Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16.05.2013, Az. 5 C 20/12

5. Senat | REWIS RS 2013, 5683

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Gegenstand

Schwerbehindertenrechtliche Ausgleichsabgabe; Heranziehung von Beschäftigungsgesellschaften


Leitsatz

Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften unterliegen hinsichtlich der von ihnen übernommenen Transferkurzarbeiter der Pflicht des § 77 Abs. 1 SGB IX (juris: SGB 9), eine schwerbehindertenrechtliche Ausgleichsabgabe zu entrichten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob Beschäftigungsgesellschaften eine schwerbehindertenrechtliche Ausgleichsabgabe entrichten müssen.

2

Die Klägerin ist eine Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft. Sie übernimmt von Unternehmen, die Werke oder Betriebe schließen müssen, meist aufgrund eines Sozialplans das von Entlassung bedrohte Personal. Ihre Aufgabe ist es, die Arbeitnehmer in neue Arbeitsverhältnisse zu vermitteln und für eine andere berufliche Tätigkeit zu qualifizieren. Dazu werden in "dreiseitigen Verträgen" die Arbeitsverhältnisse mit dem früheren Arbeitgeber aufgehoben und neue, auf maximal 12 Monate befristete Arbeitsverträge mit der Klägerin geschlossen. Die auf diese Weise "transferierten" Arbeitnehmer erhalten [X.]geld. Die Kosten der Beschäftigungsgesellschaft (Transfergesellschaft) und alle übrigen Leistungen (insbesondere die Sozialversicherungsbeiträge) werden vom früheren Arbeitgeber übernommen.

3

Im [X.] übernahm die Klägerin aufgrund solcher "dreiseitiger Verträge" einen großen Teil der Belegschaft des stillgelegten [X.] GmbH. Mit Feststellungsbescheid vom 4. Juli 2007 wurde die Klägerin für das [X.] zu einer schwerbehindertenrechtlichen Ausgleichsabgabe in Höhe von 31 200 € herangezogen. Dies wurde damit begründet, dass die Klägerin nach den Berechnungen des Integrationsamts der Beklagten im [X.] durchschnittlich 267 Personen beschäftigte. Im Jahresdurchschnitt war nur 1,24 % des Personals schwerbehindert, so dass die gesetzlich vorgeschriebene Quote von 5 % nicht erreicht wurde. Der gegen die Ausgleichsabgabe gerichtete Widerspruch wurde mit [X.] vom 6. Februar 2008 zurückgewiesen.

4

Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat der Verwaltungsgerichtshof das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe im [X.] nicht die erforderliche Zahl schwerbehinderter Arbeitnehmer beschäftigt. Bei der Berechnung der Ausgleichsabgabe seien auch die Stellen der [X.] zu berücksichtigen. Eine anzurechnende Stelle liege nicht nur dann vor, wenn ein Arbeitsplatz im räumlich-gegenständlichen Sinne bereitgestellt werde. Vielmehr genüge es, wenn dem Arbeitnehmer in einem Betrieb ein bestimmter Tätigkeitsbereich zugewiesen werde. Hinsichtlich des Verwaltungs- und Schulungspersonals der Klägerin könne dies nicht erfolgreich bestritten werden. Hinsichtlich der übernommenen [X.] finde zwar keine Beschäftigung im üblichen Sinne statt. Die vertraglich vereinbarte Qualifizierung dieser Arbeitnehmer erfülle jedoch ebenfalls den sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsbegriff. Für das Bestehen eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses sei im Übrigen die Erbringung einer Arbeitsleistung nicht zwingend erforderlich. Etwas Anderes gelte auch nicht bei Bezug von [X.]geld. Insbesondere sei die Transferkurzarbeit nicht den einigungsbedingten "[X.]" vergleichbar. Die Ausnahmevorschrift für geringfügig beschäftigte Teilzeitkräfte greife nicht ein. Die [X.] würden nicht weniger als 18 Wochenstunden beschäftigt.

