Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.12.2010, Az. 3 StR 401/10

3. Strafsenat | REWIS RS 2010, 71

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Gegenstand

Strafverfahren wegen Vergewaltigung: Revisionsgerichtliche Nachprüfung der Ablehnung eines Beweisantrages auf Vernehmung eines Auslandszeugen; Voraussetzungen einer Vergewaltigung unter Ausnutzung einer schutzlosen Lage


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 22. Juni 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts beanstandet, hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.

2

1. Nach den Feststellungen drang der Angeklagte in die Wohnung der als Prostituierte tätigen [X.] ein und erzwang durch Drohungen und Ausnutzen ihrer "schutz- und ausweglosen Lage" zweimal den vaginalen Geschlechtsverkehr. Dabei verwendete er jeweils ein Kondom. Er hat eingeräumt, mit der Geschädigten den Geschlechtsverkehr ausgeübt zu haben, sich jedoch dahin eingelassen, sie sei hiermit einverstanden gewesen. Er habe jeweils im voraus 80 Euro für Oral- und Vaginalverkehr gezahlt. Das [X.] hat diese Einlassung als in sich unstimmig gewertet und aufgrund der Aussagen mehrerer Zeugen als widerlegt angesehen; die Geschädigte selbst hat es in der Hauptverhandlung nicht vernommen.

3

2. Vor diesem Hintergrund beanstandet die Revision mit Recht, dass das [X.] einen in der Hauptverhandlung gestellten Beweisantrag rechtsfehlerhaft zurückgewiesen hat.

4

a) Die Verteidigung hatte die Vernehmung der in [X.] befindlichen Geschädigten zum Beweis dafür beantragt, dass der Angeklagte ihr jeweils vor Durchführung des Geschlechtsverkehrs einen Geldbetrag in Höhe von 80 Euro übergeben habe. Diesen Antrag hat die [X.] gestützt auf § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO abgelehnt, "da aufgrund der bisherigen eindeutigen Beweisaufnahme eine Vernehmung der in [X.] aufhältigen Zeugin [X.] nicht zur Erforschung der Wahrheit erforderlich ist."

5

b) Diese Begründung trägt die Zurückweisung nicht.

6

aa) Der Antrag erfüllt die inhaltlichen Voraussetzungen eines Beweisantrags. Mit Blick auf die von der Revision vorgetragenen Umstände des vorliegenden Falles - etwa die in den Akten befindliche Kopie des [X.] Personalausweises der Geschädigten - ist die Angabe des Namens der Zeugin mit dem Zusatz "wohnhaft [X.] in der Gemeinde [X.]" als ausreichend bestimmte Bezeichnung des Beweismittels anzusehen.

7

bb) Nach § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO kann ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, abgelehnt werden, wenn dessen Anhörung nach [X.] Beurteilung des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Ob die Ladung und Vernehmung eines [X.] geboten ist, richtet sich somit nach der Aufklärungspflicht des Gerichts im Sinne des § 244 Abs. 2 StPO. Bei deren Prüfung hat der Tatrichter namentlich die Bedeutung und den Beweiswert der Aussage des benannten Zeugen vor dem Hintergrund des bisherigen Beweisergebnisses zu würdigen. In diesem Rahmen ist er von dem sonst geltenden Verbot der [X.] befreit. Daher darf er prognostisch berücksichtigen, welche Ergebnisse von der beantragten Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie diese zu würdigen wären. Kommt er dabei unter Berücksichtigung sowohl des Vorbringens zur Begründung des Beweisantrags als auch der in der bisherigen Beweisaufnahme angefallenen Erkenntnisse mit [X.] Begründung zu dem Ergebnis, dass der Zeuge die Beweisbehauptung nicht werde bestätigen können oder dass ein Einfluss der Aussage auf seine - des Tatrichters - Überzeugungsbildung auch dann sicher ausgeschlossen sei, wenn der Zeuge die in sein Wissen gestellte Behauptung bestätigen werde, ist die Ablehnung des Beweisantrags in aller Regel nicht zu beanstanden (st. Rspr.; s. etwa [X.], Beschluss vom 26. Oktober 2006 - 3 StR 374/06, [X.]R StPO § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 13; Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 [X.], NJW 2005, 2322, 2323 mwN).

