Bundessozialgericht, Beschluss vom 02.03.2010, Az. B 5 R 440/09 B

5. Senat | REWIS RS 2010, 8815

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - unterbliebene Ladung zur mündlichen Verhandlung - rechtliches Gehör


Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des [X.] vom 27. Juli 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gewähren muss.

2

Das [X.] [X.] ([X.]) hat am [X.] einen Termin zur mündlichen Verhandlung durchgeführt, zu dem es den (unvertretenen) Kläger versehentlich nicht geladen hatte. Mit Urteil vom selben Tage hat es die klageabweisende Entscheidung des [X.] (SG) vom [X.] bestätigt und die Berufung in Abwesenheit des [X.] zurückgewiesen. Gegen die Nichtzulassung der Revision hat der Kläger beim [X.] (BSG) Beschwerde eingelegt und Verfahrensfehler iS von § 160 Abs 2 [X.] [X.]gesetz ([X.]) geltend gemacht.

3

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig und begründet. Das [X.] hat den Anspruch des [X.] auf ordnungsgemäße Mitteilung des Termins zur mündlichen Verhandlung (§§ 153 Abs 1, 110 Abs 1 Satz 1, 63 Abs 1 Satz 2 [X.]) und auf rechtliches Gehör (§ 62 [X.], Art 103 Abs 1 Grundgesetz ) verletzt. Darüber hinaus war er "in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten" (absoluter Revisionsgrund: § 202 [X.] iVm § 547 Ziff 4 Zivilprozessordnung ). Aufgrund dieser Verfahrensmängel ist das angefochtene Urteil gemäß § 160a Abs 5 iVm § 160 Abs 2 [X.] [X.] aufzuheben und die Sache an das [X.] zurückzuverweisen.

4

Die Beschwerde ist zulässig. Der Kläger hat diese Verfahrensfehler ausreichend iS von § 160a Abs 2 Satz 3 [X.] bezeichnet wenn er vorträgt, das [X.] habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 62 [X.]) verletzt, weil es über seine Berufung entschieden habe, ohne ihn zu dem anberaumten Verhandlungstermin am [X.] geladen zu haben.

5

Die Beschwerde ist auch im Sinne der Zurückverweisung begründet. Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 [X.]) gewährleistet, dass die Beteiligten zum gerichtlichen Verfahren herangezogen werden und Gelegenheit erhalten, sich vor Erlass der Entscheidung zum Prozessstoff zu äußern ([X.] Beschlüsse vom 19.10.1977 - 2 BvR 566/76 - [X.] 46, 185, 187; vom [X.] ua - [X.] 60, 175, 210; [X.]/[X.]/[X.]/[X.], [X.] zum GG, Art 103 Abs 1 Rd[X.] 66 ff; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 9. Aufl 2008, § 62 Rd[X.] 2). Zu diesem Zweck bestimmt der Vorsitzende Zeit und Ort der mündlichen Verhandlung und teilt sie den Beteiligten (in der Regel zwei Wochen vorher) mit (§ 110 Abs 1 Satz 1 [X.]). Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt wird, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (§ 128 Abs 2 [X.]). Gegen diese Grundsätze hat das [X.] verstoßen, als es die Berufung am [X.] durch Urteil auf Grund mündlicher Verhandlung zurückwies, ohne den Kläger zuvor von diesem Termin benachrichtigt zu haben. Es ist auch nicht auszuschließen, dass das angefochtene Urteil auf dem gerügten Vorgehen des [X.] beruht. Wegen des besonderen Rechtswerts der mündlichen Verhandlung lässt sich das Beruhenkönnen der Entscheidung auf der fehlenden Mündlichkeit in der Regel nicht verneinen (BSG, Urteile vom 11.2.1982 - 11 RA 50/81, [X.], 83, 85 f = [X.] 1500 § 124 [X.] und vom 7.11.2001 - B 9 V 6/01 R - [X.] 2002, 382 sowie Beschluss vom 20.8.2009 - [X.] [X.]/09 B). Auch hier ist nicht ausgeschlossen, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung zu seinen Gunsten Ausführungen gemacht hätte und deswegen eine andere Entscheidung ergangen wäre. Das [X.] hätte sich möglicherweise zu weiteren medizinischen Ermittlungen, etwa zu Rückfragen bei dem Sachverständigen [X.], veranlasst sehen können. Bei einem derartigen Verfahrensverlauf hätte es zu einer Verurteilung der Beklagten kommen können.

6

In der Rechtsprechung des BSG ist zudem anerkannt, dass über § 202 [X.] die absoluten Revisionsgründe, wie sie in der ZPO geregelt sind, auch in Verfahren vor der Gerichten der [X.]barkeit gelten, weil das [X.] insoweit keine Vorschriften enthält und die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten die entsprechende Anwendung des § 547 ZPO nicht ausschließen. Unter den absoluten Revisionsgrund des § 547 [X.] 4 ZPO fällt auch die unterbliebene Ladung, wenn deshalb weder der Beteiligte selbst noch sein etwaiger Bevollmächtigter an der mündlichen Verhandlung teilnehmen konnte (vgl BSG Urteile vom [X.] - 9a [X.] - [X.] 1984, 289; vom 15.10.1986 - 5b [X.] - [X.] 1987, 156; vom 10.12.1992 - 11 [X.] - [X.] 1993, 903; vom [X.] - [X.] 1993, 905; vom 22.11.1994 - 8 [X.] 8/94 - HVBG-Info 1995, 820 und vom 9.4.1997 - 9 RV 17/96 - [X.], 206; vgl auch [X.] , Urteil vom 1.12.1982 - 9 C 486/82 - BVerwGE 66, 311).

7

Auf diesem Verfahrensfehler beruht auch das angefochtene Urteil. Denn nach § 547 ZPO ist bei einem absoluten Revisionsgrund die Entscheidung als "stets auf einer Verletzung des Rechts beruhend anzusehen", dh die Ursächlichkeit der Gesetzesverletzung wird unwiderleglich vermutet.

8

Nach § 160a Abs 5 [X.] kann das erkennende Gericht in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverweisen, wenn - wie hier - die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 [X.] [X.] vorliegen. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.

9

Das [X.] wird im wieder eröffneten Berufungsverfahren auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Meta

B 5 R 440/09 B

02.03.2010

Bundessozialgericht 5. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Düsseldorf, 7. Januar 2009, Az: S 26 R 318/06, Urteil

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160a Abs 5 SGG, § 62 SGG, § 202 SGG, § 547 Nr 4 ZPO, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 02.03.2010, Az. B 5 R 440/09 B (REWIS RS 2010, 8815)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 8815

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 13 R 97/15 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensfehler - Durchführung der mündlichen Verhandlung vor Beginn der eigentlich mitgeteilten Terminstunde


B 14 AS 195/17 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensmangel - Verletzung rechtlichen Gehörs - Bekanntgabe der Terminbestimmung für die mündliche …


B 14 AS 177/12 B (Bundessozialgericht)

sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - Zurückweisung der Berufung durch Beschluss - fehlender Nachweis der vorherigen …


B 14 AS 178/12 B (Bundessozialgericht)

sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - Zurückweisung der Berufung durch Beschluss - fehlender Nachweis der vorherigen …


B 14 AS 176/12 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensfehler - Zurückweisung der Berufung durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung - Verletzung …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.