5

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin im [X.] eine Verkennung des ausgleichsabgabenrechtlichen Arbeitsplatzbegriffs. Dieser setze eine tatsächliche Beschäftigung voraus. Daran fehle es aber gerade, weil [X.]geld begrifflich einen dauerhaften und unvermeidlichen Arbeitsausfall erfordere. Das Arbeitsverhältnis beschränke sich daher auf Meldepflichten und ähnliche Nebenpflichten. Eine Arbeitsleistung im eigentlichen Sinne werde nicht erbracht. Zwar könne ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis nach der Rechtsprechung auch bei kurzfristigem Entfallen der Arbeitsleistung bestehen (z.B. Freistellungsphase in der Altersteilzeit, Urlaub, Krankheit etc.). Diese Fälle seien aber mit der Transferkurzarbeit nicht zu vergleichen, bei der generell keine Arbeitspflicht bestehe. Die durchgeführten Qualifizierungsmaßnahmen könnten ebenfalls nicht als Beschäftigung im Betrieb angesehen werden, da keine arbeitsrechtliche oder auch nur sozialrechtliche Verpflichtung zur Teilnahme bestehe und auch kein Anspruch auf Durchführung gegeben sei. Auch könne der Zweck der Ausgleichsabgabe, den Arbeitgeber zur Beschäftigung von Schwerbehinderten anzuhalten, bei Transfergesellschaften nicht erreicht werden. Die Transfergesellschaft habe keinen Einfluss auf die zu übernehmende Belegschaft. Es sei sinnwidrig, allein auf die Ausgleichsfunktion der Abgabe abzustellen. Ferner müssten die Grundsätze der einigungsbedingten "[X.]" Anwendung finden. Historisch betrachtet seien die Transfergesellschaften auf die im Rahmen der [X.] entwickelten Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften zurückzuführen. Jedenfalls müsse die Ausnahmevorschrift für geringfügig Beschäftigte verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, dass bei Transfergesellschaften Beschäftigte weniger als 18 Stunden arbeiteten. Das Fehlen einer Arbeitspflicht und das bloße Vorhandensein von Nebenpflichten müsse wie eine Teilzeitbeschäftigung gewertet werden.

6

Der Beklagte und der Vertreter des [X.] verteidigen das angegriffene Berufungsurteil.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision der Klägerin ist als unbegründet zurückzuweisen, weil das angegriffene Urteil nicht gegen Bundesrecht verstößt (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der Verwaltungsgerichtshof hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin zur Entrichtung der festgesetzten schwerbehindertenrechtlichen Ausgleichsabgabe nach § 77 Abs. 1, 2 und Abs. 4 Satz 2 i.V.m. § 73 Abs. 1 [X.] in der für das [X.] 2006 maßgeblichen Fassung vom 19. Juni 2001 ([X.] 1046), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. April 2004 ([X.] 606) - im Folgenden: [X.] -, verpflichtet ist.

8

1. Private und öffentliche Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich monatlich mindestens 20 Arbeitsplätzen haben gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 [X.] auf wenigstens 5 % der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Solange sie die vorgeschriebene Zahl Schwerbehinderter nicht beschäftigen, haben sie nach § 77 Abs. 1 [X.] für jeden unbesetzten Pflichtarbeitsplatz eine Ausgleichsabgabe zu entrichten. Zwischen den Beteiligten ist zu Recht unstreitig, dass die Klägerin als Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaft im Jahr 2006 im Jahresdurchschnitt mehr als 20 Personen pro Monat angestellt hatte, dass bei Anrechnung des übernommenen Personals 120 Pflichtplätze unbesetzt geblieben sind und dass dafür rechnerisch eine Ausgleichsabgabe von 31 200 € anzusetzen ist.

