Bundesfinanzhof, Urteil vom 29.03.2017, Az. I R 48/16

1. Senat | REWIS RS 2017, 13188

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Steuerliche Behandlung der Einkünfte des Geschäftsführers einer luxemburgischen S.a.r.l.


Leitsatz

1. NV: Ob der Geschäftsführer einer luxemburgischen S.a.r.l. als Arbeitnehmer i.S. des § 1 LStDV oder als Selbständiger i.S. der §§ 15, 18 EStG anzusehen ist, ist anhand einer Vielzahl in Betracht kommender Merkmale nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu beurteilen. Die Beteiligung des Geschäftsführers an der S.a.r.l. ist ein solches Einzelmerkmal, das im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen ist .

2. NV: "Gehaltszahlungen" an den beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführer einer S.a.r.l. sind regelmäßig als Einkünfte aus Kapitalvermögen (vGA) zu qualifizieren, wenn den Zahlungen keine klaren, eindeutigen und im Vorhinein abgeschlossenen Vereinbarungen zugrunde liegen. In einem solchen Fall ist zu prüfen, ob Deutschland als dem Wohnsitzstaat des Gesellschafter-Geschäftsführers das Besteuerungsrecht an den Zahlungen gemäß Art. 13 Abs. 1 DBA-Luxemburg 1958/1973 (Dividendenartikel) zusteht .

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 15. Juni 2016  1 K 1944/13 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

1

I. [X.]er getrennt zur Einkommensteuer veranlagte Kläger und Revisionskläger (Kläger) war in den Streitjahren zunächst Mitgesellschafter-Geschäftsführer und ab dem [X.] der [X.] ([X.]), einer der [X.] GmbH vergleichbaren luxemburgischen Kapitalgesellschaft, die ihren Sitz in wechselnden [X.] Gemeinden hatte. [X.]ie Firma [X.] erbrachte im Wesentlichen [X.]achdecker- und Zimmermannsarbeiten in der Bundesrepublik [X.]eutschland ([X.]eutschland) und im [X.] ([X.]). Auch der Kläger war als Geschäftsführer in beiden [X.] tätig. In [X.] ([X.]eutschland) hatte die Firma [X.] zwei Hallen mit Freiflächen angemietet. [X.]ort befanden sich ein Büro mit Kopierer, Regalen, Bauunterlagen u.ä., ein Aufenthaltsraum sowie Flächen für Maschinen und Hölzer. [X.]ie Hölzer wurden dort u.a. auch zugeschnitten.

2

Ein schriftlicher Anstellungsvertrag zwischen der Firma [X.] und dem Kläger existierte nicht. Letzterer bezog ein festes Gehalt, das zu festen Terminen auf dessen Konto überwiesen wurde. [X.]aneben erhielt er regelmäßig Gratifikationen. [X.]ie darauf entfallende Steuer wurde an die zuständige [X.] Finanzbehörde abgeführt.

3

[X.]er Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) qualifizierte die vom Kläger empfangenen Zahlungen als Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit. Er schätzte den auf die Tätigkeit in [X.] entfallenden Teil des Arbeitslohns auf 60 % und stellte ihn unter Progressionsvorbehalt aufgrund des Abkommens zwischen der Bundesrepublik [X.]eutschland und dem [X.] zur Vermeidung der [X.]oppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 23. August 1958 ([X.] 1959, 1270, [X.], 1023) i.d.F. des Ergänzungsprotokolls vom 15. Juni 1973 ([X.] 1978, 111, [X.] 1978, 73) --[X.]BA-[X.] 1958/1973-- von der [X.] Steuer frei. [X.]en übrigen Teil des Arbeitslohns unterwarf das [X.] in den angegriffenen Einkommensteuerbescheiden der [X.] Besteuerung. [X.]ie dagegen gerichtete Klage blieb ohne Erfolg. [X.]as Finanzgericht ([X.]) [X.] folgte in dem angegriffenen Urteil vom 15. Juni 2016  1 K 1944/13 (veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte --E[X.]-- 2016, 1429) im Wesentlichen dem tatsächlichen und rechtlichen Vorbringen des [X.]. Im Termin zur mündlichen Verhandlung beim [X.] war für den Kläger --wie zuvor von dessen [X.] niemand erschienen.

4

Mit der Revision beantragt der Kläger, das angegriffene [X.]-Urteil sowie die Einkommensteuerbescheide 2000 bis 2009 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3. Juli 2013 aufzuheben.

