Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.03.2004, Az. 4 StR 377/03

4. Strafsenat | REWIS RS 2004, 4255

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[X.] DES VOLKESUrteil4 [X.]vom4. März 2004in der [X.] versuchten Mordes u.a.- 2 -Der 4. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 4. März 2004,an der teilgenommen haben:Vorsitzende [X.]in am [X.]. [X.],[X.] am [X.]. Dr. [X.],[X.],[X.]in am [X.]gerichtshof[X.] am [X.]. [X.]als beisitzende [X.],[X.] als Vertreter der [X.]schaft,Rechtsanwalt als Verteidiger,Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,für Recht erkannt:- 3 -1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil [X.] [X.] vom 3. April 2003 mit [X.] aufgehoben; jedoch bleiben die Fest-stellungen zur Vorgeschichte und zum äußeren Tatge-schehen und zur Schuldfähigkeit des Angeklagten auf-rechterhalten.2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer [X.] und Entscheidung, auch über die Kosten [X.], an eine andere als Schwurgericht zustän-dige Strafkammer des [X.] Die weiter gehende Revision wird verworfen.Von Rechts wegenGründe:Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in [X.] und mit gefährlichem Eingriff in [X.] zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt sowie [X.] nach §§ 69, 69 a StGB angeordnet. Mit seiner Revision rügt der Ange-klagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hatmit der Sachbeschwerde teilweise Erfolg; im übrigen ist es unbegründet [X.] des § 349 Abs. 2 StPO.- 4 -1. Nach den Urteilsfeststellungen verlief die im Jahre 1981 zwischendem Angeklagten und dem späteren Tatopfer geschlossene Ehe zunehmendproblematisch, weil der Angeklagte größere Geldbeträge verspielte und seineEhefrau gelegentlich schlug. Anfang 2002 verstärkten sich die Spannungen,weil die Ehefrau nicht bereit war, erneute Spielschulden des Angeklagten, ge-gebenenfalls durch den Verkauf einer ihr gehörenden Wohnung in der [X.],zu begleichen. Für den 21. Februar 2002 hatte sie einen Termin bei einemRechtsanwalt vereinbart, bei dem über eine Scheidung gesprochen werdensollte.Der Angeklagte war verärgert, daß seine Ehefrau ernsthaft die Trennungbetrieb. In der Nacht vom 19. Februar zum 20. Februar 2002 schlug er seinerEhefrau an der gemeinsamen Arbeitsstätte während eines Streits mehrfach [X.], so daß ihre Lippe blutete. Während der folgenden Nachtschicht be-schimpfte er sie erneut lautstark; außerdem trank er drei bis vier Flaschen Bier.Als er nach dem Ende der Arbeitsschicht um 6.00 Uhr mit dem gemeinsamenKraftfahrzeug, einem [X.], auf dem Betriebsgelände in [X.] fuhr, sah er seine Ehefrau, die auf dem Weg zum Bus die von ihm be-nutzte Fahrbahn in diagonaler Richtung überqueren wollte und ihn dabei nichtwahrnahm.[X.] entschloß sich der leicht alkoholisierte Angeklagte - seine Blut-alkoholkonzentration betrug um 7.10 Uhr 1,05 › - seine Ehefrau für ihr [X.] zu bestrafen und sie mit dem Auto anzufahren. Er erkannte, daß dies zutödlichen Verletzungen führen könnte, nahm das jedoch billigend in Kauf, [X.] nicht bereit war, die [X.] seiner Frau hinzunehmen. Dem [X.] war bewußt, daß seine Ehefrau nicht mit einem Angriff rechnete. Er- 5 -beschleunigte das Fahrzeug stark und fuhr mit aufheulendem Motor von hintenauf seine Ehefrau zu. Mit einer Geschwindigkeit von mindestens 35 km/h trafdas Fahrzeug auf das Opfer, das über die Motorhaube auf die Fahrbahn [X.] wurde. Die Frau erlitt unter anderem einen Verrenkungsbruch des lin-ken Oberarms, der die Einsetzung einer Endoprothese des [X.]rgelenkserforderlich machte, und eine vordere Beckenringfraktur; sie war bis [X.] arbeitsunfähig. Nach der Kollision hielt der Angeklagte an. Er begab [X.] seiner am Boden liegenden Ehefrau, die bereits von hilfsbereiten [X.] umringt war, und sagte zu ihr: "[X.], das hast Du jetzt davon";anschließend trank er noch etwas Bier. Inzwischen haben sich der in Untersu-chungshaft befindliche Angeklagte und seine Ehefrau, die ihm die Tat verzie-hen hat, wieder ausgesöhnt.2. Diese