Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30.06.2016, Az. 5 C 1/15

5. Senat | REWIS RS 2016, 8980

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Gegenstand

Zur Auslegung von § 73 Abs. 2 Nr. 2 SGB 9; Ausgleichsabgabe bei untypischen Arbeitsplätzen


Leitsatz

1. Eine Beschäftigung dient im Sinne von § 73 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 1 SGB IX (juris: SGB 9) nicht in erster Linie dem Erwerb der Person, wenn die gewährten Zuwendungen jedenfalls deutlich hinter dem zurückbleiben, was eine Person mit der für die Beschäftigung auf der konkreten Stelle erforderlichen Qualifikation auf einer vergleichbaren Stelle bei einer typisierenden und am Durchschnitt ausgerichteten Betrachtung üblicherweise an Einkommen erzielen kann.

2. Eine Beschäftigung ist im Sinne von § 73 Abs. 2 Nr. 2 Alt.1 SGB IX vorwiegend durch Beweggründe karitativer Art bestimmt, wenn auf der Stelle entsprechend ihrer objektiven Zweckbestimmung Personen beschäftigt werden, deren Tätigkeit dadurch geprägt ist, dass für körperlich, geistig oder seelisch leidende Menschen soziale Dienste geleistet werden, die auf die Heilung oder Milderung innerer oder äußerer Nöte des Hilfebedürftigen oder auf deren vorbeugende Abwehr zielen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Rückzahlung eines Teils der von ihm für die [X.] und 2011 entrichteten schwerbehindertenrechtlichen Ausgleichsabgabe in Höhe von insgesamt 35 399,20 €.

2

Der Kläger ist ein als gemeinnützig anerkannter eingetragener Verein. Er beschäftigt Mitarbeiter sowohl in [X.] als auch im Ausland, um entsprechend seiner Satzung Menschen in Not, Opfern von natürlich verursachten oder von Menschen geschaffenen Katastrophen und bewaffneten Konflikten zu helfen. Zur Erreichung dieses Zwecks rekrutiert er insbesondere für Hilfseinsätze im Ausland Freiwillige, die er vorbereitet und zur Übernahme von medizinischen, logistischen und organisatorischen Aufgaben vor Ort vermittelt. Mit diesen schließt der Kläger im Inland befristete [X.] und zahlt ihnen eine monatliche Aufwandsentschädigung, die bei Personen ohne Vorerfahrung seinerzeit 925 € betrug. Zudem übernimmt er die Kosten für die Reise, Unterkunft und Verpflegung vor Ort. Die Hilfseinsätze im Ausland dauern in der Regel bis zu neun Monaten.

3

Bei der von dem Kläger für die [X.] und 2011 der [X.] mitgeteilten Anzahl der Arbeitsplätze wurden diese Auslandsstellen zunächst mitgezählt. In der Folgezeit machte der Kläger geltend, die Stellen dürften nicht berücksichtigt werden, da sie nach § 73 Abs. 2 Nr. 2 [X.] nicht als Arbeitsplätze gälten. Der Beklagte teilte diese Rechtsauffassung nicht. Das Verwaltungsgericht hat die vom Kläger nach Zurückweisung seiner Widersprüche erhobene Leistungsklage abgewiesen.

