Bundessozialgericht, Beschluss vom 29.08.2012, Az. B 11 AL 72/11 B

11. Senat | REWIS RS 2012, 3557

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Gegenstand

sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Zurückverweisung - Verfahrensmangel - Teilnahme an der mündlichen Verhandlung - öffentliche Zustellung - Mobil-Telefonnummer


Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 27. April 2011 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosenhilfe ([X.]) und eine Erstattungsforderung der Beklagten in Höhe von 7121,16 Euro sowie gegen die Feststellung des [X.] ([X.]), das Berufungsverfahren sei durch Zurücknahme der Berufung erledigt.

2

Das Sozialgericht ([X.]) hat die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 30.3.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom [X.] über die Aufhebung der Bewilligung von [X.] und die Rückforderung von 7121,16 Euro abgewiesen (Urteil vom [X.]). Gegen dieses Urteil hat der Kläger durch seine damalige Prozessbevollmächtigte Berufung eingelegt. Die Prozessbevollmächtigte hat die Berufung mit einem am 20.3.2008 beim [X.] eingegangenen Schriftsatz zurückgenommen. Am 25.3.2008 hat der Kläger dem [X.] gegenüber telefonisch erklärt, die Rücknahme sei vorschnell erfolgt und die Berufung werde nicht zurückgenommen. In einem späteren Telefonat gab der Kläger an, zum Zeitpunkt des Eingangs der Rücknahmeerklärung bei Gericht sei die Vollmacht gegenüber der Prozessbevollmächtigten schon widerrufen gewesen. Mit Schreiben vom [X.] erhob der Kläger "sofortigen Widerspruch" gegen die Berufungsrücknahme.

3

Das [X.] hat durch Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung vom 27.4.2011 festgestellt, dass das Berufungsverfahren durch Zurücknahme der Berufung erledigt ist. Zur mündlichen Verhandlung am 27.4.2011 ist der Kläger im Wege der öffentlichen Zustellung gemäß § 185 Zivilprozessordnung (ZPO) geladen worden, nachdem das [X.] nach einer fehlgeschlagenen Zustellung trotz mehrfacher Nachfragen bei Meldebehörden einen Aufenthalt des Klägers nicht ermitteln konnte.

4

Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt der Kläger beim [X.] (B[X.]), die angeordnete öffentliche Zustellung der Ladung zum Verhandlungstermin am 27.4.2011 sei nicht zulässig und daher [X.] gewesen. Er habe durchgehend unter der Anschrift "" gewohnt; dass eine Zustellung unter dieser Anschrift mit dem unzutreffenden Vermerk zurückgekommen sei, er wohne dort nicht, liege nur daran, dass er seinerzeit im Streit mit [X.] gewesen sei. Die weiteren Meldeamtsanfragen des [X.] seien unzureichend gewesen, ua deshalb, weil das [X.] unzutreffende Anschriften angegeben habe. Dem [X.] sei auch bekannt gewesen, dass der Beklagten seine Mobil-Telefonnummer vorgelegen habe. Das [X.] wäre deshalb zur Nachfrage verpflichtet gewesen und hätte damit auch seine zutreffende Anschrift ermitteln können. Ihm sei damit [X.] die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung vom 27.4.2011 verwehrt worden. Die Entscheidung des [X.] könne auch auf dem Verfahrensfehler beruhen. Denn er habe unter dem 17.3.2008 an das [X.] geschrieben und mitgeteilt, dass er sein Mandatsverhältnis mit der früheren Prozessbevollmächtigten mit sofortiger Wirkung gekündigt habe. Dieses Schreiben sei von ihm per Post an die Anschrift des [X.] abgesandt worden; soweit es nicht zur Akte des [X.] genommen worden sei, bestehe dennoch die Möglichkeit, dass es in den Empfangsbereich des [X.] gelangt sei. Bei Teilnahme an der mündlichen Verhandlung hätte er auf diese Umstände hinweisen können.

5

II. [X.] ist zulässig und begründet.

6

Der Beschwerdeführer hat einen Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 [X.] Sozialgerichtsgesetz ([X.]G) schlüssig bezeichnet (§ 160a Abs 2 S 3 [X.]G). Der Verfahrensmangel liegt auch tatsächlich vor. Die vom [X.] angeordnete öffentliche Zustellung der Ladung zum Verhandlungstermin vom 27.4.2011 war unwirksam.

7

Nach § 185 [X.] 1 ZPO ist eine öffentliche Zustellung zulässig, wenn der Aufenthaltsort einer Person unbekannt und eine Zustellung an einen Vertreter oder Zustellungsbevollmächtigten nicht möglich ist (vgl [X.], 311 = NJW 2002, 827). Unbekannt ist der Aufenthalt, wenn er allgemein und nicht nur dem [X.] nicht bekannt ist; insoweit genügen in der Regel ergebnislose Anfragen an das als zuständig anzusehende Einwohnermeldeamt sowie Nachforschungen über bekannte Telefonnummern oder E-Mail-Adressen (vgl [X.] in [X.], ZPO, 33. Aufl, § 185 Rd[X.] 7 mwN). Nach dem Inhalt der beigezogenen Akten lagen dem [X.] Unterlagen der Beklagten aus dem [X.] vor, aus denen eine Mobil-Telefonnummer ersichtlich war und es bestanden auch keine Anhaltspunkte, dass diese Telefonnummer nicht mehr aktuell war. Das [X.] hatte deshalb Veranlassung, sich zunächst telefonisch an den Kläger zu wenden, bevor es den Weg der öffentlichen Zustellung wählte. Denn die öffentliche Zustellung ist nur als "letztes Mittel" zulässig, wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind, ein Schriftstück dem Empfänger in anderer Weise zu übermitteln (vgl [X.], 264, 269; [X.], 425).

8

Da dem Kläger durch die Vorgehensweise des [X.] die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung verwehrt worden ist, geht der Senat auch davon aus, dass die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensmangel beruhen kann (vgl B[X.], Beschluss vom 25.3.2003 - B 7 AL 76/02 R - Juris). Ein Fall, dass sich der Verfahrensfehler unter keinem denkbaren Gesichtspunkt auf das Ergebnis - Wirksamkeit der Berufungsrücknahme - auswirken kann, liegt nicht vor.

9

Da die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 [X.] [X.]G vorliegen, macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 160a Abs 5 [X.]G).

Das [X.] wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu befinden haben.

Meta

B 11 AL 72/11 B

29.08.2012

Bundessozialgericht 11. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AL

vorgehend SG Hamburg, 27. September 2007, Az: S 25 AL 944/05, Urteil

§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160a Abs 5 SGG, § 63 Abs 2 S 1 SGG, § 185 Nr 1 ZPO, Art 103 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 29.08.2012, Az. B 11 AL 72/11 B (REWIS RS 2012, 3557)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 3557

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