Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.09.2012, Az. 1 StR 160/12

1. Strafsenat | REWIS RS 2012, 2932

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
1 StR 160/12

vom
25.
September 2012
in der Strafsache
gegen

wegen nachträglicher Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung

-
2
-
Der 1.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 25.
September 2012, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Nack

und [X.] am [X.]
Dr.
Wahl,
[X.],
[X.],
[X.]in am [X.]
[X.],

Staatsanwalt

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 17.
Oktober 2011 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugend-kammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat die Anordnung der Unterbringung des Verurteilten [X.] (im Folgenden: [X.]) in der Sicherungsverwahrung abgelehnt. Es hat weiter ausgesprochen, dass [X.] für die einstweilige Unterbringung in der Sicherungs-verwahrung in der [X.] vom 8.
Mai 2010 bis 30.
September 2010 sowie vom 14.
Oktober 2010 bis 19.
Dezember 2010 und vom 29.
Dezember 2010 bis 17.
Oktober 2011 aus der Staatskasse zu entschädigen ist.
Hiergegen richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das
Rechtsmittel, das vom [X.] vertreten wird, hat mit der Sachrüge in vollem [X.] Erfolg. Eines [X.] auf die Verfahrensrüge, gegen deren Zulässigkeit ohnehin Bedenken bestehen (§
344 Abs.
2 Satz
2 [X.]), bedarf es daher nicht.

1
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4
-
I.
Prozessgeschichte:
Das [X.] [X.] hatte [X.] durch Urteil vom 2.
März 1999 we-gen Mordes -
unter Anrechnung der in [X.] in dieser Sache erlittenen Frei-heitsentziehung im Maßstab 1:1
-
zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten verurteilt. Dieses Urteil hat auf die Revision der Staatsanwalt-schaft der [X.] durch Urteil vom 14.
Dezember 1999 (1 [X.]) im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung an eine andere [X.] zurückver-wiesen.
Die neue [X.] des [X.] hat [X.] durch Urteil vom 3.
Januar 2001 wegen -
insoweit bereits rechtskräftig
-
Mordes zu einer [X.] verurteilt und angeordnet, dass die in [X.] vom 7.
November 1997 bis 6.
März 1998 erlittene Auslieferungshaft im Verhältnis 1:1 angerechnet wird.
Die hiergegen gerichtete Revision des [X.] hat der [X.] durch Urteil vom 9.
August 2001 (1 [X.]) verworfen.
Auf die ebenfalls erhobene Revision der Staatsanwaltschaft hat er jedoch das angefochtene Ur-teil mit den Feststellungen (also im Rechtsfolgenausspruch) aufgehoben und die Sache insoweit an eine andere [X.] des [X.] zurück-verwiesen.
Diese [X.] hat den Angeklagten mit (am selben Tag rechts-kräftig gewordenen) Urteil vom 16.
Mai 2003 wegen Mordes zu einer Jugend-strafe von zehn Jahren verurteilt. Es hat weiter entschieden, dass die [X.] von zwei Jahren und sechs Monaten der erlittenen Untersuchungshaft 3
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unterbleibt und dass die in [X.] vom 7. November 1997 bis 6.
März 1998 erlittene Auslieferungshaft im Verhältnis 1:1 angerechnet wird.
Aufgrund dieses rechtskräftigen (dritten) Urteils vom 16.
Mai 2003 befand sich [X.] seit diesem [X.]punkt im Strafvollzug.

Die Staatsanwaltschaft stellte am 30.
Oktober 2009 Antrag auf nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung. Durch Beschluss vom 23.
April 2010 ordnete das [X.] die einstweilige Unterbringung des [X.] in der Sicherungsverwahrung an und hob diesen Beschluss am 29.
September 2010 wieder auf. Auf die hiergegen gerichtete Beschwerde der Staatsanwaltschaft hob das [X.] durch Beschluss vom 6.
Oktober 2010 den angefochtenen Beschluss des [X.] auf; der [X.] wurde [X.] am 14.
Oktober 2010 erneut eröffnet.

Durch Beschluss des [X.] vom 10.
Dezember 2010 wurde die einst-weilige Unterbringung wiederum aufgehoben. Dieser Beschluss wurde [X.] vom [X.] am 23.
Dezember 2010 ebenfalls aufgehoben. Am 29.
Dezember 2010 wurde daraufhin der Unterbringungsbefehl vom 23.
April 2010 dem [X.] erneut eröffnet.

