Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.09.2010, Az. 4 AZR 98/09

4. Senat | REWIS RS 2010, 3133

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Gegenstand

Auslegung einer arbeitsvertraglichen Verweisungsklausel


Tenor

1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 28. August 2008 - 7 [X.]/08 - aufgehoben, soweit es die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 29. November 2007 - 8 Ca 1587/07 - auch wegen der Zahlungsanträge der Klägerin in einer Gesamthöhe von 1.102,61 Euro nebst Zinsen zurückgewiesen hat.

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 29. November 2007 - 8 Ca 1587/07 - teilweise abgeändert. Unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 1.102,61 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 299,88 Euro seit dem 1. September 2006, aus 65,62 Euro seit dem 1. Oktober 2006, aus 77,44 Euro seit dem 1. November 2006, aus 83,37 Euro seit dem 1. Februar 2007, aus 65,22 Euro seit dem 1. März 2007, aus 158,28 Euro seit dem 1. April 2007, aus 21,61 Euro seit dem 1. Mai 2007, aus 59,77 Euro seit dem 1. Juni 2007, aus 26,79 Euro seit dem 1. August 2007, aus 195,24 Euro seit dem 1. September 2007 und aus 49,39 Euro seit dem 1. Oktober 2007 zu zahlen.

2. Von den Kosten der Vorinstanzen hat die Klägerin ein Siebtel und die Beklagte sechs Siebtel zu tragen. Die Kosten der Revision hat die Beklagte zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Anwendbarkeit eines Tarifvertrages auf ihr Arbeitsverhältnis und sich daraus ergebende Ansprüche der Klägerin auf Sonntagszuschläge, Urlaubsentgelt und Entgeltfortzahlung.

2

Die nicht tarifgebundene Klägerin ist bei der [X.] aufgrund eines mit der [X.] geschlossenen schriftlichen Arbeitsvertrages vom 18. Mai 2002 als „Sicherungskraft“ tätig. Sie wird nunmehr von der [X.] auf dem [X.] beschäftigt und übt dort nur Tätigkeiten nach §§ 8 und 9 Luftsicherheitsgesetz ([X.]) aus.

3

Im Arbeitsvertrag vom 18. Mai 2002 heißt es [X.].:

        

„2. Der Arbeitnehmer wird von der Firma als Sicherungskraft eingestellt. Für das Arbeitsverhältnis gilt grundsätzlich der jeweils gültige Mantel- und Lohntarifvertrag für das Bewachungsgewerbe. …

        

3. Der Arbeitnehmer erhält einen Stundenlohn von € 6,98. Soweit darüber hinaus außertarifliche Zulagen gewährt werden, deren Höhe sich jeweils aus der Lohnabrechnung ergibt, sind diese jederzeit widerruflich und auf tarifliche Ansprüche anrechenbar. …“

4

Zum Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages war die damalige Arbeitgeberin kraft Mitgliedschaft im [X.] ([X.]) an den - außerdem für allgemeinverbindlich erklärten - Manteltarifvertrag für das [X.] und Sicherheitsgewerbe in [X.] vom 2. Febr[X.]r 2000 ([X.]) gebunden. Dieser war vom [X.], Landesgruppe [X.], deren Mitglied auch die Beklagte ist, und der [X.] [X.], Bezirke [X.] I und II, geschlossen worden und enthielt folgende Geltungsbereichsbestimmung:

        

1.    

Geltungsbereich

        

Dieser Tarifvertrag gilt

        

räumlich:

für das Land [X.]

        

fachlich:

für alle Betriebe des [X.] sowie für alle Betriebe, die Kontroll- und Ordnungsdienste betreiben, für alle Bewachungsobjekte und Dienststellen, die in [X.] liegen sowie für Geld- und [X.], die in [X.] getätigt werden.

