Bundessozialgericht, Beschluss vom 07.12.2017, Az. B 14 AS 195/17 B

14. Senat | REWIS RS 2017, 1094

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Verfahrensmangel - Verletzung rechtlichen Gehörs - Bekanntgabe der Terminbestimmung für die mündliche Verhandlung - fehlender Nachweis des Zugangs beim Prozessbevollmächtigten


Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des [X.] vom 12. Dezember 2016 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Mit Urteil vom 12.12.2016 hat das [X.] nach mündlicher Verhandlung die Berufung des [X.] gegen einen Gerichtsbescheid des [X.] zurückgewiesen, durch den seine Klage gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid wegen zu Unrecht gewährter Leistungen nach dem [X.]B II in Höhe von 13 168,89 Euro abgewiesen worden war. Zu der mündlichen Verhandlung ist der Prozessbevollmächtigte des [X.] nicht erschienen. Auf telefonische Nachfrage am Sitzungstag gab er an, die Terminladung nicht erhalten zu haben. Die Kanzlei sei zwar an die Rücksendung des [X.] der Ladung erinnert worden. Da diese nicht aufzufinden gewesen sei, habe die Kanzleimitarbeiterin jedoch nichts unternommen. Der zur mündlichen Verhandlung erschienene Kläger hat auf die Frage des Gerichts erklärt, ohne seinen Anwalt nicht verhandeln zu wollen.

2

Das [X.] hat nach einer Zwischenberatung die Verhandlung wieder aufgenommen und anschließend zur Sache entschieden. Zur Begründung der Fortsetzung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Nach seiner Überzeugung sei die Ladung dem Prozessbevollmächtigten bei Zugrundelegung üblicher Postlaufzeiten rechtzeitig vor dem Termin zugegangen. Dafür spreche, dass dem Kläger selbst die Ladung zugestellt worden sei und der Beklagte ihren Empfang bestätigt habe. Der Behauptung des Prozessbevollmächtigten, die Ladung nicht erhalten zu haben, schenke der Senat nach den Gesamtumständen keinen Glauben, insbesondere nachdem der Verhandlungstermin mit ihm zuvor abgesprochen gewesen sei und eine weitere Verschiebung des Verfahrens für den Kläger prozess[X.]l günstig gewesen wäre. Jedenfalls mit dem Erinnerungsschreiben wegen des nicht zurückgegebenen [X.] sei dem Bevollmächtigten der Termin bekannt gegeben worden. Davon habe es - das [X.] - sich nach der Änderung des § 63 Abs 1 [X.]G durch das 6. [X.]G-Änderungsgesetz (im Folgenden: 6. [X.]G-ÄndG) vom [X.] ([X.] 2144) im Wege des [X.] überzeugen dürfen.

3

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] macht der Kläger einen Verfahrensmangel geltend und rügt die unterbliebene Ladung seines Prozessbevollmächtigten. Dadurch sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß § 62 [X.]G, Art 103 Abs 1 GG verletzt.

4

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet.

5

Eine Nichtzulassungsbeschwerde ist [X.] begründet, wenn ein Verfahrensfehler geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt, weil das angefochtene Urteil des [X.] unter Verletzung des Anspruchs des [X.] auf rechtliches Gehör (§ 62 [X.]G, Art 103 Abs 1 GG) ergangen ist. Das Gebot des rechtlichen Gehörs hat auch zum Inhalt, dass die Beteiligten ausreichend Gelegenheit zur Abgabe sachgemäßer Erklärungen haben (B[X.] vom 19.3.1991 - 2 RU 28/90 - [X.] 3-1500 § 62 [X.]; B[X.] vom [X.] - B 2 U 15/00 R - [X.] 3-1500 § 128 [X.]). Vor allem in der mündlichen Vorhandlung, dem "Kernstück" des gerichtlichen Verfahrens (vgl B[X.] vom 22.9.1977 - 10 RV 79/76 - B[X.]E 44, 292, 293 = [X.] 1500 § 124 [X.]; B[X.] vom 16.11.2000 - [X.] RA 122/99 B - [X.] 3-1500 § 160 [X.]), ist den Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zum gesamten Streitstoff zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, müssen die Beteiligten daher die Möglichkeit haben, hieran teilzunehmen.