4

Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Der Anspruch auf Erstattung der geltend gemachten Beträge scheitere daran, dass die Zahl der zu berücksichtigenden Arbeitsplätze bei der Bemessung der Ausgleichsabgabe nicht fehlerhaft zu hoch gewesen sei. Die Stellen der Mitarbeiter des [X.], die im Rahmen von im Inland geschlossenen Arbeitsverträgen im Ausland beschäftigt würden, seien grundsätzlich Arbeitsplätze im Sinne des § 73 Abs. 1 [X.]. Die insoweit allein in Betracht kommende Ausnahme nach § 73 Abs. 2 Nr. 2 [X.] sei nicht erfüllt. Die Vorschrift dürfe nicht anders als im Betriebsverfassungsrecht ausgelegt werden. Dass das Schwerbehindertengesetz bzw. das [X.] und das [X.] unterschiedliche Zwecke verfolgten, ändere daran nichts. Denn der Gesetzgeber habe ungeachtet dessen für den besagten Personenkreis bewusst und gewollt in beiden Rechtsgebieten eine inhaltsgleiche Regelung geschaffen. Er habe sich in Bezug auf das Betriebsverfassungsrecht davon leiten lassen, dass bestimmte Personen wegen der Eigenart ihrer Beziehungen zum Arbeitgeber oder des besonderen Charakters ihrer Beschäftigungsverhältnisse nicht als Arbeitnehmer anzusehen seien. Er habe die hier in Rede stehende Ausnahme als Sondervorschrift bezeichnet, und zwar für die Angehörigen religiöser Orden und Personen, die überwiegend aus karitativen oder religiösen Gründen Arbeit verrichteten, zum Beispiel im Dienste kirchlicher Einrichtungen. Grund der Herausnahme dieses Personenkreises sei, dass in diesen Fällen der für die Arbeitnehmereigenschaft kennzeichnende Erwerbszweck in den Hintergrund trete, da die Lebensversorgung durch die [X.] gesichert sei, und die Dienststellung nicht im Rahmen eines Arbeitsvertrages, sondern zur Erfüllung ihrer durch den Beitritt zur [X.] begründeten Pflichten geleistet werde. Darin liege auch der tragende Grund, warum die Mitarbeiter der Deutschen-Roten-Kreuz-Schwesternschaft im Rahmen des [X.]es nicht als Arbeitnehmer gälten. Die Rechtsstellung der im Ausland eingesetzten Mitarbeiter des [X.] sei damit ersichtlich nicht vergleichbar. Sie erbrächten ihre Dienstleistung im Rahmen von befristeten Arbeitsverträgen und erhielten dafür als Gegenleistung eine Aufwandsentschädigung. Diese möge zwar nicht das vorrangige Motiv ihrer Tätigkeit sein, sondern der Wunsch, Menschen in Not zu helfen. Diese Parallele zu dem vom Gesetzgeber in den Blick genommenen Personenkreis (namentlich Mönche, Schwestern, [X.]) reiche indes nicht aus, um deren Arbeitnehmereigenschaft zu verneinen. Zwischen dem Kläger und seinen Mitarbeitern bestünden normale arbeitsvertragliche Beziehungen, die deshalb auch den normalen arbeitsvertraglichen Bestimmungen unterlägen.

5

Mit der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Er rügt eine Verletzung des § 73 Abs. 2 Nr. 2 [X.]. Zudem macht er einen Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs geltend.

6

Der Beklagte und der Vertreter des [X.] beim [X.] verteidigen das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision des [X.] ist begründet. Das angefochtene Urteil des [X.] steht mit Bundesrecht nicht in Einklang (§ 137 Abs. 1 [X.]r. 1 VwGO). Es verletzt § 73 Abs. 2 [X.]r. 2 des [X.]eunten Buches Sozialgesetzbuch vom 19. Juni 2001 ([X.] 1046), für den hier maßgeblichen Zeitraum zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. April 2004 ([X.] 606) - [X.] -. Da der Senat mangels ausreichender Tatsachenfeststellungen nicht abschließend entscheiden kann, ist die Sache an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 [X.]r. 2 VwGO). Damit bedarf es keiner Entscheidung über die vom Kläger vorgebrachte Verfahrensrüge.

8

Als Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Rückzahlung eines Teils der Ausgleichsabgabe kommt allein der allgemeine öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch in Betracht. In der Rechtsprechung des [X.] ist geklärt, dass es sich bei dem allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch um ein aus den Grundsätzen des Verwaltungsrechts, insbesondere der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, abgeleitetes eigenständiges Rechtsinstitut des öffentlichen Rechts handelt, dessen Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen, soweit sie nicht spezialgesetzlich geregelt sind (vgl. etwa § 12 [X.]), grundsätzlich denen des zivilrechtlichen [X.] entsprechen. Funktion des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs ist es, eine dem materiellen Recht nicht entsprechende Vermögensverschiebung zu korrigieren (vgl. [X.], Urteil vom 15. Mai 2008 - 5 C 25.07 - [X.]E 131, 153 Rn. 13 m.w.[X.]). Zwischen den Beteiligten ist zu Recht nicht streitig, dass der Beklagte die Ausgleichsabgabe für die [X.] und 2011 durch unmittelbare Vermögensverschiebung zu Lasten des [X.] erlangt hat. Der Senat kann anhand der bisher festgestellten Tatsachen nicht abschließend beurteilen, ob die Zahlung der Ausgleichsabgabe in dem geltend gemachten Umfang nicht dem materiellen Recht (§§ 71 ff. [X.]) entsprochen hat und damit ohne Rechtsgrund erfolgt ist.

