Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.03.2012, Az. II R 43/11

2. Senat | REWIS RS 2012, 7632

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Gegenstand

(Berechnung des Zehnjahreszeitraums des § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG - Keine entsprechende Anwendung von § 108 Abs. 3 AO)


Leitsatz

1. Der für die Berücksichtigung von Vorerwerben maßgebliche Zehnjahreszeitraum des § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG ist rückwärts zu berechnen. Dabei ist der Tag des letzten Erwerbs mitzuzählen.

2. Bei der Berechnung des Zehnjahreszeitraums des § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG ist § 108 Abs. 3 AO nicht anzuwenden.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) und seine Ehefrau übertrugen ihrem [X.] mit notariell beurkundetem Vertrag vom 31. Dezember 1998 ein bebautes Grundstück unentgeltlich im Wege der vorweggenommenen Erbfolge. Der Wert der Zuwendung des [X.] belief sich auf 97.401 €. In der Folgezeit übertrug der Kläger seinem [X.] ebenfalls unentgeltlich mit notariell beurkundetem [X.] ein bebautes Grundstück mit einem gesondert festgestellten Wert von 92.032 € und mit notariell beurkundetem Vertrag vom 31. Dezember 2008 ein bebautes Grundstück unter Nießbrauchsvorbehalt mit einem gesondert festgestellten Wert von 194.000 €. In den [X.] wurde jeweils die Auflassung beurkundet und die Eintragung der Rechtsänderung in das Grundbuch durch den Kläger bzw. seine Ehefrau bewilligt.

2

Mit Bescheid vom 9. Dezember 2010 setzte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) für die Zuwendung vom 31. Dezember 2008 Schenkungsteuer in Höhe von 20.889 € fest, wobei [X.] des § 14 Abs. 1 Satz 1 des [X.] ([X.]) mit einem Wert von insgesamt 189.433 € berücksichtigt wurden. Das [X.] ging davon aus, die Zuwendung vom 31. Dezember 1998 sei innerhalb des [X.] des § 14 Abs. 1 Satz 1 [X.] erfolgt und damit bei der Berechnung der Steuer für den Letzterwerb einzubeziehen. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.

3

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage mit der Begründung statt, die Schenkung vom 31. Dezember 1998 sei nicht als Vorerwerb zu berücksichtigen, da sie außerhalb des [X.] des § 14 Abs. 1 Satz 1 [X.] erfolgt sei. Dieser sei so zu bestimmen, dass die natürliche Länge von zehn Jahren nicht überschritten werden dürfe. Wegen der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung und des Eingriffscharakters jeder Steuer sei im Zweifel die den Steuerpflichtigen weniger belastende Auslegungsalternative der Besteuerung zugrunde zu legen. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2012, 260 veröffentlicht.

4

Mit der Revision rügt das [X.] die Verletzung des § 14 Abs. 1 Satz 1 [X.]. Bei dem Zehnjahreszeitraum des § 14 Abs. 1 Satz 1 [X.] handele es sich um eine gesetzliche Frist. Diese berechne sich gemäß § 108 Abs. 1 der Abgabenordnung ([X.]) nach den §§ 187 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), die bei "[X.]" analog anwendbar seien.

5

Das [X.] beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat im Ergebnis zu Recht entschieden, dass die Zuwendung vom 31. Dezember 1998 nicht als Vorerwerb bei der Berechnung der Schenkungsteuer für die Zuwendung vom 31. Dezember 2008 zu berücksichtigen ist. Der [X.] des § 14 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist entgegen der Auffassung des [X.] nicht nach der natürlichen Länge von zehn Jahren, sondern nach § 108 Abs. 1 [X.] i.V.m. § 187 Abs. 2, § 188 Abs. 2 Alternative 2 [X.] zu bestimmen.

8

1. Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 [X.] werden mehrere innerhalb von zehn Jahren von derselben Person anfallende Vermögensvorteile in der Weise zusammengerechnet, dass dem letzten Erwerb die früheren Erwerbe nach ihrem früheren Wert zugerechnet werden. Durch diese Regelung soll gewährleistet werden, dass die Freibeträge innerhalb des zehnjährigen Zusammenrechnungszeitraums nur einmal angewendet werden und sich für mehrere Erwerbe gegenüber einer einheitlichen Zuwendung in gleicher Höhe kein Progressionsvorteil ergibt. Die einzelnen Erwerbe bleiben jedoch selbständige steuerpflichtige Vorgänge, die jeweils für sich der Steuer unterliegen. Dabei ordnet § 14 Abs. 1 [X.] für den jeweils letzten Erwerb innerhalb des [X.] eine besondere Steuerberechnung an (Urteil des [X.] --BFH-- vom 3. November 2010 [X.]/09, [X.], 233, [X.], 123).

