Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.01.2024, Az. XIII ZB 46/20

13. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 822

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Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des [X.] vom 28. Mai 2020 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000 €.

Gründe

1

I. Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, reiste am 19. April 2015 in das [X.] ein. Seinen Asylantrag lehnte das [X.] (fortan: [X.]) mit Bescheid vom 29. Dezember 2017 als offensichtlich unbegründet ab. Zugleich forderte es den Betroffenen unter Androhung der zwangsweisen Abschiebung zur Ausreise nach [X.] auf. Ein verwaltungsgerichtliches Verfahren des Betroffenen blieb ohne Erfolg. Am 19. Dezember 2019 wurde der Betroffene festgenommen. Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das [X.] am 20. Dezember 2019 Haft zur Sicherung der Abschiebung bis 11. März 2020 an. Hiergegen legte die anwaltliche Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen Beschwerde ein, die mit Beschluss des [X.] vom 31. Januar 2020 zurückgewiesen wurde.

2

Auf weiteren Antrag der beteiligten Behörde hat das [X.] mit Beschluss vom 14. Februar 2020 die Haft bis zum 1. April 2020 verlängert. Die hiergegen eingelegte, nach der Haftentlassung des Betroffenen mit dem Feststellungsantrag weiterverfolgte Beschwerde ist erfolglos geblieben. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde.

3

II. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

4

1. Das Beschwerdegericht hat die Anordnung der Haftverlängerung für rechtmäßig gehalten. Der Haftverlängerungsantrag sei formell nicht zu beanstanden. Auch habe das Amtsgericht zutreffend angenommen, dass der Betroffene nach den §§ 50, 58 [X.] vollziehbar ausreisepflichtig gewesen sei und ein Haftgrund vorgelegen habe. Die Haftanordnung sei auch verhältnismäßig gewesen. Das Amtsgericht habe zudem nicht von Amts wegen prüfen müssen, ob sich für den Betroffenen im Verfahren über die vorangegangene Haftanordnung ein Verfahrensbevollmächtigter bestellt habe. Anders liege es nur, wenn dem Haftrichter bekannt sei, dass der Betroffene in einem vorausgegangenen Verfahren anwaltlich vertreten wurde. Dann sei dieser zu fragen, ob eine weitere Vertretung durch den Rechtsanwalt und Teilnahme an der Anhörung gewünscht werde. Vorliegend ergebe sich dies aber weder aus der Gerichtsakte noch aus der Ausländerakte. So sei die Verfahrensbevollmächtigte schon im Beschluss des [X.] nicht aufgeführt gewesen. Auch sei weder die Beschwerdebegründung der Verfahrensbevollmächtigten im Haftanordnungsverfahren noch die Beschwerdeentscheidung des [X.] in der Akte gewesen.

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2. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung stand.

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a) Das Beschwerdegericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Haftanordnung ein zulässiger [X.] zugrunde lag.

7

aa) Ein zulässiger [X.] ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der [X.] nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zur zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungs- oder Überstellungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung oder Überstellung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Diese Darlegungen dürfen zwar knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen (st. Rspr., vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 15. September 2011 - [X.] 123/11, [X.] 2012, 25 Rn. 8; vom 12. November 2019 - [X.], [X.] 2020, 165 Rn. 8; vom 14. Juli 2020 - [X.]/19, juris Rn. 7; vom 25. Oktober 2022 - [X.] 116/19, juris Rn. 7). Dazu müssen die Darlegungen auf den konkreten Fall bezogen sein und dürfen sich nicht in [X.] erschöpfen (st. Rspr., vgl. nur [X.], Beschlüsse vom 27. Oktober 2011 - [X.] 311/10, [X.] 2012, 82 Rn. 13; vom 25. Oktober 2022 - [X.] 116/19, juris Rn. 7 mwN; vom 20. Dezember 2022 - [X.] 40/20, juris Rn. 7).

8

bb) Diesen Anforderungen wird der [X.] gerecht. Insbesondere bedurfte es keiner weiteren Ausführungen dazu, aufgrund welcher Tatsachen von einer wirksamen Zustellung oder Zustellungsfiktion des vollziehbaren Bescheides des [X.]s auszugehen war (vgl. [X.], Beschluss vom 9. Februar 2012 - 2 BvR 1064/10, [X.] 2012, 186, juris Rn. 11, 24; [X.], Beschluss vom 23. Juni 2020 - [X.] 87/19, juris Rn. 10). Denn im [X.] wird konkret ausgeführt, dass das [X.] mit Bescheid vom 29. Dezember 2017 den Asylantrag des Betroffenen als offensichtlich unbegründet abgelehnt und dieser gegen den Bescheid am 8. Januar 2018 - erfolglos - Klage erhoben sowie einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO beim Verwaltungsgericht gestellt hat. Hieraus ergibt sich zwangsläufig, dass dem Betroffenen der Bescheid des [X.]s auch zugegangen ist. Die ausdrückliche Benennung eines Zustellnachweises ist nicht erforderlich.