9

2. Der Verwaltungsgerichtshof ist ebenfalls zutreffend davon ausgegangen, dass bei Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften auch die Stellen der übernommenen [X.] in die Berechnung der Ausgleichsabgabe nach § 77 Abs. 1 [X.] einfließen. Zum einen haben die [X.] Arbeitsplätze im Sinne des § 73 Abs. 1 [X.] (a) und zum anderen ist die Anrechnung ihrer Stellen bei der Erhebung der Ausgleichsabgabe nicht wegen geringfügiger Beschäftigung analog § 73 Abs. 3 Alt. 2 [X.] ausgeschlossen (b). Die Berücksichtigung der [X.] bei der Erhebung der Ausgleichsabgabe ist auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen unzulässig (c).

a) Unter den Begriff des Arbeitsplatzes f[X.] nach der Definition des § 73 Abs. 1 [X.] alle Stellen, auf denen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Beamte und Beamtinnen, [X.] und [X.]innen sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt werden. Diese Begriffsbestimmung ist erkennbar durch drei Elemente geprägt. Es bedarf - erstens - eines privat- oder öffentlich-rechtlichen [X.]s (Arbeitnehmer-, Beamten- oder [X.]eigenschaft), der Arbeitgeber oder Dienstherr muss - zweitens - "Stellen" eingerichtet haben und auf diesen muss - drittens - Personal "beschäftigt" werden (dreigliedriger Arbeitsplatzbegriff).

aa) Die von der Klägerin übernommenen [X.] stehen zu dieser in einem privatrechtlichen Anstellungsverhältnis und sind deshalb Arbeitnehmer (vgl. [X.], Beschluss vom 23. August 2001 - 5 [X.] - [X.]E 99, 1 <3 f.> und Urteil vom 30. März 2004 - 1 [X.]/03 - [X.] § 112 BetrVG 1972 Nr. 170; BSG, Urteile vom 10. Mai 2012 - [X.] KR 26/11 R - juris Rn. 15 und vom 4. Juli 2012 - [X.]1 AL 9/11 R - juris Rn. 17; [X.], Urteil vom 20. Juli 2010 - [X.]/09 - [X.]E 230, 373 Rn. 16; [X.], in: [X.] Kommentar zum Arbeitsrecht, 13. Aufl. 2013, §§ 112, 112a [X.] Rn. 37c).

Für die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des § 73 Abs. 1 [X.] ist auf die im Arbeitsrecht entwickelten Maßstäbe abzustellen (vgl. Urteile vom 8. März 1999 - BVerwG 5 [X.] 5.98 - [X.] 436.61 § 7 [X.] Nr. 4 S. 2 und vom 26. September 2002 - BVerwG 5 [X.] 53.01 - [X.] 436.61 § 7 [X.] Nr. 5 [X.]). Danach ist Arbeitnehmer, wer aufgrund Vertrages in persönlicher Abhängigkeit Dienste erbringt (vgl. Urteile vom 16. Dezember 1959 - BVerwG 5 [X.] 138.57 - BVerwGE 10, 70 <71> = [X.] 436.6 § 2 SchwBeschG Nr. 1 S. 2, vom 8. März 1999 a.a.[X.] und vom 26. September 2002 a.a.[X.]). Für den Arbeitnehmerbegriff ist es dabei wesentlich, dass der Arbeitnehmer [X.] und in die [X.] eingegliedert ist ([X.], Urteil vom 6. Mai 1998 - 5 [X.] - NJW 1998, 3796 <3797>).

Nach diesen Grundsätzen stehen die von der Klägerin übernommenen [X.] in einem Arbeitsverhältnis. Bei dem "dreiseitigen Vertrag" zwischen dem früheren Arbeitgeber, der Transfergesellschaft und dem Arbeitnehmer handelt es sich nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung um einen Aufhebungs- und Arbeitsvertrag, mit dem der Arbeitsvertrag mit dem früheren Arbeitgeber aufgelöst und ein neuer Arbeitsvertrag mit der Transfergesellschaft begründet wird. Dieser "dreiseitige Vertrag" stellt grundsätzlich keine Umgehung von § 613a BGB dar und kann daher rechtswirksam geschlossen werden ([X.], Urteile vom 11. Dezember 1997 - 8 [X.] - [X.] 1999, 262 <263> und vom 23. November 2006 - 8 [X.] - [X.] 2007, 866 <868>). Den den Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO bindenden tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs ist zu entnehmen, dass die [X.] in den Schulungs-, Vermittlungs- und Personalbetreuungsbetrieb der Klägerin eingegliedert sind. Dies entspricht auch dem zwischen ihnen und der früheren Arbeitgeberin abgeschlossenen "dreiseitigen Vertrag", wie er als Muster im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegt wurde.

