Bundesfinanzhof, Urteil vom 24.08.2016, Az. X R 11/15

10. Senat | REWIS RS 2016, 6336

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Gegenstand

Keine Altersvorsorgezulage für Angehörige eines ausländischen Rentenversicherungssystems - Keine Bindungswirkung norminterpretierender Verwaltungsanweisungen - Anwendbarkeit von EU-Sekundärrecht im Verhältnis zur Schweiz


Leitsatz

1. NV: Ein unbeschränkt Einkommensteuerpflichtiger, der nicht im Inland, sondern ausschließlich im Ausland einer gesetzlichen Rentenversicherungspflicht unterliegt, hat keinen Anspruch auf Altersvorsorgezulage, wenn die ausländische Pflichtmitgliedschaft erst ab dem 1. Januar 2010 begründet worden ist .

2. NV: Der Ausschluss ausländischer Pflichtversicherter von der Altersvorsorgezulage verstößt weder gegen Verfassungsrecht noch gegen das Freizügigkeitsabkommen der EU und ihrer Mitgliedstaaten mit der Schweiz i.V.m. dem Unionsrecht .

3. NV: Norminterpretierende Verwaltungsanweisungen binden die Gerichte auch dann nicht, wenn sie zugunsten des Steuerpflichtigen wirken .

4. NV: Billigkeitsmaßnahmen nach § 163 AO sind im Bereich der Altersvorsorgezulage ausgeschlossen .

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 12. Februar 2015  10 K 10213/13 wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1

I. [X.]ie Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) hatte im [X.] mit einem Anbieter einen zertifizierten Altersvorsorgevertrag abgeschlossen, auf den sie seither [X.] auch im Streitjahr 2011-- eigene Beiträge einzahlte. Sie war zunächst in der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert. Für die Jahre 2008 bis 2010 erhielt sie [X.].

2

Zum 1. November 2010 trat die Klägerin ein Arbeitsverhältnis in [X.] an. Seither unterliegt sie nicht mehr der inländischen gesetzlichen Rentenversicherungspflicht, sondern der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) [X.]. Ihren inländischen Wohnsitz behielt die Klägerin bei (Grenzgängerin), so dass sie in der [X.] ([X.]) unbeschränkt einkommensteuerpflichtig blieb.

3

[X.]ie Beklagte und Revisionsbeklagte ([X.], [X.] --[X.]--) zahlte für 2011 zunächst [X.] in Höhe von 139,24 € auf das beim Anbieter geführte Konto der Klägerin aus, forderte diesen Betrag jedoch nach [X.]urchführung des Überprüfungsverfahrens zurück.

4

[X.]en Antrag der Klägerin auf förmliche Festsetzung der Zulage lehnte die [X.] mit Bescheid vom 6. März 2013 ab. [X.]ie in § 10a Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der im Streitjahr geltenden Fassung (EStG) genannte Voraussetzung der Pflichtmitgliedschaft in der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung sei nicht erfüllt. Gleiches gelte für die Voraussetzungen der Übergangsregelung des § 52 Abs. 24c EStG, weil die Pflichtmitgliedschaft in einem ausländischen gesetzlichen Alterssicherungssystem nicht vor dem 1. Januar 2010 begründet worden sei.

5

Am 2. April 2013 legte ein [X.]ritter ([X.]) per einfacher E-Mail ohne elektronische Signatur Einspruch gegen den Ablehnungsbescheid ein. Zur Begründung fügte er den Entwurf eines Schreibens des [X.] ([X.]) bei, der in seiner Tz 16c eine vertrauensschützende Übergangsregelung enthielt (später [X.]-Schreiben vom 24. Juli 2013, [X.], 1022, Tz 16 Satz 1).

6

Am 22. Mai 2013 bat die [X.] den [X.] um Nachreichung einer Vollmacht der Klägerin. Am 28. Mai 2013 legten die Klägerin und [X.] gemeinsam Einspruch ein.

