Bundesfinanzhof, Beschluss vom 08.12.2010, Az. VII B 102/10

7. Senat | REWIS RS 2010, 669

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Gegenstand

(Zu den Voraussetzungen des § 35 AO - Klärungsbedürftigkeit einer Rechtsfrage - Darlegung der Divergenz)


Leitsatz

1. NV: Verfügungsberechtigter i.S. des § 35 AO ist derjenige, der auf Grund bürgerlich-rechtlicher Verfügungsmacht im Außenverhältnis wirksam handeln kann. Einschränkungen, denen der Verfügungsberechtigte im Innenverhältnis unterliegt, sind unbeachtlich. Pflichten öffentlich-rechtlicher Natur, die dem als verfügungsberechtigt Auftretenden auferlegt sind, können nicht durch private Abmachungen abbedungen werden .

2. NV: Die von § 35 AO vorausgesetzte Verfügungsmacht kann auf Gesetz, behördlicher oder gerichtlicher Anordnung oder Rechtsgeschäft beruhen. Die Frage, ob Verfügungsmacht vorliegt, ist gesondert von der Frage zu beurteilen, ob die Tätigkeit des Verfügenden ertragsteuerlich als unternehmerisch einzuordnen ist .

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war seit 1. Juni 2000 [X.]rbeitnehmer der Firma [X.] (Firma), deren Sitz sich in [X.] befand und deren Direktor der Vater des [X.] (Vater) war. Dem Vater war gemäß § 35 der Gewerbeordnung u.a. der "Handel mit sowie Im- und Export von [X.]" untersagt worden. In [X.] befand sich eine inländische Betriebstätte in Form einer unselbständigen Niederlassung der Firma (Betriebstätte), die den Betrieb eines [X.]utohandels über das [X.] zum Gegenstand hatte. Der [X.]rbeitsvertrag des [X.] sah vor, dass er mit der Leitung dieser Betriebstätte betraut war. Der Kläger unterzeichnete den [X.] den Beklagten und Beschwerdegegner (das Finanzamt --F[X.]--) gerichteten-- Fragebogen zur steuerlichen [X.]nmeldung und bezeichnete sich darin selbst als Leiter der Betriebstätte. Ferner eröffnete der Kläger bei der U-Bank ein Geschäftskonto, meldete die Betriebstätte beim Gewerbeamt an und unterzeichnete die Umsatzsteuer-Voranmeldungen für den Zeitraum Juni 2000 bis Juni 2001.

2

Das F[X.] nahm den Kläger für rückständige Umsatzsteuern der Betriebstätte nach § 191 [X.]bs. 1, §§ 69, 34 und 35 der [X.]bgabenordnung ([[X.].]) als Haftungsschuldner in [X.]nspruch. Die nach erfolglosem Einspruchsverfahren eingelegte Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht ([X.]) urteilte, dass das F[X.] den Kläger zu Recht als Haftungsschuldner in [X.]nspruch genommen habe, da er durch seine Kontovollmacht als Verfügungsberechtigter i.S. von § 35 [[X.].] anzusehen sei. Für diese Verfügungsbefugnis sei der Einwand des [X.] unerheblich, dass er hinsichtlich der Überweisungen weisungsgebunden gewesen sei, weil diese Einschränkung im Innenverhältnis auf die Verfügungsbefugnis keinen Einfluss gehabt habe. Der Kläger sei aufgrund der Verfügungsberechtigung steuerrechtlich verpflichtet, alle Verbindlichkeiten der Gesellschaft aus den zur Verfügung stehenden Mitteln gleichmäßig zu tilgen. Diese steuerliche Pflicht habe er rechtlich und tatsächlich aufgrund seiner --sich aus dem [X.]rbeitsvertrag ergebenden-- Funktion als Niederlassungsleiter und Kontobevollmächtigter auch erfüllen können. [X.]uf die --nach [X.]nsicht des [X.] wenig glaubhaften-- Einwände des [X.], dass er tatsächlich nur für den [X.]n- und Verkauf der Fahrzeuge zuständig gewesen sei und die geschäftliche Leitung der Niederlassung nur von der Muttergesellschaft wahrgenommen werden durfte, komme es nicht an. [X.]usreichend sei, dass sich der Kläger nach außen durch die steuerliche [X.]nmeldung, die Gewerbeanmeldung, die Kontoeröffnung sowie die [X.]bgabe der Voranmeldungen als Leiter der Niederlassung dargestellt habe.