9

[X.]ach § 71 Abs. 1 Satz 1 [X.] haben private und öffentliche Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich monatlich mindestens 20 Arbeitsplätzen im Sinne des § 73 [X.] auf wenigstens 5 Prozent der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Solange sie die vorgeschriebene Zahl schwerbehinderter Menschen nicht beschäftigen, haben sie nach § 77 Abs. 1 [X.] für jeden unbesetzten Pflichtarbeitsplatz eine Ausgleichsabgabe zu entrichten. Die Beteiligten gehen übereinstimmend davon aus, dass der Kläger in den in Rede stehenden Jahren dem Grunde nach zur Zahlung einer Ausgleichsabgabe verpflichtet war, weil er mehr als 20 Arbeitsplätze eingerichtet hatte und nicht die vorgeschriebene Zahl schwerbehinderter Menschen beschäftigte. Sie streiten allein über die Höhe der geschuldeten Ausgleichsabgabe. Für diese ist unter anderem die Zahl der Arbeitsplätze im Sinne des § 73 [X.] zu ermitteln. Zwischen den Beteiligten steht auch - wie in der mündlichen Verhandlung erörtert - nicht mehr im Streit, dass es sich bei den Stellen, auf denen der Kläger in den in Rede stehenden Jahren Mitarbeiter für mehr als acht Wochen (vgl. § 73 Abs. 3 [X.]) im Rahmen von [X.] im Ausland beschäftigte, um Arbeitsplätze im Sinne des § 73 Abs. 1 [X.] handelt. Die Beteiligten gehen zu Recht davon aus, dass als zentrale Frage des [X.] darüber zu entscheiden ist, ob diese Stellen unter die Ausnahme des § 73 Abs. 2 [X.]r. 2 [X.] fallen und deshalb nicht als Arbeitsplätze gelten. Das Oberverwaltungsgericht hat diese Regelung nicht zutreffend ausgelegt und angewandt.

[X.]ach § 73 Abs. 2 [X.]r. 2 [X.] gelten als Arbeitsplätze nicht Stellen, auf denen Personen, deren Beschäftigung nicht in erster Linie ihrem Erwerb dient, sondern vorwiegend durch Beweggründe karitativer oder religiöser Art bestimmt ist, und Geistliche öffentlich-rechtlicher Religionsgemeinschaften beschäftigt werden. Der hier allein in Betracht kommenden ersten Alternative des [X.] kommt gegenüber dem in § 73 Abs. 1 [X.] definierten Begriff des Arbeitsplatzes eine eigenständige Bedeutung zu (1.). Die genannten Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen (2.). Auf der Grundlage der Feststellungen des angefochtenen Urteils ist für die [X.] und 2011 zwar die vorwiegende Bestimmung der Beschäftigung durch Beweggründe karitativer Art zu bejahen (3.). Es sind aber weitere Tatsachenfeststellungen zur Klärung der vorausgesetzten fehlenden Erwerbsdienlichkeit der Beschäftigung erforderlich (4.).

