Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.02.2011, Az. VI ZR 190/10

6. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 9488

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Gegenstand

Beweisaufnahme im Zivilverfahren: Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Unterlassung einer gebotenen Zeugenvernehmung


Tenor

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] wird das Urteil des 5. Zivilsenats des [X.] vom 16. Juni 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Gegenstandswert: 50.000 €

Gründe

I.

1

Der Kläger, der Bürgermeister der [X.], verlangt von den Beklagten die Richtigstellung von Äußerungen in einem Beitrag, der am 4. September 2008 um die Mittagszeit im Programm [X.] des Beklagten zu 1 ausgestrahlt worden ist. Die der Sendung zugrunde liegenden Fakten wurden vom Beklagten zu 2 recherchiert. In dem Beitrag wurde u.a. behauptet, dass Mitarbeiter des Bauhofes und des [X.] der [X.] gegenüber dem Zeugen St., dem Leiter des Landesbezirks der [X.], darüber geklagt hätten, dass sie mit Videokameras überwacht würden. Der Kläger bestreitet, dass Beschwerden durch die betreffenden Mitarbeiter geführt worden seien und eine Überwachung erfolgt sei. Die auf dem Gelände des Schwimmbades installierten Kameras seien zum Schutz vor Vandalismus aufgestellt worden. Zwischenzeitlich seien sie wieder entfernt worden.

2

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Es hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

II.

3

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht durfte das Beweisangebot des [X.] auf Vernehmung der betreffenden Bediensteten als Zeugen nicht außer Betracht lassen, obwohl es sich von der Richtigkeit der unter Beweis gestellten Behauptungen nicht überzeugen konnte. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet ([X.], NJW 2005, 1487).

4

Zutreffend beurteilt das Berufungsgericht allerdings die angegriffenen Äußerungen nach ihrem Aussagegehalt als Tatsachenbehauptungen, deren Unwahrheit nach allgemeinen Beweisregeln grundsätzlich der Kläger zu beweisen hat (vgl. Senatsurteil vom 22. April 2008 - [X.], [X.], 175 Rn. 20 mwN). Der Antrag des [X.] war nicht schon deshalb unbeachtlich, weil er auf eine rechtlich unzulässige Ausforschung des zugrunde liegenden Sachverhalts gerichtet gewesen wäre (vgl. [X.]/[X.], ZPO, 28. Aufl. vor § 284 Rn. 5). Im Streitfall hat der Kläger keine andere Möglichkeit einer Beweisführung, als - wie geschehen - sämtliche Bedienstete der Gemeinde in dem fraglichen Bereich zu Zeugen anzubieten.

5

Der Beweis einer negativen Tatsache, wie er vom Kläger zu führen ist, begegnet im Allgemeinen besonderen Beweisschwierigkeiten, doch ändert dies noch nicht die Beweislast (vgl. Senat, Urteil vom 16. Oktober 1984 - [X.], [X.], 42, 43 mwN). Den Schwierigkeiten, denen sich die [X.] gegenübersieht, die das [X.] (das Nichtvorliegen der Tatsache) beweisen muss, ist im Rahmen des Zumutbaren regelmäßig dadurch zu begegnen, dass sich der Prozessgegner seinerseits nicht mit bloßem Bestreiten begnügen darf, sondern darlegen muss, welche tatsächlichen Umstände für das Vorliegen des Positiven sprechen. Der [X.] genügt dann der ihm obliegenden Beweispflicht, wenn er die gegnerische Tatsachenbehauptung widerlegt oder ernsthaft in Frage stellt (vgl. [X.], Urteil vom 8. Oktober 1992 - I ZR 220/90, NJW-RR 1993, 746, 748). Im Streitfall ist den Beklagten die namentliche Benennung der Informanten schon deshalb nicht zumutbar, weil der Zeuge St. auch dem Beklagten zu 2 gegenüber Angaben, mit denen die Identifizierung der Informanten möglich wäre, nicht gemacht hat. Unter diesen Umständen konnte der Kläger nur alle in Betracht kommenden Bediensteten als Zeugen benennen.

6

Das Berufungsgericht war gehalten, trotz der eidesstattlichen Versicherungen die Zeugen zu vernehmen. Der Annahme, dass diese wahrheitswidrig aus Sorge vor Nachteilen im Arbeits- oder Dienstverhältnis abgegeben worden seien, liegt eine unzulässige Beweisantizipation zugrunde. [X.] das Gericht Aussagen aufgrund fehlender Glaubwürdigkeit der Zeugen außer Betracht lassen, hat es sich einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit der Zeugen und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen zu verschaffen. Dem entspricht, dass das Berufungsgericht bei pflichtgemäßer Ausübung des ihm durch §§ 525 Satz 1, 398 Abs. 1 ZPO eingeräumten Ermessens einen bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen nochmals vernehmen muss, wenn es dessen Glaubwürdigkeit abweichend vom Erstrichter beurteilen will (vgl. Senat, Urteile vom 29. Oktober 1996 - [X.], NJW 1997, 466; vom 10. März 1998 - [X.], NJW 1998, 2222, 2223; [X.], Urteil vom 12. März 2004 - [X.], [X.]Z 158, 269, 274 f. mwN). Die Verwertung eidesstattlicher Versicherungen im Wege des [X.] ist mangels des persönlichen Eindrucks hierfür ungeeignet.

7

Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Vernehmung der angebotenen Zeugen zu einem anderen Beweisergebnis und mithin zu einer anderen Beurteilung des Falles gekommen wäre. Schon aufgrund der öffentlichen Stellung des [X.] besteht ein berechtigtes Interesse an der begehrten Richtigstellung bei Erweislichkeit der Unwahrheit der Tatsachen, weil deren Behauptung das Persönlichkeitsrecht des [X.] in schwerwiegender Weise beeinträchtigt.

[X.]                                Zoll                                   [X.]

                 Pauge                              von [X.]

Meta

VI ZR 190/10

15.02.2011

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZR

vorgehend Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, 16. Juni 2010, Az: 5 U 429/09 - 98, Urteil

Art 103 Abs 1 GG, § 286 Abs 1 S 1 ZPO, § 373 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.02.2011, Az. VI ZR 190/10 (REWIS RS 2011, 9488)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 9488

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Referenzen
Wird zitiert von

VII ZR 59/12

VII ZR 231/11

VI ZR 190/10

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