Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.01.2024, Az. XIII ZB 4/22

13. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 1421

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Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss der 7. Zivilkammer des [X.] vom 7. Dezember 2021 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000 €.

Gründe

1

I. Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, reiste am 29. Oktober 2021 aus den [X.] in das [X.] ein. Er besaß einen gültigen Reisepass und ein [X.] Visum, jedoch keinen Aufenthaltstitel für [X.]. Am selben Tag verfügte die beteiligte Behörde seine Zurückschiebung nach [X.] und beantragte beim Amtsgericht die vorläufige Freiheitsentziehung zur Sicherung der Abschiebung im Wege der einstweiligen Anordnung bis zum 12. November 2021. Dem entsprach das Amtsgericht mit Beschluss vom 30. Oktober 2021. Mit am selben Tag beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 10. November 2021 bestellte sich Rechtsanwalt [X.] unter Vorlage einer Vollmacht für den Betroffenen, legte Beschwerde gegen die einstweilige Haftanordnung ein und beantragte die Aufhebung dieses Beschlusses sowie hilfsweise die sofortige Aussetzung der weiteren Vollziehung.

2

Auf Antrag der beteiligten Behörde vom 9. November 2021 hat das Amtsgericht nach Anhörung des Betroffenen mit Beschluss vom 12. November 2021 in der Hauptsache Haft zur Sicherung seiner Abschiebung nach [X.] bis zum 17. Dezember 2021 angeordnet. Der dagegen von Rechtanwalt [X.] für den Betroffenen am 18. November 2021 eingelegten Beschwerde hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 26. November 2021 nicht abgeholfen. Das [X.] hat sie mit dem hier angefochtenen Beschluss vom 7. Dezember 2021 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der - nach Ablauf der angeordneten Haftzeit noch auf Feststellung gerichteten - Rechtsbeschwerde.

3

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

4

1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, die Haftanordnung des Amtsgerichts sei rechtmäßig. Ihr habe ein zulässiger Haftantrag zugrunde gelegen. Es stelle keinen Verfahrensfehler dar, dass das Amtsgericht den Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen nicht am Anhörungstermin vom 12. November 2021 beteiligt habe, da ihm die anwaltliche Vertretung des Betroffenen im vorangegangenen Verfahren über die einstweilige Haftanordnung nicht bekannt gewesen sei.

5

2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung stand. Entgegen der Rüge der Rechtsbeschwerde hat das Amtsgericht den Grundsatz des fairen Verfahrens nicht verletzt.

6

a) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert jedem Betroffenen das Recht, sich in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen. Erfährt oder weiß das Gericht, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt und ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht wird; gegebenenfalls ist unter einstweiliger Anordnung einer nur kurzen Haft nach § 427 FamFG ein neuer Termin zu bestimmen. [X.] das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (st. Rspr.; vgl. zuletzt [X.], Beschlüsse vom 22. Februar 2022 - [X.]/20, [X.] 2022, 416 Rn. 11; vom 12. September 2023 - [X.], juris Rn. 6 sowie [X.]/20, juris Rn. 6, [X.]. mwN).

7

b) Nach der Rechtsprechung des [X.] muss das Haftgericht einen Verfahrensbevollmächtigten zum Anhörungstermin jedoch nur laden und ihn über die Ladung des Betroffenen zu diesem Termin nur unterrichten, wenn der Bevollmächtigte sich in diesem Verfahren bestellt oder der Betroffene von der Bestellung Mitteilung gemacht hat (vgl. [X.], Beschlüsse vom 4. März 2010 - [X.], [X.] 2010, 154 Rn. 18; vom 22. August 2019 - [X.], [X.] 2020, 30 Rn. 9; vom 28. Februar 2023 - [X.]/21, [X.] 2023, 275 Rn. 10). Eine solche Bestellung oder Mitteilung ist nach der Rechtsprechung des [X.] weder entbehrlich, wenn der Verfahrensbevollmächtigte den Betroffenen in einem dem Haftantragsverfahren vorhergehenden [X.] oder asylrechtlichen Verfahren vertreten hat ([X.], [X.] 2023, 275 Rn. 10), noch - in einem Verfahren über einen Antrag auf Verlängerung der Haft -, wenn der Rechtsanwalt bereits Beschwerde gegen eine vorangegangene Anordnung von [X.] eingelegt hat ([X.], Beschluss vom 22. August 2019 - [X.], [X.] 2019, 454 Rn. 7 f.; [X.], [X.] 2020, 30 Rn. 12). Denn in beiden Konstellationen handelt es sich [X.]eils um eigenständige Verfahren mit der Folge, dass aus einer Bestellung des Verfahrensbevollmächtigten im einen Verfahren nicht zwingend eine Bestellung auch für das andere Verfahren folgt (vgl. [X.], Beschluss vom 3. Mai 2018 - [X.]/17, [X.] 2018, 387 Rn. 7; [X.], [X.] 2020, 30 Rn. 10). Diese Grund-sätze gelten in gleicher Weise für das Verhältnis zwischen dem einstweiligen [X.] nach § 427 FamFG und dem Hauptsacheverfahren über die Haftanordnung nach § 417 FamFG. Denn auch diese stellen, wie aus § 51 Abs. 3 Satz 1 FamFG folgt, [X.]eils eigenständige Verfahren dar ([X.], Beschluss vom 5. Dezember 2023 - [X.] Rn. 7 [z. Veröff. best.]).

