Bundesgerichtshof, Urteil vom 24.09.2013, Az. I ZR 73/12

1. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 2551

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Gegenstand

Unlauterer Wettbewerb: Feststellungsbescheid über die Zulassungspflicht eine Arzneimittels als Marktverhaltensregelung - Atemtest II


Leitsatz

Atemtest II

1. Einer Feststellung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte gemäß § 21 Abs. 4 AMG über die Zulassungspflicht eines Arzneimittels kommt im Rahmen des § 4 Nr. 11 UWG Tatbestandswirkung zu.

2. Die Tatbestandswirkung eines (nicht nichtigen) Verwaltungsakts entfällt nicht dadurch, dass dieser angefochten ist und die Anfechtung aufschiebende Wirkung hat.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des 20. Zivilsenats des [X.] vom 20. März 2012 aufgehoben.

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der 12. Zivilkammer des [X.] vom 20. April 2011 abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin betreibt ein pharmazeutisches Unternehmen, das unter anderem

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Der Beklagte misst nach der Identitätsprüfung des mit einem Prüfzertifikat versehenen Rohstoffs mittels eines Massenspektrometers Portionen von in der Regel 75 mg ab, wobei er das

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Nach Ansicht der Klägerin benötigt der Beklagte für den von ihm vertriebenen Atemtest eine arzneimittelrechtliche Zulassung. Die Voraussetzungen für eine Freistellung von der Zulassungspflicht für einen Apotheker lägen nicht vor.

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Das [X.] hat der auf Unterlassung des Vertriebs und der Bewerbung des Atemtests des Beklagten gerichteten Klage stattgegeben. Die Berufung des Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision, deren Zurückweisung die Klägerin beantragt, erstrebt der Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage.

Entscheidungsgründe

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I. Das Berufungsgericht hat einen Unterlassungsanspruch der Klägerin gemäß §§ 8, 3, 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 21 Abs. 1 Satz 1 [X.] bejaht und dazu ausgeführt:

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Die vom [X.]n hergestellten und vertriebenen Kapseln seien ein Fertigarzneimittel im Sinne von § 21 Abs. 1 Satz 1, § 4 Abs. 1 [X.]. Eine Ausnahme von der Zulassungspflicht gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1 [X.] liege nicht vor, weil der [X.] die Kapseln nicht in den wesentlichen Schritten in seiner Apotheke herstelle. Es sei nicht ersichtlich, dass der [X.] die Kapseln zumindest zum Teil als Rezepturarzneimittel in einer Weise vertreibe, die nicht dem § 4 Abs. 1 [X.] unterfalle. Einem Verbot nach § 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 21 Abs. 1 Satz 1 [X.] stehe auch nicht entgegen, dass die [X.] das Verhalten des [X.]n nicht untersagt habe.

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II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Abweisung der Klage. Dabei kann dahinstehen, ob die Annahme des Berufungsgerichts zutrifft, die Verhaltensweise des [X.]n unterfalle nicht dem [X.] des § 21 Abs. 2 Nr. 1 [X.]. Der Klägerin steht der Unterlassungsanspruch jedenfalls deshalb nicht (mehr) zu, weil das [X.] ([X.]; im Weiteren: [X.]) mit Bescheid vom 6. Juni 2012 (im Weiteren: Feststellungsbescheid) gemäß § 21 Abs. 4 [X.] festgestellt hat, dass es sich bei den

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1. Der Unterlassungsanspruch ist in die Zukunft gerichtet. Er muss daher auch noch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bestehen, auf die das vorliegende Urteil ergeht (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 2. Februar 2012 - [X.], [X.], 945 Rn. 30 = [X.], 1222 - Tribenuronmethyl; Urteil vom 31. Mai 2012 - [X.], [X.], 949 Rn. 36 = [X.], 1086 - Missbräuchliche Vertragsstrafe).

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2. Der Feststellungsbescheid ist im vorliegenden Revisionsverfahren zu berücksichtigen. Der Umstand, dass er erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung in der Berufungsinstanz erlassen worden ist, steht seiner Berücksichtigung nicht entgegen. Die Bestimmung des § 559 Abs. 1 ZPO verbietet nicht generell die Einführung neuer Tatsachen. Als ausnahmsweise auch im Revisionsverfahren noch zu beachtende Tatsache ist unter anderem der (nachträgliche) Erlass eines Verwaltungsakts anerkannt (vgl. [X.], Urteil vom 12. Dezember 1997 - [X.], NJW 1998, 989, 990, insoweit nicht in [X.]Z 137, 314; Urteil vom 4. Juni 2009 - [X.], [X.], 2956 Rn. 12; MünchKomm.ZPO/[X.], 4. Aufl., § 559 Rn. 31, jeweils mwN).

3. Der Feststellungsbescheid steht - als feststellender Verwaltungsakt - dem Erfolg der Klage entgegen, weil er dem [X.]n das von der Klägerin mit der Klage beanstandete Verhalten ausdrücklich erlaubt hat (vgl. [X.], Urteil vom 23. Juni 2005 - I ZR 194/02, [X.]Z 163, 265, 269 - Atemtest I; Winnands in [X.]/[X.][X.], [X.], 2012, § 21 Rn. 98; [X.], [X.], 3. Aufl., § 21 Rn. 13; [X.] in [X.], Medizinrecht, 2011, § 21 [X.] Rn. 21; [X.]/[X.], Arzneimittelrecht, 121. Lief., 2012, § 21 [X.] Anm. 74 mwN; [X.] in Prütting, Medizinrecht, 2. Aufl., § 21 [X.] Rn. 45).

