Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.06.2023, Az. I R 43/20

1. Senat | REWIS RS 2023, 6768

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Gegenstand

Keine Geltung der KonsVerLUXV für das DBA-Luxemburg 2012 - Besteuerungsrecht für den Arbeitslohn eines grenzüberschreitend tätigen Fahrers von Linienbussen


Leitsatz

1. Die KonsVerLUXV gilt nur für das DBA-Luxemburg 1958/2009, nicht aber auch für das DBA-Luxemburg 2012.

2. Die Regelung in Nr. 4 Buchst. a der Konsultationsvereinbarung zwischen den Finanzbehörden Deutschlands und Luxemburgs vom 07.09.2011, nach der Arbeitslohn, der auf Arbeitstage entfällt, an denen der Berufskraftfahrer seine Tätigkeit teilweise in dem Vertragsstaat ausgeübt hat, in dem der Arbeitgeber des Berufskraftfahrers seinen Wohnsitz hat, und teilweise in dem Vertragsstaat, in dem der Berufskraftfahrer seinen Wohnsitz hat, "unabhängig von der jeweiligen Verweildauer" zu gleichen Teilen auf den Ansässigkeitsstaat des Berufskraftfahrers und auf den Wohnsitzstaat des Arbeitgebers aufgeteilt wird, verstößt gegen den Wortlaut des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 DBA-Luxemburg 2012 und ist daher für dessen Auslegung nicht maßgeblich.

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 07.10.2020 - 1 K 1272/18 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Streitig ist, mit welchem Anteil das Gehalt des [[X.].] und Revisionsklägers (Kläger) in der [[X.].] ([[X.].]) zu versteuern ist.

2

Der verheiratete, im Inland wohnhafte Kläger war in den Jahren 2015 und 2016 (Streitjahre) als Linienbusfahrer bei der Firma [X.] mit Sitz im [X.] ([X.]) beschäftigt. Hieraus erzielte der mit seiner Ehefrau zusammenveranlagte Kläger Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

3

Im Streitjahr 2015 betrug der [X.]. Darin waren enthalten Zuschläge für Nacht-, Feiertags- oder Sonntagsarbeit in Höhe von … €. In der Einkommensteuererklärung für 2015 erklärte der Kläger in der Anlage N (nach Abzug der Zuschläge) einen steuerpflichtigen Bruttoarbeitslohn von … € und einen steuerfreien, aber dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Arbeitslohn aus [X.] in Höhe von … €. Zudem erklärte er Werbungskosten in Höhe von … €, wovon er … € dem inländischen Arbeitslohn und … € den [X.] zuordnete. Der Kläger gab an, insgesamt 109 343 Minuten gearbeitet zu haben, wovon 26 315 Minuten (entspricht 24,07 %) auf seine Tätigkeit in [[X.].] entfallen seien. Zum Nachweis legte er tägliche Dienstpläne vor.

4

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt --[X.]--) nahm hingegen anhand der eingereichten Unterlagen eine taggenaue Zuordnung wie folgt vor:

33 Arbeitstage

ausschließlich [X.]

2 Arbeitstage

ausschließlich [[X.].]

198 Arbeitstage

sowohl [[X.].] als auch [X.]

5

Unter Berufung auf § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der vom [X.] ([X.]) erlassenen Verordnung zur Umsetzung von [X.] zwischen der [[X.].] und dem [X.] vom 09.07.2012 --KonsVerLU[X.]V-- ([X.], 1484, [X.], 693) wies das [X.] die Arbeitstage, an denen der Kläger sowohl in [[X.].] als auch in [X.] tätig war, beiden [X.] jeweils zu 50 % zu. Danach ergab sich für das Streitjahr 2015 folgende Verteilung: 56,65 % (132 Arbeitstage) [X.] und 43,35 % (101 Arbeitstage) [[X.].]. Im Einkommensteuerbescheid für 2015 vom 20.03.2017 wurde der im Inland zu versteuernde Arbeitslohn mit … € und die darauf entfallenden Werbungskosten mit … € angesetzt; dem Progressionsvorbehalt wurden Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von … € (… € abzüglich Werbungskosten in Höhe von … €) unterworfen.