7

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. [X.]as Finanzgericht (FG) ließ ausdrücklich offen, ob der Einspruch rechtzeitig eingelegt worden sei. Jedenfalls sei die Klage schon deshalb unbegründet, weil der Klägerin für 2011 kein Anspruch auf [X.] zustehe. Sie erfülle weder die Voraussetzungen des § 10a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 EStG noch die der Übergangsregelung des § 52 Abs. 24c EStG noch die des [X.]-Schreibens in [X.], 1022. Zwar habe der Gesetzgeber aufgrund des Urteils des Gerichtshofs der [X.] ([X.]) Kommission/[X.] vom 10. September 2009 [X.] ([X.]:C:2009:527, Slg. 2009, [X.]) die Voraussetzungen für den Anspruch auf [X.] in Fällen mit Auslandsberührung mit Wirkung ab 2010 neu geordnet. [X.]arin liege im Fall der Klägerin aber weder eine unzulässige Rückwirkung noch eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung.

8

Mit ihrer Revision vertritt die Klägerin die Auffassung, ihre Zulageberechtigung folge schon aus dem Umstand, dass sie auch im [X.] in [X.] unbeschränkt einkommensteuerpflichtig gewesen sei. Ihr sei Vertrauensschutz zu gewähren, da eine im Jahr 2010 vorgenommene Gesetzesänderung sich nicht zu Lasten von Personen auswirken dürfe, die bereits im [X.] einen Altersvorsorgevertrag abgeschlossen hätten.

9

[X.]ie Klägerin beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil, die Einspruchsentscheidung vom 20. September 2013 und den Ablehnungsbescheid vom 6. März 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, [X.] für 2011 festzusetzen.

[X.]ie [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie schließt sich dem finanzgerichtlichen Urteil an.

Entscheidungsgründe

II. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zurückzuweisen.

Das [X.] hat zu Recht erkannt, dass die Klägerin für das Streitjahr 2011 keinen Anspruch auf [X.] hat (dazu unten 1.) und gegen diese Rechtslage keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen (unten 2.). Der Ausschluss der Klägerin vom Anspruch auf [X.] ist auch mit dem [X.]srecht vereinbar (unten 3.).

1. Der Klägerin steht kein Anspruch auf [X.] zu. Ein solcher Anspruch ergibt sich weder aus den gesetzlichen Regelungen über die [X.] (dazu unten a) noch aus der gesetzlichen Übergangsregelung (unten b) oder dem BMF-Schreiben in [X.], 1022 (unten c).

a) Gemäß § 79 Satz 1 EStG haben die in § 10a Abs. 1 EStG genannten Personen Anspruch auf eine [X.]. § 10a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 EStG benennt die in der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung Pflichtversicherten. Die Klägerin, die im Streitjahr 2011 ausschließlich in der [X.] pflichtversichert war, erfüllt diese Voraussetzung nicht. Eine Anspruchsberechtigung nach § 10a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 EStG besteht ebenfalls nicht, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist.

b) Die Klägerin fällt auch nicht unter die vertrauensschützende Übergangsregelung, die durch das Gesetz zur Umsetzung steuerlicher [X.]-Vorgaben sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften ([X.]) vom 8. April 2010 ([X.], 386) geschaffen worden ist.

aa) Bis einschließlich 2009 genügte gemäß § 10a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 EStG a.F. eine Pflichtversicherung "in der gesetzlichen Rentenversicherung"; eine Beschränkung auf die inländische gesetzliche Rentenversicherung war damals noch nicht vorgesehen. Allerdings forderte § 79 Satz 1 EStG a.F. für einen Anspruch auf [X.] zusätzlich die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht des Anspruchstellers.