Gegen [X.] wurde durch Beschluss des [X.] vom 28.
Mai 2010 Abschiebehaft angeordnet, die im [X.]raum vom 1.
Oktober 2010 bis 13.
Oktober 2010, sowie weiter im [X.]raum vom 11.
Dezember 2010 bis 28.
Dezember 2010 vollzogen wurde.
[X.] befindet sich nach Angaben seines Verteidigers in der Revisionshauptverhandlung derzeit im Ausland (Kroa-tien/[X.]).

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II.
Dem rechtskräftigen Urteil vom 16.
Mai 2003 liegt folgende [X.]
zu-grunde:
Am 1.
September 1993 erhielt [X.] eine Ausweisungsverfügung der [X.]. [X.] war hierüber wütend. Am Nachmittag des 15.
Oktober 1993 besuchte er seine Freundin [X.] im Anwesen ihres [X.]. [X.] forderte er sie auf, mit ihm nach [X.] zu reisen. Da [X.] erst 17
Jahre alt war, noch zur Schule ging und sich nicht so früh binden wollte, lehnte sie dies ab. Hierüber kam es zum Streit mit [X.], in dessen Verlauf dieser ihr mehrere kräftige Ohrfeigen versetzte. Obwohl ihr Gesicht dadurch gerötet war und an-schwoll, schickte [X.] sie in die Küche, um ihm etwas zu trinken zu holen. Hierbei bemerkte [X.]'s Stiefmutter, dass diese
geschlagen worden war und informierte deren Vater, den Zeugen [X.].
Dieser ging daraufhin ins [X.] seiner Tochter und forderte [X.] auf, sofort sein Haus zu verlassen. Da dieser keine Anstalten machte, der Aufforderung nachzukommen, rief [X.] nach seinem Bekannten, der gerade zu Besuch war. Dann packte er [X.] vorne
an dessen Jacke und [X.] ihn so mit Hilfe seines Bekannten aus dem Haus. Außerdem erteilte er ihm für die Zukunft Hausverbot.
[X.] war wütend und hasserfüllt, da er sich gegen [X.]'s Vater nicht hatte durchsetzen können, dieser ihn vielmehr in für ihn demütigender Weise [X.] hatte. Mit dem Gedanken, [X.] zu töten, ging er zur Wohnung des Zeugen [X.], wo sich sein Freundeskreis fast regelmäßig traf. Anwesend waren neben [X.] weitere Personen. Hier "rastete" der Angeklagte "völlig aus", war "endsauer", wie es der Zeuge [X.] beschrieb, und stieß Todesdrohungen gegen [X.] aus. Mehrmals holte er sein Butterfly-Messer aus seiner Jacke, klappte es 9
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auf, fingerte damit herum und schlug wiederholt mit beiden Fäusten gegen die Wand.
Zwischen 22.00 Uhr und 23.00 Uhr verließ [X.], der immer noch [X.] war, zusammen mit [X.] die Wohnung. Auf dem Weg zum nahen [X.] schrie er [X.] aus Wut auf. Im [X.] ging [X.] mit [X.] zum sogenannten Teehaus, einem Pavillon an einem Teich. Hier rauchten sie zu-sammen einen Joint. Während [X.] dort sitzen blieb, eine Zigarette rauchte und über das Wasser blickte, lief [X.] sein Messer in der Hand, gereizt um das [X.] herum. Wieder trug er sich mit dem Gedanken, [X.]'s Vater oder als Ersatz irgendeinen anderen Menschen zu töten. Insoweit ging es ihm auch darum, schon aus Interesse und Freude an einer Tötung jemanden umzubringen, [X.] jedes beliebige Zufallsopfer für ihn in Frage kam. Dies hatte ihn früher schon, etwa beim Betrachten eines Horrorfilms, fasziniert.
In dieser Situation ging der 40-jährige Architekt K.
[X.],
der sich auf dem Nachhauseweg von einem Saunabesuch befand, zu Fuß am Teehaus vorbei. Während [X.] weiter auf der dem Weg abgewandten Seite des [X.] saß und in Richtung des Teiches blickte, bemerkte [X.] von der anderen Seite des [X.] aus den allein den Weg entlanggehenden K.
[X.]. Augenblicklich ent-schloss er sich, diesen zu töten. Er lief ca. 180
m quer über eine Wiese, um seinem Opfer den Weg abzuschneiden und traf auf dem Weg im südlichen Be-reich des [X.]s zwischen 23.25
Uhr und 23.35
Uhr auf K.
[X.]. Sofort ver-setzte er dem völlig unvorbereiteten K.
[X.] einen kräftigen Faustschlag oder Kopfstoß auf die Nase, der zum Bruch des [X.] führte. Instinktiv hob K.
[X.] seine Arme vor das Gesicht, um weiteren Schlägen zu entkommen. Diese Situation nutzte [X.] indem er mit seinem Messer zwölf mit Wucht geführte Stiche in den ungedeckten Oberkörper des K.
[X.] setzte. [X.] kam es darauf an, sein Op-fer zu töten, ohne dass dieses auch nur die geringste Gegenwehr aufbieten 12
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konnte. Er handelte hierbei mutwillig, um -
wie er es schon seit längerer [X.] ins Auge gefasst hatte
-
irgendein Menschenleben zu vernichten. Zum anderen tötete er, um seine Wut, die sich im Laufe des [X.] in Folge der Behandlung durch [X.], die bevorstehende Abschiebung und die Weigerung seiner Freundin, ihn nach [X.] zu begleiten, aufgestaut hatte, abzureagieren.