1. Die in § 73 Abs. 2 [X.]r. 2 Alt. 1 [X.] normierte Ausnahme stellt - anders als das Oberverwaltungsgericht der Sache nach annimmt - eine eigenständige Regelung mit einem konstitutiven Regelungsgehalt dar. Ihr kommt entgegen einer auch in der Literatur vertretenen Auffassung (vgl. [X.], in: [X.]/[X.]/[X.], [X.], 4. Aufl. 2014, § 73 Rn. 33) gegenüber § 73 Abs. 1 [X.] nicht nur deklaratorische Bedeutung zu. Sie erfasst nicht solche Personen, die schon keine Arbeitsplätze im Sinne von § 73 Abs. 1 [X.] innehaben (so aber etwa [X.], in: [X.], [X.], 5. Aufl. 2011, § 73 Rn. 40). Vielmehr ist § 73 Abs. 2 [X.]r. 2 Alt. 1 [X.], wenn schon kein Arbeitsplatz vorliegt, nicht mehr zu prüfen. Die Vorschrift setzt gerade voraus, dass es sich um Arbeitsplätze im Sinne von § 73 Abs. 1 [X.] handelt, die - wenn die weiteren Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 [X.]r. 2 Alt. 1 [X.] vorliegen - nicht als solche gelten. Sie enthält mithin eine negative Fiktion, aufgrund deren Stellen, die die Voraussetzungen des dreigliedrigen Arbeitsplatzbegriffes des § 73 Abs. 1 [X.] (vgl. dazu [X.], Urteil vom 16. Mai 2013 - 5 C 20.12 - [X.] 436.62 § 77 [X.] [X.]r. 1 Rn. 10) erfüllen, bei Anwendung der besonderen Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen (§§ 68 ff. [X.]) nicht als Arbeitsplätze zu behandeln sind. Demzufolge dürfen sie unter anderem bei der Berechnung der Pflichtarbeitsplätze nach § 71 Abs. 1 Satz 1 [X.] und der daran anknüpfenden Ausgleichsabgabe nach § 77 Abs. 1 [X.] nicht berücksichtigt werden.

Dies legt mit großem Gewicht bereits der Wortlaut des § 73 Abs. 2 [X.] nahe, der als tatbestandliche Voraussetzung ausdrücklich das Vorliegen von "Arbeitsplätzen" verlangt und als Rechtsfolge deren [X.]ichtberücksichtigung ("gelten nicht") anordnet.

Diese Deutung von § 73 Abs. 2 [X.]r. 2 Alt. 1 [X.] findet zudem in der systematischen Gegenüberstellung mit den weiteren Ausnahmeregelungen in Abs. 2 und 3 eine Stütze. Insbesondere die Ausnahmetatbestände des § 73 Abs. 2 [X.]r. 5 und 7 [X.] haben Stellen zum Gegenstand, die typischerweise nach der Definition des § 73 Abs. 1 [X.] Arbeitsplätze sind. Gleiches gilt für die von § 73 Abs. 3 [X.] erfassten nur vorübergehend besetzten Stellen, wie zum Beispiel die der Saison- oder [X.]. Insoweit bedarf es einer negativen Fiktion, um diese Arbeitsplätze aus dem Anwendungsbereich der §§ 68 ff. [X.] herauszunehmen. Wegen der Einheitlichkeit der Rechtsauslegung eines Begriffes innerhalb derselben Vorschrift ist dem Begriff "gelten nicht" im Zusammenhang mit § 73 Abs. 2 [X.]r. 2 Alt. 1 [X.] kein abweichender Regelungsgehalt beizumessen.