5

[X.]as [X.] beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

6

[X.]ie Beteiligten haben übereinstimmend auf mündliche Verhandlung verzichtet.

Entscheidungsgründe

7

II. [X.]ie Revision ist begründet, das [X.] ist aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

8

[X.]as [X.] ist davon ausgegangen, dass der Kläger nach dem Gesamtbild der Verhältnisse als Arbeitnehmer anzusehen sei, er deshalb in den Streitjahren Einkünfte aus [X.]er Arbeit gemäß § 19 des Einkommensteuergesetzes in der in den Streitjahren jeweils geltenden Fassung (EStG) erzielt und das Besteuerungsrecht für diese Einkünfte gemäß Art. 10 [X.] 1958/1973 [X.] zugestanden habe, soweit die Tätigkeit im Inland ausgeübt worden sei. Hierbei hat das [X.] allerdings der Tatsache, dass der Kläger im Streitzeitraum zunächst zu 50 %, später zu 100 % an der Firma [X.] beteiligt war, von Rechts wegen keine Bedeutung beigemessen. [X.]as hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.

9

1. Nach § 1 Abs. 2 Sätze 1 und 2 der Lohnsteuer-[X.]urchführungsverordnung --LSt[X.]V-- (i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG), die nach ständiger Rechtsprechung des [X.] ([X.]) den Arbeitnehmerbegriff zutreffend auslegen, liegt ein [X.]ienstverhältnis vor, wenn der Angestellte (Beschäftigte) dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft schuldet. [X.]ies ist der Fall, wenn die tätige Person in der Betätigung ihres geschäftlichen Willens unter der Leitung des Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des [X.], dass der Arbeitnehmerbegriff sich nicht durch Aufzählung feststehender Merkmale abschließend bestimmen lässt. [X.]as Gesetz bedient sich nicht eines tatbestandlich scharf umrissenen Begriffs. Es handelt sich vielmehr um einen offenen Typusbegriff, der nur durch eine größere und unbestimmte Zahl von Merkmalen beschrieben werden kann. [X.]ie Frage, ob jemand eine Tätigkeit selbständig oder [X.] ausübt, ist deshalb anhand einer Vielzahl in Betracht kommender Merkmale nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu beurteilen. [X.]iese Merkmale sind im konkreten Einzelfall zu gewichten und gegeneinander abzuwägen. Beides obliegt in erster Linie den Finanzgerichten als Tatsacheninstanz. [X.]ie im Wesentlichen auf tatrichterlichem Gebiet liegende Beurteilung ist revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbar ([X.]-Urteil vom 23. April 2009 [X.] R 81/06, [X.]E 225, 33, [X.], 262, m.w.N.).

2. Nach diesen Grundsätzen kann das angegriffene [X.] keinen Bestand haben. [X.]as [X.] durfte dem Umstand, dass der Kläger als Geschäftsführer zugleich auch an der Firma [X.] beteiligt war, nicht von vornherein jede rechtliche Relevanz absprechen. Vielmehr ist die Beteiligung des Steuerpflichtigen eines von vielen Indizien, die im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen sind. Als ein Einzelmerkmal von vielen kommt dem Umstand der Mehrheitsbeteiligung allerdings auch nicht die Bedeutung zu, dass bei einer Mehrheitsbeteiligung regelmäßig von einer selbständigen Tätigkeit des Geschäftsführers auszugehen wäre.