K.
[X.] erlitt mindestens 12 Stichverletzungen und starb wenige Minuten danach an Verbluten.
Das [X.] hat die Mordmerkmale "aus Mordlust" und "sonst aus niedrigen Beweggründen" bejaht. Es hat die Verhängung einer Jugendstrafe von zehn Jahren für geboten erachtet.

[X.]
Im jetzigen Verfahren (wegen nachträglicher Anordnung der Unterbrin-gung in der Sicherungsverwahrung) hat das [X.] im angefochtenen Ur-teil unter anderem folgende Feststellungen getroffen:
1. [X.] wurde bereits am 20.
Januar 1992 wegen zahlreicher Delikte (u.a. besonders schwerer Raub, räuberischer Erpressung) zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Vom 28.
Januar 1992 bis zum 23.
März 1993 war er inhaftiert.

2. Die oben (II.) dargestellte [X.] beging er am 15.
Oktober 1993.
3. Am 11.
Juli 1995 wurde er wegen versuchten Totschlags (begangen am 26.
November 1993), Diebstahls in drei Fällen, räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen und vorsätzlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der vorausgegangenen Verurteilung ([X.] 1.) zu einer Ju-14
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gendstrafe von fünf Jahren verurteilt. [X.]
hatte bei dem versuchten Totschlag mit einem Butterfly-Messer mit voller Wucht auf ein Opfer eingestochen. Die Tat wurde auf einer Party im Rahmen "einer tätlichen Auseinandersetzung mit Tür-ken" begangen.
4. Vom 4.
Februar 1994 bis 24.
Januar 1996 befand er sich in Haft. Da er den Ärzten vorgespielt hatte, er leide an einer Geisteskrankheit, wurde bei ihm eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis diagnostiziert. Als er seine Täuschung gegenüber einem weiteren Arzt zugab, wurde er erneut untersucht. Es konnten keine Symptome einer
Schizophrenie festgestellt werden, vielmehr wurde die Verdachtsdiagnose "Vorliegen einer dis[X.] Persönlichkeitsstö-rung" gestellt. Im Vollzug verhielt er sich körperlich und verbal aggressiv.
Am 24.
Januar 1996 wurde er nach [X.] abgeschoben. Dort hatte er [X.] kurzfristige intime Beziehungen zu Frauen.
Nachdem [X.] 1998 aus [X.] ausgeliefert worden war, befand er sich in verschiedenen Vollzugsanstalten. Durch Beschluss vom 14.
Januar 2010 wurde er der Führungsaufsicht unterstellt. 2010 wurde ein undatierter Brief des [X.] beschlagnahmt, indem er in Bezug zu seiner Verurteilung wegen Mordes ([X.]) u.a. schrieb: "Schon alleine fünf und halb Jahre in U-Haft zu ver-bringen mit drei Revisionshauptverhandlungen
-
für ein Stück [X.] totes