9

2. Der [X.] des § 14 Abs. 1 Satz 1 [X.] berechnet sich nach § 108 Abs. 1 [X.] i.V.m. § 187 Abs. 2, § 188 Abs. 2 Alternative 2 [X.].

a) Nach § 108 Abs. 1 [X.] gelten für die Berechnung von Fristen und für die Bestimmung von Terminen die §§ 187 bis 193 [X.] entsprechend, soweit nicht durch § 108 Abs. 2 bis 5 [X.] etwas anderes bestimmt ist. § 108 [X.] gilt für die Berechnung aller verfahrensrechtlichen und materiellen Fristen im Steuerrecht (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 108 [X.] Rz 10; [X.]/Koenig/[X.], Abgabenordnung, 2. Aufl., § 108 Rz 3; [X.] in [X.], [X.] § 108 Rz 1). Bei dem [X.] des § 14 Abs. 1 Satz 1 [X.] handelt es sich um eine Frist. Denn "Frist" i.S. des § 108 Abs. 1 [X.] ist ein abgegrenzter, bestimmter oder jedenfalls bestimmbarer Zeitraum (vgl. BFH-Urteil vom 14. Oktober 2003 [X.], [X.], 26, [X.] 2003, 898).

b) Der [X.] des § 14 Abs. 1 Satz 1 [X.] ist ausgehend vom letzten Erwerb rückwärts zu berechnen (vgl. [X.] in [X.]/[X.]/[X.], Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, [X.], 3. Aufl., § 14 [X.] Rz 10; [X.], Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 15. Aufl., § 14 Rz 8; [X.] in Troll/[X.]/ [X.], [X.], § 14 Rz 7; [X.] in [X.]/[X.], § 14 [X.] Rz 59; [X.] in [X.][X.], § 14 [X.] Rz 6). § 14 [X.] regelt die Berechnung der Steuer für den letzten Erwerb. Dieser Erwerb ist Anlass und Ausgangspunkt für die Fristberechnung.

Auf rückwärts zu berechnende Fristen sind die §§ 187 ff. [X.] entsprechend anwendbar (vgl. BFH-Urteil vom 6. Juni 2001 II R 56/00, [X.], 423, [X.] 2002, 96; Urteil des [X.] vom 22. März 1995  [X.], [X.], 67; [X.] in [X.], [X.], 2009, § 186 Rz 7; [X.]/Ellenberger, [X.], 71. Aufl., § 187 Rz 4; MünchKomm[X.]/[X.], 5. Aufl., § 187 Rz 4; [X.] in [X.], [X.], 17. Aufl., § 6 Rz 76; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], § 15 Rz 206; [X.] in Widmann/[X.], Umwandlungsrecht, § 15 [X.] Rz 204; [X.], Neue Juristische Wochenschrift 1999, 1448, 1449).

c) Maßgebend für die Berechnung der Frist des § 14 Abs. 1 Satz 1 [X.] sind § 108 Abs. 1 [X.] i.V.m. § 187 Abs. 2, § 188 Abs. 2 Alternative 2 [X.].

aa) § 187 [X.] unterscheidet für den Fristbeginn, von der Ausnahmeregelung für die Berechnung des Lebensalters abgesehen, zwei Fallgruppen, die nicht im Verhältnis von Regel und Ausnahme zueinander stehen. In § 187 Abs. 1 [X.] sind die Fälle geregelt, in denen der Fristbeginn an einen im Verlauf eines Tages liegenden Anfangspunkt anknüpft, d.h. die Fälle, in denen für den Anfang einer Frist ein Ereignis oder ein in den Lauf eines Tages fallender Zeitpunkt entscheidend ist. § 187 Abs. 2 [X.] betrifft die übrigen Fälle, d.h. die Fälle, in denen der Beginn des Tages für den Anfang einer Frist maßgebend ist.

Wie danach die Frist zu berechnen ist, ist mithin entscheidend der die Frist im Einzelfall bestimmenden Vorschrift zu entnehmen. Diese Vorschrift ist daraufhin zu prüfen, ob sie den Fristbeginn an ein bestimmtes Ereignis oder an einen in den Lauf eines Tages fallenden Zeitpunkt knüpft oder ob sie den Fristenlauf in anderer Weise regelt (Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des [X.] vom 6. Juli 1972 GmS-OGB 2/71, BVerwGE 40, 363).