6

Im Streitjahr 2016 betrug der [X.]. Darin waren enthalten Zuschläge für Nacht-, Feiertags- oder Sonntagsarbeit in Höhe von … €. In der Einkommensteuererklärung für 2016 erklärte der Kläger in der Anlage N (nach Abzug der Zuschläge) einen steuerpflichtigen Bruttoarbeitslohn von … € (46,23 %) und einen steuerfreien, aber dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Arbeitslohn aus [X.] in Höhe von … € (53,77 %). Zudem erklärte er Werbungskosten in Höhe von … €, wovon er … € dem inländischen Arbeitslohn und … € den [X.] zuordnete. Anhand monatlicher [X.] wurde vom Steuerberater eine taggenaue Zuordnung wie folgt vorgenommen:

19 Arbeitstage

ausschließlich [X.]

233 Arbeitstage

sowohl [[X.].] als auch [X.]

7

Die Veranlagung erfolgte erklärungsgemäß mit Einkommensteuerbescheid für 2016 vom 11.12.2017. Kurz zuvor hatte aber der Kläger eine geänderte Einkommensteuererklärung übermittelt, in der er einen steuerpflichtigen Bruttoarbeitslohn von … € (hierzu Werbungskosten in Höhe von … €) und einen steuerfreien, dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Arbeitslohn aus [X.] in Höhe von … € (hierzu Werbungskosten in Höhe von … €) erklärte. Der Kläger gab an, insgesamt 120 960 Minuten gearbeitet zu haben, wovon 19 951 Minuten (entspricht 16,49 %) auf seine Tätigkeit in [[X.].] und 101 009 Minuten auf seine Tätigkeit in [X.] entfallen seien. Zum Nachweis legte er monatliche [X.] vor, in denen die Zahl der Arbeitstage und die nach der jeweils gefahrenen Buslinie planmäßig in [[X.].] gefahrenen Minuten angegeben waren.

8

Nachdem es bereits mit Einspruchsentscheidung vom 24.05.2017 den Einspruch für 2015 zurückgewiesen hatte, lehnte das [X.] am 15.12.2017 die Änderung des [X.] ab und wies den Einspruch gegen den Steuerbescheid mit Einspruchsentscheidung vom 26.02.2018 als unbegründet zurück.

9

Der dagegen gerichteten Klage gab das [X.] ([X.]) [X.] mit in Entscheidungen der [X.]e 2021, 88 veröffentlichtem Urteil nur zu einem kleinen --einen anderen Streitpunkt betreffenden-- Teil statt. In Bezug auf die vom [X.] vorgenommene Zuordnung der Besteuerungsrechte für den Arbeitslohn hat das [X.] die Klage als unbegründet abgewiesen.

Dagegen richtet sich die Revision des [[X.].], mit der er die Verletzung materiellen Rechts geltend macht. Das [X.] hat die seinerseits zunächst eingelegte Revision mit Schriftsatz vom 15.06.2023 zurückgenommen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des [X.] [X.] vom 07.10.2020 - 1 K 1272/18 aufzuheben, soweit es die Klage abgewiesen hat, und 1.) die Einspruchsentscheidung des [X.] vom 24.05.2017 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2015 vom 20.03.2017 dahingehend zu ändern, dass die Aufteilung des [X.], der auf [[X.].] entfällt, entsprechend der Einkommensteuererklärung vorgenommen wird, sowie 2.) den Ablehnungsbescheid des [X.] vom 15.12.2017 und die dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 26.02.2018 aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2016 vom 11.12.2017 dahingehend zu ändern, dass die Aufteilung des [X.], der auf [[X.].] entfällt, entsprechend der Einkommensteuererklärung vorgenommen wird.

Das [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Das [X.] ist dem Verfahren beigetreten; es hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet, sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückweisung der Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Dieses ist unzutreffend davon ausgegangen, dass der Arbeitslohn, den der Kläger in den Streitjahren für Tage bezogen hat, an denen er teilweise in [X.] und teilweise in [X.] gearbeitet hat, im Wege einer Schätzung jeweils hälftig auf [X.] und [X.] aufzuteilen sei.