In der jetzigen Hauptverhandlung verhielt er sich respektlos und verbal aggres-siv.
5. Das [X.] hat die Gutachten der drei von ihm angehörten [X.] wiedergegeben. Nach dem Sachverständigen Prof.
Dr.
S.

liege
bei [X.] eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit Krankheitswert vor. Es [X.] weiterhin die Gefahr der Begehung auch schwerster Gewalttaten. Diese 19
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-
sei aber ihrerseits abhängig von sozial belastenden
Interaktionen, deren [X.] aus heutiger Sicht in keiner Weise vorhersehbar sei ([X.]). Er sehe des weiteren
keinerlei Anhaltspunkte für die Gefahr einer Begehung "auch lediglich schwererer
Sexualstraftaten" (UA S.
93).

Der Sachverständige Dr.
Ho.

habe ausgeführt, mangels hinreichender [X.] sei eine Diagnose nicht möglich. Die Annahme einer für die Bege-hung von Gewaltstraftaten Gefahr begründenden zukünftigen Lebensgestaltung

Der Sachverständige Prof. Dr. Ke.

(Kriminologe), der zum Vorliegen einer psychischen Störung aufgrund seiner Fachgebietsfremdheit keine Stellung-nahme abgeben konnte, habe eine hochgradige Wahrscheinlichkeit für die Be-gehung schwerster Gewalttaten verneint (UA S.
93).
Die Annahme einer eine
Gefahr schwerster Straftaten begründenden
negativen Entwicklung der Lebens-
und Partnerschaftssituation des Betroffenen sei rein spekulativ ([X.]).

IV.
Das [X.] erkennt, dass die formellen Voraussetzungen des §
7 Abs.
2 [X.] (vgl. hierzu auch [X.]surteil vom 9.
März 2010 -
1 StR
554/09; [X.], 381
ff.) erfüllt sind, der bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber nur unter strengen Voraussetzungen anwendbar ist. Es geht auch von der Di-agnose einer sogenannten "kombinierten Persönlichkeitsstörung" aus, welche eine psychische Störung im Sinne des §
1 Abs.
1 Nr.
1 [X.] darstelle. Die Le-galbiographie des [X.] lasse zwar auf eine erhebliche kriminelle Energie auch im Bereich der Gewaltdelikte schließen, [X.] habe aber auch zeitweise ein sozial angepasstes Leben geführt. Es sei bei ihm eine Nachreifung erfolgt. Zwar sei bei "ungünstiger situativer Verquickung" persönlichkeitsbedingt durchaus mit 22
-
11
-
der Gefahr der Begehung auch schwerster Gewalttaten zu rechnen. Doch kön-ne eine gefahrbegründende negative Entwicklung der Lebens-
und Partner-schaftssituation des [X.] nur rein spekulativ angenommen werden. Es gebe keine Anhaltspunkte, dass er sich
mit einer höheren Wahrscheinlichkeit in seiner Heimat in einem kriminogenen Umfeld aufhalten werde. Da der Eintritt von -
eine prognoserelevante Gefahr auslösenden
-
Lebensumständen (insbeson-dere die Eingehung einer negativ verlaufenden Intimbeziehung oder ein "Abglei-ten in kriminelle Strukturen")
jedenfalls nicht mit einer zumindest überwiegen-den Wahrscheinlichkeit angenommen werden könne, sei aus heutiger Sicht das Bestehen einer hochgradigen Gefahr für die Begehung schwerster Gewalt-
oder Sexualstraftaten im Ergebnis nicht anzunehmen ([X.]).

V.
Die [X.] halten im Ergebnis sachlich-rechtlicher Nach-prüfung aus mehreren Gründen nicht stand.
1. Allerdings ist das [X.] zunächst zutreffend von den im Urteil des [X.] vom 4.
Mai 2011 -
2 BvR 2365/09 u.a. (NJW 2011, 1931; [X.] I S.
1003) aufgestellten Grundsätzen ausgegangen (UA
S.
99/100). Danach gilt folgendes:

