Bundessozialgericht, Beschluss vom 11.04.2016, Az. B 12 KR 57/15 B

12. Senat | REWIS RS 2016, 13275

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Bezeichnung der Divergenz - keine Berücksichtigung sog obiter dicta


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 28. Mai 2015 wird als unzulässig verworfen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

Die Beteiligten streiten in dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit über die Höhe der Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung und zur [X.] Pflegeversicherung, insbesondere darüber, ob Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung der Beitragsbemessung zugrunde zu legen sind.

2

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 28.5.2015 ist in entsprechender Anwendung von § 169 S 2 und 3 SGG als unzulässig zu verwerfen. Der Kläger hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen § 160a Abs 2 [X.] SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.

3

Das [X.] darf gemäß § 160 Abs 2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des [X.] nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat ([X.]) oder
- das angefochtene Urteil von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht ([X.]) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden ([X.] 3).

4

Der Kläger macht in seiner Beschwerdebegründung vom [X.] alle drei Zulassungsgründe geltend.

5

1. Der Kläger behauptet zunächst eine Abweichung des Berufungsurteils vom Beschluss des [X.] vom 15.3.2000 (1 [X.] ua - [X.]E 102, 68 = [X.]-2500 § 5 [X.]; [X.] bis 13 der Beschwerdebegründung). Divergenz im Sinne von § 160 Abs 2 [X.] SGG bedeutet Widerspruch im Rechtssatz, nämlich dass [X.] tragender abstrakter Rechtssätze, die zwei Urteilen zugrunde gelegt sind. Eine Abweichung liegt nicht schon dann vor, wenn das Urteil eine höchstrichterliche Entscheidung unrichtig ausgelegt oder das Recht unrichtig angewendet hat, sondern erst, wenn das [X.] Kriterien, die eines der in der Norm genannten Gerichte aufgestellt hat, widersprochen, also andere Maßstäbe entwickelt hat. Das [X.] weicht damit nur dann im Sinne von § 160 Abs 2 [X.] SGG von einer Entscheidung ua des [X.] ab, wenn es einen abstrakten Rechtssatz aufstellt, der der zum selben Gegenstand gemachten und fortbestehenden aktuellen abstrakten Aussage des [X.] entgegensteht und dem Berufungsurteil tragend zugrunde liegt. Die Beschwerdebegründung muss deshalb erkennen lassen, welcher abstrakter Rechtssatz in den genannten höchstrichterlichen Urteilen enthalten ist und welcher im Urteil des [X.] enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht sowie, dass die Entscheidung hierauf beruht ([X.] § 160a [X.]4, 21, 29 und 67; [X.] [X.]-1500 § 160 [X.]6).

6

Der Kläger arbeitet als (aus seiner Sicht) tragenden abstrakten Rechtssatz der verfassungsgerichtlichen Entscheidung heraus:

"Das Ausmaß der zwischen den freiwillig Versicherten und den [X.] bestehenden Unterschiede in der Beitragsbemessung bei der Berechnung der Kranken- und Pflegeversicherung in der zum Zeitpunkt der Entscheidung des [X.] vom 15. März 2000 vorliegenden gesetzlichen Regelung ist nicht verfassungsrechtlich gerechtfertigt."

7

Bei (auszugsweiser) Wiedergabe der Passagen des Beschlusses des [X.] vom 15.3.2000 unter [X.] 4. behauptet er, die genannten Ausführungen des [X.] seien "zweifelsohne als Zusatzargumente" erfolgt, nachdem dieses (bereits) die Verfassungswidrigkeit des Zugangs zur gesetzlichen Krankenversicherung festgestellt habe; wegen ihrer Prägnanz und Ausführlichkeit "überschritten" sie "die Qualität eines obiter dictum" und hätten daher [X.] ([X.] der Beschwerdebegründung).

8

Dieser Aussage des [X.] stellt der Kläger als abweichenden Rechtssatz der Berufungsentscheidung gegenüber:

"Die Ungleichbehandlung von pflichtversicherten und freiwillig versicherten Mitgliedern durch Heranziehung unterschiedlicher Einkommen zur Beitragserhebung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, da zwischen beiden Personenkreisen so wesentliche Unterschiede liegen, dass eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist."

9

Zur Erläuterung verweist der Kläger auf Ausführungen des [X.] in seiner Berufungsentscheidung ([X.] f des Abdrucks) und fügt hinzu, zwar habe es sich mit der genannten verfassungsgerichtlichen Entscheidung beschäftigt, den von [X.] aufgestellten Rechtssatz aber gleichwohl verkannt ([X.] der Beschwerdebegründung).