1. Der Kläger war aufgrund seines inländischen Wohnsitzes in den Streitjahren unbeschränkt steuerpflichtig und unterlag daher mit allen Einkünften der Einkommensteuer (§ 1 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden Fassung --EStG--). Auf die von ihm erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) findet Art. 14 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik [X.] und dem Großherzogtum [X.] zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und Verhinderung der Steuerhinterziehung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 23.04.2012 ([X.], 1403, [X.], 8) --DBA-[X.] 2012-- Anwendung. Danach können vorbehaltlich der Art. 15 bis 19 des Abkommens Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem [X.]staat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, die Arbeit wird im anderen [X.]staat ausgeübt. Wird die Arbeit dort ausgeübt, so können die dafür bezogenen Vergütungen im anderen Staat besteuert werden. In dem letztgenannten Fall wird die Doppelbesteuerung bei in [X.] ansässigen Personen durch Freistellung der Löhne von der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer vermieden (Art. 22 Abs. 1 DBA-[X.] 2012).

2. Bei der Bestimmung des Tätigkeitsstaats im Sinne des Art. 14 Abs. 1 DBA-[X.] 2012 --der Art. 15 Abs. 1 des Musterabkommens der [X.] ([X.]) nachgebildet ist-- kommt es nach dem eindeutigen Abkommenswortlaut allein auf den Ort der Ausübung der nichtselbständigen Tätigkeit an ([X.], vgl. zuletzt Senatsurteil vom 16.01.2019 - I R 66/17, [X.], 1067; Senatsbeschluss vom 01.06.2022 - I R 45/18, [X.], 274, [X.] 2022, 646). Für die Beurteilung der Frage, an welchem Ort die nichtselbständige Tätigkeit ausgeübt wird, ist auf den Arbeitsort abzustellen. Dieser befindet sich dort, wo der Arbeitnehmer sich zur Ausübung seiner Tätigkeit tatsächlich aufhält; ausschlaggebend hierfür ist seine physische Anwesenheit im Tätigkeitsstaat (vgl. Senatsurteile vom 25.11.2014 - I R 27/13, [X.], 153, [X.], 448, m.w.N.; vom 16.01.2019 - I R 66/17, [X.], 1067).

Für grenzüberschreitend tätige Berufskraftfahrer, deren Arbeitsort dort ist, wo sie sich mit den ihnen anvertrauten Fahrzeugen jeweils physisch aufhalten, folgt hieraus, dass das Arbeitsentgelt aufzuteilen ist (vgl. Senatsurteile vom 29.01.1986 - I R 22/85, [X.], 132, [X.] 1986, 479; vom 31.03.2004 - I R 88/03, [X.], 64, [X.] 2004, 936; Senatsbeschluss vom [X.] - I B 79/01, [X.] 2002, 902); das gilt auch für den Fall, dass der Kraftfahrer an einem Arbeitstag nur stundenweise in einem Staat tätig geworden ist (Senatsurteil vom 29.01.1986 - I R 22/85, [X.], 132, [X.] 1986, 479; Senatsbeschluss vom 01.06.2022 - I R 45/18, [X.], 274, [X.] 2022, 646; vgl. auch Senatsurteil vom 25.11.2014 - I R 27/13, [X.], 153, [X.], 448).

3. Das [X.] hat --ohne dass insoweit Streit zwischen den Beteiligten besteht-- die Handhabung des [X.] bestätigt, wonach die Tage, an denen der Kläger ausschließlich in [X.] tätig war, von der Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer (2015: 33 Arbeitstage; 2016: 19 Arbeitstage) ausgenommen und die Tage, an denen der Kläger ausschließlich in [X.] tätig war (2015: 2 Arbeitstage), dem [X.] Besteuerungsrecht unterworfen waren. Die zwischen den Beteiligten streitigen Arbeitstage, an denen der Kläger sowohl in [X.] als auch [X.] tätig war (grenzüberschreitende Linienfahrten), hat es im Ergebnis im Schätzungswege hälftig geteilt (2015: 198 Arbeitstage; 2016: 233 Arbeitstage). Diese Handhabung hält einer revisionsgerichtlichen Überprüfung indessen nicht stand.