8

c) Das über einen Antrag auf Anordnung der [X.] entscheidende Amtsgericht ist auch nicht verpflichtet, von Amts wegen zu prüfen, ob sich in einem vorangegangenen Verfahren für den Betroffenen ein Verfahrensbevollmächtigter bestellt hat (für ein dem Verfahren über einen Haftverlängerungsantrag vorangegangenes Verfahren über die Haftanordnung: [X.], [X.] 2019, 454 Rn. 7 f.; [X.] 2020, 30 Rn. 12). Nur wenn dem Haftgericht bekannt ist, dass der Betroffene in dem Verfahren, aufgrund dessen er sich bereits in Haft befindet, durch einen Rechtsanwalt vertreten wurde, muss es den Betroffenen fragen, ob dieser ihn auch in dem aktuellen Haftanordnungsverfahren vertreten soll, und, wenn die Frage bejaht wird, dem Rechtsanwalt eine Teilnahme an der persönlichen Anhörung des Betroffenen ermöglichen. Denn angesichts des unmittelbaren Zusammenhangs der betreffenden Verfahren liegt nahe, dass sich die anwaltliche Vertretung auch auf letzteres Verfahren erstreckt (vgl. [X.], [X.] 2019, 454 Rn. 6 ff.).

9

d) Danach hat das Amtsgericht durch seine Verfahrensgestaltung die Teilnahme von Rechtsanwalt [X.] am Anhörungstermin vom 12. November 2021 nicht vereitelt. Nach den Feststellungen des [X.] ist der Schriftsatz von Rechtsanwalt [X.], mit welchem sich dieser im Verfahren über die einstweilige Anordnung für den Betroffenen bestellt und Beschwerde gegen den Beschluss vom 30. Oktober 2021 eingelegt hat, zwar am 10. November 2021 per Fax beim (selben) Amtsgericht eingegangen. Er ist "der zuständigen Amtsrichterin" jedoch erst am 15. November 2021 und somit nach Erlass des angefochtenen Beschlusses vom 12. November 2021 vorgelegt worden, wobei unklar ist, ob beide Beschlüsse von derselben Richterin erlassen worden sind. Da der Betroffene selbst in der Anhörung am 12. November 2021 seine anwaltliche Vertretung auch nicht erwähnt hat, war der Haftrichterin zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt, dass sich im vorangegangenen Verfahren über die einstweilige Haftanordnung ein Verfahrensbevollmächtigter bestellt hatte. Nach den vorstehenden Ausführungen ist entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde mangels weitergehender Prüfpflicht die Kenntnis der Haftrichterin von einer anwaltlichen Vertretung des Betroffenen im vorangegangenen Verfahren über die einstweilige Haftanordnung auch nicht zu unterstellen.

3. [X.] beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

[X.]     

      

Tolkmitt     

      

Picker

      

Holzinger     

      

Kochendörfer     

      

Meta

XIII ZB 4/22

30.01.2024

Bundesgerichtshof 13. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Krefeld, 7. Dezember 2021, Az: 7 T 120/21

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 30.01.2024, Az. XIII ZB 4/22 (REWIS RS 2024, 1421)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 1421

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