8

cc) Die auf eine derartige antizipierende Würdigung gestützte Ablehnung eines Beweisantrags auf Vernehmung eines [X.] bedarf eines Gerichtsbeschlusses (§ 244 Abs. 6 StPO), der zu begründen ist. Diese Begründung hat die Funktion, den Antragsteller davon zu unterrichten, wie das Gericht den Antrag bewertet, damit er in der Lage ist, sich in seiner Verteidigung auf die Verfahrenslage einzustellen, die durch die Ablehnung entstanden ist. Zugleich soll durch die Gründe des Ablehnungsbeschlusses dem Revisionsgericht die rechtliche Überprüfung der tatrichterlichen Entscheidung ermöglicht werden. Hieraus folgt, dass das Tatgericht in seinem Beschluss die für die Ablehnung wesentlichen Gesichtspunkte, wenn auch nicht in allen Einzelheiten, so doch in [X.] nachvollziehbar darlegen muss ([X.], Urteil vom 18. Januar 1994 - 1 [X.], [X.]St 40, 60, 63; Beschluss vom 19. Januar 2010 - 3 [X.], [X.], 155).

9

Diesen Anforderungen wird der genannte Beschluss nicht gerecht. Er enthält ausschließlich einen pauschalen Hinweis auf die "bisherige eindeutige Beweisaufnahme" und damit noch nicht einmal im Ansatz eine antizipierende Würdigung des zu erwartenden Beweisergebnisses vor dem Hintergrund der bis dahin erhobenen Beweise. Damit ließ er zum einen den Antragsteller über die Einschätzung der Beweislage durch die [X.] und die insoweit bestehende Verfahrenssituation im Ungewissen. Zum anderen ist dem [X.] die rechtliche Nachprüfung dahin verwehrt, ob das [X.] die Voraussetzungen des § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO rechtsfehlerfrei angenommen und ohne Rechtsfehler von einer Vernehmung der Geschädigten in der Hauptverhandlung abgesehen hat. Auf diese Rechtsprüfung ist der [X.] beschränkt; er kann insbesondere die notwendige vorweggenommene Beweiswürdigung des Tatgerichts nicht durch eine eigene Bewertung ersetzen ([X.], Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 [X.], NJW 2005, 2322, 2323).

3. Das Urteil beruht auf dem dargelegten Verfahrensfehler (§ 337 Abs. 1 StPO). Der [X.] kann nicht ausschließen, dass das [X.] zu einer abweichenden Beweiswürdigung gelangt wäre, wenn es die benannte Zeugin vernommen und diese die [X.] bestätigt hätte.

4. Mit Blick auf die neue Hauptverhandlung bemerkt der [X.]:

Die vom [X.] in beiden Fällen ohne nähere Ausführungen angenommene Tatvariante des Ausnutzens einer Lage, in der das Opfer einer Einwirkung des [X.] schutzlos ausgeliefert ist (§ 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB), erfasst diejenigen Fälle, in denen zwar weder Gewalt ausgeübt noch mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben des Opfers gedroht wird, dieses aber aus Furcht vor möglichen Einwirkungen des [X.] auf einen ihm grundsätzlich möglichen Widerstand verzichtet, weil es sich in einer hilflosen Lage befindet und ihm Widerstand gegen den überlegenen Täter aussichtslos erscheint. Erforderlich ist dabei stets, dass sich das Opfer aus Angst vor körperlicher Beeinträchtigung, also vor [X.] oder gar Tötungshandlungen, nicht gegen den Täter zur Wehr setzt; es genügt nicht, dass es dies aus Furcht vor der Zufügung anderer Übel unterlässt ([X.], Beschluss vom 4. Dezember 2008 - 3 [X.], [X.], 443; Beschluss vom 7. Juli 2009 - 3 [X.], [X.], 149 jeweils mwN).

Da der Angeklagte nach den Feststellungen in dem aufgehobenen Urteil die Geschädigte im ersten Fall auf das Bett drückte und im zweiten Fall zum Bett zerrte, könnte gegebenenfalls eine nähere Betrachtung dahin veranlasst sein, ob der Angeklagte die Geschädigte unter Einsatz von Gewalt nötigte (§ 177 Abs. 1 Nr. 1 StGB).

Becker                                     von [X.]                                 Hubert

                       Schäfer                                          [X.]

Meta

3 StR 401/10

21.12.2010

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Oldenburg (Oldenburg), 22. Juni 2010, Az: 3 KLs 112/09, Urteil

§ 244 Abs 2 StPO, § 244 Abs 5 S 2 StPO, § 244 Abs 6 StPO, § 177 Abs 1 Nr 1 StGB, § 177 Abs 1 Nr 3 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.12.2010, Az. 3 StR 401/10 (REWIS RS 2010, 71)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 71

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