Sämtliche die Anordnung von Sicherungsverwahrung betreffenden Bestimmun-gen (also auch §
7 Abs. 2 [X.]) sind
auch
mangels ausreichender Wahrung des "Abstandsgebots" mit dem Grundgesetz unvereinbar. Zugleich hat das [X.] angeordnet (§
35 [X.]), dass diese [X.] nach Maßgabe der Gründe seiner Entscheidung noch bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber -
längstens aber bis zum 31.
Mai 2013
-
unter Beachtung
eines strikten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes anzuwenden 23
24
-
12
-
sind. Dieser Grundsatz wird dabei in der Regel nur dann gewahrt sein, wenn die hochgradige Gefahr schwerster Gewalt-
oder Sexualdelikte aus konkreten Um-ständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist ([X.] aaO; zusammenfassend [X.], Beschluss vom 20.
Juni 2012 -
2 BvR 1048/11; vgl. auch [X.]surteil vom 7.
August 2012 -
1 StR
98/12 und Se-natsbeschluss vom 24.
Juli 2012 -
1 StR
57/12). Namentlich die rückwirkend angeordnete oder verlängerte Freiheitsentziehung kann nur dann noch als ver-hältnismäßig angesehen werden, wenn auch der gebotene Abstand zur Strafe gewahrt ist und weiter die Voraussetzungen des Art.
5 Abs. 1 Satz
2 lit. [X.] erfüllt sind (vgl. u.a. [X.], Urteil vom
21.
Juni 2011 -
5 StR
52/11); das heißt, dass der Betroffene an einer psychischen Störung im Sinne von §
1 Abs.
1 Nr.
1 des [X.] und Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter ([X.]) leidet (vgl. u.a. [X.], Beschluss vom 24.
Mai 2011 -
5 [X.]; [X.]surteile vom 8.
November 2011 -
1 [X.] und vom 7.
August 2012 -
1 [X.]; vgl. zum Begriff "psychisch Kranker" auch Urteil der 5.
Sektion des [X.] vom 19.
April 2012 -
endgültig seit 19.
Juli 2012
-
in der Rechtsache [X.] gegen Deutschland -
Individualbeschwerde 61272/09 Ziffer 67 ff.). Die vom Bundes-verfassungsgericht geforderte "strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung" ist dahin zu verstehen, dass bei beiden Elementen der Gefährlichkeit -
mithin der Erheblich-keit weiterer Straftaten und
der Wahrscheinlichkeit ihrer Begehung
-
ein gegen-über der bisherigen Rechtsanwendung strengerer Maßstab anzulegen ist (vgl. u.a. [X.], Beschluss vom 31.
Juli 2012 -
3 [X.]; [X.], Urteil vom 8.
Februar 2012 -
2 StR 346/11;
[X.], Beschluss vom 24.
Januar 2012 -
5 [X.]).
-
13
-

2. Die Urteilsgründe weisen aber durchgreifende Rechtsfehler auf.
a) Die [X.] lassen besorgen, dass das [X.] bei seiner Prognoseentscheidung einen rechtlich unzutreffenden Maßstab [X.] gelegt hat (vgl. zu der Verschiedenheit der Prognosemaßstäbe auch [X.] in [X.], 6.
Aufl. Rn.
10 zu §
81
g mwN). [X.] beruhen auf Wahrscheinlichkeitsfeststellungen (vgl. hierzu [X.], [X.], 55.
Aufl. Rn.
27 zu §
261 [X.]). Bei einer Prognose kann nicht verlangt wer-den, dass zukünftige Ereignisse oder Zustände zur vollen richterlichen Über-zeugung feststehen. Ansonsten könnte die Gefahrprognose immer mit dem [X.] verneint werden, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass gefahr-begründende Faktoren nicht eintreten. Ein solcher Maßstab ist wegen zu hoher Anforderungen rechtsfehlerhaft. Die [X.] (insbesondere UA
S.
106 bis 108) legen nahe, dass das [X.] für erforderlich erachtet hat, von einer ungünstigen Entwicklung konstellierender Faktoren in vollem [X.] überzeugt sein zu müssen. Das ist rechtlich nicht geboten; es genügt eine hochgradige Wahrscheinlichkeit.
b) Das [X.] durfte im vorliegenden Fall auch nicht ohne weiteres das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Ke.

