Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.04.2012, Az. 4 StR 667/11

4. Strafsenat | REWIS RS 2012, 6949

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Gegenstand

Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr: Anforderungen an die Urteilsfeststellungen zur konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen bei Herbeiführung eines Auffahrunfalls


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 21. Juli 2011 im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte im Fall II. 3 der Urteilsgründe (Verkehrsunfall vom 27. März 2005) des versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr schuldig ist.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

3. Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr und wegen Betruges in jeweils acht Fällen unter Einbeziehung der Strafe aus einer anderweitigen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und gegen ihn eine Maßnahme nach §§ 69, 69a StGB angeordnet. Seine Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat den aus der [X.] ersichtlichen geringfügigen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2

1. Der [X.] ist mit Vorsitzendem [X.] Ernemann, Richterin am [X.] Roggenbuck sowie den Richtern am [X.] Dr. [X.], [X.] und Dr. [X.] ordnungsgemäß besetzt. Das Recht des Angeklagten auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) ist gewahrt. Zur Begründung wird auf den [X.]sbeschluss vom 11. Januar 2012 (4 [X.]) Bezug genommen.

3

2. Den Verfahrensrügen bleibt aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des [X.] vom 20. Februar 2012 der Erfolg versagt.

II.

4

Die Überprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der vom Angeklagten erhobenen, nicht näher ausgeführten Sachrüge hat einen ihn [X.] Rechtsfehler nur im Fall II. 3 der Urteilsgründe ergeben.

5

1. a) Nach den zu diesem Fall getroffenen Feststellungen verursachte der Angeklagte mit seinem Pkw [X.] am 27. März 2005 in der Absicht, seine eigenen unberechtigten Schadensersatzansprüche zu Lasten der Versicherung des Unfallgegners abzurechnen, auf einer mehrspurigen Straße in der [X.] von [X.]    einen Auffahrunfall. Er bremste sein Fahrzeug ohne äußeren Anlass auf der [X.] bis zum Stillstand ab, so dass der hinter ihm fahrende Zeuge [X.]  , der damit nicht gerechnet hatte, trotz sofort eingeleiteten [X.] nicht mehr rechtzeitig anhalten konnte und auf den Pkw des Angeklagten auffuhr. Die [X.] zahlte an den Angeklagten Versicherungsleistungen in Höhe von insgesamt 1428,68 [X.], die sich aus Reparaturkosten in Höhe von 1138,40 [X.], Gutachterkosten in Höhe von 270,28 [X.] und einer Kostenpauschale von 20 [X.] zusammensetzten. An dem vom Zeugen [X.]   gefahrenen Pkw entstand ein Schaden in Höhe von 160 bis 170 [X.].

6

b) Das [X.] hat die Voraussetzungen eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 2 und 3, Abs. 3 in Verb. mit § 315 Abs. 3 Nr. 1 a und b StGB als erfüllt angesehen; der Angeklagte habe gehandelt, um einen Unglücksfall herbeizuführen und eine andere Straftat zu ermöglichen. Für den Zeugen [X.]   und seine Beifahrerin habe die konkrete Ge-fahr nicht unerheblicher Verletzungen infolge des Aufpralls vor allem im Kopf- und [X.] bestanden; an dem Fahrzeug des Zeugen, das jedenfalls über 1300 [X.] wert gewesen sei, hätte es zu weiteren, erheblichen Schäden kommen können, was der Angeklagte erkannt und billigend in Kauf genommen habe.