Die [X.] sind gegenüber der Klägerin auch zur Erbringung einer Leistung verpflichtet. Nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs sind sie zum Zweck der Fortbildung bzw. Qualifikation eingestellt. Sie sind nach § 3 Abs. 7 Satz 1 des "dreiseitigen Vertrages" verpflichtet, u.a. an Qualifizierungsmaßnahmen teilzunehmen. Die Teilnahme an solchen Maßnahmen ist - so die Feststellung der Vorinstanz - an die Stelle der zuvor dem früheren Arbeitgeber geschuldeten Leistung getreten. Es handelt sich also um eine Arbeitsleistung, die nunmehr gegenüber der Klägerin zu erbringen ist. Dem steht nicht entgegen, dass sich die Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen von den Tätigkeiten unterscheidet, wie sie ein Arbeitnehmer üblicherweise seinem Arbeitgeber schuldet. Die Arbeitnehmereigenschaft setzt nicht zwingend voraus, dass der Einzelne Arbeiten verrichtet, die Teil einer Wertschöpfungskette sind. Dass auch andere Leistungen - wie hier die Teilnahme an Qualifizierungsmaßnahmen - Gegenstand einer Verpflichtung im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses sein können, folgt aus der [X.]. Nicht entscheidend ist im vorliegenden Zusammenhang, in welchem Umfang die Klägerin die [X.] auffordert, an Qualifizierungsmaßnamen teilzunehmen. Für die hier allein maßgebliche Verpflichtung zur Dienstleistung kommt es darauf nicht an.

Die [X.] unterliegen auch dem Direktionsrecht der Klägerin. Dies ergibt sich schon daraus, dass sie - wie aufgezeigt - verpflichtet sind, auf Verlangen der Klägerin an Qualifizierungsmaßnahmen teilzunehmen.

bb) Die [X.] werden auch auf "Stellen" im Sinne des § 73 Abs. 1 [X.] beschäftigt. Hierfür ist es nicht erforderlich, dass die Arbeitnehmer über einen Arbeitsplatz im [X.] Sinne verfügen (Urteile vom 13. Dezember 2001 - BVerwG 5 [X.] 22.01 - juris Rn. 18 und - BVerwG 5 [X.] 26.01 - BVerwGE 115, 312 <316> = [X.] 436.61 § 11 [X.] Nr. 1 S. 4). Vielmehr ist die "Stelle" im übertragenen betriebsorganisatorisch-arbeitsrechtlichen Sinne als die Gesamtheit des dem Arbeitnehmer im Betrieb zugewiesenen Tätigkeitsbereichs mit [X.] sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten zu verstehen (Urteile vom 21. Oktober 1987 - BVerwG 5 [X.] 42.84 - [X.] 436.61 § 6 [X.] Nr. 1 S. 2 und vom 8. März 1999 a.a.[X.]). Die "Stelle" hat allerdings für das Entstehen der Beschäftigungspflicht nach § 71 [X.] und für die Erhebung der Ausgleichsabgabe nach § 77 [X.] primär die Funktion einer Bezugs- und Rechengröße (BSG, Urteil vom 6. Mai 1994 - 7 [X.]/93 - [X.], 176 <183>). Es ist daher nicht entscheidend, ob eine betriebswirtschaftlichen und arbeitsrechtlichen Anforderungen genügende Stellenbeschreibung vorliegt. Nicht entscheidend ist auch, ob der dem Arbeitnehmer zugewiesene Tätigkeitsbereich mittelbar oder unmittelbar dem Zweck des Unternehmens dient und damit Teil der betrieblichen Wertschöpfungskette ist. Denn nach § 73 Abs. 1 [X.] sind auch Stellen von "zur beruflichen Bildung Eingestellten" Arbeitsplätze, so dass für eine allein am [X.] orientierte Betrachtungsweise kein Raum ist. Dementsprechend verfügen auch die bei der Klägerin angestellten [X.] schon deshalb über einen ihnen zugewiesenen Tätigkeitsbereich, weil sie verpflichtet sind, an den Qualifizierungsmaßnahmen der Klägerin teilzunehmen.