Für diese Auslegung streitet überdies vor allem der Vergleich mit der bis auf den Anknüpfungspunkt ("Arbeitnehmer" statt "Arbeitsplätze") [X.] Regelung des § 5 Abs. 2 [X.]r. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. September 2001 ([X.]), für den hier maßgeblichen Zeitraum zuletzt geändert durch Gesetz vom 29. Juli 2009 ([X.] I S. 2424) - [X.] -. Bei dieser Vorschrift handelt es sich ebenfalls um eine gesetzliche Fiktion, die nur zur Anwendung kommt, wenn die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne von § 5 Abs. 1 [X.] zu bejahen ist. [X.]ach der Rechtsprechung des [X.] kann namentlich die Prüfung, ob die Schwestern des [X.] etwa deshalb nicht als Arbeitnehmerinnen im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes gälten, weil sie gemäß § 5 Abs. 2 [X.]r. 3 [X.] trotz der zeitgemäßen Bezahlung noch zu den Personen gehörten, deren Beschäftigung nicht in erster Linie ihrem Erwerb diene, sondern vorwiegend durch Beweggründe karitativer oder religiöser Art bestimmt sei, nur dann erfolgen, wenn feststünde, dass die Schwestern an sich aufgrund eines Arbeitsverhältnisses tätig seien (vgl. [X.], Beschluss vom 3. Juni 1975 - 1 ABR 98/74 - [X.]E 27, 163 <175>). Letzteres ist vom [X.] verneint worden, so dass es auf die Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs. 2 [X.]r. 3 [X.] nicht mehr ankam. Das [X.] geht vielmehr in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass die Schwestern des [X.] schon keine Arbeitnehmerinnen im Sinne von § 5 Abs. 1 [X.] sind, weil sie ihre Arbeitsleistung in der karitativen Krankenpflege aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur [X.] und damit einer vereinsrechtlichen Mitgliedschaft erbrächten. Dies gilt sowohl in den Fällen, in denen die Schwestern in einem von der Schwesternschaft selbst betriebenen Krankenhaus arbeiten als auch in den Fällen, in denen sie aufgrund eines Gestellungsvertrages in einem von einem Dritten getragenen Krankenhaus beschäftigt werden. Folgerichtig prüft das [X.] nicht, ob die Schwestern des [X.] unter den Ausnahmetatbestand des § 5 Abs. 2 [X.]r. 3 [X.] fallen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 20. Februar 1986 - 6 ABR 5/85 - [X.] [X.]r. 2 zu § 5 [X.] 1972 [X.]; vom 6. Juli 1995 - 5 [X.] - [X.]E 80, 256 und vom 22. April 1997 - 1 ABR 74/96 - [X.] [X.]r. 18 zu § 99 [X.] 1972 Einstellung). Dem Verhältnis zwischen § 5 Abs. 1 und 2 [X.]r. 3 [X.] entsprechend entfaltet auch § 73 Abs. 2 [X.]r. 2 Alt. 1 [X.] eine über § 73 Abs. 1 [X.] hinausgehende Regelungswirkung. Die Gesetzesmaterialien unterstreichen diesen Befund. Durch die Vorschrift des § 73 Abs. 2 [X.]r. 2 Alt. 1 [X.] soll der erfasste Personenkreis wie im sonstigen Arbeitsrecht behandelt werden (vgl. [X.]. 1/3430 S. 31).

Das - wie dargelegt von Wortlaut und Systematik gebotene - [X.]ormverständnis entspricht allein auch dem Gesetzeszweck und der Funktion des Arbeitsplatzbegriffes. Der Arbeitsplatzbegriff des § 73 Abs. 1 [X.] dient der Begründung und Festlegung des Umfangs der Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers. Diese soll die Integration schwerbehinderter Menschen in den Arbeitsmarkt fördern. Denn der Arbeitgeber ist - wie eingangs dargelegt - gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 [X.] verpflichtet, auf wenigstens 5 Prozent der Arbeitsplätze im Sinne des § 73 Abs. 1 [X.] schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Kommt er dieser Pflicht nicht oder nicht vollumfänglich nach, hat er eine Ausgleichsabgabe zu zahlen, die eine auf Verhaltenslenkung zielende Antriebs- und Sanktionsfunktion erfüllt (vgl. [X.], Urteil vom 11. Juli 1990 - 5 C 41.87 - [X.]E 85, 248 <249 f.> m.w.[X.]; s.a. Urteil vom 16. Mai 2013 - 5 C 20.12 - [X.] 436.62 § 77 [X.] [X.]r. 1 Rn. 24 m.w.[X.]). Mit der Pflicht zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen soll der Arbeitgeber lediglich bezüglich solcher Arbeitsplätze nicht belastet werden, die - wie unter anderem jene in § 73 Abs. 2 [X.]r. 2 Alt. 1 [X.] genannten - als untypisch anzusehen sind. Auch die untypischen Arbeitsplätze sind demnach zwingend Arbeitsplätze im Sinne des § 73 Abs. 1 [X.]. Ihr Abweichen vom [X.]ormaltypus eines Arbeitsplatzes knüpft das Gesetz an weitergehende und eigenständige Erfordernisse.

Jede andere Deutung würde zudem dazu führen, dass § 73 Abs. 2 [X.]r. 2 Alt. 1 [X.] leerliefe. Wäre mit dem Oberverwaltungsgericht davon auszugehen, dass der Ausnahmetatbestand nicht erfüllt wäre, wenn die Dienste im Rahmen normaler arbeitsvertraglicher Beziehungen erbracht werden, gäbe es für § 73 Abs. 2 [X.]r. 2 Alt. 1 [X.] praktisch keinen Anwendungsfall. Werden Personen schon nicht aufgrund eines Arbeitsvertrages tätig, bedarf es keines Rückgriffs auf § 73 Abs. 2 [X.]r. 2 Alt. 1 [X.], weil bereits nach der Definition des § 73 Abs. 1 [X.] kein Arbeitsplatz gegeben ist.