[X.]) Mit seiner Entscheidung [X.] ([X.]:C:2009:527, Slg. 2009, [X.]) hat der [X.] diese Regelungslage beanstandet. Er hat die [X.] nicht als steuerliche, sondern als [X.] Vergünstigung eingestuft (Rz 38-50 des [X.]-Urteils). Den Ausschluss solcher Grenzpendler von der Zulageberechtigung, die zwar im Ausland wohnen und nach dem einschlägigen Doppelbesteuerungsabkommen ausschließlich dort besteuert werden, aber im Inland der Rentenversicherungspflicht unterliegen, hat er als Verstoß gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit angesehen. Die Pflichtversicherung in der [X.] gesetzlichen Rentenversicherung stelle eine Bindung zur [X.] Gesellschaft dar, die hinreichend eng sei, um es dem Grenzgänger zu ermöglichen, in den Genuss der fraglichen [X.]n Vergünstigung zu kommen (Rz 60 des [X.]-Urteils). Ferner hat der [X.] ausgeführt, Zweck der [X.] sei es, zum Ausgleich für die Absenkung des Niveaus der gesetzlichen Rente einen Anreiz für den Aufbau einer ergänzenden privaten Rente zu geben (Rz 61 des [X.]-Urteils).

cc) Daraufhin hat der [X.] Gesetzgeber die Rechtslage mit dem [X.] vom 8. April 2010 umgestaltet und knüpft nun für die Zulage nicht mehr an die unbeschränkte Steuerpflicht, sondern an die Pflichtversicherung in der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung an.

Allerdings stehen gemäß der Übergangsregelung des im Streitjahr geltenden § 52 Abs. 24c Satz 2 EStG (heute § 10a Abs. 6 Satz 1 EStG) für die Anwendung des § 10a EStG den in der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung Pflichtversicherten die Pflichtmitglieder in einem ausländischen gesetzlichen Rentenversicherungssystem gleich, wenn diese Pflichtmitgliedschaft mit der in einem inländischen Alterssicherungssystem nach § 10a Abs. 1 Satz 1 oder Satz 3 EStG vergleichbar ist und vor dem 1. Januar 2010 begründet worden ist. Als Altersvorsorgebeiträge sind bei den in § 52 Abs. 24c Sätze 2 und 3 EStG genannten Personengruppen aber nur diejenigen Beiträge zu berücksichtigen, die vom [X.] zugunsten seines vor dem 1. Januar 2010 abgeschlossenen Vertrags geleistet wurden (§ 52 Abs. 24c Satz 4 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung; heute § 10a Abs. 6 Satz 3 EStG).

Diese Übergangsregelungen gelten auch für die [X.] (§ 52 Abs. 63a EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung; heute § 79 Satz 3 EStG).

dd) Im Streitfall sind die Voraussetzungen des § 52 Abs. 63a i.V.m. Abs. 24c Satz 2 EStG nicht erfüllt, da die Pflichtmitgliedschaft der Klägerin in der [X.] nicht vor dem 1. Januar 2010, sondern erst am 1. November 2010 begründet worden ist. § 52 Abs. 63a i.V.m. Abs. 24c Satz 4 EStG, wonach nur Beiträge berücksichtigt werden, die zugunsten eines vor dem 1. Januar 2010 abgeschlossenen Vertrags geleistet wurden, stellt keine davon unabhängige weitere Anspruchsgrundlage dar, sondern enthält eine zusätzliche Voraussetzung für die Fälle des § 52 Abs. 24c Sätze 2 und 3 EStG. Dies folgt schon aus der gesetzlichen Formulierung "bei den in den Sätzen 2 und 3 genannten Personengruppen", die eine klare Anknüpfung an die vorangehenden Vertrauensschutzregelungen enthält.

Diese Regelungslage ist eindeutig. Auf die fortbestehende unbeschränkte Einkommensteuerpflicht der Klägerin kommt es nicht an.

c) Die Klägerin kann einen Anspruch auf [X.] auch nicht auf [X.] 16 Satz 1 des BMF-Schreibens in [X.], 1022 stützen. Dort heißt es: "In analoger Anwendung des § 52 Abs. 24c Satz 4 EStG erfolgt die Gleichstellung der in einer ausländischen Pflichtversicherung Versicherten mit denen, die in der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung abgesichert sind, wenn der Anleger vor dem 1. Januar 2010 einen Vertrag abgeschlossen hat."

