Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.10.2020, Az. StB 31/20

3. Strafsenat | REWIS RS 2020, 2152

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Gegenstand

Zulässigkeit einer Durchsuchung im Ermittlungsverfahren: Verwertung von Angaben aus einer asylverfahrensrechtlichen Anhörung


Tenor

Die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Ermittlungsrichters des [X.] vom 30. April 2020 (4 [X.] 51/20) wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

I.

1

Der [X.] führt gegen den Beschwerdeführer ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Begehung von Kriegsverbrechen der Folter in sechs Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit einem Kriegsverbrechen der Tötung einer nach dem humanitären Völkerrecht zu schützenden Person, jeweils in Tateinheit mit Unterstützung einer terroristischen [X.] ([X.]), strafbar nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 und 3 [X.], § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 5 Satz 1, § 129b Abs. 1, § 25 Abs. 2, §§ 52, 53 StGB. Auf seinen Antrag hat der Ermittlungsrichter des [X.] am 30. April 2020 die Durchsuchung der Person des Beschuldigten und der von diesem genutzten Wohn- und Nebenräume sowie Kraftfahrzeuge nach näher beschriebenen Beweismitteln angeordnet.

2

Nach deren Durchführung am 10. Juni 2020 hat der Beschuldigte mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 26. Juni 2020 gegen den Durchsuchungsbeschluss Beschwerde eingelegt. Er begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme und macht geltend, der gegen ihn gerichtete Anfangsverdacht sei allenfalls von derart geringem Gewicht gewesen, dass sich die Anordnung der Durchsuchung seiner Wohnung jedenfalls als unverhältnismäßig darstelle. Aus diesem Grund hätte vor einer Durchsuchung seine Vernehmung als grundrechtsschonendere Maßnahme in Betracht gezogen werden müssen.

3

Der Ermittlungsrichter des [X.] hat der Beschwerde mit Beschluss vom 4. September 2020 nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

II.

4

Das zulässige Rechtsmittel erweist sich als unbegründet. Die Voraussetzungen für den Erlass der Durchsuchungsanordnung (§§ 102, 105 [X.]) haben vorgelegen.

5

1. Für die Zulässigkeit einer regelmäßig in einem frühen Stadium der Ermittlungen in Betracht kommenden Durchsuchung genügt der über bloße Vermutungen hinausreichende, auf bestimmte tatsächliche Anhaltspunkte gestützte konkrete Verdacht, dass eine Straftat begangen worden ist und der Verdächtige als Täter oder Teilnehmer an dieser Tat in Betracht kommt. Eines hinreichenden oder gar dringenden Tatverdachts bedarf es - unbeschadet der Frage der Verhältnismäßigkeit - nicht (st. Rspr.; [X.], Beschluss vom 7. September 2006 - 2 BvR 1219/05, NJW 2007 Rn. 15, 1443; [X.], Beschluss vom 5. Juni 2019 - StB 6/19, juris Rn. 7 mwN; [X.]/[X.], [X.], 27. Aufl., § 103 Rn. 1). Ein solcher ausreichend konkreter Verdacht kann durch die Angaben des Beschuldigten begründet werden, zumal die Durchsuchung in einem frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens auch dazu dienen kann, die Qualität der Angaben zu überprüfen und neben der Belastung zur Entlastung des Beschuldigten beizutragen vermag.

6

2. Nach diesen Maßstäben lagen zureichende Gründe zumindest für den Verdacht vor, der Beschuldigte habe in der [X.] bis September 2013 in sechs Fällen eine terroristische [X.] unterstützt. Seine diesbezüglichen [X.] Angaben werden durch die Ermittlungsergebnisse hinsichtlich der [X.] und deren vormaligen militärischen Anführers [X.] belegt. Ob das Verhalten des Beschuldigten darüber hinaus weitere Straftatbestände erfüllt, bedarf hier keiner näheren Betrachtung.

7

Dem Ermittlungsverfahren liegen im Sinne eines solchen Anfangsverdachts im Einzelnen die folgenden Erkenntnisse zugrunde:

8

a) Die "[X.]" (geschrieben auch: "[X.]" oder "Liwa al-Tawhid"; im Folgenden: [X.]) ist eine Vereinigung, die als Partei im [X.] in den [X.] [X.] und [X.] zumindest in den Jahren 2012 bis 2014 die syrische Regierung militärisch bekämpfte, um diese zu stürzen und einen [X.] Staat zu errichten.

9

aa) Die Gruppierung, deren Name sich als "Brigade des Monotheismus" in die [X.] übersetzen lässt, wurde im Juli 2012 als Zusammenschluss von mehr als 20 bewaffneten Gruppen aus den nordwestsyrischen [X.] [X.] und [X.] gegründet und war maßgeblich in die Kämpfe um die Stadt [X.] eingebunden. Ihre Aktivitäten waren auf die vorgenannten [X.] beschränkt. Die Vereinigung wurde seit ihrer Gründung von [X.] ([X.][h] alias [X.] oder [X.]) geführt. In den Jahren 2012 und 2013 entwickelte sie sich zu einer der mitgliederstärksten regimefeindlichen Gruppen in Nordsyrien.