a) Es ist zwar zutreffend, dass die erforderliche Aufteilung des Arbeitslohns nach dem physischen Aufenthalt dann im Wege der Schätzung nach § 162 der Abgabenordnung vorgenommen werden kann, wenn keine geeigneten Nachweise zum jeweiligen Grenzübertritt vorgelegt werden (vgl. Senatsbeschluss vom 01.06.2022 - I R 45/18, [X.], 274, [X.] 2022, 646).

b) Das [X.] hat die vom Kläger vorgelegten Unterlagen aber zu Unrecht als ungeeignete Schätzungsgrundlage angesehen. Der Kläger hat für 2015 tägliche Dienstpläne (samt daraus für jede Fahrt abgeleiteter Ermittlung der auf dem jeweiligen Staatsgebiet ausgeübten Arbeitszeit) und für 2016 monatliche [X.], in denen die Zahl der Arbeitstage und die --nach der jeweils gefahrenen [X.] planmäßig in [X.] gefahrenen Minuten angegeben waren, vorgelegt. Das [X.] hat diese Unterlagen als zum Nachweis der im jeweiligen [X.]staat ausgeübten Arbeitszeit prinzipiell ungeeignet verworfen und konkrete Ermittlungen und Nachweise der tatsächlichen Fahrtzeiten für jede einzelne Fahrt gefordert. Zu den vorgelegten Dienstplänen hat es insbesondere ausgeführt, es entspreche der allgemeinen Lebenserfahrung, dass sich die Verkehrslage je nach Tageszeit und Unfallgeschehen täglich anders darstelle. Abgesehen davon, dass sich tageweise Veränderungen der Verkehrsverhältnisse auf beiden Seiten der Grenze ereignen können und sich wahrscheinlich über die [X.] hin ausgleichen, ist es jedenfalls nicht nachvollziehbar, weshalb die vom [X.] vorgenommene hälftige Aufteilung der Arbeitszeiten näher an der Realität liegen sollte, als die vom Kläger vorgenommene Ermittlung der nach Dienstplänen beziehungsweise nach der jeweils gefahrenen Buslinie planmäßig in [X.] gefahrenen Minuten. Es ist insoweit unzutreffend, dass die vorgelegten Unterlagen als Schätzungsgrundlage ungeeignet sind. Vielmehr ist es Aufgabe des [X.], die vorgelegten Unterlagen --jedenfalls [X.] auf ihre Plausibilität zu prüfen und gegebenenfalls auf ihrer Grundlage eine Schätzung vorzunehmen.

4. An diesem Ergebnis ändern weder § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] noch die diesem zugrunde liegende [X.] zwischen den Finanzverwaltungen der beiden [X.]staaten etwas.

a) Nach § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] wird Arbeitsentgelt, das auf Arbeitstage entfällt, an denen der Berufskraftfahrer, der Lokomotivführer oder das Begleitpersonal seine Tätigkeit teilweise in dem [X.]staat ausgeübt hat, in dem der Arbeitgeber des [X.], des [X.] oder des Begleitpersonals seinen Wohnsitz hat, und teilweise in seinem Ansässigkeitsstaat, unabhängig von der jeweiligen Verweildauer zu gleichen Teilen auf den Ansässigkeitsstaat des [X.], des [X.] oder des Begleitpersonals und auf den Wohnsitzstaat des Arbeitgebers aufgeteilt.

Die Regelung ist jedoch bereits aufgrund des eigenen Geltungsanspruchs der Verordnung nicht auf das im Streitfall maßgebliche DBA-[X.] 2012 anwendbar. Nach § 1 [X.] gilt als Abkommen im Sinne der Verordnung vielmehr (nur) das zuletzt durch Protokoll vom 11.12.2009 ([X.], 1151, [X.], 838) geänderte Abkommen zwischen der Bundesrepublik [X.] und dem Großherzogtum [X.] zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 23.08.1958 ([X.] 1959, 1270, [X.], 1023) --DBA-[X.] 1958/2009--. Eine Erstreckung auf das DBA-[X.] 2012 enthält die Verordnung nicht. Soweit das [X.] dazu ausgeführt hat, dass sich der Inhalt des Abkommens, bezogen auf den für den Streitfall relevanten Teil, nicht geändert habe und die Verhandlungsführer deshalb von einer Fortgeltung des § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] ausgegangen seien, ändert das nichts daran, dass es an einer Erstreckung der [X.] auf das DBA-[X.] 2012 durch den Verordnungsgeber fehlt. Die in der [X.] wiedergegebene Verwaltungspraxis ist auch nicht --was nahegelegen hätte-- in das neue Abkommen selbst aufgenommen oder in einer Protokollerklärung dazu festgehalten worden. Überdies würde § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] im Falle seiner Anwendbarkeit gegen höherrangiges Recht --nämlich gegen Art. 14 Abs. 1 DBA-[X.] 2012-- verstoßen, wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt.

