Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.12.2023, Az. 5 AZR 137/23

5. Senat | REWIS RS 2023, 10082

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Gegenstand

Entgeltfortzahlung bei Krankheit und an Feiertagen - Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung


Tenor

1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des [X.] vom 8. März 2023 - 8 Sa 859/22 - im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das [X.] die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 26. Oktober 2022 - 2 [X.]/22 - hinsichtlich der Zahlung für den Zeitraum vom 7. bis zum 31. Mai 2022 iHv. 1.294,72 Euro brutto nebst Zinsen zurückgewiesen hat.

2. Im Übrigen wird die Revision der Beklagten gegen das benannte Urteil des [X.] hinsichtlich der Zahlung für den Zeitraum vom 1. bis zum 6. Mai 2022 iHv. 380,80 Euro brutto mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die im benannten Urteil des [X.] für diesen Zeitraum ausgeurteilten Zinsen erst ab dem 23. Juni 2022 zu zahlen sind.

3. [X.] wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das [X.] zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

2

Der Kläger war seit März 2021 als Helfer bei der [X.], die ein Unternehmen der Arbeitnehmerüberlassung betreibt, mit einem Stundenlohn von 10,88 Euro brutto beschäftigt. Die wöchentliche Arbeitszeit betrug 35 Stunden. Nach arbeitsvertraglicher Vereinbarung war das Arbeitsentgelt spätestens am 15. Bankarbeitstag des Folgemonats zu zahlen. Die Beklagte setzte den Kläger seit dem 21. April 2022 nicht mehr ein.

3

Der Kläger legte der [X.] am 2. Mai 2022 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom selben Tag für die [X.] vom 2. bis zum 6. Mai 2022 vor. Mit Schreiben vom 2. Mai 2022, das dem Kläger am 3. Mai 2022 zuging, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 31. Mai 2022. In einer Folgebescheinigung vom 6. Mai 2022 wurde Arbeitsunfähigkeit des Klägers bis zum 20. Mai 2022 und in einer weiteren Folgebescheinigung vom 20. Mai 2022 bis zum 31. Mai 2022 bescheinigt. Nach den vom Kläger im Prozess vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen beruhte die Arbeitsunfähigkeit auf der Diagnose nach [X.] J06.9. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 20. Mai 2022 wies zudem die Diagnose nach [X.] R45.7 auf. Ab dem 1. Juni 2022 war der Kläger wieder arbeitsfähig und nahm eine neue Beschäftigung auf.

4

Mit Schreiben vom 23. Mai 2022 teilte die Beklagte dem Kläger mit, aufgrund der Koinzidenz zwischen der Kündigung und der vom 2. bis zum 31. Mai 2022 bescheinigten Arbeitsunfähigkeit bestünden ernsthaft begründete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit, weshalb sie die Entgeltfortzahlung für den betreffenden [X.]raum verweigere. Mit Telefax vom 28. Mai 2022 forderte der Kläger die Beklagte zur Zahlung des Entgelts für den Monat Mai 2022 auf.

5

Mit seiner Klage hat der Kläger von der [X.] für die [X.] vom 2. bis zum 31. Mai 2022 Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verlangt. Er hat gemeint, der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei nicht erschüttert. Er habe sich zunächst krankgemeldet, erst daraufhin habe die Beklagte die Kündigung ausgesprochen. Dies stehe einer zeitlichen Koinzidenz von Kündigung und Krankmeldung entgegen, zumal es sich um eine Arbeitgeberkündigung handele. Bei ihm sei durchgängig eine Infektion der oberen Atemwege diagnostiziert worden, ab dem 20. Mai 2022 sei als weitere Diagnose „emotionaler Schock oder Stress“ hinzugetreten.

6

Der Kläger hat beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.675,52 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 15. Juni 2022 zu zahlen.

7

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei erschüttert, weil der [X.]raum der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit taggenau der Kündigungsfrist entspreche und der Kläger unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses wieder arbeitsfähig geworden sei und eine neue Beschäftigung aufgenommen habe.

8

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das [X.] hat die Berufung der [X.] zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der [X.] ist teilweise - bezogen auf den [X.]raum vom 1. bis zum 6. Mai hinsichtlich des Zinsbeginns und bezogen auf den [X.]raum vom 7. bis zum 31. Mai 2022 insgesamt - begründet. Die Vorinstanzen haben dem Kläger für den [X.]raum vom 2. bis zum 6. Mai 2022 zu Recht Entgeltfortzahlung wegen Arbeitsunfähigkeit zugesprochen. Sie haben aber nicht erkannt, dass die [X.]eklagte den [X.]eweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 6. Mai 2022 und vom 20. Mai 2022 erschüttert hat. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen kann der Senat nicht über die [X.]egründetheit der Klage für den [X.]raum vom 7. bis zum 31. Mai 2022 entscheiden. Dies führt zur teilweisen Aufhebung des [X.]erufungsurteils und im Umfang der Aufhebung zur Zurückverweisung der Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO).