a) Die Revisionserwiderung weist zwar mit Recht darauf hin, dass ein Verwaltungsakt den Tatbestand des § 4 Nr. 11 UWG dann nicht ausschließt, wenn er nichtig ist (vgl. [X.]Z 163, 265, 269 - Atemtest I; Urteil vom 13. März 2008 - [X.], [X.], 1014 Rn. 32 = [X.], 1335 - Amlodipin; [X.] in [X.]/Bornkamm, UWG, 31. Aufl., § 4 Rn. 11.20, jeweils mwN). Von einer Nichtigkeit des Feststellungsbescheids kann im Streitfall jedoch nicht ausgegangen werden.

aa) Die Revisionserwiderung macht für ihren gegenteiligen Standpunkt geltend, der Feststellungsbescheid sei widersprüchlich und deshalb nichtig. Das [X.] führe in der Begründung seines Bescheids selbst aus, dass es sich bei der Herstellung nicht um eine sogenannte verlängerte Rezeptur lediglich im Voraus hergestellter und vorrätig gehaltener [X.] handele. Das [X.] grenzt mit dieser Formulierung jedoch lediglich die Portionierung von [X.] ([X.]), die keine zulässige verlängerte Rezeptur im Sinne von § 21 Abs. 2 Nr. 1 [X.] darstellt (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. März 1999 - 3 C 32/98, [X.] 418.32 [X.] Nr. 33), von der danach zulässigen verlängerten Rezeptur ab und geht im Weiteren in seinem Bescheid davon aus, dass es sich bei dem vom [X.]n hergestellten Produkt nicht um ein zulassungspflichtiges Arzneimittel handelt. Das [X.] bringt daher entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung mit der von dieser beanstandeten Formulierung nicht auch selbst zum Ausdruck, dass der [X.] den Rahmen einer zulässigen Rezeptur überschreitet.

bb) Auch im Übrigen sind keine Gründe ersichtlich, die für die Nichtigkeit des Feststellungsbescheids sprechen könnten. Insbesondere hat das [X.] als die nach § 77 Abs. 1 [X.] zuständige Bundesoberbehörde auf Antrag der nach § 64 [X.] als Landesbehörde zuständigen Bezirksregierung Düsseldorf gemäß § 21 Abs. 4 [X.] in dem dafür vorgesehenen Verwaltungsverfahren entschieden.

b) Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung rechtfertigt die Tatsache, dass der Feststellungsbescheid des [X.]s seiner Rechtsnatur nach ein feststellender Verwaltungsakt ist, kein anderes Ergebnis. Zwar ist der feststellende Verwaltungsakt einer Vollstreckung weder zugänglich noch bedürftig. Auch ist er im Streitfall ausdrücklich allein zugunsten des [X.]n ergangen. Mit der Vorschrift des § 21 Abs. 4 [X.] wurde aber gerade die Möglichkeit geschaffen, dass das [X.] als Bundesoberbehörde Streitfragen hinsichtlich der Zulassungspflicht von Arzneimitteln bundesweit einheitlich entscheidet. Die für die Überwachung der Einhaltung der arzneimittelrechtlichen Vorschriften zuständigen Landesbehörden sind an die für sie insoweit verbindliche rechtliche Auffassung des [X.]s gebunden und können daher auch keine damit unvereinbaren Untersagungsverfügungen erlassen (vgl. [X.] aaO § 21 Rn. 13; [X.] in [X.] aaO § 21 [X.] Rn. 21). Wenn aber der Vertrieb der

c) Der Umstand, dass die Klägerin den Feststellungsbescheid des [X.]s nach der Zurückweisung ihres dagegen eingelegten Widerspruchs vor dem Verwaltungsgericht angefochten und dieses - soweit ersichtlich - bislang noch nicht entschieden hat, rechtfertigt ebenfalls keine andere Beurteilung. Die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage begründet lediglich eine Vollziehbarkeitshemmung; der Verwaltungsakt als solcher bleibt davon unberührt und damit wirksam (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. August 1988 - 4 [X.]/88, NVwZ 1989, 48, 49; Urteil vom 20. November 2008 - 3 C 13/08, [X.], 250 Rn. 12 = [X.], 1099). Dementsprechend ist die zuständige Landesbehörde an den Verwaltungsakt auch dann gebunden, wenn dieser angefochten worden ist. Sie ist deshalb auch in einem solchen Fall gehindert, eine arzneimittelrechtliche Untersagungsverfügung zu erlassen. Wenn aber eine Untersagungsverfügung, mit der die Verwaltungsbehörde dem [X.]n den Vertrieb der von ihm hergestellten

III. Der [X.] hat davon abgesehen, die Verhandlung gemäß § 148 ZPO auszusetzen. Zwar ist es nicht ausgeschlossen, dass der Feststellungsbescheid des [X.]s aufgehoben wird. In einem solchen Fall wäre im Rahmen des Tatbestands gemäß § 4 Nr. 11 UWG die Frage neu zu beurteilen, ob der [X.] die

IV. Das Urteil des Berufungsgerichts kann danach nicht aufrechterhalten werden; es ist deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der [X.] kann in der Sache selbst entscheiden, weil diese - im Sinne der Abweisung der Klage - zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

VRi[X.] Prof. Dr. Dr. h.c. Bornkamm
ist wegen Urlaubs an der Unterschrift
gehindert.

        

Pokrant     

        

Büscher

Pokrant

                                   
        

     Schaffert     

        

Koch     

        

Meta

I ZR 73/12

24.09.2013

Bundesgerichtshof 1. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Düsseldorf, 20. März 2012, Az: I-20 U 108/11

§ 4 Nr 11 UWG, § 21 Abs 4 AMG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 24.09.2013, Az. I ZR 73/12 (REWIS RS 2013, 2551)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 2551

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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