        

persönlich:

für sämtliche in diesen Betrieben beschäftigten Arbeitnehmer.“

5

Am 21. September 2005 schlossen die [X.] [X.] und der [X.] den Manteltarifvertrag für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen ([X.]). Dieser [X.] galt nach seiner Geltungsbereichsbestimmung in § 1 räumlich für alle Verkehrsflughäfen in der [X.] und persönlich-fachlich für alle Beschäftigten von [X.] und Sicherheitsunternehmen, die an Verkehrsflughäfen Sicherheitsmaßnahmen nach §§ 5, 8 und 9 [X.] durchführen. Am gleichen Tag wurde von denselben Tarifvertragsparteien für denselben Geltungsbereich der Entgeltrahmentarifvertrag für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen (ERTV Flughäfen Bund) und - insoweit nur für die gewerblichen Arbeitnehmer - der Überleitungstarifvertrag für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen ([X.] Flughäfen Bund) geschlossen. In letzterem lauten § 2 und § 3:

        

§ 2 Überleitungsregelungen

        

An den Verkehrsflughäfen, die durch den [X.] bundesweit geregelt werden, existieren Branchentarifverträge oder Regelungen in Flächentarifverträgen des [X.] und Sicherheitsgewerbes mit der [X.] [X.].

        

Es besteht Einigkeit, dass durch die neue bundesweite einheitliche Regelung in Form eines [X.]es die geltenden tariflichen Normen nicht aufgehoben sind, sofern im Folgenden nicht etwas anderes bestimmt ist.

        

1. Regelungen in den bestehenden Mantel- und Entgelttarifverträgen in den einzelnen Bundesländern, die von den Regelungen in dem bundesweiten Mantel- und Entgeltrahmentarifvertrag für Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen abweichen, bleiben bei den jeweiligen Beschäftigungsverhältnissen so lange bestehen, so lange in den jeweiligen Bundesländern Arbeitnehmer in Auftragsverhältnissen gemäß § 5 [X.] tätig sind, die auf Basis des bestehenden länderbezogenen Mantel- und Entgelttarifvertrages begründet wurden und den fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrages betreffen, unter Berücksichtigung der Ziffer 3.

        

2. Die Leistungen aus den bestehenden einzelnen länderbezogenen mantel- und entgelttarifvertraglichen Regelungen werden im Falle der Ziffer 1. bis zu diesem Zeitpunkt als befristete länderbezogene Regelungen angewandt, die befristet sind bis zur Kündigung oder dem Endzeitpunkt bestehender Aufträge oder dem Abschluss eines Ne[X.]uftrages im Sinne des fachlichen Regelungsbereiches des Tarifvertrages, unter Berücksichtigung der Ziffer 3.

        

3. Mit Beendigung der länderbezogenen manteltarif- und entgelttarifvertraglichen Regelungen finden ausschließlich die vereinbarten bundeseinheitlichen manteltarif- und entgeltrahmentarifvertraglichen Regelungen uneingeschränkt Anwendung. Dies gilt auch, wenn nur Aufträge gemäß §§ 8 und 9 [X.] verbleiben.

        

4. …   

        

§ 3 [X.] Regelung

        

Soweit auf Grund bestehender Arbeitsverträge schriftliche Regelungen getroffen wurden, die einen Anspruch des Arbeitnehmers begründen, der die Leistungen aus dem [X.] überschreitet, wird dieser Rechtsanspruch durch den [X.] nicht berührt.“

6

Dieses bundesweite Tarifwerk trat am 1. September 2005 in [X.]. Der fachlich allgemeinere, regional aber beschränkte allgemeinverbindliche [X.] Wachgewerbe NRW 2000 trat am 31. Dezember 2005 außer [X.]. Bereits am 8. Dezember 2005 hatten der [X.], Landesgruppe [X.], und die [X.] [X.], vertreten durch die [X.] [X.], einen räumlich auf das Land [X.] beschränkten, für sämtliche Arbeitnehmer in den Betrieben des [X.] entsprechend der [X.] Geltungsbereichsbestimmung des [X.] einen Folgetarifvertrag geschlossen ([X.] Wachgewerbe NRW 2006). Dieser trat am 1. Jan[X.]r 2006 in [X.] und wurde später mit Wirkung ab diesem Datum für allgemeinverbindlich erklärt.

7

Zwischen dem [X.]/ERTV Flughäfen Bund und dem [X.] Wachgewerbe NRW 2006 bestehen [X.]. folgende Unterschiede in einzelnen materiellrechtlichen Regelungen: [X.] im [X.] Wachgewerbe NRW 2006 sind höher als im [X.]/ERTV Flughäfen Bund, die Nachtzuschläge dagegen niedriger. Der Referenzzeitraum für die Berechnung des [X.] und der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall beträgt nach dem [X.] Wachgewerbe NRW 2006 drei Monate, nach dem [X.]/ERTV Flughäfen Bund zwölf Monate.