6

Diese Möglichkeit setzt die ordnungsgemäße Benachrichtigung über den Termin zur mündlichen Verhandlung (§ 153 Abs 1, § 110 Abs 1 Satz 1, § 63 Abs 1 Satz 2 [X.]G) voraus, die bei anwaltlich vertretenen Beteiligten gemäß § 73 Abs 6 Satz 6 [X.]G (idF des [X.] zur Änderung des [X.] und anderer Gesetze vom 22.12.2011, [X.] 3057) eine an den Bevollmächtigten gerichtete Mitteilung der Terminbestimmung erfordert. Diese muss zwar nach § 63 Abs 1 Satz 2 [X.]G (idF des 6. [X.]G-ÄndG) nicht (mehr) zugestellt werden; es genügt schon die Bekanntgabe, etwa durch einfachen Brief oder durch Einwurfschreiben. Es liegt jedoch weiterhin vorrangig in der Verantwortung des Gerichts, den Anspruch auf rechtliches Gehör sicherzustellen. Dieses muss sich gegebenenfalls Gewissheit darüber verschaffen, ob ein für die Wahrung des rechtlichen Gehörs bedeutsames, aber mit einfachem Brief übersandtes Schreiben den Adressaten auch tatsächlich erreicht hat (B[X.] vom [X.] - [X.] [X.]/12 B - juris Rd[X.] 5; vgl auch [X.] vom 19.6.2013 - 2 BvR 1960/12 - juris Rd[X.] 9).

7

Auch wenn der Gesetzgeber das bis dahin in § 63 Abs 1 [X.]G (idF des [X.] 1994 vom [X.], [X.] 1325) verankert gewesene [X.] [X.] für [X.] durch das 6. [X.]G-ÄndG aufgehoben und durch die Bekanntgabevorschrift des § 63 Abs 1 Satz 2 [X.]G ersetzt hat, sind die Gerichte hierdurch der Verantwortung für den ordnungsgemäßen Zugang der Terminbestimmung nicht enthoben. Die Änderung des § 63 Abs 1 [X.]G zielte nicht auf eine Absenkung der Anforderungen an die Erweislichkeit des Zugangs von [X.]. Maßgebend war vielmehr allein die Einschätzung, dass die verwaltungsaufwändigere Zustellung in der Regel nicht erforderlich sei, um den Zugang nachzuweisen. Es bleibe dem Gericht unbenommen, die Zustellung anzuordnen, wenn es dies im Einzelfall für zweckmäßig halte (vgl BT-Drucks 14/5943 [X.]). Die gesetzliche Konzeption beruht danach weiterhin auf der Vorstellung, dass der Zugang der Terminbestimmung nachzuweisen ist, nur nicht notwendig im Wege der förmlichen Zustellung. Soll dieser Nachweis anders als durch ein zu den Akten gelangtes Empfangsbekenntnis geführt werden, müssen deshalb ggf im Wege des [X.] zu klärende andere Umstände die einer Zustellung vergleichbare Überzeugungsgewissheit vom ordnungsgemäßen Zugang der Terminbestimmung vermitteln können.

8

Solche Umstände vermag der erkennende Senat hier nicht mit der gebotenen Sicherheit zu erkennen. Allein die Versendung einer Terminbestimmung erlaubt nicht regelmäßig den Schluss, dass sie den Beteiligten auch erreicht hat (zur Terminbestimmung vgl nur B[X.] vom [X.] - [X.] [X.]/12 B - juris Rd[X.] 6; zur Anhörungsmitteilung nach § 153 Abs 4 [X.]G: B[X.] vom 29.11.2012 - [X.] [X.]/12 B - juris Rd[X.] 5; B[X.] vom 24.10.2013 - [X.] R 253/13 B - juris Rd[X.] 9; vgl zur fehlgeleiteten Versendung der Ladung zur mündlichen Verhandlung auch B[X.] vom 23.6.2016 - [X.] [X.]/16 B - juris). Darauf lässt auch der Zugang bei weiteren Beteiligten nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit schließen. Soweit das im Einzelfall anders liegen kann, wenn sich nach Aktenlage in der Vergangenheit bereits Besonderheiten und Auffälligkeiten im Zugangs- und Herrschaftsbereich des Adressaten ergeben haben (vgl etwa B[X.] vom 1.10.2009 - B 3 P 13/09 B - [X.] 4-1500 § 62 [X.] Rd[X.] 8; B[X.] vom [X.] - [X.] [X.]/12 B - juris Rd[X.] 7), sind solche hier nicht festgestellt.

