Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.03.2017, Az. II R 10/15

2. Senat | REWIS RS 2017, 14047

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Gegenstand

Nachweis des niedrigeren Grundbesitzwerts durch Gutachten


Leitsatz

1. NV: Ein fehlerhaftes Gutachten kann zum Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts eines Grundstücks gemäß § 138 Abs. 4 BewG dienen, wenn das FG die Fehler ohne Einschaltung weiterer Sachverständiger berichtigen kann .

2. NV: Ist ein Gutachten nicht zum Nachweis von Mängeln geeignet, können die Mängel nicht bei der Feststellung des Grundbesitzwerts berücksichtigt werden .

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 10. Dezember 2014 1 K 332/11 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des finanzgerichtlichen Verfahrens tragen die Klägerin zu 18 % und der Beklagte zu 82 %.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat die Klägerin zu tragen.

Tatbestand

1

I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine KG, war Eigentümerin eines Grundstücks. [X.] ließ sie auf dem Grundstück eine Freizeitanlage errichten. Sie überließ die Anlage zunächst der [X.] zur Nutzung. Die [X.] konnte ihre vertraglichen Zahlungspflichten gegenüber der Klägerin nicht erfüllen. Am 21. September 2007 übte die ... GmbH eine ihr zustehende Option auf Abtretung aller Kommanditanteile an der Klägerin aus. Nachdem am 1. September 2008 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] eröffnet worden war, schloss die Klägerin am 14. Oktober 2008 mit einer Gesellschaft der ... Gruppe ([X.]) einen Mietvertrag sowie einen aufschiebend bedingten Kaufvertrag mit einem Kaufpreis von 12.050.000 € über die Anlage.

2

In der Folgezeit traten an der Anlage Mängel auf. Die Klägerin und die [X.] trafen unter dem 7. Dezember 2010 eine Änderungsvereinbarung, wonach sich der Kaufpreis auf 6.000.000 € reduzierte. In der [X.] zu dieser Änderungsvereinbarung hieß es, es habe sich im Nachhinein herausgestellt, dass die Anlage mit gravierenden Mängeln, insbesondere hinsichtlich der Statik und des Brandschutzes, behaftet sei. Die [X.] führe im Gegenzug die erforderlichen Sanierungsarbeiten auf eigene Kosten durch.

3

Mit Bescheid vom 21. Juli 2010 stellte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) den Grundbesitzwert für die wirtschaftliche Einheit der Anlage auf den 21. September 2007 nach § 147 des Bewertungsgesetzes in der für 2007 geltenden Fassung ([X.]) mit 43.131.500 € gesondert fest.

4

Im Einspruchsverfahren erklärte die Klägerin, sie könne gemäß § 138 Abs. 4 [X.] nachweisen, dass der gemeine Wert der wirtschaftlichen Einheit niedriger sei als der festgestellte Wert. Zum einen könne der Nachweis mit dem letztlich erzielten Kaufpreis geführt werden. Zum anderen legte die Klägerin ein Gutachten eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen vom 8. Dezember 2010 vor. Danach betrug der Wert für das Grundstück und den Gebäudekomplex als "Ertragswert vor Sanierung" 12.007.377,28 €. Unter Abzug eines geschätzten [X.] in Höhe von 6.200.000 € und einer Rundung ermittelte der Gutachter einen Marktwert in Höhe von 5.807.000 € zum Bewertungsstichtag 21. September 2007; diesen Wert korrigierte er noch auf 5.691.000 €. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass sich die zum Sanierungsaufwand führenden Baumängel erst im [X.] gezeigt hätten.

5

Der Einspruch blieb erfolglos.