Entgegen der Auffassung des [X.] und der [X.] ist der Klägerin durchaus zuzugeben, dass bei alleiniger Betrachtung des Wortlauts dieser Verwaltungsanweisung die Annahme, die Verwaltung habe Steuerpflichtigen in der Situation der Klägerin einen Anspruch auf [X.] zuerkennen wollen, nicht fern liegt.

Selbst wenn aber das BMF-Schreiben in dem von der Klägerin angeführten Sinne zu verstehen sein sollte, könnte dies keinen Anspruch auf [X.] begründen. Es handelt sich um eine norminterpretierende Verwaltungsanweisung, die keine Rechtsnorm, sondern lediglich Ausdruck der Rechtsmeinung der Verwaltungsbehörde ist. Solche Verwaltungsanweisungen können --soweit sie nicht der Bindung eines der Behörde durch Gesetz eingeräumten Ermessens dienen, was hier nicht der Fall [X.] weder eine mit Rechtsverordnungen vergleichbare Bindung aller Rechtsanwender noch eine Bindung nach dem Grundsatz von Treu und Glauben herbeiführen (Urteil des [X.] --BFH-- vom 13. Dezember 2007 IV R 92/05, [X.], 482, [X.], 583, unter [X.], m.w.N.). Die gesetzliche Regelungslage ist eindeutig: § 52 Abs. 24c Satz 4 EStG begründet keine von § 52 Abs. 24c Satz 2 EStG unabhängige Anspruchsgrundlage; vielmehr muss die dort genannte Voraussetzung (Abschluss des Altersvorsorgevertrags vor dem 1. Januar 2010) zusätzlich zu den in § 52 Abs. 24c Satz 2 EStG genannten Merkmalen (Begründung der ausländischen Pflichtversicherung vor dem 1. Januar 2010) vorliegen, um Vertrauensschutz erlangen zu können (vgl. die Ausführungen unter b dd).

Billigkeitsmaßnahmen nach § 163 der Abgabenordnung ([X.]) sind nicht Gegenstand des vorliegenden Revisionsverfahrens, das allein die Festsetzung der Zulage betrifft. Ohnehin ist § 163 [X.] im Zulageverfahren nicht anzuwenden (§ 96 Abs. 1 Satz 2 EStG), so dass die zitierte Passage aus dem BMF-Schreiben auch nicht als Billigkeitsmaßnahme verstanden werden kann.

2. Gegen die Versagung der [X.] für 2011 bestehen --aus den vom [X.] genannten und von der Revision nicht substantiiert in Zweifel gezogenen [X.] keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

a) Die gesetzliche Neuregelung der Zulageberechtigung in Fällen mit Auslandsberührung entfaltet keine unzulässige Rückwirkung.

aa) Das [X.] ([X.]) hat auch in seiner neueren Rechtsprechung an der Unterscheidung zwischen echten und unechten Rückwirkungen festgehalten. Allerdings bedürfen auch in Fällen lediglich unechter Rückwirkungen die belastenden Wirkungen einer Enttäuschung schutzwürdigen Vertrauens stets einer hinreichenden Begründung nach den Maßstäben der Verhältnismäßigkeit (zum Ganzen [X.]-Beschluss vom 7. Juli 2010  2 BvL 14/02, 2/04, 13/05, [X.]E 127, 1, Rz 59 ff.).

Selbst eine --in Bezug auf das Streitjahr 2011 noch nicht einmal gegebene-- Rückwirkung innerhalb des laufenden Veranlagungszeitraums ist aber verfassungsrechtlich nicht generell unzulässig. Vielmehr würde die Gewährung eines uneingeschränkten Schutzes des Vertrauens auf das Fortbestehen der bisherigen Rechtslage den dem Gemeinwohl verpflichteten Gesetzgeber in wichtigen Bereichen lähmen und den Konflikt zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der Notwendigkeit ihrer Änderung im Hinblick auf einen Wandel der Lebensverhältnisse in nicht mehr vertretbarer Weise zu Lasten der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht insbesondere nicht so weit, vor jeder Enttäuschung zu bewahren. Soweit nicht besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten, genießt die bloße allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz (zum Ganzen ausführlich [X.]-Beschluss vom 10. Oktober 2012  1 BvL 6/07, [X.]E 132, 302, Rz 45, m.w.N.).

