Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 23.08.2011, Az. 9 BN 1/11

9. Senat | REWIS RS 2011, 3822

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Gegenstand

Überprüfung einer abgabenrechtlichen Tiefenbegrenzung


Gründe

1

Die [X.]eschwerde ist unbegründet.

2

1. Die Divergenzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) greift nicht durch.

3

Die [X.]eschwerde rügt, das angegriffene Urteil stehe deswegen im Gegensatz zu den [X.]eschlüssen des [X.] vom 19. September 1983 - [X.]VerwG 8 N 1.83 - ([X.]VerwGE 68, 36 = [X.] 401.9 [X.]eiträge Nr. 22) und vom 30. April 1996 - [X.]VerwG 8 [X.] 31.96 - ([X.] 401.9 [X.]eiträge Nr. 37), weil es die Anwendung des Grundsatzes der Typengerechtigkeit bei der Festlegung einer Tiefenbegrenzung für unzulässig halte und hierauf seine Entscheidung hinsichtlich der Unwirksamkeit der [X.]eitragssatzung stütze. Das [X.]undesverwaltungsgericht hingegen halte die Heranziehung des Grundsatzes der Typengerechtigkeit nach Maßgabe des Art. 3 Abs. 1 GG bei der Festlegung einer Tiefenbegrenzung für geboten. Entgegen der [X.]ehauptung der [X.]eschwerde hat das [X.]undesverwaltungsgericht jedoch in keiner der beiden Entscheidungen einen derartigen Rechtssatz aufgestellt. In dem [X.]eschluss vom 19. September 1983 hat es sich allein zur Zulässigkeit eines für alle Grundstückseinheiten gleichen Grundbetrags bei der [X.]emessung der [X.]eiträge für die Einrichtung der Oberflächenentwässerung verhalten. Ausführungen zu den Anforderungen, die an eine Tiefenbegrenzung zu stellen sind, finden sich weder in der von der [X.]eschwerde zitierten Passage noch an anderer Stelle der Entscheidung. Entsprechendes gilt für den [X.]eschluss vom 30. April 1996, in dem sich das Gericht zur Zulässigkeit des gegenüber wirklichkeitsnäheren [X.]eitragsbemessungsmaßstäben vergröbernden [X.] bei der Erhebung von [X.] geäußert und in diesem Zusammenhang eine nach dem gewählten Verteilungsmaßstab bei der [X.]estimmung des abgabenrechtlichen Vorteils zu berücksichtigende Tiefenbegrenzung der Grundstücke erwähnt hat. Rechtliche Anforderungen an die Festlegung einer Tiefenbegrenzung stellt auch diese Entscheidung nicht auf.

4

Als weitere Divergenz rügt die [X.]eschwerde, das Oberverwaltungsgericht weiche mit seiner Forderung, eine Tiefenbegrenzung sei ausschließlich nach der ortsüblichen [X.]ebauung zu bestimmen und dürfe nicht unter zusätzlicher Heranziehung des Grundsatzes der Typengerechtigkeit festgesetzt werden, von der Rechtsprechung des [X.] zur Reichweite der gerichtlichen Überprüfung normgeberischen Ermessens ab. Sie nimmt insoweit zum einen erneut auf die Entscheidung vom 30. April 1996 (a.a.[X.]) [X.]ezug, zum anderen auf das Urteil des [X.] vom 17. April 2002 - [X.]VerwG 9 CN 1.01 - ([X.]VerwGE 116, 188 = [X.] 310 § 47 VwGO Nr. 155). Auch diese Rüge rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.

5

Den Ausführungen in den genannten Entscheidungen zur weitgehenden Freiheit des [X.] bei der Gestaltung abgabenrechtlicher Regelungen und zur Einschränkung der gerichtlichen Überprüfbarkeit des normgeberischen Ermessens des [X.] lässt sich nicht der Rechtssatz entnehmen, dass dem Satzungsgeber bei der Festlegung einer Tiefenbegrenzung ein gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbarer Prognosespielraum zusteht. Dass sich das [X.]undesverwaltungsgericht in dem [X.]eschluss vom 30. April 1996 (a.a.[X.]) zu den Anforderungen, die an die Festlegung einer Tiefenbegrenzung zu stellen sind, nicht geäußert hat, wurde schon ausgeführt. Gegenstand der Entscheidung des [X.] vom 17. April 2002 war die gerichtliche Überprüfung einer Kostenkalkulation, die die Grundlage einer nur durch das Verbot unangemessener Gewinnerzielung begrenzten gemeindlichen [X.]enutzungsgebührenregelung darstellte. Vor diesem Hintergrund hat das [X.]undesverwaltungsgericht betont, dass es mit dem Satzungsermessen der Gemeinde nicht vereinbar sei, "die einzelnen Schritte der inhaltlichen Vorbereitung der Entscheidung des [X.] nach der Art von (ermessensgeleiteten) Verwaltungsakten" zu überprüfen mit der Folge, dass "jeder - vermeintliche - Kalkulationsirrtum als 'Ermessensfehler' angesehen wird" (Urteil vom 17. April 2002 a.a.[X.] S. 194 bzw. [X.]). Zu den Maßstäben für die gerichtliche Überprüfung abgabenrechtlicher [X.] verhält sich die Entscheidung nicht. Diese ergeben sich aus der vom Oberverwaltungsgericht berücksichtigten ständigen Rechtsprechung des [X.] zur Tiefenbegrenzung; danach ist die Überprüfung einer Tiefenbegrenzungsregelung auf ihre Vereinbarkeit insbesondere mit dem Grundsatz der Abgabengerechtigkeit gerade nicht ausgeschlossen und insbesondere darauf zu richten, ob sich die Tiefenbegrenzung an der ortsüblichen [X.]ebauung orientiert (vgl. Urteil vom 1. September 2004 - [X.]VerwG 9 C 15.03 - [X.]VerwGE 121, 365 <369, 372> = [X.] 406.11 § 131 [X.]auG[X.] Nr. 116 S. 15 und [X.]eschluss vom 26. April 2006 - [X.]VerwG 9 [X.] 1.06 - [X.] 406.11 § 131 [X.]auG[X.] Nr. 117 Rn. 4 ff. zum Erschließungsbeitragsrecht).

