Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.01.2023, Az. 3 StR 343/22

3. Strafsenat | REWIS RS 2023, 487

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Gegenstand

Einziehung bei ganz kurzzeitigem „transitorischem" Besitz


Tenor

Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 25. Mai 2022 im Ausspruch über die Einziehung des Wertes von Taterträgen dahin geändert, dass gegen die Angeklagte die Einziehung eines Geldbetrages in Höhe von 2.050 € als Gesamtschuldnerin angeordnet wird.

Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels und die der Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagte wegen Betrugs in zwei Fällen und Beihilfe zum Betrug in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Deren Vollstreckung hat es zur Bewährung ausgesetzt. Ferner hat die [X.] gegen die Angeklagte die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 79.000 € als Gesamtschuldnerin angeordnet. Mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision wendet sich die Angeklagte ausschließlich gegen die Höhe der angeordneten Wertersatzeinziehung; sie macht geltend, es hätte lediglich die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 2.050 € angeordnet werden dürfen. Das Rechtsmittel hat in vollem Umfang Erfolg.

I.

2

Nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen beteiligte sich die Angeklagte an den Aktivitäten einer Gruppierung, die nach dem modus operandi „Falscher Polizeibeamter“ Betrugstaten zum Nachteil älterer Menschen verübte, indem diese von Personen angerufen wurden, die sich als Polizeibeamte ausgaben und die Opfer unter Vorspiegelung der Gefahr einer bevorstehenden Straftat zu ihrem Nachteil veranlassten, Bargeld und Wertgegenstände zum Zwecke der „Sicherstellung durch die Polizei“ bereitzulegen oder an für die Gruppierung als „Abholer“ tätige Personen zu übergeben (vgl. näher zu diesem Deliktsphänomen [X.], Beschluss vom 1. November 2022 - 3 StR 12/22, juris Rn. 12; Urteile vom 1. Juni 2022 - 1 [X.], juris Rn. 4 ff.; vom 29. Juli 2021 - 1 StR 83/21, [X.], 95; vom 29. April 2021 - 5 [X.], juris Rn. 2 ff.; vom 15. Juli 2020 - 2 StR 46/20, [X.], 221; Beschluss vom 14. April 2020 - 5 StR 37/20, [X.]St 64, 314 Rn. 3).

3

Die Angeklagte wurde unter Beteiligung einer Mitangeklagten in vier Fällen als „Abholerin“ tätig. Die weitere Tatbeteiligte war von Hintermännern der Gruppierung als „Abholerin“ angeworben worden, hatte jedoch Hemmungen, sich selbst unmittelbar zu den Wohnungen der Geschädigten zu begeben und dort Geld oder Wertgegenstände an sich zu nehmen. Sie gewann daher ohne Kenntnis der Hintermänner und absprachewidrig die mit ihr befreundete und in das gesamte Geschehen eingeweihte Angeklagte dafür, an „Abholungen“ mitzuwirken. Die beiden fuhren jeweils mit dem Pkw der Mitangeklagten zu den Anschriften der Opfer. Dort begab sich die Angeklagte zu den Wohnungen der Angerufenen, während ihre Freundin im Auto verblieb. In zwei Fällen ließ sich die Angeklagte Bargeld beziehungsweise Schmuck von den Opfern unmittelbar übergeben, wobei sie bewusst den Eindruck vermittelte, die von dem Anrufer angekündigte Polizeibeamtin zu sein. Insofern hat das [X.] die Angeklagte jeweils des Betrugs gemäß § 263 Abs. 1 und 3 Satz 2 Nr. 1 Alternative 1 StGB schuldig gesprochen. In zwei weiteren Fällen beschränkte sich ihre Tätigkeit darauf, von den Angerufenen bereits außerhalb ihrer Wohnungen zur Abholung bereitgelegte Behältnisse mit Vermögenswerten aufzunehmen, ohne dass es zu einem persönlichen Kontakt mit den Geschädigten kam. Diese Taten hat das [X.] als Beihilfe zum Betrug gemäß § 263 Abs. 1 und 3 Satz 2 Nr. 1 Alternative 1, § 27 Abs. 1 StGB gewertet. Bei allen Taten begab sich die Angeklagte nach Erlangung der Vermögensgegenstände zurück zum Fahrzeug der in der Nähe wartenden Mitangeklagten und übergab dieser dort sogleich das Geld - insgesamt 79.000 € - beziehungsweise den Schmuck. Ihre Freundin lieferte die [X.] später an andere Tatbeteiligte („Logistiker“) ab, ohne dass die Angeklagte weiter an dem Geschehen beteiligt war. Für ihre Mitwirkung erhielt die Angeklagte von ihrer Freundin später einen Anteil des dieser aus den erlangten Vermögenswerten gezahlten [X.]s, und zwar insgesamt 2.050 €.

II.

4

Die wirksam auf die Höhe des [X.] beschränkte Revision (vgl. [X.], Beschluss vom 21. Dezember 2021 - 3 StR 381/21, NStZ-RR 2022, 109 mwN; Urteile vom 10. Februar 2021 - 3 [X.], juris Rn. 10; vom 6. März 2019 - 5 StR 543/18, juris Rn. 8; [X.]/[X.], [X.], 65. Aufl., § 344 Rn. 7 i.V.m. § 318 Rn. 22a) ist vollumfänglich begründet. Erlangt im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB hat die Angeklagte allein den an sie ausgekehrten Anteil des [X.]s, nicht aber die von ihr bei den Geschädigten abgeholten Vermögenswerte.