cc) Entgegen der Ansicht der Klägerin ist auch davon auszugehen, dass die [X.] auf ihren Stellen im Sinne von § 73 Abs. 1 [X.] "beschäftigt werden". Für die Auslegung dieses [X.]ses ist allerdings nicht - wie der Verwaltungsgerichtshof meint - auf § 7 [X.] in der für den Erhebungszeitraum maßgeblichen Bekanntmachung vom 23. Januar 2006 ([X.] 86), zuletzt geändert durch Art. 3 Nr. 1 des Gesetzes vom 20. Juli 2006 ([X.] 1706 - im Folgenden: [X.]) zurückzugreifen. Die darin enthaltene Definition des Beschäftigungsbegriffs gilt unmittelbar nur für den sozialversicherungsrechtlichen Bereich der Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung (§ 1 Abs. 1 Satz 1 [X.]). Ob sie auch auf andere Bereiche des Sozialrechts übertragen werden kann, ist durch Auslegung zu ermitteln. Für den Bereich der schwerbehindertenrechtlichen Beschäftigungs- und [X.]pflicht kommt es jedoch nicht darauf an, ob ein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis vorliegt oder nicht. Wie § 73 Abs. 1 [X.] zeigt, lösen auch nichtsozialversicherungsrechtliche [X.] von Beamten und [X.]n die Pflichten der §§ 71, 77 [X.] aus. Außerdem entspricht der sozialversicherungsrechtliche Beschäftigungsbegriff des § 7 Abs. 1 [X.] weitgehend der Definition des Arbeitsverhältnisses. Die Anwendung des sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsbegriffs hätte bei privaten Arbeitnehmern zur Folge, dass die schon beim Arbeitnehmerbegriff untersuchten Punkte bei der Frage der Beschäftigung nochmals geprüft würden. Bei Beamten und [X.]n käme es zu Friktionen, weil systemfremde Gesichtspunkte zu untersuchen wären.

Wortlaut, Systematik und Zweck des § 73 Abs. 1 [X.] legen es nahe, das "[X.]" als Einschränkung des weiten Begriffs der anzurechnenden Stelle zu verstehen. Eine nur in unternehmerischen Stellenplänen oder staatlichen Haushaltsplänen ausgewiesene "leere Planstelle" genügt nicht, wenn nach dem Wortlaut des § 73 Abs. 1 [X.] gefordert wird, dass auf den Stellen Arbeitnehmer, Beamte oder [X.] beschäftigt werden. In diese Richtung weist bereits der Begriff "beschäftigt", dem ein tatsächliches Element innewohnt. Es muss auch tatsächlich in gewissem Umfang einer Beschäftigung nachgegangen, d.h. Arbeits- und Entgeltleistung erbracht werden. Das [X.] verlangt - wie aus dem systematischen Bezug zur Regelung des § 73 Abs. 3 [X.] hervorgeht - dass die Stelle gleichsam "besetzt" ist. In dieser Regelung wird ein mehrmonatiges Besetztsein der Stelle mit einem längeren "[X.]" gleichgesetzt. Auch der Zweck der §§ 71, 77 [X.], Schwerbehinderte in das Erwerbsleben einzugliedern und ihre Teilhabemöglichkeiten zu verbessern, spricht dafür, nur auf die besetzten Stellen, d.h. die tatsächlich zur Verfügung stehenden Beschäftigungsmöglichkeiten eines Betriebes, abzustellen.

