt worden war. Das [X.] hat nunmehr die Aussetzung der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe erneut abgelehnt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2

Das Urteil kann keinen Bestand haben, soweit die [X.] die Vorschrift des § 55 StGB außer [X.] gelassen und es versäumt hat, unter Einbeziehung der Strafe von sieben Jahren aus dem seit 23. Februar 2011 rechtskräftigen Urteil des [X.]s Bielefeld vom 13. August 2010 nachträglich eine neue Gesamtstrafe zu bilden.

3

§ 55 StGB regelt die nachträgliche Bildung der Gesamtstrafe. Die Vorschrift soll ihrem Grundgedanken nach sicherstellen, dass Taten, die bei gemeinsamer Aburteilung nach §§ 53, 54 StGB behandelt worden wären, auch bei getrennter Aburteilung dieselbe Behandlung erfahren, so dass der Täter im Ergebnis weder besser noch schlechter gestellt ist (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 22. Juli 1997 – 1 [X.], [X.]R StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 13). Hierbei kommt es maßgeblich allein auf die materiell-rechtliche Regelung und nicht auf die verfahrensrechtliche Situation an (vgl. [X.], Beschluss vom 7. Dezember 1983 – 1 [X.], [X.]St 32, 190, 192 f.). Die Anwendung des § 55 StGB ist für den Tatrichter zwingend. Er darf daher die Entscheidung über eine nachträglich zu bildende Gesamtstrafe grundsätzlich nicht dem Beschlussverfahren nach § 460 StPO überlassen (st. Rspr.; vgl. [X.], Beschluss vom 30. Juni 1958 – [X.], [X.]St 12, 1; Urteil vom 17. Februar 2004 – 1 [X.], [X.], 32). Dies gilt auch für den Tatrichter, der nach in der Rechtsmittelinstanz erfolgter (teilweiser) Aufhebung und Zurückverweisung mit der Sache befasst wird. Eine durch Teilaufhebung und –zurückverweisung eingetretene Teilrechtskraft des Strafausspruchs steht – bei neu entstandener oder bislang unbekannt gebliebener Gesamtstrafenlage im Sinne des § 55 StGB – einer Anwendung des § 55 StGB durch den Tatrichter nicht entgegen. Da im Beschlussverfahren nach § 460 StPO die Durchbrechung der Rechtskraft auch in dem Verfahren, in welchem die Vorschrift des § 55 StGB außer Betracht geblieben ist, ohne Weiteres zulässig ist, besteht kein Anlass, dem Tatrichter aus Gründen der Teilrechtskraft eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung im Erkenntnisverfahren zu verwehren (vgl. [X.], Beschluss vom 7. Juli 2010 – 1 [X.], [X.]St 55, 220 [X.]. 34 ff. für den Fall der wirksam beschränkten Berufung). Die Entscheidung über eine nachträglich zu bildende Gesamtstrafe noch im Erkenntnisverfahren entspricht vielmehr dem Grundsatz der Verfahrensökonomie und dem Beschleunigungsgebot. Zudem bietet das Erkenntnisverfahren insbesondere wegen des vom Angeklagten in der Hauptverhandlung gewinnbaren unmittelbaren persönlichen Eindrucks regelmäßig eine bessere Garantie für eine gerechtere Strafzumessung als das schriftliche Beschlussverfahren (vgl. [X.], Beschlüsse vom 18. September 1974 – 3 [X.], [X.]St 25, 382, 384; vom 7. Juli 2010 – 1 [X.] aaO [X.]. 26 ff.).

4

Da die im vorliegenden Verfahren abgeurteilten Taten des Angeklagten vor seiner Verurteilung durch das [X.] Bielefeld vom 13. August 2010 begangen worden sind, lagen mit Eintritt der Rechtskraft dieser Verurteilung am 23. Februar 2011 die Voraussetzungen des § 55 StGB vor, so dass die [X.] über die nachträgliche Bildung einer neuen Gesamtstrafe unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe von sieben Jahren aus dem Urteil des [X.]s Bielefeld vom 13. August 2010 hätte befinden müssen.

5

Der Senat macht von der im Revisionsverfahren – auch im Falle einer unterlassenen Gesamtstrafenbildung (vgl. [X.], Beschluss vom 1. Juli 2010 - 1 StR 196/10) – eröffneten Möglichkeit des § 354 Abs. 1b Satz 1 StPO Gebrauch, die Entscheidung über die nachträglich zu bildende Gesamtstrafe dem Nachverfahren gemäß §§ 460, 462 StPO zuzuweisen.

6

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO. Sie musste nicht dem Nachverfahren vorbehalten bleiben, weil sicher feststeht, dass die sich gegen die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung richtende Revision des Angeklagten insoweit erfolglos bleibt.

VRi[X.] Dr. Ernemann
befindet sich in Urlaub
und ist daher gehindert
zu unterschreiben.

Roggenbuck     

     [X.]

Roggenbuck

     Bender     

Ri[X.] Dr. Quentin
befindet sich in Urlaub
und ist daher gehindert
zu unterschreiben.

Roggenbuck

Meta

4 StR 22/12

22.02.2012

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Bielefeld, 27. Oktober 2011, Az: 10 KLs 20/11

§ 55 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 22.02.2012, Az. 4 StR 22/12 (REWIS RS 2012, 8908)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 8908

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