5

1. Ein Vermögensgegenstand oder sonstiger wirtschaftlicher Vorteil ist im Sinne des § 73 Abs. 1 Alternative 1 StGB „durch“ eine rechtswidrige Tat als Tatertrag erlangt, wenn er dem Täter oder Teilnehmer unmittelbar aus der Verwirklichung des Tatbestandes in irgendeiner Phase des [X.] derart zugeflossen ist, dass er seiner faktischen Verfügungsgewalt unterliegt. Auf zivilrechtliche Besitz- oder Eigentumsverhältnisse kommt es dabei nicht an. Eine solche Verfügungsgewalt ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Tatbeteiligte im Sinne eines rein tatsächlichen Herrschaftsverhältnisses ungehinderten Zugriff auf den betreffenden Vermögensgegenstand nehmen kann. Bei mehreren Beteiligten genügt zumindest eine tatsächliche Mitverfügungsmacht über den Vermögensgegenstand dergestalt, dass die Möglichkeit eines ungehinderten Zugriffs auf diesen besteht. Für die Bestimmung des [X.] im Sinne von § 73 Abs. 1 StGB kommt es allein auf eine tatsächliche Betrachtung an; wertende Gesichtspunkte sind nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers nicht zu berücksichtigen. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Beteiligte eine zunächst gewonnene (Mit-)Verfügungsmacht später aufgegeben hat (st. Rspr.; s. nur [X.], Urteil vom 15. Juni 2022 - 3 StR 295/21, NJW 2022, 3092 Rn. 11; Beschluss vom 21. Dezember 2021 - 3 StR 381/21, NStZ-RR 2022, 109 f. mwN; Urteile vom 29. April 2021 - 5 [X.], juris Rn. 16; vom 15. Juli 2020 - 2 StR 46/20, [X.], 221 Rn. 14; vom 9. Oktober 2019 - 1 StR 170/19, [X.]R StGB § 73 Erlangtes 30 Rn. 11).

6

2. Hieran gemessen erlangte die Angeklagte an den ertrogenen Vermögenswerten keine faktische Verfügungsgewalt; vielmehr hatte sie allein deren ganz kurzzeitigen „transitorischen“ Besitz inne. Denn sie transportierte lediglich als Botin die an sich genommenen Behältnisse mit dem Geld beziehungsweise Schmuck weisungsgemäß auf dem jeweils kurzen Weg von der Wohnung der Tatopfer zum Fahrzeug der Mitangeklagten, wo sie die Taschen sogleich ihrer Freundin aushändigte, die diese später an einen „Logistiker“ ablieferte. Die Angeklagte unterstand während der Erbringung ihres [X.] der Einflussnahmemöglichkeit der im Auto auf sie wartenden Mitangeklagten, die nach der zwischen beiden getroffenen Absprache die gesamte [X.] erhalten und einem „Logistiker“ übergeben sollte.

7

Dieser nur ganz kurzzeitige Besitz zum Zwecke der Weitergabe ohne faktische Verfügungsmacht (transitorischer Besitz) begründete noch keinen rechtserheblichen Vermögenszufluss bei der Angeklagten (vgl. [X.], Urteile vom 1. Juni 2022 - 1 [X.], NStZ-RR 2022, 339; vom 9. Oktober 2019 - 1 StR 170/19, [X.]R StGB § 73 Erlangtes 30 Rn. 12; Beschluss vom 24. Oktober 2018 - 1 StR 358/18, [X.], 81 Rn. 2; Urteile vom 13. September 2018 - 4 [X.], NStZ-RR 2019, 14, 15 f.; vom 7. Juni 2018 - 4 StR 63/18, [X.]R StGB § 73c Abs. 1 Erlangtes 1 Rn. 12, 14).

8

3. Den [X.] von 2.050 € hat die Angeklagte „für“ die Taten erlangt, wegen derer sie verurteilt worden ist. Damit unterliegt (allein) ein Betrag in dieser Höhe gemäß § 73 Abs. 1 Alternative 2, § 73c Satz 1 StGB der zwingenden Einziehung des Wertes von Taterträgen. Der Senat ändert daher die Einziehungsentscheidung in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 [X.] wie aus der Beschlussformel ersichtlich.

9

Da es sich bei dem von der Angeklagten vereinnahmten [X.] um einen Teil der betrügerisch erlangten Vermögenswerte handelte, ist die Anordnung einer gesamtschuldnerischen Haftung geboten (vgl. [X.], Beschlüsse vom 29. Juni 2021 - 3 [X.], juris Rn. 4; vom 12. Januar 2021 - 3 [X.], wistra 2021, 238 Rn. 2; vom 10. November 2020 - 3 StR 308/20, juris Rn. 3; Urteil vom 7. Juni 2018 - 4 StR 63/18, juris Rn. 16).

Schäfer     

  

Berg     

  

Erbguth

  

Kreicker     

  

Voigt     

  

Meta

3 StR 343/22

10.01.2023

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Kleve, 25. Mai 2022, Az: 110 KLs 16/22

§ 73 Abs 1 Alt 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.01.2023, Az. 3 StR 343/22 (REWIS RS 2023, 487)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 487

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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