Gemessen daran werden die [X.] auf bei der Klägerin eingerichteten Stellen "beschäftigt". Dies ergibt sich schon daraus, dass sie - wie dargelegt - verpflichtet sind, an Qualifizierungsmaßnahmen tatsächlich teilzunehmen. Auch im vorliegenden Zusammenhang ist es ohne Bedeutung, in welchem Umfang die Klägerin eine solche Aufforderung ausspricht. Das [X.] ist hier schon dann erfüllt, wenn der [X.] seine Teilnahme an etwa angebotenen Qualifizierungsmaßnahmen anbietet. Wird dieses Angebot von der Klägerin nicht angenommen, liegt gleichwohl eine Beschäftigung im Sinne von § 73 Abs. 1 [X.] vor.

b) Die Stellen der bei der Klägerin angestellten [X.] können auch nicht nach § 73 Abs. 3 Alt. 2 [X.] unberücksichtigt bleiben, weil die [X.] weniger als 18 Stunden wöchentlich beschäftigt worden sind. Der Verwaltungsgerichtshof hat im angegriffenen Urteil im Ergebnis zutreffend festgestellt, dass diese Voraussetzungen nicht gegeben sind. Im Rahmen des nach § 73 Abs. 3 Alt. 2 [X.] ist ebenso wie bei § 73 Abs. 3 Alt. 1 [X.] für die Frage, ob eine geringfügige Beschäftigung vorliegt, grundsätzlich von der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit auszugehen. Die von der Klägerin übernommenen [X.] waren aber ursprünglich an ihrem alten Arbeitsplatz mehr als 18 Stunden wöchentlich beschäftigt. Ihre Bezahlung während der Transferzeit (Kurzarbeitergeld) orientierte sich unstreitig am früheren Gehalt für die Vollzeitbeschäftigung (§ 178 i.V.m. § 216b Abs. 10 SGB III). Schließlich war auch in den neuen [X.] - ausweislich des vorgelegten [X.] - keine geringere Arbeitszeit vereinbart, so dass nicht von einer vertraglich vereinbarten geringfügigen Beschäftigung im Sinne von § 73 Abs. 3 Alt. 2 [X.] auszugehen ist.

Im Ergebnis zu Recht hat der Verwaltungsgerichtshof auch eine analoge Anwendung des § 73 Abs. 3 Alt. 2 [X.] abgelehnt. Es fehlt bereits an der für eine Analogie erforderlichen Regelungslücke. Das Gesetz nimmt nur geringfügige Beschäftigungen mit weniger als 18 Stunden Wochenpensum von der Anrechnung aus, um die wünschenswerte Beschäftigung schwerbehinderter Menschen auf Teilzeitarbeitsplätzen (vgl. § 81 Abs. 5 Satz 1 [X.]) zu fördern ([X.], in: GK-[X.], Stand 2013, § 73 Rn. 160). Hingegen sieht es für die ebenfalls angestrebte Beschäftigung von Schwerbehinderten auf Vollzeitstellen keine Anrechnungsfreiheit vor. Dies schließt die Annahme einer Regelungslücke bei grundsätzlich vollzeitbeschäftigten Personen in [X.] aus.