6

Das Finanzgericht ([X.]) gab der Klage teilweise statt. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, der Grundbesitzwert auf den 21. September 2007 sei mit 12.269.500 € festzustellen, weil die Klägerin den Nachweis eines entsprechenden niedrigeren gemeinen Werts i.S. des § 138 Abs. 4 [X.] erbracht habe. Der zwischen der Klägerin und der [X.] geschlossene Kaufvertrag eigne sich zwar wegen der wirtschaftlich schwierigen Lage der Klägerin nicht für einen Individualnachweis. Der durch den Gutachter ermittelte Wert sei aber --nach Korrektur eines Fehlers bei der Berechnung der Restnutzungsdauer der [X.] grundsätzlich anzuerkennen. Dieser Wert sei nicht um einen Sanierungsaufwand für Baumängel zu mindern. Die Baumängel, die dem zugrunde liegen sollten, seien zum Besteuerungszeitpunkt noch nicht bekannt gewesen, sondern hätten sich erst im [X.] herausgestellt. Davon abgesehen ergebe sich aus dem vorgelegten Gutachten nicht mit hinreichender Klarheit, welche Baumängel dem vom Gutachter auch der Höhe nach nicht näher begründeten Sanierungsaufwand zugrunde gelegen hätten. Die Erwähnung der Mängel im Zusammenhang mit der am 7. Dezember 2010 erfolgten Änderung des Kaufvertrages mit der [X.] lasse allenfalls erahnen, dass es sich hierbei um die erst nach Abschluss des [X.] erkannten Mängel hinsichtlich der Statik und des Brandschutzes handele. Vor diesem Hintergrund erschließe sich nicht, wie der Gutachter den von ihm berücksichtigten Sanierungsaufwand ermittelt habe.

7

Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung von § 138 Abs. 4 [X.].

8

Durch Änderungsbescheid vom 18. Februar 2015 hat das [X.] zur Umsetzung der Entscheidung der Vorinstanz den Grundbesitzwert der Anlage mit 12.269.500 € festgestellt.

9

Die Klägerin beantragt,
die Vorentscheidung aufzuheben und den Bescheid über die gesonderte Feststellung des [X.] für Zwecke der Grunderwerbsteuer vom 18. Februar 2015 dergestalt abzuändern, dass der Grundbesitzwert für die wirtschaftliche Einheit, mit 5.691.000 € festgestellt wird.

Das [X.] beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II. Das Urteil des [X.] war schon aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben, weil sich während des Revisionsverfahrens der Verfahrensgegenstand, über dessen Rechtmäßigkeit das [X.] zu entscheiden hatte, geändert hat (§ 127 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). An die Stelle des Feststellungsbescheids vom 21. Juli 2010, über den das [X.] entschieden hat, ist während des Revisionsverfahrens der Bescheid vom 18. Februar 2015 getreten und nach § 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 [X.]O Gegenstand des Verfahrens geworden. Das angefochtene Urteil ist daher gegenstandslos und aufzuheben (Urteile des [X.] --[X.]-- vom 2. März 2011 II R 5/09, [X.], 1147; vom 3. Juni 2014 II R 45/12, [X.], 374, [X.], 806, und vom 22. Juli 2015 II R 15/14, [X.], 1584, jeweils m.w.N.).

Einer Zurückverweisung der Sache an das [X.] nach § 127 [X.]O bedarf es jedoch nicht, da sich aufgrund des Änderungsbescheids an den zwischen den Beteiligten streitigen Punkten nichts geändert hat ([X.]-Urteile vom 12. Januar 2011 II R 30/09, [X.], 755; in [X.], 374, [X.], 806, und in [X.], 1584). Die vom [X.] getroffenen tatsächlichen Feststellungen bilden nach wie vor die Grundlage für die Entscheidung des [X.]; sie fallen durch die Aufhebung des finanzgerichtlichen Urteils nicht weg, da das finanzgerichtliche Urteil nicht an einem Verfahrensmangel leidet ([X.]-Urteile in [X.], 374, [X.], 806, m.w.N., und in [X.], 1584).

