Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.05.2020, Az. XIII ZB 17/19

13. Zivilsenat | REWIS RS 2020, 1408

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Gegenstand

Abschiebungshaftverfahren: Heilung von Mängeln des Haftantrags; Anhörung des Betroffenen zu ergänzenden Angaben


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss des [X.] vom 17. November 2017 und der Beschluss der 9. Zivilkammer des [X.] vom 2. Februar 2018 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der [X.] auferlegt.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000 €.

Gründe

1

I. Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, reiste im Jahr 2006 ohne Papiere und ohne Visum in das [X.] ein. Am 23. Juni 2006 stellte er unter Verwendung falscher Personalien einen Asylantrag, der mit Bescheid vom 27. Juli 2006 als offensichtlich unbegründet abgelehnt und mit einer Ausreiseverfügung und einer Abschiebungsandrohung verbunden wurde. Die in den Folgejahren gestellten Asylfolgeanträge des Betroffenen hatten keinen Erfolg. Nachdem der Betroffene durch die [X.] Behörden identifiziert und am 30. November 2017 für ihn ein Passersatzpapier für den [X.]raum 16. November bis 16. Dezember 2017 ausgestellt worden war, wurde ein Termin zur Abschiebung nach [X.] für den 16. November 2017 bestimmt. Die Durchführung der Abschiebung scheiterte jedoch an der Weigerung des Betroffenen, den für ihn gebuchten Flug anzutreten.

2

Auf Antrag der beteiligten Behörde vom 17. November 2017 hat das [X.] mit Beschluss vom selben Tag Haft zur Sicherung der Abschiebung gegen den Betroffenen bis zum 16. Februar 2018 angeordnet. Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das [X.] nach zweimaliger Rückverweisung der Sache an das Amtsgericht mit Beschluss vom 2. Februar 2018 zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Betroffene, der am 13. Februar 2018 nach [X.] abgeschoben wurde, die Aufhebung des Beschlusses des [X.]s und die Feststellung, dass ihn der Beschluss des Amtsgerichts sowie der Beschluss des [X.]s in seinen Rechten verletzt haben. Die beteiligte Behörde beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.

3

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

4

1. Nach Ansicht des [X.] lagen die Voraussetzungen für die Anordnung der Haft vor. Der Haftantrag genüge den Anforderungen des § 417 FamFG. Er enthalte insbesondere hinreichende Angaben zum Haftgrund, zur Durchführung der Abschiebung sowie zur Erforderlichkeit und Dauer der Freiheitsentziehung. Dass sich die Behörde bei der Angabe, für die Durchführung der begleiteten Abschiebung sei ein [X.]raum von drei Monaten erforderlich, gegebenenfalls stillschweigend auf Erfahrungswerte stütze, sei zulässig und bedürfe nicht einer Darlegung im Detail.

5

2. Diese Begründung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Für die Haftanordnung fehlte es an einem zulässigen Haftantrag der beteiligten Behörde. Dieser Mangel ist in der Beschwerdeinstanz nicht geheilt worden.

6

a) Das Vorliegen eines zulässigen [X.] ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag der beteiligten Behörde nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht. Erforderlich sind Darlegungen zu der zweifelsfreien Ausreisepflicht, zu den Abschiebungsvoraussetzungen, zur Erforderlichkeit der Haft, zur Durchführbarkeit der Abschiebung und zur notwendigen Haftdauer (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 bis 5 FamFG). Zwar dürfen die Ausführungen zur Begründung des [X.] knapp gehalten sein; sie müssen aber die für die richterliche Prüfung wesentlichen Punkte ansprechen und zu diesen konkreten Sachverhalt vortragen. Fehlt es an solchen Darlegungen, darf die beantragte [X.] nicht angeordnet werden (st. Rspr. des [X.], vgl. zuletzt Beschlüsse vom 4. Juli 2019 - [X.], juris Rn. 7; vom 25. Januar 2018 - [X.], [X.] 2018, 224 Rn. 3; vom 21. August 2019 - [X.]/17, juris Rn. 5, und vom 12. November 2019 - [X.], juris Rn. 8, [X.]. mwN).

7

Die Durchführbarkeit der Abschiebung muss mit konkretem Bezug auf das Land, in das der Betroffene abgeschoben werden soll, dargelegt werden. Anzugeben ist insbesondere, ob und innerhalb welchen [X.]raums Abschiebungen in das betreffende Land üblicherweise möglich sind, von welchen Voraussetzungen dies abhängt und ob diese Voraussetzungen im konkreten Fall vorliegen ([X.], Beschlüsse vom 25. Januar 2018 - [X.], [X.] 2018, 224 Rn. 3; vom 21. August 2019 - [X.]/17, juris Rn. 5, und vom 12. November 2019 - [X.], juris Rn. 8). Da die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist (§ 62 Abs. 1 Satz 2 [X.]; vgl. dazu [X.], Beschluss vom 10. Mai 2012 - [X.], [X.] 2012, 225 Rn. 10), bedarf es im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Haftdauer einer konkreten Darlegung der für die Abschiebung voraussichtlich erforderlichen [X.]spanne. Dazu sind die einzelnen erforderlichen Schritte unter Angabe ihrer [X.]eiligen Dauer im Haftantrag zu erläutern, damit das Gericht in die Lage versetzt wird zu prüfen, wie lange die Freiheitsentziehung des Betroffenen zur Sicherung der Abschiebung notwendig ist ([X.], Beschluss vom 13. September 2018 - [X.]/18, juris Rn. 8 mwN). Die pauschale Angabe einer Höchst- oder Gesamtdauer reicht dafür nicht aus (vgl. [X.], Beschluss vom 22. Juni 2017 - [X.], juris Rn. 8).