3

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil richtet sich die Beschwerde des [X.], welche sich auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sowie der Divergenz (§ 115 [X.]bs. 2 Nr. 1 und 2  2. [X.]lternative der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--) stützt. Von grundsätzlicher Bedeutung sei die Frage, ob es für das Vorliegen der Verfügungsbefugnis nach § 35 [[X.].] darauf ankomme, "wer im Innenverhältnis das Sagen habe und auf wessen Rechnung und Gefahr das Unternehmen betrieben werde". Ferner weiche das Urteil des [X.] vom Senatsbeschluss vom 27. Mai 2009 [X.]/08 ([X.], 1591) ab.

4

Das F[X.] ist der Beschwerde entgegengetreten.

Entscheidungsgründe

5

II. [X.] (§ 116 Abs. 1 [X.]O) hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe des § 115 Abs. 2 [X.]O z.T. nicht schlüssig dargelegt sind, wie es § 116 Abs. 3 Satz 3 [X.]O verlangt, jedenfalls aber nicht vorliegen.

6

1. Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Beschwerde [X.] grundsätzliche Bedeutung.

7

a) Einer Rechtsfrage kommt nur dann grundsätzliche Bedeutung zu, wenn sie klärungsbedürftig ist (vgl. Entscheidungen des [X.] --[X.]-- vom 16. Juli 1999 IX [X.]/99, [X.], 401, [X.] 1999, 760, und vom 21. April 1999 [X.], [X.], 372, [X.] 2000, 254, m.w.N.). Das ist sie, wenn ihre Beantwortung zu Zweifeln Anlass gibt, so dass mehrere Lösungen vertretbar sind ([X.] in [X.]/Gosch, [X.]O § 115 Rz 102 ff., und Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 115 Rz 28). An der zu fordernden Klärungsbedürftigkeit fehlt es jedoch, wenn sich die Beantwortung der Rechtsfrage ohne weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das [X.] in seiner Entscheidung getan hat, wenn die Rechtslage also eindeutig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. statt aller [X.] vom 18. Dezember 1998 [X.]/98, [X.], 559, [X.] 1999, 231). Darüber hinaus ist eine Rechtsfrage auch dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie durch die Rechtsprechung des [X.] hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar oder vorgetragen sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den [X.] geboten erscheinen lassen ([X.] vom 4. Mai 1999 [X.]/99, [X.], 395, [X.] 1999, 587).

8

b) Als grundsätzlich bedeutsam sieht die Beschwerde die Rechtsfrage an, ob es für das Vorliegen der Verfügungsbefugnis nach § 35 [X.] darauf ankomme, "wer im Innenverhältnis das Sagen habe und auf wessen Rechnung und Gefahr das Unternehmen betrieben werde". Diese Frage ist indes zweifelsfrei zu verneinen und bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren:

9

aa) [X.] des § 35 [X.] ist jeder, der rechtlich und wirtschaftlich über Mittel, die einem anderen zuzurechnen sind, verfügen kann und als Verfügungsberechtigter auftritt ([X.]surteil vom 21. Februar 1989 [X.]/85, [X.]E 156, 46, [X.] 1989, 491). Der Verfügungsberechtigte muss die Fähigkeit haben, auf Grund bürgerlich-rechtlicher Verfügungsmacht im Außenverhältnis wirksam zu handeln [X.]/ Rüsken, [X.], 10. Aufl., § 35 Rz 2, m.w.N.). Einschränkungen, denen der Verfügungsberechtigte im Innenverhältnis unterliegt, sind dabei unbeachtlich ([X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 35 [X.] Rz 15). So können Pflichten öffentlich-rechtlicher Natur, die dem als verfügungsberechtigt Auftretenden auferlegt sind, nicht durch private Abmachungen abbedungen werden ([X.] in [X.], a.a.[X.]).