III. [X.] ist spruchreif. Der gemäß § 121 Satz 1 i.V.m. § 68 Satz 1 [X.]O zum Gegenstand des Revisionsverfahrens gewordene Bescheid vom 18. Februar 2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Der Grundbesitzwert in Höhe von 12.269.500 € für die wirtschaftliche Einheit auf den 21. September 2007 ist zutreffend auf der Grundlage des [X.] gemäß § 138 Abs. 4 [X.] in Gestalt eines Sachverständigengutachtens ermittelt worden. Ein Abzug von Sanierungsaufwand kommt nicht in Betracht.

1. Weist der Steuerpflichtige nach, dass der gemeine Wert der wirtschaftlichen Einheit im Besteuerungszeitpunkt niedriger ist als der nach den §§ 145 bis 149 [X.] ermittelte Wert, ist der gemeine Wert als Grundbesitzwert festzustellen (§ 138 Abs. 4 [X.]).

a) Der Steuerpflichtige trägt für den niedrigeren gemeinen Wert die [X.] und nicht nur eine Darlegungs- und Feststellungslast (vgl. [X.]-Urteil vom 11. September 2013 II R 61/11, [X.]E 243, 376, [X.], 363). Er kann einen Nachweis durch Sachverständigengutachten regelmäßig nur durch ein Gutachten des örtlich zuständigen Gutachterausschusses oder eines Sachverständigen für die Bewertung von Grundstücken führen (zu § 146 Abs. 7 [X.] a.F. [X.]-Urteil vom 10. November 2004 II R 69/01, [X.]E 207, 352, [X.] 2005, 259).

b) Ob das Gutachten den geforderten Nachweis erbringt, unterliegt der freien Beweiswürdigung des [X.]. Der Nachweis ist erbracht, wenn dem Gutachten ohne Einschaltung bzw. Bestellung weiterer Sachverständiger gefolgt werden kann. Entspricht das Gutachten nicht in jeder Hinsicht den zu stellenden Anforderungen, berechtigt dies nicht ohne weiteres dazu, das Gutachten insgesamt unberücksichtigt zu lassen. Etwaige Lücken im Gutachten können vom [X.] selbst geschlossen werden, wenn und soweit dies ohne Sachverständige im üblichen Rahmen einer Beweiswürdigung möglich ist ([X.]-Urteil vom 5. Mai 2010 II R 25/09, [X.]E 230, 72, [X.] 2011, 203, Rz 18).

2. Im Streitfall beträgt der durch den Gutachter ermittelte Wert nach Berichtigung des Fehlers bei der Berechnung der Restnutzungsdauer wie vom [X.] entschieden 12.269.500 €. Das [X.] ist mit nachvollziehbaren Gründen insoweit dem Gutachten des Sachverständigen gefolgt. Diese Tatsachenfeststellung durch das [X.] ist möglich und damit für den Senat bindend (§ 118 Abs. 2 [X.]O; vgl. [X.]-Urteile vom 25. November 1997 IX R 8/95, [X.]/NV 1998, 832, und vom 12. Juli 2016 VII R 14/15, [X.]/NV 2017, 58, Rz 16).

Der Abzug von Sanierungsaufwand wie im Gutachten des Sachverständigen vom 8. Dezember 2010 vorgenommen scheidet aus. Wie das [X.] anhand des Sachverständigengutachtens bindend festgestellt hat, ergibt sich daraus nicht mit hinreichender Klarheit, welche Baumängel dem vom Gutachter auch der Höhe nach nicht näher begründeten Sanierungsaufwand zugrunde gelegen haben. Das Gutachten entspricht insoweit nicht den zu stellenden Anforderungen. Vom Sachverständigen zur Ermittlung des gemeinen Werts (§ 9 Abs. 2 [X.]) vorgenommene Abschläge müssen objektivierbar und grundstücksbezogen begründet sein, und zwar nicht nur dem Grunde nach, sondern auch hinsichtlich der Höhe ([X.]-Urteil in [X.]E 230, 72, [X.] 2011, 203, Rz 18, m.w.N.).