bb) § 14 [X.] regelt die Besteuerung des [X.], wenn der Erwerber mehrere Vermögensvorteile "innerhalb von zehn Jahren" erlangt hat. Dieser Zeitraum ist entsprechend § 187 Abs. 2 und § 188 Abs. 2 Alternative 2 [X.] zu berechnen. Der Letzterwerb ist nach dem Sinn und Zweck des § 14 Abs. 1 Satz 1 [X.] kein Ereignis i.S. des § 187 Abs. 1 [X.]. Die Einstufung als Ereignis würde dazu führen, den Tag des [X.] bei der Fristberechnung außer Betracht zu lassen. Dem würde aber widersprechen, dass die Anwendung des § 14 Abs. 1 Satz 1 [X.] voraussetzt, dass Letzterwerb und Vorerwerb "innerhalb" des [X.] liegen. Deshalb umfasst die Frist des § 14 Abs. 1 Satz 1 [X.] den [X.] des letzten Erwerbs (vgl. auch [X.], a.a.[X.], § 14 Rz 8). Bei der Berechnung des [X.] kommt es nicht auf die genaue Uhrzeit der Erwerbe an; abzustellen ist vielmehr auf volle Kalendertage. Der [X.] beginnt demnach --wegen der [X.] mit dem Ende des Tages, an dem der letzte Erwerb erfolgt ist.

cc) Das Ende des [X.] bestimmt sich analog § 188 Abs. 2 Alternative 2 [X.]. Danach endet die Frist in den Fällen des § 187 Abs. 2 [X.] mit dem Beginn desjenigen Tages des letzten Monats der Frist, welcher dem Tage nachfolgt, der durch seine Benennung oder seine Zahl dem [X.] der Frist entspricht.

dd) Fällt bei dieser Berechnung das Ende des [X.] auf einen Sonntag, einen gesetzlichen Feiertag (z.B. den 1. Januar) oder einen Sonnabend, findet § 108 Abs. 3 [X.] keine Anwendung. Diese Vorschrift gilt zwar sowohl für Fristen im engeren Sinne (eigentliche Fristen) zur Vornahme einer Parteihandlung oder Vorbereitung auf einen Termin als auch für uneigentliche Fristen, für die allein der Ablauf einer bestimmten Zeitspanne entscheidend ist und die den prozessrechtlichen Normen für Fristen unterstehen (vgl. BFH-Urteil in [X.], 26, [X.] 2003, 898, zur Dreitagesfrist des § 122 Abs. 2 Nr. 1 [X.]).

Eine Anwendung des § 108 Abs. 3 [X.] scheidet jedoch nach dem Sinn und Zweck des § 14 [X.] aus. Danach sollen alle Vermögensvorteile innerhalb von zehn Jahren für Zwecke der Berechnung der Schenkungsteuer für den Letzterwerb zusammengerechnet werden. Dem widerspräche es, einen früheren Erwerb außerhalb des [X.] nur deshalb zu berücksichtigen, weil die Frist des § 14 Abs. 1 Satz 1 [X.] an einem Sonntag, einem gesetzlichen Feiertag oder einem Sonnabend endet und daher bei entsprechender Anwendung der Regelung des § 108 Abs. 3 [X.] --wegen der [X.] auf den Beginn des vorangegangenen Werktages zu verlängern wäre.

d) Im Streitfall ist der Wert des Erwerbs vom 31. Dezember 1998 bei der Berechnung der Schenkungsteuer für den Erwerb vom 31. Dezember 2008 nicht zu berücksichtigen. Der erste Erwerb ist am 31. Dezember 1998 und der letzte Erwerb am 31. Dezember 2008 erfolgt. Eine Grundstücksschenkung ist bereits dann ausgeführt, wenn --wie im Streitfall jeweils am 31. Dezember 1998 bzw. 2008 geschehen-- die Auflassung beurkundet worden ist und der [X.] die Eintragung der Rechtsänderung in das Grundbuch bewilligt hat (BFH-Urteil vom 2. Februar 2005 [X.], [X.], 438, [X.] 2005, 312, m.w.N.). Die Frist des § 14 Abs. 1 Satz 1 [X.] begann damit am 31. Dezember 2008 um 24:00 Uhr zu laufen. Sie endete am 1. Januar 1999 um 00:00 Uhr und damit vor dem Ersterwerb.

Meta

II R 43/11

28.03.2012

Bundesfinanzhof 2. Senat

Urteil

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 16. Juni 2011, Az: 3 K 136/11, Gerichtsbescheid

§ 14 Abs 1 S 1 ErbStG 1997, § 108 Abs 1 AO, § 108 Abs 3 AO, § 187 BGB, § 188 Abs 2 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.03.2012, Az. II R 43/11 (REWIS RS 2012, 7632)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 7632

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 StR 405/14

1 StR 405/14

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