bb) Nach den für das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des [X.] (§ 118 Abs. 2 [X.]O) war der --mit Kontovollmacht [X.] Kläger u.a. berechtigt, über die Mittel der Niederlassung zu verfügen und hat infolgedessen auch Überweisungen vom Firmenkonto vorgenommen. Die vom Kläger vorgetragenen Einschränkungen der Verfügungsberechtigung im Innenverhältnis sind, wie das [X.] zutreffend festgestellt hat, --entsprechend den obigen Ausführungen-- unbeachtlich.

cc) In der von der Beschwerde für ihre abweichende Ansicht angeführten Entscheidung in [X.]/NV 2009, 1591 hat der [X.] entschieden, dass ein schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt nicht als [X.] von § 35 [X.] angesehen werden kann, da er sich ohne Mitwirkung des Insolvenzgerichts nicht die rechtliche Befugnis verschaffen kann, über das Vermögen des Schuldners zu verfügen. Im Gegensatz hierzu hatte der Kläger im Streitfall eine im Außenverhältnis unbeschränkte --und auch im Innenverhältnis insoweit unbeschränkbare-- Verfügungsmacht.

dd) Die von der Beschwerde weiter angeführte Entscheidung des [X.] vom 4. November 2004 [X.] ([X.]E 207, 321, [X.] 2005, 168) betrifft die einkommensteuerrechtliche Unternehmereigenschaft bei [X.]. Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht ist dem beschließenden [X.] nicht ersichtlich, dass und inwieweit dieses Urteil Klärungsbedarf hinsichtlich der Auslegung des von § 35 [X.] vorausgesetzten Kriteriums der Verfügungsmacht auslösen kann. Denn die von § 35 [X.] vorausgesetzte Verfügungsmacht kann auf Gesetz, behördlicher oder gerichtlicher Anordnung oder Rechtsgeschäft beruhen [X.]/Rüsken, a.a.[X.]). Die Frage, ob Verfügungsmacht vorliegt, ist jedenfalls gesondert von der Frage zu beurteilen, ob die Tätigkeit des [X.] ertragsteuerlich als unternehmerisch einzuordnen ist.

2. Auch der [X.] der Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2  2. Alternative [X.]O) liegt nicht vor.

a) Die Darlegung der Divergenz als Grund für die Zulassung der Revision erfordert, dass die Entscheidung des [X.], von der nach der Behauptung des [X.] das Urteil des [X.] abweicht, genau bezeichnet und dass kenntlich gemacht wird, zu welcher konkreten Rechtsfrage eine Abweichung vorliegen soll. Dem ist nur genügt, wenn abstrakte Rechtssätze der Divergenzentscheidung(en) des [X.] so genau bezeichnet und gegenübergestellt werden, dass eine Abweichung erkennbar wird ([X.]-Beschlüsse vom 12. Juli 2002 [X.]/01, [X.]/NV 2002, 1482; vom 11. September 2003 [X.], [X.]/NV 2004, 180). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde --durch den bloßen Verweis auf den [X.]sbeschluss in [X.]/NV 2009, 1591-- nicht.

b) Jedenfalls liegt eine Divergenz des angegriffenen [X.]-Urteils zur Entscheidung des [X.]s in [X.]/NV 2009, 1591 schon deshalb nicht vor, da jener Entscheidung der Sonderfall des vorläufigen Insolvenzverwalters zu Grunde lag und der Kläger im Streitfall, wie ausgeführt --im Gegensatz zu einem vorläufigen Insolvenzverwalter-- eine unbeschränkte Verfügungsmacht hatte.

Meta

VII B 102/10

08.12.2010

Bundesfinanzhof 7. Senat

Beschluss

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Finanzgericht, 20. November 2009, Az: 4 K 30055/05, Urteil

§ 115 Abs 2 Nr 1 FGO, § 115 Abs 2 Nr 2 Alt 2 FGO, § 116 Abs 3 S 3 FGO, § 35 AO, § 69 AO, § 191 Abs 1 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 08.12.2010, Az. VII B 102/10 (REWIS RS 2010, 669)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 669

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