Feststellungen tragen die Verurteilung wegen vorsätzlichengefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§§ 315 b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3,315 Abs. 3 Nr. 1 a, 2 StGB) nicht, denn sie belegen nicht, daß der Angeklagtedas Kraftfahrzeug im öffentlichen Verkehrsraum geführt hat.Das Tatgeschehen ereignete sich auf einer Straße, die auf einem [X.] gelegen ist. Die Lichtbilder und die Übersichtsskizze, auf die inden Urteilsgründen wegen der näheren Einzelheiten des Tatorts Bezug ge-nommen wird, lassen erkennen, daß es sich um ein weitläufiges Gelände [X.], das über eine Einfahrt zu erreichen ist. Wie sich aus den Urteilsgründenergibt, befindet sich an dieser Einfahrt [X.], welches von einem Pförtner [X.] wird. Feststellungen dazu, welchem Personenkreis die Benutzung [X.] gestattet ist, enthält das Urteil nicht. Daher ist nicht belegt,- 6 -daß der Angeklagte, als er seine Ehefrau mit dem Kraftfahrzeug vorsätzlichanfuhr, einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr vorgenommen hat.Der Begriff des Straßenverkehrs im Sinne des § 315 b StGB, der demdes [X.], der [X.] und der [X.] entspricht [X.] in [X.] 315 b Rdn. 6), bezieht sich auf Vorgänge im öffentlichen Verkehrsraum. [X.] Rechtsprechung ist ein Verkehrsraum dann öffentlich, wenn er ent-weder ausdrücklich oder mit stillschweigender Duldung des Verfügungsbe-rechtigten für jedermann oder aber zumindest für eine allgemein bestimmtegrößere Personengruppe zur Benutzung zugelassen ist und auch so benutztwird (vgl. [X.]St 16, 7, 9 f.; [X.], 414, 415 f.; [X.]R StGB § 315 bAbs. 1 Straßenverkehr 1; vgl. auch [X.], Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl.§ 1 [X.] Rdn. 13 bis 16 m.w.[X.]; [X.]/[X.] 51. Aufl. § 315 b Rdn. 3m.w.[X.]). [X.] werden demnach nicht nur Verkehrsflächen, die nach [X.] des [X.] und der Länder dem allgemeinen Straßenverkehr ge-widmet sind, sondern auch solche, deren Benutzung durch eine nach allgemei-nen Merkmalen bestimmte größere Personengruppe ohne Rücksicht auf [X.] am [X.] oder auf eine verwaltungsrechtlicheWidmung durch den Berechtigten ausdrücklich oder faktisch zugelassen wird.Dabei nimmt es der Verkehrsfläche nicht den Charakter der Öffentlichkeit,wenn für die Zufahrt mit Fahrzeugen eine Parkerlaubnis oder für die [X.] Entgelt verlangt wird [X.] aaO Rdn. 6, 7 m.w.[X.]).Für die Beurteilung, ob eine auf einem Betriebsgelände gelegene [X.] dem öffentlichen Verkehrsraum zuzurechnen ist, kommt den äuße-ren Gegebenheiten, die einen Rückschluß auf das Vorhandensein und denUmfang der Gestattung bzw. Duldung des allgemeinen Verkehrs durch den- 7 -Verfügungsberechtigten zulassen, maßgebliche Bedeutung zu. So kann [X.] aus einer entsprechenden Beschilderung als "Privat-/Werksgelände", [X.] und einer Zugangsbeschränkung in Gestalt [X.] ergeben, daß der Verfügungsberechtigte die Allgemeinheitvon der Benutzung des Geländes ausschließen will (vgl. [X.]/[X.],Öffentlicher Verkehr auf Betriebs- und Werksgelände, [X.] 1997, 533, 534 f.;537/538). Wenn aufgrund solcher Maßnahmen nur einem beschränkten Perso-nenkreis wie den Betriebsangehörigen (vgl. [X.], 458 -Parkplatz einer Fabrik -), wie mit einem besonderen Ausweis ausgestattetenPersonen (vgl. [X.] NJW 1963, 152 - städtischer Großmarkt -) oder wie [X.] zugelassenen Lieferanten und Abholern (vgl. [X.] - Produktionsstätte für Baustoffe -), Zutritt zu dem Betriebsgelände ge-währt wird, handelt es sich um eine nicht öffentliche Verkehrsfläche. In [X.] ist der Kreis der Berechtigten so eng umschrieben, daß er "deutlich auseiner unbestimmten Vielheit möglicher Benutzer ausgesondert ist" (vgl. [X.]St16, 7, 11).Ist dagegen ein Betriebsgelände der Allgemeinheit, d.h. einem nichtdurch persönliche Beziehungen miteinander verbundenen Personenkreis, zu-gänglich, sind die darauf befindlichen Verkehrsflächen öffentlicher Verkehrs-raum im Sinne des § 315 b StGB.Da das [X.] insoweit keine Feststellungen getroffen hat, hält [X.] des Angeklagten wegen eines gefährlichen Eingriffs in den Stra-ßenverkehr revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.