Die insoweit im Gutachten vom 8. Dezember 2010 enthaltenen Lücken konnte das [X.] nicht im üblichen Rahmen einer Beweiswürdigung ohne Sachverständige schließen. Eine hinreichende Substantiierung ergibt sich nach den revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Feststellungen des [X.] weder aus der [X.] vom 7. Dezember 2010 noch aus den sonstigen von der Klägerin vorgelegten Unterlagen.

Ob die Baumängel bereits zum Bewertungszeitpunkt 21. September 2007 vorhanden waren und ob sie ggf. bei der Bewertung zu berücksichtigen wären, obwohl sie seinerzeit noch nicht bekannt waren, kann danach auf sich beruhen.

3. Ein niedrigerer Grundbesitzwert als 12.269.500 € wird auch nicht durch den Kaufvertrag vom 14. Oktober 2008 und die [X.] vom 7. Dezember 2010 nachgewiesen.

a) Ein niedrigerer gemeiner Wert kann auch durch einen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zeitnah zum maßgeblichen Besteuerungsstichtag erzielten Kaufpreis für das zu bewertende Grundstück nachgewiesen werden ([X.]-Urteil vom 8. Oktober 2003 II R 27/02, [X.]E 204, 306, [X.] 2004, 179). Ein zeitnah erzielter Kaufpreis ist regelmäßig ein solcher, der innerhalb eines Jahres vor oder nach dem Besteuerungszeitpunkt zustande gekommen ist. Grundstücksverkäufe, die eine wesentlich längere [X.] als ein Jahr entfernt liegen, bieten im Allgemeinen keine geeignete Grundlage zur unmittelbaren Ableitung des gemeinen Werts ([X.]-Urteil vom 2. Juli 2004 II R 55/01, [X.]E 205, 492, [X.] 2004, 703). Als gewöhnlicher Geschäftsverkehr ist der Handel nach den wirtschaftlichen Grundsätzen von Angebot und Nachfrage zu verstehen, bei dem die Vertragspartner ohne Zwang und nicht aus Not, sondern in Wahrung ihrer eigenen Interessen handeln ([X.]-Urteil vom 26. April 2006 II R 58/04, [X.]E 213, 207, [X.] 2006, 793, unter [X.], m.w.N.).

b) Die in den [X.] und 7. Dezember 2010 vereinbarten Kaufpreise sind danach nicht zum Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts geeignet. Die Verträge sind nicht im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande gekommen. Vielmehr befand sich die Klägerin nach den vom [X.] getroffenen Feststellungen aufgrund der Nichterfüllung der vertraglichen Zahlungspflichten der [X.] ihr gegenüber und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der [X.] am 1. September 2008 in einer Notlage. Ihr Betriebsmodell war zusammengebrochen. Die [X.] vom 7. Dezember 2010 wurde zudem erst mehr als drei Jahre nach dem Bewertungsstichtag (21. September 2007) getroffen und kann schon deshalb nicht zum Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts herangezogen werden.

4. Die Kostenentscheidung folgt für das finanzgerichtliche Verfahren aus § 136 Abs. 1 Satz 1 [X.]O und für das Revisionsverfahren aus § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

II R 10/15

15.03.2017

Bundesfinanzhof 2. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Mecklenburg-Vorpommern, 10. Dezember 2014, Az: 1 K 332/11, Urteil

§ 9 Abs 2 BewG 1991, § 138 Abs 4 BewG 1991, § 147 BewG 1991, § 68 S 1 FGO, § 76 Abs 1 S 1 FGO, § 76 Abs 1 S 2 FGO, § 118 Abs 2 FGO, § 121 FGO, § 127 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.03.2017, Az. II R 10/15 (REWIS RS 2017, 14047)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 14047

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