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cc) Soweit die Rechtsbeschwerde einwendet, der [X.] habe einen zeitlichen Puffer für potentielle Unwägbarkeiten vorgesehen, für die keine konkreten Anhaltspunkte bestanden hätten, greift dies - auch vor dem Hintergrund, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist (§ 62 Abs. 1 Satz 2 [X.]) - nicht durch. Unabhängig davon, dass der Senat einen kurzen zeitlichen Puffer für allfällige Verzögerungen anerkennt (vgl. [X.], Beschluss vom 6. Oktober 2020 - [X.] 85/19, juris Rn. 20), war der Hinweis im [X.] auf einen solchen für die Begründung der Dauer der beantragten Haftverlängerung schon nicht tragend, da in dem [X.] konkret dargelegt wurde, warum für die Buchung des Fluges eine Haftdauer bis 1. April 2020 erforderlich war.

b) Die Haft durfte nach § 62 Abs. 3 Satz 3 [X.] auch für einen Zeitraum, der eine Haftdauer von drei Monaten übersteigt, angeordnet werden.

aa) Frühere Haftzeiten sind in die Gesamtdauer der [X.] mit einzubeziehen, wenn diese auf die Durchsetzung derselben - auf einem einheitlichen Sachverhalt beruhenden - Ausreisepflicht zurückgehen (vgl. [X.], Beschluss vom 12. November 2019 - [X.], [X.] 2020, 165 Rn. 18). [X.] ist hier erstmals durch Beschluss des [X.] ab 20. Dezember 2019 angeordnet und durch den Beschluss des [X.] bis 1. April 2020, mithin über einen Zeitraum von drei Monaten hinaus, verlängert worden.

bb) Nach § 62 Abs. 3 Satz 3 [X.] ist die [X.] unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann. Zu vertreten hat der Ausländer nicht nur solche Umstände, die für die Behebung des Abschiebungshindernisses von Bedeutung sein können, sondern auch Gründe, die - von ihm zurechenbar veranlasst - dazu geführt haben, dass ein Hindernis für seine Abschiebung überhaupt erst entstanden ist (vgl. [X.], Beschlüsse vom 17. Mai 2018 - [X.] 54/17, [X.] 2018, 339 Rn. 5; vom 12. November 2019 - [X.], [X.] 2020, 165 Rn. 21). Der Ausländer, der keine Ausweispapiere besitzt und der auch bei der Passersatzbeschaffung nicht mitwirkt, muss Verzögerungen hinnehmen, die dadurch entstehen, dass die Behörden seines Heimatstaates um die Feststellung seiner Identität und die Erteilung eines [X.] ersucht werden müssen (vgl. [X.], Beschluss vom 25. März 2010 - [X.], juris Rn. 20).

cc) So liegt es hier. Der Betroffene besaß keine Ausweispapiere und hat auch an einer Passersatzpapierbeschaffung, die für eine Abschiebung nach [X.] erforderlich war, nicht mitgewirkt. Die Passersatzbeschaffung setzt eine persönliche Vorstellung bei einem Vertreter der Botschaft von [X.] voraus (Anhörungsverfahren). Der Betroffene ist bei der zuständigen Vertretung nicht selbst vorstellig geworden und trotz eines vorausgehenden [X.] am 24. September 2019 in seiner Unterkunft nicht angetroffen worden, so dass er zur geplanten Sammelanhörung an diesem Tag nicht vorgeführt werden konnte. Der nächstmögliche Sammelanhörungstermin nach Festnahme des Betroffenen fand erst am 26. Februar 2020 statt, was aufgrund der danach noch erforderlichen Bearbeitungsschritte eine Haftanordnung bis zum 1. April 2020 erforderlich machte. Wäre der Betroffene im Vorfeld seiner Verhaftung seiner Mitwirkungsverpflichtung an der Passersatzpapierbeschaffung nachgekommen, wäre eine so lange Haftdauer nicht notwendig geworden.

c) Auch die Rüge der Verletzung des Rechts des Betroffenen auf ein faires Verfahren hat keinen Erfolg.