[X.]) Das am 14. April 2010 verkündete [X.], das die Neuregelung der Anspruchsberechtigung für die [X.] mit sich brachte, entfaltet in Bezug auf die Klägerin für das noch in der Zukunft liegende Streitjahr 2011 nur deshalb eine unechte Rückwirkung, weil die Klägerin ihren Altersvorsorgevertrag bereits vor Inkrafttreten des [X.] abgeschlossen hatte. Diese unechte Rückwirkung ist nach den dargestellten Grundsätzen, die das [X.] entwickelt hat, verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

(1) Für Fälle, in denen sowohl der Altersvorsorgevertrag vor dem 1. Januar 2010 abgeschlossen wurde als auch vor diesem Zeitpunkt bereits eine Pflichtmitgliedschaft in einem ausländischen gesetzlichen Altersvorsorgesystem bestand, gewährleistet § 52 Abs. 24c Satz 2, 4 EStG einen umfassenden Vertrauensschutz. Die Nachfolgeregelung des § 10a Abs. 6 EStG n.F. gilt auch für die Zukunft unbegrenzt. In diesen Fällen gewichtet der Gesetzgeber das Vertrauen des [X.] auf den Fortbestand der Rechtslage also höher als sein Interesse an einer sofortigen Wirkung der Umgestaltung der Rechtslage.

(2) Demgegenüber ist im Fall der Klägerin ihr Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand der Rechtslage nur in sehr eingeschränktem Maße schutzwürdig. Entscheidend für den künftigen Wegfall des Anspruchs auf [X.] war in ihrem Fall nicht allein die Gesetzesänderung, sondern die --erst nach der Verkündung der Gesetzesänderung umgesetzte-- freie Entscheidung der Klägerin, ein Beschäftigungsverhältnis im Ausland anzutreten und dadurch ihre Pflichtmitgliedschaft in der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung zugunsten der Anwendbarkeit eines ausländischen Altersversorgungssystems aufzugeben. Der Senat hält es in einem solchen Fall für verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn der Gesetzgeber dem Interesse einer möglichst baldigen Anwendung der --hier zudem durch den [X.] erzwungenen-- gesetzlichen Neuregelung den Vorrang vor dem Vertrauen auf den unveränderten Fortbestand der Rechtslage gibt.

Hinzu kommt, dass die Klägerin nicht gezwungen ist, den von ihr im [X.] abgeschlossenen Altersvorsorgevertrag laufend weiter zu besparen. Sie kann sich vielmehr in jedem Jahr neu und frei entscheiden, in welcher Weise sie Geld für ihre Altersvorsorge anlegen möchte. Vor diesem Hintergrund stellt der Abschluss des Altersvorsorgevertrags im [X.] keine Disposition dar, die die Klägerin auch künftig binden würde.

b) Die gesetzliche Anknüpfung an die Pflichtversicherung in der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung statt an die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht ist sachlich gerechtfertigt und führt insbesondere nicht zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung i.S. des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes.

Mit dieser Anknüpfung trägt der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung, dass die [X.] als Ausgleich für die Kürzungen dienen soll, die im System der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung vorgenommen worden sind (Senatsurteil vom 29. Juli 2015 [X.], [X.], 531, [X.], 18, Rz 20, m.w.N.). Dieses [X.] ist nicht nur sachgerecht, sondern zwingend. Die von der Klägerin begehrte Anknüpfung an die unbeschränkte Einkommensteuerpflicht unabhängig von einer Pflichtversicherung in der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung würde dem Gesetzeszweck nicht gerecht.