Auch der Gleichbehandlungsgrundsatz zwingt nicht zu einer analogen Anwendung des § 73 Abs. 3 Alt. 2 [X.]. Wird jemand arbeitsvertraglich mit mehr als 18 Stunden wöchentlich beschäftigt und dauert die vom Arbeitgeber organisierte [X.] (ohne oder mit individueller häuslicher Nacharbeit) tatsächlich weniger als 18 Stunden pro Woche, dann nimmt der Arbeitgeber die vom Arbeitnehmer angebotenen Dienste nicht an und befindet sich im Annahmeverzug (§ 293 BGB). Dies berechtigt ihn nicht zu einer Entgeltkürzung und ändert auch schwerbehindertenrechtlich nichts an der grundsätzlich bestehenden Betriebsgröße (vgl. [X.], a.a.O. § 73 Rn. 31). Auch erscheint es im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG nicht geboten, Transferunternehmen, die ihre Arbeitnehmer tatsächlich weniger als 18 Stunden wöchentlich qualifizieren, abgabenrechtlich gegenüber Transferunternehmen besser zu stellen, die ihre Arbeitnehmer in vollem Umfang beschäftigen.

c) Gegen die Anrechnung der Stellen von [X.]n als Arbeitsplätze im Sinne von § 73 Abs. 1 [X.] bestehen auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Das [X.] hat die Pflicht zur Beschäftigung Schwerbehinderter und deren Sanktionierung durch [X.] als verhältnismäßige Berufsausübungsregelung im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG angesehen (Urteil vom 26. Mai 1981 - 1 BvL 56/78 u.a. - [X.] 57, 139 <158 ff.>). Die Ausgleichsabgabe ist eine zulässige nichtsteuerliche Sonderabgabe, die die Arbeitgeber anhalten soll, schwerbehinderte Menschen einzustellen (Antriebsfunktion). Ferner soll sie die Belastungen zwischen denjenigen Arbeitgebern, die dieser Verpflichtung genügen, und denjenigen, die diese Verpflichtung - aus welchen Gründen auch immer - nicht erfüllen, ausgleichen (Ausgleichsfunktion). Demgegenüber tritt die Funktion der Ausgleichsabgabe, zweckgebundene Maßnahmen für Schwerbehinderte - insbesondere Behindertenwerkstätten - zu finanzieren (Finanzierungsfunktion), zurück ([X.] a.a.[X.] ff.).

In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass sich die Erhebung der Ausgleichsabgabe in [X.] Fällen, in denen die Beschäftigung schwerbehinderter Menschen - wie hier - zwar nicht ausgeschlossen, aber nur eingeschränkt möglich ist und mit der Erhebung der Ausgleichsabgabe ein Antriebseffekt nicht oder kaum einhergeht, allein aus der Erfüllung der Ausgleichsfunktion rechtfertigt ([X.], Urteil vom 26. Mai 1981 - 1 BvL 56/78 u.a. - [X.] 57, 139 <167> und Beschluss vom 1. Oktober 2004 - 1 BvR 2221/03 - [X.]K 4, 78 <81>; BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 2001 - BVerwG 5 [X.] 26.01 - BVerwGE 115, 312 <318 f.> und Beschluss vom 17. April 2003 - BVerwG 5 [X.] - [X.] 436.61 § 5 [X.] Nr. 2 S. 4). Dass der Gesetzgeber im Recht der Ausgleichsabgabe von der Schaffung von Sonderregelungen zugunsten von Unternehmen, die ihrem Gegenstand oder ihrer Organisation nach keine schwerbehinderten Arbeitnehmer beschäftigen können, bewusst abgesehen hat (BTDrucks 15/2318 S. 15 und BTDrucks 15/2357 [X.] und 25), ist Ausdruck seiner Befugnis, unterschiedliche Sachverhalte typisierend und pauschalierend gleich zu regeln.

Meta

5 C 20/12

16.05.2013

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 2. Mai 2012, Az: 12 BV 10.2058, Urteil

§ 71 Abs 1 S 1 SGB 9, § 73 Abs 1 SGB 9, § 73 Abs 3 SGB 9, § 77 Abs 1 SGB 9, § 613a BGB, § 293 BGB, § 7 Abs 1 SGB 4, Art 12 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16.05.2013, Az. 5 C 20/12 (REWIS RS 2013, 5683)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 5683

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

B 11 AL 1/19 R

B 11 AL 3/20 R

Zitiert

IX R 23/09

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