Obwohl sie selbst zunächst eine eher moderate islamistische Ideologie vertrat, agierte die [X.] zur Erreichung ihrer Ziele auch gemeinsam mit extremistischen Gruppen. Nach der Eroberung [X.]s im Juli 2012 nahm sie etwa zusammen mit der "[X.]", der "[X.]" und zeitweise mit dem sogenannten [X.] im [X.] und in [X.] ([X.]) Verwaltungsaufgaben wahr. Im Mai 2013 griff sie gemeinsam mit der "[X.]" das Zentralgefängnis in [X.] an.

Nach dem Tod ihres militärischen Anführers [X.] ([X.] oder [X.] alias [X.]) bei einem Luftangriff der syrischen Armee am 17. November 2013 zerfiel die [X.] in mehrere Fraktionen. Sein Nachfolger, [X.](o)ur, wurde bereits im Februar 2014 durch einen Bombenanschlag getötet. Ein neuer militärischer Führer wurde nicht ernannt.

bb) Bei der [X.] handelt es sich nach den bisher vorliegenden Erkenntnissen um eine islamistische Vereinigung, deren Ziele die Bekämpfung des [X.] und die Errichtung eines Staates waren, dessen Grundlagen im Islam unter Geltung der Scharia liegen sollten.

Die Vereinigung war im gesamten Großraum [X.] an militärischen Operationen gegen die syrischen Regierungstruppen beteiligt. Die hierbei verwendeten Waffen (Kurz- und Langwaffen, Mörsergranaten und Raketen sowie Panzer und Flugabwehrgeschütze) stammten zum Teil aus eroberten Militärstützpunkten der syrischen Armee.

cc) Ihre Aktivitäten dokumentierte die [X.] in den Jahren 2012 und 2013 über eigene Internet-Plattformen durch Videoveröffentlichungen. Diese zeigten ausnahmslos Kampfhandlungen und für die Gruppierung bedeutsame Ereignisse wie die Tötung ihres Militärführers [X.]. Die [X.] waren jeweils mit dem Logo der [X.] versehen. Der von der [X.] genutzte Facebook-Account wurde letztmals am 27. Mai 2014 aktualisiert.

Wegen der weiteren die Gruppierung [X.] betreffenden Einzelheiten wird auf die eingehenden Ausführungen des Ermittlungsrichters des [X.] in dem angegriffenen Beschluss Bezug genommen.

b) Der Anfangsverdacht gegen den Beschuldigten ergibt sich aus seinen eigenen Angaben in seinen asylverfahrensrechtlichen Anhörungen vor dem [X.] ([X.]) sowie den vorliegenden Erkenntnissen zu der Gruppierung [X.].

In seinen Anhörungen gemäß § 25 [X.] am 14. September 2016 und 5. September 2018 in [X.]hat der Beschuldigte erklärt, schon während seiner Studienzeit habe er an Demonstrationen gegen das syrische Regime teilgenommen und dieses ab Anfang des Jahres 2013 mit etwa 20 anderen jungen Männern aus seinem Ort mit Waffen bekämpft. Sie seien zunächst eine selbstständige Gruppe ohne Anführer, Plan und eigenen Namen gewesen und hätten Soldaten des Regimes entwaffnet, gefangen genommen und geschlagen. Getötet hätten sie niemanden. Die Waffen der Soldaten hätten sie einem gewissen "A.          " gegeben, der aus demselben Ort wie er, der Beschuldigte, stamme und eine eigene Gruppierung namens "[X.]" in [X.] geleitet habe.

Zwischen Mai und September 2013 habe er mit sechs bis sieben Männern seiner Gruppe in einer "geheimen Einheit" insgesamt sechs Mitglieder anderer unabhängiger Gruppierungen gefangen genommen, darunter Angehörige der Gruppe eines "H.       " aus [X.], die mit der "[X.]" verfeindet gewesen seien. Bei diesen habe es sich um "Gauner und Diebe" gehandelt. Die Gefangenen seien gefoltert und sodann einem sogenannten [X.], das zur [X.] gehört habe und von einem [X.], zwei [X.] und [X.] aus [X.] betrieben worden sei, übergeben worden. Zwei der Gefangenen, die in einem Frauengefängnis weibliche Insassen fotografiert und vergewaltigt hätten, seien bei der Folter getötet worden. Er selbst sei an den Folterungen nicht beteiligt gewesen, sondern habe mit seiner Gruppe nur die Aufgabe gehabt, die jeweilige Person festzunehmen. Die Vernehmungen und Folterungen habe später eine andere Gruppe durchgeführt. Ziel der gemeinsamen Handlungen sei neben der Erlangung von Geständnissen die Bestrafung der Gefangenen für die von ihnen verübten Taten gewesen.