aa) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert jedem Betroffenen das Recht, sich in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 10. Juli 2014 - [X.] 32/14, [X.] 2014, 442 Rn. 8; vom 12. November 2019 - [X.] 34/19, juris Rn. 7). Erfährt oder weiß das Gericht, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt und ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht wird; gegebenenfalls ist unter einstweiliger Anordnung einer nur kurzen Haft nach § 427 FamFG ein neuer Termin zu bestimmen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 25. Oktober 2018 - [X.] 69/18, [X.] 2019, 152 Rn. 5; vom 7. April 2020 - [X.] 84/19, juris Rn. 9 f.; vom 31. August 2021 - [X.] 58/20, juris Rn. 7). [X.] das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (vgl. [X.], Beschlüsse vom 6. April 2017 - [X.] 59/16, [X.] 2017, 292 Rn. 7; vom 12. November 2019 - [X.] 34/19, juris Rn. 7; vom 28. Februar 2023 - [X.] 70/21, juris Rn. 9). Das gilt auch für die Verlängerung der Abschiebungshaft, auf die nach § 425 Abs. 3 FamFG die Vorschriften über den Erstantrag, also auch diejenigen über die Anhörung, uneingeschränkt anzuwenden sind (vgl. [X.], Beschluss vom 22. August 2019 - [X.] 144/17, [X.] 2020, 30 Rn. 7).

bb) Das Amtsgericht muss einen Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen zum Anhörungstermin aber nur laden und ihn über die Ladung des Betroffenen zu diesem Termin nur unterrichten, wenn der Bevollmächtigte sich in dem Verfahren zur Entscheidung über den [X.] der beteiligten Behörde bestellt hat (vgl. [X.], Beschlüsse vom 4. März 2010 - [X.] 222/09, [X.] 2010, 154 Rn. 18; vom 22. August 2019 - [X.] 144/17, [X.] 2020, 30 Rn. 9). Eine solche Bestellung ist auch nicht entbehrlich, wenn der Verfahrensbevollmächtigte Beschwerde gegen die Erstanordnung von [X.] eingelegt hat. Hieraus folgt nicht zwingend eine Bestellung auch für das Verfahren über einen Antrag auf Verlängerung der [X.] (vgl. [X.], Beschlüsse vom 3. Mai 2018 - [X.] 230/17, [X.] 2018, 387 Rn. 7; vom 22. August 2019 - [X.] 144/17, [X.] 2020, 30 Rn. 10).

cc) Zutreffend hat das Beschwerdegericht auch angenommen, dass das über einen Antrag auf Verlängerung der [X.] entscheidende Amtsgericht nicht verpflichtet ist, von Amts wegen zu prüfen, ob sich für den Betroffenen im Verfahren über die vorangegangene Haftanordnung bei einem anderen Amtsgericht ein Verfahrensbevollmächtigter bestellt hat (vgl. [X.], Beschluss vom 22. August 2019 - [X.] 144/17, [X.] 2020, 30 Rn. 12). Anders liegt es, wenn dem Haftrichter bekannt wird, dass der Betroffene in dem vorangegangenen Verfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten wurde; dann muss er den Betroffenen fragen, ob dieser ihn auch im Verfahren über die Haftverlängerung vertreten soll, und, wenn die Frage bejaht wird, dem Rechtsanwalt eine Teilnahme an der persönlichen Anhörung des Betroffenen ermöglichen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 22. August 2019 - [X.] 39/19, juris Rn. 7 f. und [X.] 144/17, [X.] 2020, 30 Rn. 12).

dd) Vorliegend ist aber nicht festgestellt und es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass dem [X.] bei der Anhörung bekannt war, dass der Betroffene in dem vorangegangenen Haftanordnungsverfahren vor dem [X.] von einer Rechtsanwältin vertreten wurde. Soweit die Rechtsbeschwerde darauf verweist, dies habe sich aus der beigezogenen Ausländerakte ergeben, übersieht sie, dass die Ausländerakte auf Anforderung des [X.] bereits am 21. Januar 2020 als [X.] übersandt worden ist. Der Nichtabhilfebeschluss des [X.] vom 28. Januar 2020 und die Beschwerdeentscheidung des [X.] vom 31. Januar 2020, aus denen die den Betroffenen im Beschwerdeverfahren gegen die erstmalige Haftanordnung vertretende Rechtsanwältin ersichtlich war, konnten in der bereits zuvor beigezogenen Ausländerakte somit noch nicht enthalten sein.

3. [X.] beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

[X.]     

      

[X.]     

      

Tolkmitt

      

Picker     

      

Holzinger     

      

Meta

XIII ZB 46/20

16.01.2024

Bundesgerichtshof 13. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Paderborn, 28. Mai 2020, Az: 5 T 75/20

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.01.2024, Az. XIII ZB 46/20 (REWIS RS 2024, 822)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 822

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