Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.07.2018, Az. 3 StR 144/18

3. Strafsenat | REWIS RS 2018, 6096

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Beweisaufnahme im Strafverfahren: Anforderungen an die Ablehnung eines Beweisantrags auf Vernehmung eines Auslandszeugen


Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 10. Oktober 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit besonders schwerem Raub und mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt und die "Einziehung eines Geldbetrages in Höhe von 18.000 € als Wertersatz" angeordnet. Die auf die [X.] der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensbeanstandung Erfolg.

2

1. Die Rüge, mit welcher der Angeklagte nach dem Wortlaut seiner Revisionsbegründung die Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 [X.]) wegen der unterbliebenen Vernehmung von zwei [X.] beanstandet, dringt durch.

3

a) Der Verfahrensrüge ist bei dem hier überschaubaren Verfahrensstand hinreichend deutlich zu entnehmen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 [X.]), dass der Angeklagte sich gegen den Beschluss des [X.]s vom 10. Oktober 2017 wendet; mit diesem hat es den Antrag des Beschwerdeführers auf Vernehmung zweier Zeugen aus [X.] zum Beweis der Tatsache, dass er sich zur Tatzeit am 11. Juni 2013 in B.    ([X.]) aufhielt, abgelehnt. Der Angeklagte hat die zur Beurteilung der Rüge maßgeblichen Verfahrenstatsachen, namentlich den Beweisantrag und den Ablehnungsbeschluss, mitgeteilt. Da sich der Ablehnungsgrund des § 244 Abs. 5 Satz 2 [X.] nach der Aufklärungspflicht bestimmt (§ 244 Abs. 2 [X.]), ist es unschädlich, dass der Angeklagte die Vorschrift des § 244 Abs. 5 Satz 2 [X.] nicht zitiert hat (vgl. auch [X.], Urteil vom 21. Juli 2016 - 2 [X.], [X.]R [X.] § 244 Abs. 2 Zeugenvernehmung 19 Rn. 11 mwN zu einem außerhalb der Hauptverhandlung gestellten Antrag auf Vernehmung eines [X.]).

4

b) Der Ablehnungsbeschluss hält rechtlicher Überprüfung am Maßstab des § 244 Abs. 5 Satz 2, Abs. 6 [X.] nicht stand.

5

aa) Nach § 244 Abs. 5 Satz 2 [X.] kann ein auf die Vernehmung eines [X.] gerichteter Beweisantrag abgelehnt werden, wenn die Beweiserhebung nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Mit dieser Vorschrift sind die Möglichkeiten zur Ablehnung eines solchen Beweisantrags nur um den schmalen Bereich erweitert, den die Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 Satz 2 [X.] nicht zulassen, obwohl die Amtsaufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 [X.]) die Beweiserhebung nicht gebietet ([X.], Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 [X.], [X.]R [X.] § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 12). Bei der Prüfung der Aufklärungspflicht hat das Tatgericht namentlich die Bedeutung und den Beweiswert der Aussage des benannten Zeugen vor dem Hintergrund des bisherigen Beweisergebnisses zu würdigen. In diesem Rahmen ist es von dem sonst geltenden Verbot der Beweisantizipation befreit und darf es seine Entscheidung davon abhängig machen, welche Ergebnisse von der beantragten Beweisaufnahme zu erwarten sind und wie die zu erwartenden Ergebnisse zu würdigen wären. Kommt es unter Berücksichtigung sowohl des Vorbringens zur Begründung des Beweisantrags als auch der in der bisherigen Beweisaufnahme angefallenen Erkenntnisse zu dem Ergebnis, dass der Zeuge die Beweisbehauptung nicht bestätigen werde oder dass ein Einfluss auf seine Überzeugung auch dann sicher ausgeschlossen ist, wenn der benannte Zeuge die in sein Wissen gestellte Behauptung bestätigt, ist eine Ablehnung des Beweisantrags in aller Regel nicht zu beanstanden (st. Rspr.; siehe nur [X.], Urteil vom 13. März 2014 - 4 [X.], [X.]R [X.] § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 14 mwN; Beschluss vom 26. Oktober 2006 - 3 StR 374/06, [X.]R [X.] § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 13).

6

In dem hierfür erforderlichen Gerichtsbeschluss (§ 244 Abs. 6 [X.]) müssen die maßgeblichen Erwägungen so umfassend dargelegt werden, dass es dem Antragsteller möglich wird, seine Verteidigung auf die neue Verfahrenslage einzustellen, und dass das Revisionsgericht überprüfen kann, ob die Ablehnung auf einer rational nachvollziehbaren, die wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls erkennbar berücksichtigenden Argumentation beruht (siehe nur [X.], Urteil vom 13. März 2014 - 4 [X.], [X.]R [X.] § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 14 mwN).

7

Ob das Gebot des § 244 Abs. 2 [X.], die Beweisaufnahme zur Erforschung der Wahrheit auf alle entscheidungsrelevanten Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, es gebietet, dem Beweisantrag auf Vernehmung eines [X.] nachzukommen, kann nur unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls beurteilt werden. Allgemein gilt lediglich der Grundsatz, dass bei einem durch die bisherige Beweisaufnahme gesicherten Beweisergebnis auf breiter [X.] eher von der Vernehmung des [X.] abgesehen werden kann, insbesondere wenn er nur zu Beweisthemen benannt ist, die lediglich indiziell relevant sind oder die Sachaufklärung sonst nur am Rand betreffen. Dagegen wird die Vernehmung des [X.] umso eher notwendig sein, je ungesicherter das bisherige Beweisergebnis erscheint, je größer die Unwägbarkeiten sind und je mehr Zweifel hinsichtlich des Werts der bisher erhobenen Beweise überwunden werden müssen; dies gilt insbesondere dann, wenn der Auslandszeuge Vorgänge bekunden soll, die für den Schuldvorwurf von zentraler Bedeutung sind (siehe nur [X.] aaO; [X.]/[X.], [X.], 26. Aufl., § 244 Rn. 357 mwN).