7

2. Das hält revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.

8

a) Zutreffend ist das [X.] allerdings davon ausgegangen, dass die absichtliche Herbeiführung eines Auffahrunfalls nach der ständigen Rechtsprechung des [X.]s das Bereiten eines Hindernisses im Sinne des § 315b Abs. 1 Nr. 2 bzw. des § 315 Abs. 1 Nr. 2 StGB darstellt ([X.]surteile vom 18. März 1976 - 4 [X.], [X.], 355, und vom 12. Dezember 1991 - 4 [X.], BGHR StGB § 315b Abs. 1 Nr. [X.] 1; [X.]sbeschluss vom 25. Januar 2012 - 4 [X.], [X.]. 9). Mit der allgemein gehaltenen Erwägung, wegen des plötzlichen Aufpralls des Fahrzeugs des Zeugen [X.] auf den Pkw des Angeklagten habe die konkrete Gefahr erheblicher Verletzungen des Zeugen und der Beifahrerin insbesondere im Kopf- und [X.] bestanden, ist die erforderliche konkrete Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen im Sinne des § 315b Abs. 1 StGB jedoch nicht hinreichend belegt. Vielmehr sind regelmäßig genaue Feststellungen insbesondere zu den Geschwindigkeiten der Pkws im Zeitpunkt der Kollision und der Intensität des Aufpralls zwischen den beteiligten Fahrzeugen erforderlich ([X.]sbeschlüsse vom 20. Oktober 2009 – 4 [X.], [X.], 216; vom 25. Januar 2012 - 4 [X.], [X.]. 11). Solche Feststellungen fehlen im Urteil, das Angaben zur Geschwindigkeit des vom Angeklagten geführten Fahrzeugs lediglich für den Zeitraum vor Einleitung des plötzlichen [X.] enthält; der Zeuge [X.] gab an, er sei mit "mäßiger Geschwindigkeit" gefahren ([X.]). Auch das festgestellte Schadensbild erlaubt hier keinen sicheren Schluss auf eine konkrete Leibesgefahr. Angesichts des tatsächlich eingetretenen geringen Fremdschadens und der Tatsache, dass es zu keinen Verletzungen gekommen ist, liegt sie eher fern.

9

b) Entsprechendes gilt, soweit das [X.] eine Gefährdung fremder Sachen von bedeutendem Wert angenommen hat. Nach den Feststellungen ist an dem vom Zeugen [X.] geführten Fahrzeug ein Sachschaden in Höhe von lediglich 160 bis 170 [X.] entstanden. Die konkrete Gefahr weiterer Schäden ist nicht mit Tatsachen belegt. Dass das [X.] mit 1300 [X.] von einer höheren als der nach der Rechtsprechung des [X.]s maßgeblichen Wertgrenze von 750 [X.] ausgegangen ist (vgl. [X.]sbeschluss vom 28. September 2010 - 4 StR 245/10, [X.], 215), beschwert den Angeklagten nicht.

c) Die getroffenen Feststellungen rechtfertigen daher lediglich eine Verurteilung wegen versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, § 315 Abs. 2, 3 Nr. 1 StGB).

3. Der [X.] ändert daher den Schuldspruch entsprechend. § 265 StPO steht nicht entgegen; dass sich der Angeklagte anders als geschehen verteidigt hätte, ist auszuschließen.

Die Änderung des Schuldspruchs hat die Aufhebung der davon betroffenen Einzelstrafe von einem Jahr und sechs Monaten Freiheitsstrafe zur Folge. Der [X.] setzt in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO die Einzelstrafe für den versuchten gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr auf die niedrigste gesetzlich zulässige Freiheitsstrafe von drei Monaten fest (§ 315b Abs. 1, Abs. 3, § 315 Abs. 2, § 22, § 23 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB). Der Angeklagte ist dadurch unter keinen Umständen beschwert.

Der [X.] bleibt von der Änderung des Schuldspruchs und der Herabsetzung der Einzelstrafe im Fall II. 3 der Urteilsgründe unberührt. Der [X.] kann angesichts der verbleibenden Summe der Einzelstrafen ausschließen, dass das [X.] ohne den aufgezeigten Rechtsfehler auf eine niedrigere Gesamtstrafe erkannt hätte.

III.

Der geringfügige Erfolg des Rechtsmittels des Angeklagten rechtfertigt es nicht, ihn von den Kosten des Revisionsverfahrens teilweise freizustellen (§ 473 Abs. 4 StPO).

Ernemann                                   Roggenbuck                                   [X.]

                        Mutzbauer                                         [X.]

Meta

4 StR 667/11

25.04.2012

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Göttingen, 21. Juli 2011, Az: 1 KLs 19/09

§ 315 Abs 3 Nr 1 Buchst a StGB, § 315 Abs 3 Nr 1 Buchst b StGB, § 315b Abs 1 Nr 2 StGB, § 315b Abs 1 Nr 3 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25.04.2012, Az. 4 StR 667/11 (REWIS RS 2012, 6949)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 6949

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