8

Das Arbeitsverhältnis der Klägerin wird von der [X.] seit dem 1. Jan[X.]r 2006 auf der Basis des [X.]/ERTV Flughäfen Bund abgerechnet.

9

Die Klägerin hat für den Zeitraum vom 1. August 2006 bis zum 30. September 2007 verschiedene Ansprüche auf Zahlung von Sonntagszuschlägen, Urlaubsentgelt und Entgeltfortzahlung erfolglos geltend gemacht, die sämtlich auf Regelungen des [X.] Wachgewerbe NRW 2006 gestützt sind. Zur Begründung ihrer sodann erhobenen Klage hat die Klägerin die Auffassung vertreten, aus der vertraglichen [X.] ergebe sich die Anwendung dieses Tarifvertrages auf das Arbeitsverhältnis der Parteien. Die Klausel sei allein auf die Tarifverträge des [X.] gerichtet und erfasse nicht unmittelbar die spezielleren Tarifverträge für die Sicherheitskräfte an Verkehrsflughäfen. Die Klägerin sei auch nicht als eine solche spezielle Sicherheitskraft eingestellt, sondern könne im Wege des Direktionsrechtes von der [X.] jederzeit in einen anderen Sicherheitsbereich außerhalb des Geltungsbereichs des [X.] eingesetzt werden. Jedenfalls ergebe sich diese Auslegung zugunsten der Klägerin auch bei der Anwendung von § 305c Abs. 2 BGB. Im Übrigen könne die Wirkung der Allgemeinverbindlicherklärung in deren Geltungsbereich nicht durch den Abschluss eines weiteren nicht allgemeinverbindlichen Tarifvertrages aufgehoben werden.

Die Klägerin hat zuletzt sinngemäß beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.102,61 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 299,88 Euro seit dem 1. September 2006, aus 65,62 Euro seit dem 1. Oktober 2006, aus 77,44 Euro seit dem 1. November 2006, aus 83,37 Euro seit dem 1. Febr[X.]r 2007, aus 65,22 Euro seit dem 1. März 2007, aus 158,28 Euro seit dem 1. April 2007, aus 21,61 Euro seit dem 1. Mai 2007, aus 59,77 Euro seit dem 1. Juni 2007, aus 26,79 Euro seit dem 1. August 2007, aus 195,24 Euro seit dem 1. September 2007 und aus 49,39 Euro seit dem 1. Oktober 2007 zu zahlen.

Die Beklagte hat ihren Klageabweisungsantrag damit begründet, dass die arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel im Ergebnis auf den [X.] und die begleitenden Tarifverträge verweise. Es gehe dabei nicht um einen Branchenwechsel, sondern um ein ablösendes tarifliches Regelungswerk innerhalb derselben Branche. Die Tarifvertragsparteien hätten diese Ablösung im [X.] Flughäfen Bund abschließend geregelt. Der [X.] sei es erkennbar darum gegangen, auf [X.] die kollektivrechtliche Entwicklung der flächentarifvertraglichen Ausdifferenzierung durch Abschluss neuer [X.] zu gewährleisten. Die Allgemeinverbindlicherklärung des [X.] Wachgewerbe NRW 2006 führe zu keinem anderen Ergebnis, da das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht von diesem, sondern von dem spezielleren [X.] erfasst sei.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klageziel weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

I. Das [X.] hat die Klage abgewiesen, weil auf das Arbeitsverhältnis der [X.]en nicht der von der Klägerin in Anspruch genommene [X.] 2006, sondern der [X.]/ERTV Flughäfen Bund anzuwenden sei. Die arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel sei zwar keine große dynamische Klausel im Sinne einer sog. Tarifwechselklausel. Sie erfasse aber alle Tarifverträge innerhalb der dort genannten Branche und erstrecke sich in ihrer Dynamik daher auch auf einen später dort geschlossenen, spezielleren Tarifvertrag. Dies entspreche auch dem erkennbaren Willen der Tarifvertragsparteien des [X.]. Durch die Allgemeinverbindlicherklärung des [X.] 2006 werde lediglich die fehlende Bindung an diesen Tarifvertrag ersetzt. Das führe nicht dazu, dass dieser Tarifvertrag auf einen nicht tarifgebundenen Arbeitnehmer Anwendung finden würde, der bei [X.] gerade nicht anwendbar wäre.

