Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.08.2022, Az. XIII ZB 27/22

13. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 6184

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Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des [X.] - 4. Zivilkammer - vom 22. April 2021 aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der Beschluss des [X.] vom 18. März 2021 und der Beschluss des [X.] - 4. Zivilkammer - vom 22. April 2021 den Betroffenen im Zeitraum vom 18. März 2021 bis zum 27. April 2021 in seinen Rechten verletzt haben.

Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden dem [X.] auferlegt.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 5.000 €.

Gründe

1

I. Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, reiste 2015 in die [X.] ein. Sein Asylantrag wurde mit Bescheid vom 3. Dezember 2016 abgelehnt und seine Abschiebung nach [X.] angeordnet. Nachdem sein Aufenthalt zwischenzeitlich unbekannt war, stellte der Betroffene im Oktober 2020 erneut einen Asylantrag, der mit Bescheid des [X.] vom 25. November 2020 als unzulässig abgelehnt wurde; zugleich wurde seine Überstellung nach [X.] angeordnet. Aufgrund einer Verurteilung zu einer Haftstrafe von fünf Monaten befand sich der Betroffene bis zum 18. März 2021 in Strafhaft.

2

Auf Antrag der beteiligten Behörde vom 4. März 2021 hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 18. März 2021 gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Abschiebung nach [X.] bis einschließlich 5. Mai 2021 angeordnet. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom 22. April 2021 zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die nach Gewährung von Verfahrenskostenhilfe und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eingelegte Rechtsbeschwerde des Betroffenen, die nach seiner Entlassung aus der Abschiebehaft am 27. April 2021 noch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der vollzogenen Abschiebehaft gerichtet ist.

3

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

4

1. Das Beschwerdegericht hat angenommen, der Haftanordnung habe ein zulässiger Haftantrag zugrunde gelegen. Die beteiligte Behörde habe die Voraussetzungen und die Durchführbarkeit der beabsichtigten Abschiebung nach [X.] sowie die erforderliche Haftdauer hinreichend dargelegt.

5

2. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Für die Haftanordnung fehlte es an einem zulässigen Haftantrag der beteiligten Behörde.

6

a) Ein zulässiger Haftantrag ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfende Verfahrensvoraussetzung. Zulässig ist der Haftantrag nur, wenn er den gesetzlichen Anforderungen an die Begründung entspricht, also unter anderem Darlegungen zur notwendigen Haftdauer enthält (§ 417 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 FamFG). Diese Darlegungen dürfen zwar knapp gehalten sein, müssen aber die für die richterliche Prüfung des Falls wesentlichen Punkte ansprechen (st. Rspr., vgl. nur zuletzt [X.], Beschlüsse vom 12. November 2019 - [X.], [X.] 2020, 165 Rn. 8; vom 25. Januar 2022 - [X.] 108/19, juris Rn. 6).

7

b) Diesen Anforderungen wird der Haftantrag nicht gerecht. Im [X.] der beteiligten Behörde vom 4. März 2021 wird im Hinblick auf die beantragte Haftdauer lediglich ausgeführt, die Abschiebung nach [X.] sei nun für den 5. Mai 2021 "geplant/festgesetzt", nachdem ein für den 8. März 2021 geplanter Flug aufgrund fehlenden "Routings" nicht durchgeführt werden könne. Warum die Buchung eines - wie hier - ohne Sicherheitsbegleitung geplanten Fluges für eine Einzelabschiebung nach [X.] bei dem Betroffenen, für den ein gültiges Passersatzpapier vorlag, eine Zeit von über sieben Wochen oder - gerechnet ab der Antragstellung - sogar zwei Monaten in Anspruch nehmen soll, wird nicht dargelegt. Es erschließt sich mangels jeglicher Angabe zu den im Zeitraum zwischen dem 8. März und dem 5. Mai 2021 objektiv bestehenden Flugmöglichkeiten auch nicht vor dem Hintergrund der - gerichtsbekannten - pandemiebedingten Einschränkungen des innereuropäischen Flugverkehrs im Frühjahr 2021. Entsprechende Erläuterungen wurden auch in der Anhörung des Betroffenen am 18. März 2021 nicht nachgeholt. Die Ausführungen der beteiligten Behörde lassen danach nicht erkennen, warum eine Haftdauer von gut sieben Wochen erforderlich ist, und sind vor dem Hintergrund, dass die Haft auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken ist, auch angesichts der besonderen Situation der Corona-Pandemie ohne nähere Erläuterung für die Begründung der beantragten Haft unzureichend (vgl. [X.], Beschlüsse vom 12. April 2018 - [X.], juris Rn. 6 mwN; vom 12. Februar 2020 - [X.] 49/19, juris Rn. 9; vom 25. April 2022 - [X.] 55/20, juris Rn. 9).

8

c) Der Mangel des Haftantrags ist nicht - mit Wirkung für die Zukunft - geheilt worden. Zwar hat die beteiligte Behörde im Beschwerdeverfahren ergänzend mitgeteilt, dass es sich bei dem [X.] am 5. Mai 2021 nach Auskunft des [X.] um den "nächstmöglichen Termin" gehandelt habe, nachdem der für den 8. März 2021 geplante Flug von der Fluggesellschaft gestrichen worden sei. Dazu hätte das Beschwerdegericht den Betroffenen jedoch persönlich anhören müssen (vgl. [X.], Beschluss vom 15. Dezember 2020 - [X.] 15/20, juris Rn. 14 mwN), was nicht geschehen ist.

9

3. [X.] beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG. Die Festsetzung des [X.] folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

[X.]     

      

[X.]     

      

Tolkmitt

      

Picker     

      

[X.]bach     

      

Meta

XIII ZB 27/22

02.08.2022

Bundesgerichtshof 13. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Traunstein, 22. April 2021, Az: 4 T 947/21

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 02.08.2022, Az. XIII ZB 27/22 (REWIS RS 2022, 6184)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 6184

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