Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.04.2022, Az. XIII ZB 38/21

13. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 9193

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Überstellungshaftverfahren: Haftanordnung bei fehlendem anwaltlichen Beistand bei der persönlichen Anhörung; Wirksamkeit des Verzichts auf Anwesenheit eines Verfahrensbevollmächtigten bei der Haftanhörung


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 7. Zivilkammer des [X.] vom 2. Juli 2021 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des [X.] vom 28. April 2021 den Betroffenen im Zeitraum bis zum 1. Juni 2021 in seinen Rechten verletzt hat.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der [X.] auferlegt.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000 €.

Gründe

1

I. Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, reiste am 14. April 2021 nach [X.] ein, nachdem er sich zuvor in [X.], [X.] und [X.] aufgehalten hatte. Das Amtsgericht ordnete am 15. April 2021 im Wege der einstweiligen Anordnung Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis zum 28. April 2021 an. Dagegen legte der [X.] des Betroffenen mit Schriftsatz vom 19. April 2021 Beschwerde ein.

2

Am 26. April 2021 verfügte die beteiligte Behörde die Zurückschiebung nach [X.] und beantragte am gleichen Tag die Anordnung von Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis zum 14. Juni 2021. Der [X.] wurde von dem auf den 28. April 2021, 9.00 Uhr angesetzten Anhörungstermin informiert und beantragte mit Schriftsatz vom gleichen Tag wegen eines anderweitigen Termins dessen Verlegung auf 8.00 Uhr. Den [X.] lehnte das Amtsgericht ab. Bei der Anhörung erklärte der Betroffene ausweislich des Protokolls: "Ich habe schon mal mit meinem Anwalt gesprochen. Ich weiß nicht, was jetzt passiert, er hat [X.] keine Informationen gegeben. Ich denke, es bringt nichts ob er anwesend ist oder nicht. Wir können ohne den Anwalt weiter verhandeln".

3

Das Amtsgericht hat sodann Haft zur Sicherung der Zurückschiebung bis zum 14. Juni 2021 angeordnet. Dagegen hat der Betroffene Beschwerde eingelegt. Nachdem der Betroffene am 1. Juni 2021 nach [X.] überstellt worden war, hat das [X.] die auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft gerichtete Beschwerde zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene sein Begehren weiter.

4

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

5

1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die Haftanordnung des Amtsgerichts sei rechtmäßig. Insbesondere habe die Beschwerde nicht deshalb Erfolg, weil ein Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens vorliege. Das Amtsgericht habe im Nichtabhilfebeschluss nachvollziehbar dargelegt, dass der von dem [X.]n beantragten Vorverlegung aus organisatorischen Gründen, welche im Geschäftsbereich der [X.] begründet gewesen seien, nicht habe entsprochen werden können. Eine Verlegung auf einen anderen Tag sei aufgrund des Auslaufens der Haftanordnung nicht in Betracht gekommen. Das Amtsgericht habe ferner schlüssig begründet, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung in Betracht gezogen worden sei, hätte der Betroffene die Abwesenheit (gemeint: Anwesenheit) des Anwalts wünschen sollen. In dem Vorführtermin sei dem Betroffenen die Situation auch erläutert worden, woraufhin dieser erklärt habe, in Abwesenheit des [X.]n weiter verhandeln zu wollen. Anhaltspunkte dafür, dass die Angaben des Betroffenen unzutreffend gewesen sein könnten, seien dem Protokoll nicht zu entnehmen.

6

2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Amtsgericht den Grundsatz des fairen Verfahrens verletzt hat.

7

a) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert jedem Betroffenen das Recht, sich in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 10. Juli 2014 - [X.], [X.] 2014, 442 Rn. 8; vom 12. November 2019 - [X.]/19, juris Rn. 7; vom 6. Oktober 2020 - [X.], juris Rn. 14). Erfährt oder weiß das Gericht, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt und ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht wird; gegebenenfalls ist unter einstweiliger Anordnung einer nur kurzen Haft nach § 427 FamFG ein neuer Termin zu bestimmen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 25. Oktober 2018 - [X.], [X.] 2019, 152 Rn. 5; vom 7. April 2020 - [X.]/19, juris Rn. 9 f.; vom 15. Dezember 2020 - [X.], juris Rn. 16). [X.] das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (vgl. [X.], Beschlüsse vom 6. April 2017 - [X.], [X.] 2017, 292 Rn. 7; vom 12. November 2019 - [X.]/19, juris Rn. 7).

8

b) Diesen Maßgaben hat die Verfahrensweise des Amtsgerichts nicht entsprochen.