II. Die hiergegen gerichtete Revision der Klägerin ist begründet. Das [X.] hat die arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel unzutreffend ausgelegt. Auf das Arbeitsverhältnis der [X.]en ist der [X.] 2006 und nicht der [X.]/ERTV Flughäfen Bund anzuwenden. Das ergibt die Auslegung der arbeitsvertraglichen [X.].

1. Der Arbeitsvertrag der [X.]en vom 18. Mai 2002 ist ein Formularvertrag. Seine Auslegung durch das [X.] kann vom Revisionsgericht ohne Einschränkung überprüft werden (st. Rspr., vgl. nur [X.] 19. Oktober 2004 - 9 [X.] - [X.]E 112, 214, 222; 30. August 2000 - 4 [X.] - mwN, [X.]E 95, 296, 299). Dessen Nr. 2 ist als Allgemeine Geschäftsbedingung nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden wird, wobei die [X.] des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zu Grunde zulegen sind. Ansatzpunkt für die Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der [X.]. Von Bedeutung für das Auslegungsergebnis können ferner der von den Vertragsparteien verfolgte Regelungszweck sowie die der jeweils anderen Seite erkennbare Interessenlage der Beteiligten sein ([X.] 16. Dezember 2009 - 5 [X.] - Rn. 12 mwN, [X.] § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 44). Dies gilt auch für dynamische [X.]n ([X.] 19. Mai 2010 - 4 [X.] - Rn. 15, [X.], 1183).

2. Die Auslegung des Arbeitsvertrages ergibt, dass die [X.]en für den Streitzeitraum die Anwendung des [X.] 2006 vereinbart haben. Dies folgt aus dem Wortlaut der arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel.

a) Eine arbeitsvertragliche Klausel, die ihrem Wortlaut nach ohne Einschränkung auf bestimmte Tarifverträge eines konkret bezeichneten Gewerbes in ihrer jeweiligen Fassung verweist, ist im Regelfall dahingehend auszulegen, dass die Tarifverträge gerade dieses Gewerbes in der jeweiligen Fassung zur Anwendung kommen sollen und dass diese Anwendung nicht von Faktoren abhängt, die nicht im Vertrag genannt oder sonst für beide [X.]en in vergleichbarer Weise ersichtlich zur Voraussetzung gemacht worden sind. Etwaige Motive der Erklärenden haben außer Betracht zu bleiben, soweit sie nicht im Wortlaut oder in sonstiger, für die Gegenseite hinreichend deutlich erkennbarer Weise ihren Niederschlag gefunden haben. Kommt der Wille des Erklärenden nicht oder nicht vollständig zum Ausdruck, gehört dies zu dessen Risikobereich. Es besteht nur dann Anlass, die Wortauslegung in Frage zu stellen, wenn von den [X.]en weitere Tatsachen vorgetragen oder sonst ersichtlich sind, die Zweifel an der wortgetreuen Auslegung der [X.] begründen können. Diese müssen nahelegen, dass der Wortlaut in einer für beide Seiten erkennbaren Weise den Inhalt der jeweils abgegebenen Willenserklärungen nicht hinreichend wiedergibt (vgl. [X.] 18. April 2007 - 4 [X.] - Rn. 29 ff., [X.]E 122, 74).

b) Danach findet auf das Arbeitsverhältnis der [X.]en im Streitzeitraum der [X.] 2006 Anwendung.

aa) Die [X.] bezieht sich auf den „jeweils gültigen Mantel- und Lohntarifvertrag für das Bewachungsgewerbe“. Damit soll nicht ausschließlich ein bestimmter konkreter Tarifvertrag den Inhalt des Arbeitsverhältnisses gestalten, sondern die jeweils in den genannten Tarifverträgen vereinbarten Regelungen für das Bewachungsgewerbe.