3. Im Fall der Klägerin bestehen auch keine unionsrechtlichen Bedenken gegen die Versagung der [X.].

a) [X.] ist nicht Mitglied der [X.]. Die Klägerin kann sich daher nicht unmittelbar auf die Grundfreiheiten berufen, die im Vertrag über die Arbeitsweise der [X.] (A[X.]V) gewährleistet sind. Vielmehr könnte sie nur einen etwaigen Verstoß gegen das Abkommen zwischen der [X.] und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der [X.] Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit vom 21. Juni 1999 --BGBl II 2001, 810-- (Freizügigkeitsabkommen --[X.]--) geltend machen.

Als internationale Übereinkunft i.S. der Art. 216 ff. A[X.]V bindet das [X.] auch die Mitgliedstaaten (Art. 216 Abs. 2 A[X.]V). Daher nimmt der Abkommensinhalt am Vorrang des [X.]srechts gegenüber nationalem Recht teil und bewirkt im Fall einer abkommenswidrigen innerstaatlichen Vorschrift deren Nichtanwendbarkeit (vgl. [X.] vom 7. September 2011 I B 157/10, [X.], 215, Rz 31, m.w.N.). Damit ist das [X.] grundsätzlich bei der Auslegung und Anwendung der §§ 10a, 79 ff. EStG zu beachten (vgl. Senatsurteil vom 9. Mai 2012 [X.], [X.], 223, [X.], 585, Rz 26).

Das [X.] enthält keinen Verweis auf die Grundfreiheiten des A[X.]V, sondern definiert autonom einige Rechte der Staatsangehörigen der [X.] und [X.] (Art. 1 [X.]). Hierzu gehört für Arbeitnehmer u.a. der Anspruch, nicht aus Gründen der Staatsangehörigkeit diskriminiert zu werden (Art. 2 i.V.m. Art. 9 Anhang I [X.]), das Recht auf Einreise (Art. 3 i.V.m. Art. 1 Anhang I [X.]) sowie auf Aufenthalt und Zugang zu einer Erwerbstätigkeit (Art. 4 i.V.m. Art. 6-8 Anhang I [X.]).

Zwar regelt Art. 9 des Anhangs I [X.] in Bezug auf die Freizügigkeit die Gleichbehandlung der Arbeitnehmer, die Staatsangehörige einer Vertragspartei sind, lediglich im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei, also im Streitfall in [X.]. Folglich würde diese Vorschrift nur den Fall einer Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit gegenüber einem Angehörigen einer Vertragspartei im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei erfassen (so [X.]-Urteil [X.] vom 12. November 2009 [X.]/08, [X.]:C:2009:697, Slg. 2009, [X.], Rz 48). Damit wäre das [X.] im Streitfall, der eine Verpflichtung des [X.] einer eigenen Staatsangehörigen gegenüber zum Gegenstand hat, nicht einschlägig. In seiner nachfolgenden Rechtsprechung hat der [X.] aber entschieden, dass der in Art. 9 des Anhangs I [X.] enthaltene Grundsatz der Gleichbehandlung von einem erwerbstätigen Staatsangehörigen einer Vertragspartei, der sein Freizügigkeitsrecht ausgeübt hat, auch gegenüber seinem Herkunftsstaat geltend gemacht werden kann (Urteil [X.] vom 21. September 2016 [X.]/15, [X.]:C:2016:705, Rz 40; ebenso bereits Urteil [X.] vom 15. Dezember 2011 [X.]/10, [X.]:[X.], Slg. 2011, [X.]). Jedoch stellt die seit 2010 in [X.] geltende Rechtslage für die Inanspruchnahme der [X.] keine ungerechtfertigte Einschränkung des Rechts der Klägerin auf Freizügigkeit dar.