9

aa) Es hat den [X.]n zwar über den Termin informiert. Nachdem der [X.] wegen eines anderen Termins nicht anwesend sein konnte, eine Verlegung auf eine andere Terminstunde aus bei der [X.] vorliegenden organisatorischen Gründen nicht in Betracht kam und am 28. April 2021 die Haftanordnung auslief, hätte das Amtsgericht die Haft aber nicht (erneut) endgültig, sondern nur im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig (§ 427 FamFG) anordnen dürfen, um einen weiteren Anhörungstermin im Beisein des [X.]n zu ermöglichen ([X.], Beschlüsse vom 7. April 2020 - [X.]/19, juris Rn. 10; vom 15. Dezember 2020 - [X.] 123/19, [X.] 2021, 242 Rn. 12; vom 22. Februar 2022 - [X.] 74/20, juris Rn. 14). Darauf hatte der [X.], der auf seine Anwesenheit bei der Anhörung nicht verzichtet hat, mit am 27. April 2021 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz auch hingewiesen.

bb) Entgegen der Ansicht des [X.] hat auch der Betroffene selbst auf den Beistand seines [X.]n bei der Anhörung nicht verzichtet. Ein solcher Verzicht ist zwar möglich ([X.], Beschluss vom 20. Juli 2021 - [X.] 98/19, juris Rn. 11). Er liegt hier aber nicht vor. Das Amtsgericht hat den Betroffenen ausweislich des Protokolls schon nicht über sein Recht, einen Rechtsanwalt zu der Anhörung hinzuzuziehen, belehrt. Auf den Vortrag des [X.]n in der Beschwerde, der Betroffene sei auch nicht darüber aufgeklärt worden, dass das Amtsgericht den Termin verlegen müsse, wenn er auf der Teilnahme des Rechtsanwalts bestehe, sondern man habe ihm verdeutlicht, dass es "ohnehin nichts bringe", hat das Amtsgericht im Nichtabhilfebeschluss nicht im Einzelnen erläutert, wie es zu der protokollierten Äußerung gekommen ist. Das Amtsgericht hat zwar ausgeführt, dem Betroffenen sei die [X.] erklärt worden. Daraus ergibt sich aber nicht, dass dem rechtsunkundigen Betroffenen die Folgen eines Verzichts ausreichend verdeutlicht wurden (vgl. [X.], Beschluss vom 20. Mai 2020 - [X.] 73/19, juris Rn. 9). Denn ein (wirksamer) Verzicht hätte zu einer (rechtmäßigen) Haftanordnung im Hauptsacheverfahren und damit dazu geführt, dass eine erneute Anhörung vor dem Amtsgericht nicht mehr durchzuführen war, dem Betroffenen also der Beistand eines Rechtsanwalts bei dieser Anhörung (endgültig) versagt blieb. Dagegen hätte bei einer nur vorläufigen Entscheidung gemäß § 420 Abs. 1 Satz 1 FamFG erneut eine Anhörung stattfinden müssen (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Februar 2022 - [X.] 74/20, juris Rn. 16).

c) Danach kommt es auf die weitere Rüge der Rechtsbeschwerde, die Haftanordnung weise einen Begründungsmangel in Bezug auf die Durchführbarkeit der Rückführung auf, nicht mehr an.

3. [X.] beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1, § 83 Abs. 2 FamFG. Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

[X.]     

      

[X.]     

      

Tolkmitt

      

Picker     

      

Vogt-Beheim     

      

Meta

XIII ZB 38/21

25.04.2022

Bundesgerichtshof 13. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Krefeld, 2. Juli 2021, Az: 7 T 70/21

§ 420 Abs 1 FamFG, § 427 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.04.2022, Az. XIII ZB 38/21 (REWIS RS 2022, 9193)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 9193


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. XIII ZB 38/21

Bundesgerichtshof, XIII ZB 38/21, 25.04.2022.


Az. 7 T 70/21

Landgericht Krefeld, 7 T 70/21, 02.07.2021.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

XIII ZB 4/22 (Bundesgerichtshof)


XIII ZB 46/20 (Bundesgerichtshof)


XIII ZB 66/20 (Bundesgerichtshof)

Überstellungshaft: Wahrung des Grundsatzes des fairen Verfahrens bei Anhörung des Betroffenen ohne Teilnahme des Verfahrensbevollmächtigten


XIII ZB 74/20 (Bundesgerichtshof)

Abschiebungshaftsache: Erneute Anhörung des Betroffenen unter Beiziehung des Rechtsanwalts im Abhilfeverfahren


XIII ZB 75/22 (Bundesgerichtshof)


Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.