Eine Divergenz legt der Kläger damit nicht in der gebotenen Weise dar. Es fehlt an hinreichenden Ausführungen dazu, dass es sich bei den von ihm zitierten Darlegungen des [X.] nicht nur um beiläufige Bemerkungen im systematischen Umfeld der entschiedenen Rechtsfrage, also - nicht divergenzfähige - sog obiter dicta handelt, sondern um solche mit einem entscheidungserheblichen Rechtssatz. Auch wenn sog "Segelanweisungen" (an den Gesetzgeber) bzw Erörterungen zu einer angesprochenen, dann aber doch offengelassenen Rechtsfrage in aller Regel der für unerlässlich gehaltenen frühzeitigen Lenkung der Rechtsentwicklung dienen werden und damit zweifelsohne genauso ernst genommen werden müssen, lösen sie gleichwohl eine Divergenzzulassung nicht aus. Zwar interpretiert der Kläger die genannten Ausführungen des [X.] richtigerweise als "Zusatzargumente"; er setzt sich jedoch nicht damit auseinander, dass diese "Zusatzargumente" vom [X.] nur für den Fall als relevant erachtet worden sein könnten, dass der Gesetzgeber für die Korrektur der gleichheitswidrigen Benachteiligung freiwillig krankenversicherter Rentner die - vom [X.] in ein Alternativitätsverhältnis gestellte - beitragsrechtliche Lösung wählt. Der bloße Hinweis auf die "Prägnanz und Ausführlichkeit" der Ausführungen reicht für sich allein nicht aus. Der Kläger hätte sich darüber hinaus mit späteren Entscheidungen des [X.] auseinandersetzen müssen, in denen es das Gericht nicht als gleichheitsrechtlich geboten angesehen hat, das Beitragsrecht für Pflichtversicherte und freiwillig Versicherte einheitlich zu regeln (vgl - zu freiwillig versicherten Erwerbstätigen - ua [X.]E 103, 392 = [X.]-2500 § 240 [X.] und - zu freiwillig versicherten [X.], die auch eine Rente beziehen - ua [X.] [X.]-2500 § 248 [X.] 6).

2. Der Kläger stützt sich sodann auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.] SGG; [X.] bis 19 der Beschwerdebegründung).

Er wirft die Fragen auf,

"ob das Ausmaß der zwischen den freiwillig Versicherten und den [X.] bestehenden Unterschiede in der Beitragsbemessung bei der Berechnung der Kranken- und Pflegeversicherung während des Bezugs von Rente gerechtfertigt ist"
und
"ob in Abgrenzung zu den [X.] die freiwillig Versicherten sich bei der Beitragsbemessung auch Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zurechnen lassen müssen, da auf ihre gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit abgestellt werden darf".

Der Kläger hält die gestellten Fragen für klärungsbedürftig, weil sie vom [X.] noch nicht entschieden worden seien, und nimmt Bezug auf seine Ausführungen zu dem Zulassungsgrund der Divergenz.

Mit diesem Vorbringen genügt der Kläger den an die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.] SGG) zu stellenden Anforderungen nicht. Zwar trifft es zu, dass es hierfür nicht darauf ankommt, ob die eingangs vom Kläger als tragender Rechtssatz apostrophierte Aussage des [X.] qualitativ einen solchen darstellt oder nicht. Jedoch muss die Beschwerde in einem solchen Fall die vorhandene Rechtsprechung - auch des [X.] - zur Vereinbarkeit unterschiedlicher Beitragsbemessung für pflichtversicherte und freiwillig versicherte Rentner mit der Verfassung umfassend darstellen und vortragen, dass die dieser Rechtsprechung zugrunde liegenden Annahmen nicht (mehr) zutreffen und die Rechtsfragen (nun wieder) höchstrichterlicher Klärung bedürfen. Insoweit hätte es etwa auch einer Auseinandersetzung mit der unter 1. herangezogenen späteren Rechtsprechung des [X.] und Rechtsprechung des [X.] (vgl stv [X.] [X.] 4-2500 § 240 [X.]4; [X.] 4-3300 § 57 [X.] 3; [X.] 4-2500 § 240 [X.] 7) bedurft. Daran fehlt es.

Soweit der Kläger schließlich die Frage stellt, "ob die zeitliche Anwendung des § 7 Abs. 7 Satz 3 BeitrVerfGrsSz rechtlich zu beanstanden ist, da er bei einer Herabsetzung der Bemessungsgrundlagen nicht auf den Bemessungszeitraum eines Einkommensteuerbescheides abzielt, sondern auf dessen Ausfertigung" ([X.] der Beschwerdebegründung), erläutert er deren von ihm angenommene Klärungsbedürftigkeit (überhaupt) nicht.

3. Der Kläger bezeichnet in seiner Beschwerdebegründung auch keinen entscheidungserheblichen Verfahrensmangel des Berufungsgerichts (§ 160 Abs 2 [X.] 3 SGG; [X.] bis 22 der Beschwerdebegründung). Abgesehen davon, dass ein Aufklärungsmangel des [X.] mit der Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160 Abs 2 [X.] 3 Halbs 2 SGG erfolgreich nur dann gerügt werden kann, wenn sich der Verfahrensmangel auf einen Beweisantrag bezieht, dem das [X.] ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist, und dass der Kläger einen solchen Aufklärungsmangel nicht rügt, beruht seine Forderung nach einer Beweiserhebung durch Verkehrsbefragung, Statistik oder durch ein statistisches Gutachten auf der Prämisse, das [X.] habe sich in seinem Beschluss vom 15.3.2000 ([X.]E 102, 68 = [X.]-2500 § 5 [X.]) auf die darin enthaltenen Ausführungen (unter [X.] 4.a aa) für den dortigen Rechtsstreit tragend gestützt. Wie bereits erörtert (unter 1.) hat der Kläger deren Entscheidungserheblichkeit aber nicht substantiiert dargelegt.

4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

5. [X.] beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Meta

B 12 KR 57/15 B

11.04.2016

Bundessozialgericht 12. Senat

Beschluss

Sachgebiet: KR

vorgehend SG Oldenburg (Oldenburg), 17. August 2012, Az: S 61 KR 324/11, Urteil

§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 11.04.2016, Az. B 12 KR 57/15 B (REWIS RS 2016, 13275)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 13275

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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