9

Sollte die Erinnerung an die Rückgabe des [X.] als erneute Terminmitteilung zu werten sein, würde das einen Hinweis auf den Termin voraussetzen, der indes fehlt; angegeben ist nur das Datum der Terminmitteilung selbst ("vom 17.10.2016"). Zwar dürfte eine solche Erinnerung regelmäßig Anlass zur Nachfrage bei Gericht geben, wenn die ihr zugrunde liegende Terminbestimmung einem Rechtsanwalt nicht zugegangen ist; insoweit sind Zweifel am Vorbringen des Prozessbevollmächtigten des [X.] nicht zu verkennen, zumal der Verhandlungstermin auch nach seiner Darstellung zuvor mit ihm abgesprochen war. Selbst wenn seine Büroangestellte dies verkannt haben sollte, wäre darin unter Beachtung der insoweit gebotenen Formenstrenge kein dem Kläger [X.] Organisationsverschulden im Büro seines Prozessbevollmächtigten zu sehen, das es rechtfertigen könnte, ihn - den Kläger - so zu stellen, als sei die Terminbestimmung seinem Anwalt ordnungsgemäß zugegangen.

Weiteres Vorbringen des [X.] war nicht erforderlich. Auch wenn die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im sozialgerichtlichen Verfahren nicht als absoluter Revisionsgrund ausgebildet ist (vgl § 202 Satz 1 [X.]G iVm § 547 ZPO), lässt sich das Beruhenkönnen der Entscheidung auf der fehlenden Mündlichkeit wegen des besonderen Rechtswerts der mündlichen Verhandlung (vgl zu ihrer Bedeutung für die Subjektstellung der Beteiligten im gerichtlichen Verfahren [X.] vom 30.4.2003 - 1 [X.] 1/02 - [X.]E 107, 395, 409 = [X.] 4-1100 Art 103 [X.] Rd[X.]9 ff) in der Regel nicht verneinen (vgl etwa B[X.] vom 6.10.2010 - B 12 KR 58/09 B - juris Rd[X.]0 mwN). Ungeachtet dessen erfüllt es ständiger Rechtsprechung des B[X.] nach auch den absoluten Revisionsgrund des § 202 Satz 1 [X.]G iVm § 547 [X.] 4 ZPO, wenn der Beteiligte oder sein Bevollmächtigter wegen einer unterbliebenen Ladung nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen konnte und daher iS von § 547 [X.] 4 ZPO "in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten" war (vgl zuletzt B[X.] vom [X.] - B 5 R 440/09 B - juris Rd[X.] 3 mwN; ebenso [X.] vom 1.12.1982 - 9 C 486/82 - [X.]E 66, 311; Eichberger in [X.]/[X.]/Bier, VwGO, Oktober 2015, § 138 Rd[X.]17 mwN). Mindestens hierauf beruht auch das angefochtene Urteil im Sinne der unwiderleglichen Vermutung von § 547 Halbsatz 1 ZPO. Aufgrund dessen ist das angefochtene Urteil gemäß § 160a Abs 5 iVm § 160 Abs 2 [X.] 3 [X.]G aufzuheben und die Sache an das [X.] zurückzuverweisen.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der abschließenden Entscheidung des [X.] vorbehalten.

Meta

B 14 AS 195/17 B

07.12.2017

Bundessozialgericht 14. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AS

vorgehend SG Schleswig, 20. September 2012, Az: S 6 AS 254/07, Gerichtsbescheid

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG, § 63 Abs 1 S 2 SGG, § 73 Abs 6 S 6 SGG, § 110 Abs 1 S 1 SGG, § 153 Abs 1 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 07.12.2017, Az. B 14 AS 195/17 B (REWIS RS 2017, 1094)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 1094

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 BvR 1960/12

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