Grundsätzlich nicht in Bezug genommen sind dagegen alle Tarifverträge, die nicht das Bewachungsgewerbe erfassen. Jedenfalls dann, wenn das Bewachungsgewerbe zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses als solches durch einen gültigen Mantel- und Lohntarifvertrag geregelt wurde und nach wie vor geregelt wird, gilt der arbeitsvertragliche „Ausschluss“ anderer Tarifverträge sowohl für einen tariflichen Geltungsbereich, der mehr als das Bewachungsgewerbe erfasst, als auch für einen Geltungsbereich, der nur Regelungen für Arbeitsverhältnisse eines Teilbereichs des [X.] regelt. Die Arbeitsvertragsparteien haben die materiellen Arbeitsbedingungen gerade an diejenigen Arbeitsverhältnisse binden wollen, die dem Bewachungsgewerbe als solchem zuzuordnen und für dieses tariflich geregelt sind.

bb) Der Mantel- und Lohntarifvertrag ([X.] 2000) galt nach seiner Geltungsbereichsbestimmung für alle Betriebe des [X.] in [X.] und endete am 31. Dezember 2005, also zu einem Zeitpunkt, als der [X.]/ERTV Flughäfen Bund bereits vier Monate in [X.] war. Auch die [X.]en gehen davon aus, dass in diesen vier Monaten für das Arbeitsverhältnis aufgrund der [X.] im Arbeitsvertrag der [X.]en weiterhin der [X.] 2000 Anwendung fand. Am 1. Januar 2006 wurde der schon zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses für allgemeinverbindlich erklärte [X.] 2000 durch einen von denselben Tarifvertragsparteien für den identisch formulierten Geltungsbereich vereinbarten und sodann ebenfalls für allgemeinverbindlich erklärten [X.] Wachgewerbe 2006 abgelöst. Damit erfüllt dieser Folge-Tarifvertrag die in der arbeitsvertraglichen [X.] aufgestellte Anforderung, der „jeweils gültige Mantel- und Lohntarifvertrag für das Bewachungsgewerbe“ zu sein.

c) Die vom [X.] gewählte Auslegung wäre nur bei einem Wortlaut möglich, der auf den Willen der Arbeitsvertragsparteien schließen lassen könnte, diese hätten sich seinerzeit denjenigen Regelungen der Tarifvertragsparteien unterworfen, die gerade für Unternehmen des Geschäftsbereichs der jetzigen Arbeitgeberin der Klägerin getroffen worden sind, auch wenn sie über den Wortlaut der [X.] hinaus eine spezifizierende Änderung des Geltungsbereichs vornehmen. Ein solcher Wille hätte etwa in einer Bezugnahmeklausel zum Ausdruck kommen können, die auf die jeweiligen, für den Arbeitgeber geltenden und die konkrete Tätigkeit der Arbeitnehmerin erfassenden Tarifverträge verweist. Möglich wäre auch eine Abweichung vom Wortlaut dahingehend, dass die Tarifverträge des [X.] Anwendung finden sollten, und soweit hier mehrere Tarifverträge in Betracht kämen, der jeweils speziellere. An eine dahingehende vom Wortlaut abweichende Auslegung kann bei der von den Arbeitsvertragsparteien gewählten Klausel jedoch nur dann gedacht werden, wenn man nicht nur dem Arbeitgeber, der die Klausel selbst gestellt hat, die entsprechende Interessenlage unterstellt, sondern auch der Klägerin. Bereits dies ist angesichts des mit der [X.] geschlossenen Arbeitsvertrages nicht selbstverständlich, weil deren Geschäftsbereich bereits nach der Firma deutlich über den Flughafenbereich hinausgegangen ist. Darüber hinaus hätte auch die Klägerin trotz des klaren Wortlauts diese weitergehende Interessenlage erkennen und zum Inhalt ihrer eigenen Willenserklärung machen müssen. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden.

aa) Nach Auffassung des [X.]s soll die - lange nach Abschluss des Arbeitsvertrages hergestellte - Bindung des Arbeitgebers an einen Tarifvertrag mit einem anderen als dem im Arbeitsvertrag ausdrücklich genannten Geltungsbereich zu dessen Ablösung als Gegenstand der Bezugnahmeklausel führen. Dies bedeutete eine qualitative Abweichung von einer dem Wortlaut nach zentralen Eigenschaft des in Bezug genommenen Tarifvertrages. Das gilt um so mehr, als vorliegend sowohl beim Abschluss des Arbeitsvertrages als auch im Streitzeitraum ein Tarifvertrag galt, der gerade diese im Arbeitsvertrag ausdrücklich genannte Bedingung des Geltungsbereichs erfüllt und darüber hinaus allgemeinverbindlich ist.