8

b) Diesen Anforderungen genügt der Haftantrag vom 17. November 2017 nicht.

9

aa) Die Dauer der beantragten Haft von drei Monaten wird in dem Antrag damit begründet, dass die Abschiebung des Betroffenen in den nächsten Wochen durchgeführt werden könne, zuvor jedoch koordiniert und gebucht werden müsse. Nach dem Scheitern des Abschiebungsversuchs müsse die Rückführung begleitet erfolgen. Hierzu sei laut [X.] eine Vorlaufzeit von etwa sechs Wochen erforderlich. Zu diesem [X.]punkt sei das bislang ausgestellte Passersatzpapier abgelaufen, so dass zusätzlich ein neues Passersatzpapier beschafft werden müsse. Insgesamt sei daher mit einem Vorlauf von circa drei Monaten zu rechnen.

bb) Diese Ausführungen sind unzureichend. Zwar ist die Aussage zur Vorlaufzeit der begleiteten Rückführung nicht zu beanstanden, da nach ständiger Rechtsprechung des [X.] bei einer Abschiebung mittels eines Fluges mit Sicherheitsbegleitung eine nähere Erläuterung des erforderlichen [X.]aufwands in aller Regel dann nicht geboten ist, wenn sich die Behörde auf eine Auskunft der zuständigen Stelle beruft, wonach dieser [X.]raum bis zu sechs Wochen beträgt (vgl. [X.], Beschlüsse vom 20. September 2018 - [X.], [X.] 2019, 23 Rn. 11; vom 4. Juli 2019 - [X.], juris Rn. 8, und vom 12. November 2019 - [X.], juris Rn. 12). Doch ist anhand der Ausführungen zu den weiteren für den Vollzug der Abschiebung erforderlichen Schritten die Notwendigkeit einer Haftdauer von drei Monaten nicht nachzuvollziehen. Denn es fehlt an auf den konkreten Fall bezogenen Angaben dazu, wieviel [X.] die Beschaffung des neuen [X.] für den Betroffenen voraussichtlich in Anspruch nehmen wird. Darüber hinaus wird nicht erläutert, ob die Organisation des begleiteten Fluges und die Beschaffung des [X.] zeitlich parallel laufen oder hintereinandergeschaltet werden müssen.

c) Dieser Mangel ist im Beschwerdeverfahren nicht geheilt worden.

aa) Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] können Mängel des [X.] behoben werden, indem die Behörde von sich aus oder auf richterlichen Hinweis ihre Darlegungen ergänzt und dadurch die Lücken in ihrem Haftantrag schließt, oder indem der Haftrichter selbst die Voraussetzungen zur Durchführbarkeit der Ab- oder Zurückschiebung des Ausländers und zu der dafür erforderlichen Haftdauer in seiner Entscheidung feststellt (§ 26 FamFG; vgl. [X.], Beschluss vom 16. Juli 2014 - [X.]/13, [X.] 2014, 384 Rn. 21 ff.). Zwingende weitere Voraussetzung für eine rechtmäßige Haftanordnung ist in einem solchen Fall aber, dass der Betroffene zu den ergänzenden Angaben persönlich angehört wird ([X.], Beschlüsse vom 25. Januar 2018 - [X.], juris Rn. 8, und vom 15. September 2016 - [X.]/16, juris Rn. 10, [X.]. mwN).

bb) Diesen Anforderungen ist nicht genügt. Die beteiligte Behörde hat in dem Beschwerdeverfahren zwar ergänzende Angaben zu der notwendigen [X.]dauer für die Durchführung der Abschiebung des Betroffenen gemacht und am 11. Januar 2018 einen konkreten Termin für die Abschiebung mitgeteilt. Hierzu ist der Betroffene jedoch weder im Abhilfeverfahren durch das Amtsgericht noch im weiteren Beschwerdeverfahren durch das Beschwerdegericht persönlich angehört worden.

d) Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG. Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

[X.]     

      

Schmidt-Räntsch     

      

Kirchhoff

      

Picker     

      

Rombach     

      

Meta

XIII ZB 17/19

19.05.2020

Bundesgerichtshof 13. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Wuppertal, 2. Februar 2018, Az: 9 T 16/18

§ 26 FamFG, § 417 Abs 2 S 2 Nr 3 FamFG, § 417 Abs 2 S 2 Nr 4 FamFG, § 417 Abs 2 S 2 Nr 5 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 19.05.2020, Az. XIII ZB 17/19 (REWIS RS 2020, 1408)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 1408

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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