- 8 -3. Der aufgezeigte Mangel zieht die Aufhebung der Verurteilungen we-gen tateinheitlich begangenen versuchten Mordes und gefährlicher Körperver-letzung nach sich (vgl. [X.]R StPO § 353 Aufhebung 1). Die [X.] Vorgeschichte, zum äußeren Tatgeschehen und zur Schuldfähigkeit, dievon dem zur [X.] führenden Rechtsfehler nicht betroffen sind,bleiben aufrechterhalten; ergänzende Feststellungen, die dazu nicht im [X.] stehen, sind zulässig.4. Für die erneute Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:a) Das vom [X.] festgestellte Tatmotiv, wonach der Angeklagteseine Ehefrau für ihre ernsthafte Trennungs- und Scheidungsabsicht "abstra-fen" wollte, steht - entgegen der Ansicht des [X.] und [X.] - unter den gegebenen Umständen einem bedingten [X.] nicht notwendig entgegen (vgl. [X.] NStZ-RR 2003, 39, 40).Sollte der neue Tatrichter wiederum zur Annahme eines versuchten [X.] kommen, wird er aufgrund einer Gesamtwürdigung aller äußerenund inneren für die Handlungsantriebe des Angeklagten maßgeblichen Fakto-ren (vgl. [X.]St 35, 116, 127; [X.] StV 1996, 211, 212) zu prüfen haben, obdas Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe gegeben ist. Dabei wird er zubedenken haben, daß es stets besonders sorgfältiger Prüfung bedarf, wennsich eine Tat plötzlich aus einer Situation heraus entwickelt (vgl. [X.]R [X.] 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 11 m.w.[X.]) und/oder vor dem Hintergrundeiner gescheiterten Partnerbeziehung begangen wurde (vgl. [X.]/[X.] § 211 Rdn. 11 a m.w.[X.]). Jedenfalls ist es nicht ohne weiteres nachvoll-ziehbar, wenn einerseits die Handlungsweise des Angeklagten in Anbetracht- 9 -der Vorgeschichte als "normalpsychologisch nachvollziehbar" [UA 46] bezeich-net, andererseits das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe angenommenwird.Dagegen erscheint es eher fernliegend, daß der Angeklagte, der [X.] in [X.] lebt und mittlerweile [X.] Staatsangehöriger ist, einemögliche besondere Verwerflichkeit seiner Motive deswegen nicht erkannt ha-ben könnte, weil er - wie die Revision meint - archaischen Wertvorstellungeneines Teils der [X.] über Ehe und Familie verhaftet sei (vgl.auch [X.]R StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 29, 41; [X.], [X.] 24. April 2001 - 1 [X.]/01 - und Urteil vom 28. Januar 2004 - 2 [X.]/03).b) Die Annahme, der Angeklagte habe die Körperverletzung mittels ei-nes hinterlistigen Überfalls (§ 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB) begangen, begegnetdurchgreifenden rechtlichen Bedenken. Hinterlist setzt voraus, daß der Täterplanmäßig in einer auf Verdeckung seiner wahren Absicht berechneten [X.], um dadurch dem Gegner die Abwehr des nicht erwarteten Angriffs zuerschweren und die Vorbereitung auf die Verteidigung nach Möglichkeit [X.] (vgl. [X.]R StGB § 223 a Abs. 1 Hinterlist 1 m.w.[X.]; [X.], [X.] 15. Juli 2003 - 1 StR 249/03); es reicht nicht aus, wenn der Täter für [X.] lediglich das Überraschungsmoment [X.] 10 -c) Für den Fall, daß aufgrund weiterer Feststellungen eine Verurteilungwegen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Betracht kommt,wird der neue Tatrichter zu beachten haben, daß § 315 b Abs. 3 StGB lediglichhinsichtlich der Qualifikationsmerkmale, nicht jedoch bezüglich des Strafrah-mens auf § 315 Abs. 3 StGB verweist.[X.] [X.] [X.]Nachschlagewerk: ja[X.]St: jaVeröffentlichung: jaStGB § 315 b Abs. 1Auf einem Werksgelände findet kein Straßenverkehr im Sinne von § 315 [X.] statt, wenn der Zutritt lediglich Werksangehörigen und Personen mit indi-viduell erteilter Erlaubnis möglich ist (im Anschluß an [X.]St 16, 7 f.).[X.], Urteil vom 4. März 2004 - 4 [X.] - LG [X.] nur zu 2.

Meta

4 StR 377/03

04.03.2004

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 04.03.2004, Az. 4 StR 377/03 (REWIS RS 2004, 4255)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 4255

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