bb) Auch die Tatsache, dass der [X.] Flughäfen Bund einen fachlichen Geltungsbereich hat, der von demjenigen des [X.] 2006 umfasst ist, spricht nicht gegen die Auslegung des Arbeitsvertrages nach dem Wortlaut. [X.] kann ohne Anhaltspunkte im Wortlaut nicht schlicht unterstellt werden. Es kann der Klägerin überdies, gerade im Hinblick auf die - insoweit - übergreifende Beschreibung ihrer arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit als „Sicherungskraft“ auch darum gegangen sein, diejenigen Tarifbedingungen gewährleistet zu erhalten, die in Unternehmen des gesamten [X.] tariflich geregelt sind (zu einem solchen Motiv des Arbeitnehmers vgl. [X.] 22. Oktober 2008 - 4 [X.] - Rn. 22, [X.]E 128, 165).

cc) Ferner weicht nicht nur der fachliche Geltungsbereich des [X.] Flughäfen Bund von demjenigen des [X.] 2006 ab. Ist dieser enger gefasst, so ist der räumliche Geltungsbereich deutlich weiter gefasst. Die Tarifvertragsparteien des [X.] Flughäfen Bund haben bei der Vereinbarung der Mindestarbeitsbedingungen die Flughäfen der gesamten [X.] im Blickfeld gehabt und für diesen Bereich ihnen angemessen erscheinende Arbeitsbedingungen vereinbart. Der Tarifvertrag für das Bewachungsgewerbe dagegen gilt nur im Bundesland [X.] und ist insofern deutlich enger gefasst. Die Arbeitsvertragsparteien haben die Beschränkung des in Bezug genommenen Tarifwerks der Branche auf das Land [X.] zwar nicht ausdrücklich zum Gegenstand ihrer Vereinbarung gemacht. Für die Frage, welcher Tarifvertrag als „jeweils gültiger“ arbeitsvertraglich erfasster Tarifvertrag anzusehen ist, kann die räumliche Begrenzung des seinerzeit in [X.] befindlichen, allgemeinverbindlichen Tarifvertrages jedoch ergänzend herangezogen werden. Der [X.] 2000 erfüllte ersichtlich nach den Vorstellungen der Arbeitsvertragsparteien die von ihnen im Arbeitsvertrag gemeinten Bedingungen des in Bezug genommenen Tarifwerkes. Auch das spricht für eine Erfassung des hinsichtlich des Geltungsbereichs wortidentischen Nachfolgetarifvertrages [X.] 2006 von der arbeitsvertraglichen [X.]. Die hier von den Tarifvertragsparteien für angemessen erachteten Arbeitsbedingungen sind regional deutlich näher an dem Arbeitsverhältnis der [X.]en, so dass auch insofern eine Erstreckung des Willenserklärungsinhalts der Arbeitsvertragsparteien auf einen nicht nur fachlich enger, sondern auch räumlich deutlich weiter gefassten Tarifvertrag besonderer Anhaltspunkte bedürfte, die hier nicht vorliegen.

[X.]) Zuletzt müsste der in der [X.] im Arbeitsvertrag aus dem Jahre 2002 zum Ausdruck kommende Wille der Arbeitsvertragsparteien sich nicht nur auf den Wechsel unter ein anderes Tarifregime bezogen haben, sondern darüber hinaus den Inhalt gehabt haben, diesen Wechsel nicht zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des anderen Tarifvertrages, sondern erst dann zu vollziehen, wenn der zum Zeitpunkt des [X.] geltende Tarifvertrag des [X.] seinerseits beendet worden ist, ohne dass es - ungeachtet der Inbezugnahme der „jeweils gültigen“ Tarifverträge des [X.] - auf einen Folgetarifvertrag ankäme; erst zu diesem Zeitpunkt solle der Wechsel zu den - teils spezielleren, teils allgemeineren - Tarifverträgen erfolgen und nicht die Ablösung durch den Folgetarifvertrag. Ein solcher Wille der Arbeitsvertragsparteien bei dem Vertragsschluss im Jahre 2002 ist weder dem Wortlaut des Arbeitsvertrages noch sonstigen Umständen zu entnehmen. Das [X.] hat eine solche Auslegung auch nicht vorgenommen.