2. Ob die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 [X.]r. 2 Alt. 1 [X.] erfüllt sind, lässt sich hier mangels hinreichender Feststellungen des [X.] nicht abschließend beurteilen. Der Ausnahmetatbestand des § 73 Abs. 2 [X.]r. 2 Alt. 1 [X.] greift nur ein, wenn die Beschäftigung auf der Stelle - erstens - nicht in erster Linie dem Erwerb der Person dient und - zweitens - vorwiegend durch Beweggründe karitativer oder religiöser Art bestimmt ist. Die Ausnahme ist nur gegeben, wenn beide Voraussetzungen vorliegen.

Schon der Wortlaut der Vorschrift weist auf ein kumulatives Verständnis der Tatbestandsmerkmale hin. Die negativ formulierte Aussage zur Erwerbsdienlichkeit wird mittels der Konjunktion "sondern" mit einer positiv formulierten Aussage zu den Beweggründen verbunden und dadurch näher konkretisiert. Diese Erläuterung ist notwendig, weil eine Person auch aus anderen als karitativen oder religiösen Motiven einer Beschäftigung nachgehen kann, ohne dass diese in erster Linie ihrem Erwerb dient. Mögliche Motive für die Aufnahme einer Beschäftigung können beispielsweise auch ein Weiterbildungsinteresse, ein Forschungsinteresse oder ein künstlerisches Interesse sein. Umgekehrt ist nicht jeder karitativ oder religiös motivierten Arbeit zwangsläufig immanent, dass sie nicht in erster Linie dem Erwerb dient.

Der Zweck des § 73 Abs. 2 [X.]r. 2 Alt. 1 [X.] bekräftigt die durch den Wortlaut der [X.]orm nahegelegte Auslegung. Die Ausnahmeregelung soll von der Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers nur die vom [X.]ormaltypus eines Arbeitsplatzes abweichenden Stellen ausnehmen. [X.]icht jede Erwerbstätigkeit, die nicht in erster Linie dem Erwerb dient, weicht aber bereits als solche vom Typus eines normalen Arbeitsplatzes ab, auf dem vom Arbeitgeber keine schwerbehinderten Menschen beschäftigt werden müssen. Die erforderliche Atypik wird erst durch die hinzukommende karitative oder religiöse Prägung dieser Tätigkeit begründet.

3. Die Beschäftigung der Mitarbeiter auf den vom Kläger in den Jahren 2010 und 2011 im Rahmen von [X.] im Ausland besetzten Stellen war im Sinne von § 73 Abs. 2 [X.]r. 2 [X.] vorwiegend durch Beweggründe karitativer Art bestimmt. Mithin bedarf es keiner Entscheidung, ob der Beschäftigung auch die alternativ geforderten religiösen Beweggründe zugrunde lagen.

Die Frage, ob die Beschäftigung auf einer Stelle im Sinne des § 73 Abs. 2 [X.]r. 2 Alt. 1 [X.] vorwiegend durch Beweggründe karitativer Art bestimmt ist, ist bezogen auf die konkrete Stelle zu beantworten. Dabei ist nicht der Wille des konkreten Beschäftigten, sondern die objektiv festgelegte Funktion der Stelle maßgebend. Die Voraussetzung ist erfüllt, wenn auf der Stelle entsprechend ihrer objektiven Zweckbestimmung Personen beschäftigt werden, deren Tätigkeit dadurch geprägt ist, dass für körperlich, geistig oder seelisch leidende Menschen [X.] Dienste geleistet werden, die auf die Heilung oder Milderung innerer oder äußerer [X.]öte des Hilfebedürftigen oder auf deren vorbeugende Abwehr zielen (vgl. z.B. [X.], Beschluss vom 22. Juli 2014 - 1 ABR 93/12 - [X.] [X.]r. 87 zu § 118 [X.] 1972 Rn. 20 m.w.[X.])