Die Wahl einer neuen Arbeitsstelle im Ausland löst den Wechsel von der inländischen gesetzlichen Rentenversicherung in ein ausländisches Altersvorsorgesystem aus und hat dadurch zur Folge, dass künftig keine Ansprüche auf [X.] mehr entstehen. Bei weiter Auslegung mag man darin eine zumindest mittelbare Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 45 Abs. 1 A[X.]V) sehen. Diese Beeinträchtigung ist bei Zugrundelegung des [X.]-Urteils [X.] ([X.]:C:2009:527, Slg. 2009, [X.]) jedoch gerechtfertigt. Der [X.] hat dort die Bindung der "[X.]n Vergünstigung" an die Pflichtmitgliedschaft in der [X.] gesetzlichen Rentenversicherung betont und ausgeführt, Zweck der [X.] sei die Schaffung eines Ausgleichs für die Absenkung des Leistungsniveaus der ([X.]) gesetzlichen Rentenversicherung (vgl. die Darstellung oben 1.b [X.]). Bei ausschließlicher Geltung eines ausländischen Altersvorsorgesystems ist aber weder die vom [X.] betonte Bindung an das [X.] gesetzliche Rentenversicherungssystem noch der angeführte Gesetzeszweck, Leistungskürzungen der [X.] Rentenversicherung auszugleichen, gegeben.

Im Übrigen hätte ein Arbeitnehmer, der in ein ausländisches Altersvorsorgesystem wechselt, nach den Grundsätzen der zitierten [X.]-Entscheidung im Beschäftigungsstaat Anspruch auf eine Zulage zum Ausgleich etwaiger Kürzungen im dortigen gesetzlichen Altersvorsorgesystem, sofern jener Staat Vorschriften über die Gewährung entsprechender Zulagen erlassen haben sollte. Zuständig für die diskriminierungsfreie Gewährung [X.]r Vergünstigungen, die dem Ausgleich von Kürzungen in obligatorischen Altersvorsorgesystemen dienen, ist also der Beschäftigungsstaat, dessen [X.]m Sicherungssystem der Arbeitnehmer angehört, nicht aber der Wohnsitzstaat, aus dessen [X.]m Sicherungssystem der Arbeitnehmer entlassen wurde. Die Klägerin ist, soweit sie ab dem 1. November 2010 weitere Rentenansprüche aufbaut, von den Kürzungen im [X.] Rentenversicherungssystem nicht mehr betroffen. Damit entfällt der --auch vom [X.] zugrunde gelegte-- tragende Grund für die Gewährung einer Zulage, die diese Kürzungen ausgleichen soll.

b) Die [X.] Rechtslage verstößt auch nicht gegen Art. 7 Abs. 2 der Verordnung ([X.]) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der [X.] bzw. den gleichlautenden Art. 7 Abs. 2 der ab dem 16. Juni 2011 anzuwendenden Nachfolgeregelung, der Verordnung ([X.]) Nr. 492/2011 vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der [X.], wobei hier offenbleiben kann, ob dieses [X.]-Sekundärrecht im Verhältnis zur [X.] überhaupt anwendbar ist.

Danach genießt ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten die gleichen [X.]n und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer. Diese Regelung, die für den Fall, den der [X.] in seinem Urteil [X.] ([X.]:C:2009:527, Slg. 2009, [X.]) zu beurteilen hatte, einschlägig war, bezieht sich lediglich auf die Rechtsvorschriften im aufnehmenden Mitgliedstaat. Für den Herkunftsmitgliedstaat des Arbeitnehmers (hier [X.]) folgt daraus nichts.

4. Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2, § 121 Satz 1 [X.]O).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

X R 11/15

24.08.2016

Bundesfinanzhof 10. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 12. Februar 2015, Az: 10 K 10213/13, Urteil

§ 10a Abs 1 S 1 EStG 2009, § 10a Abs 6 EStG 2009, § 79 S 1 EStG 2009, § 79 S 3 EStG 2009, § 96 Abs 1 S 2 EStG 2009, § 52 Abs 24c EStG 2009 vom 08.04.2010, § 52 Abs 63a EStG 2009 vom 08.04.2010, Art 3 Abs 1 GG, Art 45 AEUV, Art 4 EGFreizügAbk CHE, Art 16 Abs 2 EGFreizügAbk CHE, § 163 AO, Art 20 Abs 3 GG, Art 2 Abs 1 GG, Art 7 Abs 2 EWGV 1612/68, Art 7 Abs 2 EUV 492/2011, EStG VZ 2011

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 24.08.2016, Az. X R 11/15 (REWIS RS 2016, 6336)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 6336

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