d) Das [X.] bezieht sich auch zu Unrecht auf den im Abschluss des [X.] zum Ausdruck kommenden Willen der Tarifvertragsparteien zum Vorrang der bundesweiten spezielleren Regelungen. Es ist zwar zutreffend, dass sich ein solcher Wille aus § 2 Nr. 3 [X.] entnehmen lässt. Dies ist jedoch für die Auslegung der zwischen den [X.]en geschlossenen arbeitsvertraglichen Vereinbarung unerheblich. Bereits aus systematischen Gründen können Tarifvertragsparteien die Auslegung eines Arbeitsvertrages insbesondere dann nicht beeinflussen, wenn es sich um die Willenserklärung eines nicht tarifgebundenen Arbeitnehmers handelt (vgl. dazu [X.] 19. Mai 2010 - 4 [X.] - Rn. 20 mwN, [X.] 2010, 1183).

e) Da sich die Anwendbarkeit des allgemeinverbindlichen [X.] 2006 somit bereits aus der arbeitsvertraglichen Vereinbarung der [X.]en ergibt, kann dahinstehen, ob ansonsten die normative Wirkung der Allgemeinverbindlicherklärung des [X.] 2006 nach § 5 Abs. 4 [X.] auch das Arbeitsverhältnis der [X.]en erfasst oder ob diese durch die gleichzeitige Geltung des nicht allgemeinverbindlichen [X.]/ERTV Flughäfen Bund - auch für Nichtmitglieder der tarifvertragsschließenden [X.]en - verdrängt worden wäre, wie es das [X.] weiterhin angenommen hat.

3. Der Anspruch der Klägerin besteht auch der Höhe nach.

a) Die Klägerin hat ihren Anspruch durch zahlreiche Klageerweiterungen geltend gemacht, die jeweils - wie die Klage selbst - mit der Anwendung der Regelungen aus dem [X.] 2006 begründet worden sind. Dem hat die Beklagte auch nach Zuerkennung des geltend gemachten Betrages in erster Instanz nicht widersprochen. Die jeweils errechneten Vergütungsdifferenzen sind daher unstreitig.

b) Ob die Beklagte im Hinblick auf die ungünstigeren Regelungen des [X.] Wachgewerbe 2006 etwa bei den Nachtzuschlägen der Klägerin nach dem [X.]/ERTV Flughäfen Bund mehr geleistet hat, als diese hätte beanspruchen können, kann dahinstehen. Die Beklagte hat etwaige Rückforderungsansprüche aus diesem oder einem anderen Grund weder konkret beziffert noch in Form einer zumindest hilfsweise erklärten Aufrechnung geltend gemacht. Deshalb haben etwaige Gegenansprüche bei der Beurteilung der Höhe des klägerischen Anspruchs außer Betracht zu bleiben.

4. Die [X.] ergeben sich aus §§ 288286 BGB.

III. [X.] hat die Beklagte als unterlegene [X.] zu zu tragen (§ 91 Abs. 1 ZPO). Da die Klägerin in den Vorinstanzen jedoch über den in der Revision noch geltend gemachten Betrag hinaus die Gewährung zweier weiterer Urlaubstage verlangt hat, ist dies bei der Kostenentscheidung für die Vorinstanzen zu berücksichtigen. Die insoweit nach § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO festzusetzende Kostenquote ergibt sich aus dem Wertverhältnis der beiden Teile zueinander. Dabei ist nach der von der Klägerin vorgebrachten Urlaubsentgeltberechnung von einem Wert von 85,04 Euro pro Urlaubstag auszugehen.

        

    Bepler    

        

    Winter    

        

    Creutzfeldt    

        

        

        

    Hannig    

        

    Rupprecht    

                 

Meta

4 AZR 98/09

22.09.2010

Bundesarbeitsgericht 4. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Köln, 29. November 2007, Az: 8 Ca 1587/07, Urteil

§ 133 BGB, § 157 BGB, § 611 Abs 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.09.2010, Az. 4 AZR 98/09 (REWIS RS 2010, 3133)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 3133


Verfahrensgang

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Az. 4 AZR 98/09

Bundesarbeitsgericht, 4 AZR 98/09, 22.09.2010.


Az. 8 Ca 1587/07

Arbeitsgericht Köln, 8 Ca 1587/07, 29.11.2007.


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