Nach einem Gespräch mit "A.          " wohl im August 2013 habe er, der Beschuldigte, erkannt, dass seine Tätigkeit keinen Sinn mehr ergebe, und daraufhin zwischen dem 20. und 25. November 2013 das Land in Richtung [X.] verlassen. Dort habe er sich ein Jahr und acht Monate lang aufgehalten, bevor er am 5. Februar 2016 über die [X.] nach [X.] eingereist sei.

c) Die im Rahmen der asylverfahrensrechtlichen Anhörungen des Beschuldigten von diesem gemachten Angaben können gemäß § 8 Abs. 3 Satz 1 [X.] für Maßnahmen der Strafverfolgung genutzt werden und sind auch ohne dessen Zustimmung im Strafverfahren verwertbar (siehe hierzu schon [X.], Beschluss vom 15. Dezember 1989 - 2 [X.], [X.]St 36, 328). Sie stellen eine tragfähige Grundlage für die Anordnung strafprozessualer Maßnahmen dar, zumal sich die Erklärungen des Beschuldigten zu der Person des "A.          " und zu der in [X.] agierenden bewaffneten Gruppierung "[X.]" - abgesehen von den unterschiedlichen Schreibweisen - mit den weiteren Erkenntnissen der Ermittlungsbehörden zu der Gruppierung [X.] sowie zu deren früherem militärischen Anführer [X.] decken.

3. Die Anordnung der Durchsuchung entsprach - auch unter Berücksichtigung der grundrechtlich geschützten Belange des Beschuldigten - dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

a) Sie war zur Ermittlung der Taten geeignet und erforderlich, da - wie der Ermittlungsrichter des [X.] zutreffend ausgeführt hat - unter den gegebenen Umständen zu erwarten war, dass die Durchsuchung zum Auffinden von Gegenständen führen würde, mit deren Hilfe eine Strafbarkeit des Beschuldigten nachgewiesen oder dieser entlastet werden konnte. Ausweislich des Zwischenberichts des [X.] vom 3. April 2020 waren auf den Beschuldigten jedenfalls zwei [X.] registriert. Es lag daher nahe, dass in den Dateispeichern der jeweils zugehörigen Mobiltelefone, Computer oder sonstigen elektronischen Geräte Bilder oder Videoaufzeichnungen des Beschuldigten oder Kommunikation abgelegt sind, die im Zusammenhang mit dem Bürgerkriegsgeschehen in [X.] stehen sowie den Beschuldigten und/oder andere Personen bei der Begehung von Straftaten zeigen. Entsprechendes galt für bei dem Beschuldigten aller Voraussicht nach aufzufindende Schriftstücke, Dokumente und elektronische Speichermedien wie mobile Festplatten, SD-Speicherkarten und CD-ROMs.

Eine vorherige förmliche Vernehmung musste entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers als milderes Mittel schon deshalb nicht durchgeführt werden, weil nicht feststand, ob der Beschuldigte mit den Strafverfolgungsbehörden kooperieren würde und die bei ihm aufgefundenen Gegenstände freiwillig und vollständig herausgegeben hätte (vgl. [X.]/[X.]/[X.], [X.], 63. Aufl., § 102 Rn. 15a mwN). Die Entscheidung, was als Beweismittel den Ermittlungsbehörden zugänglich gemacht wird, hätte in diesem Fall allein beim Beschuldigten gelegen.

b) Die angeordnete Durchsuchung stand zudem in einem angemessenen Verhältnis zu der Schwere der aufzuklärenden Straftaten und der Stärke des aufgezeigten Tatverdachts. Das Gewicht der in Rede stehenden sechs Delikte ist erheblich. Bereits die einmalige Unterstützung einer terroristischen [X.]. § 129a Abs. 5 Satz 1 Alternative 1 StGB stellt für sich genommen ein Vergehen mit erhöhter Mindeststrafe dar und eröffnet einen Strafrahmen von Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, ohne dass es auf die etwaige tateinheitliche Verwirklichung weiterer Straftaten nach dem [X.] ankommen würde. Auch der [X.] ist hoch, denn die [X.] verwertbaren Angaben des Beschuldigten anlässlich seiner asylverfahrensrechtlichen Anhörungen kommen im vorliegenden Fall entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers qualitativ einem Geständnis nahe.

[X.]

Meta

StB 31/20

15.10.2020

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: False

vorgehend BGH, 30. April 2020, Az: 4 BGs 51/20

§ 8 Abs 3 S 1 AsylVfG, § 25 AsylVfG, § 102 StPO, § 105 StPO, § 129a Abs 1 Nr 1 StGB, § 129a Abs 5 S 1 Alt 1 StGB, § 129b Abs 1 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 15.10.2020, Az. StB 31/20 (REWIS RS 2020, 2152)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 2152

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