In Anwendung dieses Maßstabes ist das Tatbestandsmerkmal auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des [X.] zu bejahen. Die Beschäftigung der im Rahmen von [X.] im Ausland eingesetzten Mitarbeiter wird in der Regel und wurde so auch in den beiden hier in Rede stehenden Jahren durch den Satzungszweck des [X.] geprägt. Diesem Zweck entsprechend wurden die betreffenden Personen im Ausland mit medizinischen, logistischen und organisatorischen Aufgaben betraut, um Menschen in [X.]ot, Opfern von Katastrophen und bewaffneten Konflikten zu helfen.

4. Weiterer Tatsachenfeststellungen bedarf es allerdings hinsichtlich der zweiten Voraussetzung des Ausnahmetatbestands, dass die Beschäftigung dieser Personen nicht in erster Linie ihrem Erwerb diente.

Insoweit geht es um die objektive Erwerbsdienlichkeit, also den funktionalen Zusammenhang zwischen Tätigkeit und Erwerb, und nicht um die Erwerbsabsicht der konkreten Person (vgl. [X.], in: [X.], [X.], 15. Aufl. 2016, § 5 Rn. 177 m.w.[X.]). Eine Beschäftigung dient im Sinne von § 73 Abs. 2 [X.]r. 2 Alt. 1 [X.] nicht in erster Linie dem Erwerb der Person, wenn sie nicht schwerpunktmäßig darauf gerichtet ist, einen wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen. Hierfür ist eine objektivierte stellenbezogene Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände vorzunehmen. Die von der Stelle unabhängigen individuellen Lebens-, Einkommens- und Vermögensverhältnisse des konkreten Beschäftigten haben außer Betracht zu bleiben. Es kommt auch nicht entscheidend darauf an, ob der Arbeitgeber für die Beschäftigung auf der konkreten Stelle überhaupt eine Gegenleistung in Form eines Entgelts oder einer Aufwandsentschädigung erbringt. Maßgebend ist vielmehr, ob die Erlangung der gewährten Zuwendungen bei objektiver Betrachtung nicht schwerpunktmäßig zu Erwerbszwecken bzw. zur Gewinnerzielung dient. Das ist etwa zu bejahen, wenn diese Zuwendungen jedenfalls deutlich hinter dem zurückbleiben, was eine Person mit der für die Beschäftigung auf der konkreten Stelle erforderlichen Qualifikation auf einer vergleichbaren Stelle bei einer typisierenden und am Durchschnitt ausgerichteten Betrachtung üblicherweise an Einkommen erzielen kann.

Die Feststellungen des angefochtenen Urteils ermöglichen dem Senat insoweit keine abschließende Beurteilung. Das Oberverwaltungsgericht hat - nach seiner Rechtsauffassung folgerichtig - nicht festgestellt, welche Stellen der Kläger in den Jahren 2010 und 2011 im Ausland konkret besetzt hat und welche beruflichen Qualifikationen auf diesen Stellen jeweils gefordert wurden. Es fehlen außerdem Feststellungen dazu, welche Zuwendungen der Kläger dem konkret Beschäftigten auf der jeweiligen Stelle gewährt hat. Des Weiteren hat das Oberverwaltungsgericht keine tatsächlichen Feststellungen dazu getroffen, was jemand mit der entsprechenden Qualifikation auf einer vergleichbaren Stelle üblicherweise hätte verdienen können. Dabei kann hier auch nicht außer [X.] gelassen werden, was regelmäßig zur Abgeltung von Risiken sowie physischen und psychischen Erschwernissen oder anderweitigen Einbußen gezahlt wird, die mit der Ausübung der konkreten Beschäftigung verbunden sind. Die Sache ist deshalb an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen. Im Rahmen der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das Oberverwaltungsgericht auch zu prüfen haben, ob der Kläger die von der Ausnahmeregelung des § 73 Abs. 2 [X.]r. 2 Alt. 1 [X.] möglicherweise erfassten Stellen auch im Übrigen korrekt in Abzug gebracht hat.

Meta

5 C 1/15

30.06.2016

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 19. November 2014, Az: OVG 6 B 10.14, Urteil

§ 73 Abs 2 Nr 2 Alt 1 SGB 9, § 71 Abs 1 S 1 SGB 9, § 77 Abs 1 SGB 9

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30.06.2016, Az. 5 C 1/15 (REWIS RS 2016, 8980)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 8980

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Wird zitiert von

B 11 AL 1/19 R

Zitiert

1 ABR 93/12

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