Im Unterschied zum [X.] kann der Senat weder der Rechtsprechung des [X.]. Senats des [X.] entnehmen, dass der Beteiligung des Geschäftsführers an der [X.] keinerlei Indizwirkung zukommt. Noch versteht er das Urteil des [X.]II. Senats des [X.] vom 20. Oktober 2010 [X.]II R 34/08 ([X.]/NV 2011, 585) so, dass eine Mehrheitsbeteiligung regelmäßig --also das Ergebnis vorprägend-- die Arbeitnehmereigenschaft ausschließt. Nach dieser Entscheidung "kann die Beteiligungsquote im Rahmen der steuerlichen Beurteilung zumindest als Indiz herangezogen werden". [X.]ie weiteren Ausführungen ("GmbH-[X.]er sind regelmäßig Selbständige, wenn sie zugleich Geschäftsführer der [X.] sind und mindestens 50 v.H. des Stammkapitals innehaben.") beziehen sich ausdrücklich auf das Sozialversicherungsrecht. Nach der Rechtsprechung des [X.]. Senats ist es für die Frage, ob ein [X.]er-Geschäftsführer als Arbeitnehmer zu beurteilen ist, --lediglich-- "nicht entscheidend", in welchem Verhältnis der Geschäftsführer an der Kapitalgesellschaft beteiligt ist ([X.]-Urteil in [X.]E 225, 33, [X.], 262). Beide Urteile stimmen damit darin überein, dass einer Mehrheitsbeteiligung keine ausschlaggebende, sondern lediglich eine indizielle Bedeutung zukommt. Im Übrigen kommen die zahlreichen anderen Kriterien zum Tragen, wie etwa die --trotz der Mehrheitsbeteiligung gegebene-- Weisungsgebundenheit und eine --im konkreten Fall gegebene-- Eingliederung in die betriebliche Organisation, die den [X.]er-Geschäftsführer regelmäßig zum Arbeitnehmer i.S. des § 1 Abs. 2 Sätze 1 und 2 LSt[X.]V machen ([X.]-Urteil in [X.]E 225, 33, [X.], 262).

3. [X.]ie Sache ist hiernach nicht spruchreif. [X.]ie erforderliche Gesamtwürdigung ist vom [X.] vorzunehmen. Allerdings könnte sich eine solche Abwägung erübrigen, wenn, was das [X.] im zweiten Rechtsgang gleichfalls zu prüfen haben wird, die streitigen Einkünfte als solche aus Kapitalvermögen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG zu qualifizieren sein sollten. Nach den bisherigen tatsächlichen Feststellungen ist fraglich, ob die "vertraglichen Zahlungsgrundlagen" zwischen dem Kläger als beherrschendem [X.]er und der Firma [X.] steuerlich anzuerkennen sind, insbesondere, ob sie dem formellen Fremdvergleich genügen (vgl. z.B. [X.], 3. Aufl., § 8 Rz 318 ff. und 796 ff.). Sollten die "Gehaltszahlungen" als verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA) zu erfassen sein, wäre weiter zu prüfen, ob und inwieweit [X.] als Wohnsitzstaat das Besteuerungsrecht für die Zahlungen gemäß Art. 13 Abs. 1 [X.] 1958/1973 zusteht (vgl. Siegers in [X.], [X.] Art. 13, Stand bis Ergänzungslieferung 124, Rz 45).

4. [X.]ie Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

I R 48/16

29.03.2017

Bundesfinanzhof 1. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Rheinland-Pfalz, 15. Juni 2016, Az: 1 K 1944/13, Urteil

§ 19 EStG 1997, § 19 EStG 2002, § 19 EStG 2009, § 15 Abs 2 S 1 EStG 1997, § 15 Abs 2 S 1 EStG 2002, § 15 Abs 2 S 1 EStG 2009, § 18 Abs 1 EStG 1997, § 18 Abs 1 EStG 2002, § 18 Abs 1 EStG 2009, § 20 Abs 1 Nr 1 S 2 EStG 1997, § 20 Abs 1 Nr 1 S 2 EStG 2002, § 20 Abs 1 Nr 1 S 2 EStG 2009, § 1 Abs 2 LStDV 1990, Art 10 DBA LUX 1958, Art 13 DBA LUX 1958, EStG VZ 2005, EStG VZ 2006, EStG VZ 2007, EStG VZ 2008, EStG VZ 2009

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 29.03.2017, Az. I R 48/16 (REWIS RS 2017, 13188)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 13188

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

I R 48/19 (Bundesfinanzhof)

(Ausübung des Wahlrechts nach § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG durch ausländische Personengesellschaft - …


I R 1/18 (Bundesfinanzhof)

(Teilweise inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 15.03.2021 I R 61/17 - Abkommensrechtliches Schachtelprivileg für Ausschüttungen einer …


I R 61/17 (Bundesfinanzhof)

Abkommensrechtliches Schachtelprivileg für Ausschüttungen einer Luxemburger SICAV


12 V 1784/23 (FG München)

Negativer Feststellungsbescheid, Feststellungsbescheiden, Inländische Einkünfte, Ausländische Einkünfte, Feststellungsbeteiligter, Antragsgegner, Streitjahr, Aussetzung der Vollziehung, Gesonderte und …


IV R 3/20 (Bundesfinanzhof)

(Ausübung des Wahlrechts nach § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG durch ausländische Personengesellschaft - …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.