b) Die von § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] übernommene, zwischen den Finanzverwaltungen der beiden [X.]staaten geschlossene [X.] vom 07.09.2011 ([X.] zum [X.] in der Fassung des [X.] und des Änderungsprotokolls vom 11.12.2009 zwischen dem Großherzogtum [X.] und der Bundesrepublik [X.] zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen betreffend die Besteuerung der Löhne von Berufskraftfahrern, Lokomotivführern und Begleitpersonal, die in einem der beiden [X.]staaten ansässig und für ein in dem anderen [X.]staat ansässiges Unternehmen tätig sind, [X.], 850) taugt ebenfalls nicht als Rechtsgrundlage für eine vom jeweiligen Ort der [X.] unabhängige, pauschale hälftige Aufteilung der [X.].

Zwar bestimmt Nr. 10 der [X.], dass die Vereinbarung dann, wenn das [X.] durch ein neues Abkommen ersetzt wird, entsprechend auf das neue Abkommen anzuwenden ist. Jedoch verstößt der Inhalt der [X.] gegen den Wortlaut des Art. 14 Abs. 1 DBA-[X.] 2012 und kann daher für die Auslegung der Abkommensvorschrift nicht maßgeblich sein.

aa) Zur Beseitigung von Schwierigkeiten bei der Abgrenzung des Besteuerungsrechts nach dem Ausübungsort der nichtselbständigen Tätigkeit von Berufskraftfahrern, die in einem der [X.]staaten ansässig sind und ihre nichtselbständige Tätigkeit für einen in dem anderen [X.]staat ansässigen Arbeitgeber ausüben, hatten die [X.]staaten zunächst eine auf Art. 26 Abs. 3 DBA-[X.] 1958 basierende und mit [X.]-Schreiben vom 10.05.2005 ([X.], 696) veröffentlichte [X.] getroffen. Diese wurde später durch die [X.] vom 07.09.2011 ersetzt. Die [X.] erfasst nunmehr auch Lokomotivführer und Begleitpersonal. Nach deren Nr. 4 Buchst. a wird der Arbeitslohn, der auf Arbeitstage entfällt, an denen der Berufskraftfahrer, der Lokomotivführer oder das Begleitpersonal seine Tätigkeit teilweise in dem [X.]staat ausgeübt hat, in dem der Arbeitgeber des [X.], des [X.] oder des Begleitpersonals seinen Wohnsitz hat, und teilweise in dem [X.]staat, in dem der Berufskraftfahrer, der Lokomotivführer oder das Begleitpersonal seinen Wohnsitz hat, unabhängig von der jeweiligen Verweildauer des [X.], des [X.] oder des Begleitpersonals in den einzelnen [X.], zu gleichen Teilen auf die entsprechenden [X.] aufgeteilt.

bb) Nach der ständigen Senatsrechtsprechung (u.a. Urteile vom 02.09.2009 - I R 111/08, [X.], 276, [X.] 2010, 387; vom 10.06.2015 - I R 79/13, [X.], 110, [X.] 2016, 326; vom 30.05.2018 - I R 62/16, [X.], 54) ist es zwar nicht ausgeschlossen, die Abkommenspraxis der [X.]staaten, wie sie in einer [X.] zum Ausdruck kommt, bei der Abkommensauslegung zu berücksichtigen. In Einklang damit stehen die Grundsätze zur Auslegung von Verträgen nach Art. 31 des [X.] über das Recht der Verträge vom [X.] --[X.]-- ([X.] 1985, 927), in innerstaatliches Recht transformiert seit Inkrafttreten des [X.] vom 03.08.1985 ([X.] 1985, 926) am [X.] ([X.] 1987, 757). Ein Vertrag ist danach nach [X.] und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen. Außer dem bei der Auslegung zu berücksichtigenden und in Art. 31 Abs. 2 [X.] näher beschriebenen systematischen "Zusammenhang" sind nach Art. 31 Abs. 3 [X.] in gleicher Weise zu berücksichtigen: a) jede spätere Übereinkunft zwischen den [X.]parteien über die Auslegung des [X.] oder die Anwendung seiner Bestimmungen sowie b) jede spätere Übung bei der Anwendung des [X.], aus der die Übereinstimmung der [X.]parteien über seine Auslegung hervorgeht.