8

bb) An diesen Grundsätzen gemessen hat das [X.] die Ablehnung nicht ausreichend begründet. Es hat die zu erwartenden Aussagen der Tante des zu den Tatvorwürfen schweigenden Angeklagten, der Zeugin [X.]     , in deren Wohnung sich der Angeklagte nach dem Inhalt des Beweisantrags aufgehalten haben soll, und eines Bekannten, des Zeugen [X.]  , der für den Angeklagten bei therapeutischen Behandlungen durch die vernommene Ärztin S.    übersetzt haben soll, nicht in der erforderlichen Gesamtwürdigung den bisherigen Beweisergebnissen gegenübergestellt; es hat sich stattdessen auf die Begründung beschränkt, dass das Gegenteil der behaupteten Tatsache, nämlich die Anwesenheit des (maskierten) Angeklagten am Tatort in [X.].  , bereits bewiesen sei. Dabei würde es auch bleiben, wenn die beiden Zeugen die Anwesenheit des Angeklagten in [X.] zur Tatzeit bestätigen würden. Die für seine Überzeugungsbildung maßgeblichen Beweisergebnisse, namentlich die belastenden Zeugenaussagen der beiden Mittäter D.  und [X.]sowie die Aussage des geschädigten [X.].  , dass sich die Statur des [X.] mit der des Angeklagten vereinbaren lässt, hat das [X.] für sich genommen rechtsfehlerfrei ausführlich gewürdigt; auch hat es nachvollziehbar dargelegt, warum es der [X.]    nicht geglaubt hat.

9

Bei dieser Einzelbetrachtung hätte das [X.] indes nicht stehenbleiben dürfen. Es hätte in einer - wie stets in einer Beweisaufnahme erforderlichen - Gesamtschau darlegen müssen, warum die - zulässigerweise zu prognostizierenden - Aussagen der beiden weiteren aufgebotenen Entlastungszeugen nichts an den bisherigen Beweisergebnissen, auch am Beweiswert der Aussage der bereits vernommenen [X.] ändern würden. Eine solche Gesamtwürdigung war hier unerlässlich, weil der Beschwerdeführer eine Haupttatsache in das Zeugnis der beiden [X.] gestellt hat: Das Gelingen dieses [X.] hätte den Schuldvorwurf unmittelbar entfallen lassen. Die Beweislage ist in diesem Fall durch die Würdigung von Zeugenaussagen geprägt; außerhalb der Aussagen liegende objektive Umstände wie etwa [X.] hat das [X.] nicht festgestellt (dazu [X.], Urteil vom 13. März 2014 - 4 [X.], [X.]R [X.] § 244 Abs. 5 Satz 2 Auslandszeuge 14). Dieser nicht einfachen, eher nicht gesichert erscheinenden Beweislage hat das [X.] mit der gegebenen Begründung nicht im notwendigen Maße Rechnung getragen (vgl. dazu [X.], Urteil vom 21. Juli 2016 - 2 [X.], [X.], 96, 97 f.). Nach alledem bleibt nach dem Inhalt des Ablehnungsbeschlusses letztendlich offen, warum es das Gericht für ausgeschlossen gehalten hat, dass die Aussagen der Zeugen [X.]   und [X.]    - auch unter nochmaliger Würdigung der Angaben der bereits vernommenen Zeugin S.    - die Aussagen der beiden Mittäter entkräften konnten (vgl. nur [X.], Urteil vom 18. Januar 1994 - 1 [X.], [X.]St 40, 60, 62 f.).

2. Die Sache bedarf daher der neuen Verhandlung und Entscheidung. Da die Revision der Staatsanwaltschaft, über welche der Senat mit Urteil vom heutigen Tag entschieden hat, wirksam auf die Einziehungsentscheidung beschränkt ist, wird das neue Tatgericht, sollte es sich von der Schuld des Angeklagten überzeugen, im Strafausspruch das Verbot der Schlechterstellung zu beachten haben (§ 358 Abs. 2 Satz 1 [X.]).

[X.]     

      

Gericke     

      

Tiemann

      

Hoch     

      

Leplow     

      

Meta

3 StR 144/18

12.07.2018

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend BGH, 12. Juli 2018, Az: 3 StR 144/18, Urteil

§ 244 Abs 2 StPO, § 244 Abs 5 S 2 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12.07.2018, Az. 3 StR 144/18 (REWIS RS 2018, 6096)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 6096


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. 3 StR 144/18

Bundesgerichtshof, 3 StR 144/18, 12.07.2018.


Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

3 StR 144/18 (Bundesgerichtshof)


4 StR 445/13 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren: Anforderungen an den einen Beweisantrag auf Ladung eines Auslandszeugen ablehnenden Beschluss; Umfang der richterlichen …


3 StR 401/10 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren wegen Vergewaltigung: Revisionsgerichtliche Nachprüfung der Ablehnung eines Beweisantrages auf Vernehmung eines Auslandszeugen; Voraussetzungen einer …


4 StR 263/22 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren: Hinreichende Bestimmtheit eines Beweisantrags; Ablehnung eines Beweisantrags auf Vernehmung eines Auslandszeugen


3 StR 401/10 (Bundesgerichtshof)


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.