6

Ferner macht die [X.]eschwerde eine Abweichung von dem [X.]eschluss des [X.]undesverfassungsgerichts vom 4. Februar 2009 - 1 [X.]vL 8/05 - ([X.]VerfGE 123, 1) geltend, in dem der Rechtssatz aufgestellt worden sei, dass der Ausgestaltung einer Maßstabsregelung durch Art. 3 Abs. 1 GG erst dort eine Grenze gesetzt werde, wo eine gleiche oder ungleiche [X.]ehandlung von Sachverhalten nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten [X.]etrachtungsweise vereinbar sei. Die gerügte Divergenz besteht indes nicht. Das [X.]undesverfassungsgericht hat sich in der genannten Entscheidung lediglich zur Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung des Maßstabs für eine Vergnügungsteuer und den dieser Gestaltungsfreiheit durch Art. 3 Abs. 1 GG gesetzten Grenzen geäußert. Aussagen zu den rechtlichen Vorgaben, denen ein kommunaler Satzungsgeber bei der Ausgestaltung des Maßstabs für Anschlussbeiträge in einer Trinkwassersatzung unterliegt, sind der Entscheidung nicht zu entnehmen.

7

2. Die von der [X.]eschwerde geltend gemachte grundsätzliche [X.]edeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) kommt der Rechtssache nicht zu.

8

Grundsätzliche [X.]edeutung misst die [X.]eschwerde der Frage bei,

ob die gerichtliche Überprüfung normgeberischen Ermessens bei der Festlegung der Tiefenbegrenzung angesichts der ihr zugrunde liegenden Pauschalierung auf Verstöße gegen das Gleichbehandlungsgebot begrenzt ist und die Grenze der Ermessensausübung dort liegt, "wo eine gleiche oder ungleiche [X.]ehandlung von Sachverhalten nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten [X.]etrachtungsweise vereinbar ist, wo also ein einleuchtender Grund für die Gleichbehandlung oder Ungleichbehandlung fehlt und diese daher willkürlich wäre" ([X.]VerfG, [X.]eschluss vom 4. Februar 2009 - 1 [X.]vL 8/05 - a.a.[X.] S. 20).

9

Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. In der Rechtsprechung des [X.] ist - wie oben bereits erwähnt - geklärt, dass das normgeberische Ermessen bei einer im Interesse der Rechtssicherheit und Verwaltungspraktikabilität generalisierenden Tiefenbegrenzung in einer kommunalen Abgabensatzung dem aus Art. 3 Abs. 1 GG herzuleitenden Grundsatz der Abgabengerechtigkeit entsprechen muss. Diesem Grundsatz wird die Gemeinde gerecht, wenn die satzungsrechtliche Tiefenbegrenzung die typischen örtlichen Verhältnisse tatsächlich widerspiegelt (Urteil vom 1. September 2004 a.a.[X.] S. 372 bzw. S. 17 und [X.]eschluss vom 26. April 2006 a.a.[X.] Rn. 7).

Die weitere Frage,

ob wegen der Pauschalierung für die Festlegung einer Tiefenbegrenzung der Grundsatz der Typengerechtigkeit mit einer zulässigen Abweichungsquote von 10 % zulässigerweise herangezogen werden darf,

rechtfertigt die Zulassung der Revision ebenfalls nicht. Ist eine Entscheidung auf mehrere selbständig tragende [X.]egründungen gestützt, kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser [X.]egründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (stRspr; vgl. nur [X.]eschluss vom 9. Dezember 1994 - [X.]VerwG 11 PKH 28.94 - [X.] 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4 S. 4). Das Oberverwaltungsgericht hat die Anwendung der in der Rechtsprechung des [X.] entwickelten Regel, wonach der Grundsatz der Typengerechtigkeit gewahrt ist, solange nicht mehr als 10 % der von der abgabenrechtlichen Vorschrift betroffenen Fälle dem "Typ" widersprechen, zum einen deswegen für fehlerhaft gehalten, weil der Satzungsgeber bei der [X.]estimmung der typischen Grundstücke "allein die Grundstücke mit [X.]aulandqualität jenseits der Tiefenbegrenzung im [X.]lick" hatte. Zum anderen hat er Überlegungen hinsichtlich der grundsätzlichen Zulässigkeit der Anwendung der "10%-Regel" angestellt und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Orientierung an der ortsüblichen baulichen Nutzung bereits den entscheidenden Zulässigkeitsmaßstab enthalte, der die [X.] von höchstens 10 % zulässiger Ausnahmefälle auf die Fälle der [X.] ausschließe. Die erste dieser beiden die Entscheidung selbständig tragenden [X.]egründungen greift die [X.]eschwerde mit der Grundsatzrüge nicht an.

Meta

9 BN 1/11

23.08.2011

Bundesverwaltungsgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: BN

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern, 14. September 2010, Az: 4 K 12/07, Urteil

Art 3 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 23.08.2011, Az. 9 BN 1/11 (REWIS RS 2011, 3822)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 3822

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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1 BvL 8/05

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