So gesehen können ein übereinstimmendes Abkommensverständnis und eine gemeinsame "Übung" der beteiligten Finanzverwaltungen für eine Abkommensauslegung bedeutsam sein, das aber immer nur insofern, als sie nicht dem Wortlaut des Abkommens zuwiderlaufen (vgl. Senatsurteile vom 27.08.2008 - I R 64/07, [X.], 553, [X.] 2009, 97; vom 02.09.2009 - I R 111/08, [X.], 276, [X.] 2010, 387). Der Abkommenswortlaut stellt in abschließender Weise die [X.] für das richtige Abkommensverständnis dar (Senatsurteile in [X.], 276, [X.] 2010, 387; vom 10.06.2015 - I R 79/13, [X.], 110, [X.] 2016, 326). Wird das in der [X.] gefundene Abkommensverständnis durch den Wortlaut nicht gedeckt, dann kann die Vereinbarung die Abkommensauslegung durch die Gerichte nicht beeinflussen oder die Gerichte gar binden (Senatsurteile in [X.], 276, [X.] 2010, 387; in [X.], 110, [X.] 2016, 326; vom 30.05.2018 - I R 62/16, [X.], 54). Diese Handhabung allein entspricht dem Gesetzesvorbehalt und dem Prinzip der Gewaltenteilung (vgl. auch Senatsurteil vom 11.07.2018 - I R 44/16, [X.], 354, [X.] 2023, 430 zu den Grenzen der Wirkung des [X.]-Musterkommentars auf die Abkommensauslegung).

cc) Die von den Verwaltungen intendierte pauschal hälftige Aufteilung der [X.] bewegt sich nicht innerhalb des Wortlauts des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 DBA-[X.] 2012. Danach können Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die eine in einem [X.]staat ansässige Person aus unselbständiger Arbeit bezieht, nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, die Arbeit wird im anderen [X.]staat "ausgeübt".

Bei den in der [X.] genannten Berufsgruppen kommt es bei der [X.] --anders als bei anderen [X.] zwar regelmäßig täglich zur gegebenenfalls sogar mehrfachen Überschreitung der Landesgrenzen, weshalb eine einfache und eine Doppel- beziehungsweise Nichtbesteuerung vermeidende Handhabung zweckmäßig erscheint. Indessen aber ordnet die [X.] die hälftige Aufteilung --nach Auffassung des [X.] im Sinne einer unwiderleglichen Vermutung-- "unabhängig von der jeweiligen Verweildauer" an. Es ist offensichtlich, dass dieser Inhalt mit dem durch Art. 14 Abs. 1 DBA-[X.] 2012 ausdrücklich angeordneten [X.] unvereinbar ist und den Abkommenswortlaut überschreitet.

5. Da das [X.] von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, ist sein Urteil aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif, da der Senat als Revisionsgericht die vom Kläger eingereichten Unterlagen zur Ermittlung des zeitlichen Umfangs der im jeweiligen [X.]staat ausgeübten Arbeit nicht selbst überprüfen kann. Es ist insoweit Aufgabe des [X.], dieser Aufgabe im zweiten Rechtsgang nachzukommen und gegebenenfalls auf Basis der überprüften Unterlagen eine realitätsgerechte Schätzung vorzunehmen.

6. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

I R 43/20

28.06.2023

Bundesfinanzhof 1. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 7. Oktober 2020, Az: 1 K 1272/18, Urteil

Art 14 Abs 1 S 1 DBA LUX 2012, § 1 KonsVerLUXV, § 7 Abs 2 S 1 Nr 1 KonsVerLUXV, § 162 Abs 1 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.06.2023, Az. I R 43/20 (REWIS RS 2023, 6768)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 6768

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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