zu Grunde legen. Dieser Gutachter konnte ausweislich der Urteilsgründe (UA S.
93) zum Vorliegen einer psychischen Störung eine gutachterliche Äußerung "aufgrund seiner Fachge-bietsfremdheit nicht abgeben". Gleichwohl stützt sich die Kammer bei ihrer Ge-fährlichkeitsprognose auf dessen Ausführungen. Eine Prognose, die ohne Be-rücksichtigung der psychischen Störung des Probanden abgegeben wird, hat keinen forensisch relevanten Wert. Denn der Zustand und die Befindlichkeit des zu Beurteilenden sind unerlässliche Faktoren für die Prognoseentscheidung.
25
26
27
-
14
-
c) Die Wiedergabe des [X.] dieses Sachverständigen ist auch insofern rechtsfehlerhaft (weil nicht nachvollziehbar), als die Antwort des [X.] mitgeteilt wird (UA S.
93 unten) zu der Frage des Gerichts, ob "aus dieser Gesamtwürdigung" eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt-
oder Sexualstraftaten abzuleiten ist. Da die "Gesamtwürdigung" ersichtlich Grundlage für die Beurteilung durch den Sachverständigen war, hätte diese Gesamtwürdigung dargelegt werden müssen. Sie ist auch aus dem Gesamt-kontext der Urteilsgründe nicht eindeutig erkennbar.
d) Die Urteilsgründe lassen ferner besorgen, dass das [X.] die [X.], wonach [X.] bei der Beziehungsgestaltung im Umgang mit Frauen sich zunächst Zurückhaltung auferlegen möchte (UA S.
62),
jede Anwendung von Gewalt zur Regelung zwischenmenschlicher Konflikte ablehne (UA S.
64) und sich zukünftig so verhalten werde, dass es zu keinen Eskalatio-nen mit Mitmenschen komme
([X.]), als unwiderlegbar angesehen hat, obwohl hierfür wenig Anhaltspunkte bestehen.
e) Das [X.] hat bei seiner Prognoseentscheidung, wie sich
ins-besondere auch aus seiner Auseinandersetzung
mit den Sachverständigenaus-führungen ergibt, vorgreiflich auf die Wahrscheinlichkeit für die Begehung eines schwereren Sexualdeliktes abgestellt und darauf, ob [X.] wieder entsprechenden Kontakt zu einer Frau haben wird. Abgesehen davon, dass eine neue Partner-schaftssituation des [X.] bei Sachlage nicht lediglich als Spekulation angesehen werden durfte, stand die Begehung eines schweren [X.] wegen Been-digung einer Liebesbeziehung hier ohnehin nicht im Mittelpunkt und stellt schon von daher keinen erheblichen Bedingungsfaktor dar. Das [X.] hätte sich stattdessen vielmehr
mit der anders motivierten Gewalt, die sowohl in der [X.] als auch in sonstigen Straftaten des [X.] zum Ausdruck kommt, eingehen-28
29
30
-
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-
der befassen müssen. Diese Straftaten weisen allesamt keinen Sexualbezug auf. Sie deuten vielmehr auf eine menschenverachtende Gesinnung hin.
f) Im Übrigen hat es das [X.] rechtsfehlerhaft unterlassen, worauf der [X.] in seiner Zuschrift bereits hingewiesen hat, [X.], von
welchem [X.] Empfangsraum des [X.] es ausgegangen ist. Danach fehlen bereits wesentliche Anknüpfungstatsachen für die Gefahrenprognose.
g) Dem [X.] ist auch darin beizupflichten, dass die Würdigung des [X.] insofern
lückenhaft
ist, als
gegen den [X.] spre-chende Umstände, wie sein Verhalten in der Hauptverhandlung (UA
S.
58, 59) nicht erkennbar in die Überlegungen einbezogen wurden.
3. Auf diesen Rechtsfehlern beruht das Urteil. Der [X.] kann nicht [X.] ausschließen, dass in einer erneuten Verhandlung die nachträgliche [X.] in der Sicherungsverwahrung verhängt wird.
31
32
33
-
16
-
VI.
Durch die Aufhebung des Urteils wird der Ausspruch über die Entschädi-gungspflicht
ebenso
gegenstandslos
wie die hiergegen gerichtete sofortige Be-schwerde der Staatsanwaltschaft
(vgl. hierzu u.a. [X.], Urteil vom 11.
April 2002 -
4
StR
585/01, [X.], Urteil vom 22.
März 2002 -
2 StR 569/01 und [X.], Urteil vom 17.
August 2000 -
4 StR 245/00 mwN).
[X.]

Wahl [X.]

[X.] [X.]
34

Meta

1 StR 160/12

25.09.2012

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 25.09.2012, Az. 1 StR 160/12 (REWIS RS 2012, 2932)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 2932

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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