I. Die Revision ist für den [X.]raum vom 1. bis zum 6. Mai 2022 lediglich hinsichtlich des Zinsbeginns begründet. Das [X.] hat die [X.]erufung der [X.] gegen das Urteil des Arbeitsgerichts insoweit im Übrigen zu Recht zurückgewiesen. Der Kläger hat für diesen [X.]raum einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall aus § 3 Abs. 1 EFZG in Höhe von 380,80 Euro brutto.

1. Ein Arbeitnehmer hat nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die [X.] der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft. Nach allgemeinen Grundsätzen trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und [X.]eweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG ([X.] 28. Juni 2023 - 5 [X.] - Rn. 11; 11. Dezember 2019 - 5 [X.] - Rn. 16, [X.]E 169, 117).

a) Der [X.]eweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit wird in der Regel durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung iSd. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste [X.]eweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG reicht die Vorlage einer ärztlichen [X.]escheinigung iSd. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG aus, um dem Arbeitgeber das Recht zur Leistungsverweigerung zu entziehen. Diese gesetzgeberische Wertentscheidung strahlt auch auf die beweisrechtliche Würdigung aus. Der ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt daher aufgrund der normativen Vorgaben im Entgeltfortzahlungsgesetz ein hoher [X.]eweiswert zu. Die Gesetzesbegründung zur elektronischen Meldung nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SG[X.] IV hat die in § 5 Abs. 1a Satz 2 EFZG vorgesehene Papierbescheinigung „als gesetzlich vorgesehenes [X.]eweismittel mit dem ihr von der Rechtsprechung zugebilligten hohen [X.]eweiswert“ bezeichnet ([X.]. 19/13959 S. 37) und sich damit diese [X.]ewertung zu eigen gemacht ([X.] 2022, 235, 239 f.). Der Tatrichter kann normalerweise den [X.]eweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt. Aufgrund des normativ vorgegebenen hohen [X.] der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt ein „bloßes [X.]estreiten“ der Arbeitsunfähigkeit mit Nichtwissen durch den Arbeitgeber nicht, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit mit einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen hat. Vielmehr kann der Arbeitgeber den [X.]eweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im [X.] beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen [X.]escheinigung kein [X.]eweiswert mehr zukommt ([X.] 28. Juni 2023 - 5 [X.] - Rn. 12; 8. September 2021 - 5 [X.] - Rn. 12 mwN, [X.]E 175, 358).

b) Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründet keine gesetzliche Vermutung einer tatsächlich bestehenden Arbeitsunfähigkeit iSd. § 292 ZPO mit der Folge, dass nur der [X.]eweis des Gegenteils zulässig wäre ([X.] 28. Juni 2023 - 5 [X.] - Rn. 12; 8. September 2021 - 5 [X.] - Rn. 13 mwN, [X.]E 175, 358). Der Arbeitgeber ist nicht auf die in § 275 Abs. 1a SG[X.] V aufgeführten Regelbeispiele ernsthafter Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit beschränkt ([X.] 8. September 2021 - 5 [X.] - aaO; zust. [X.]. [X.] § 5 Nr. 11). Den [X.]eweiswert erschütternde Tatsachen können sich auch aus dem eigenen Sachvortrag des Arbeitnehmers (dazu bspw. [X.] 26. Oktober 2016 - 5 [X.] - Rn. 18, [X.]E 157, 102) oder aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung selbst ergeben ([X.] 8. September 2021 - 5 [X.] - aaO; zur Erschütterung des [X.] einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wegen Verstößen des ausstellenden Arztes gegen bestimmte Vorgaben der [X.] [X.] 28. Juni 2023 - 5 [X.] - Rn. 13 ff.).

c) Gelingt es dem Arbeitgeber, den [X.]eweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, tritt hinsichtlich der Darlegungs- und [X.]eweislast wieder derselbe Zustand ein, wie er vor Vorlage der [X.]escheinigung bestand. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, konkrete Tatsachen darzulegen und im [X.] zu beweisen, die den Schluss auf eine bestehende Erkrankung zulassen. Hierzu ist substantiierter Vortrag z[X.] dazu erforderlich, welche Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben und welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet wurden. Der Arbeitnehmer muss also zumindest laienhaft bezogen auf den gesamten [X.] schildern, welche konkreten gesundheitlichen [X.]eeinträchtigungen mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden haben ([X.] 8. September 2021 - 5 [X.] - Rn. 15, [X.]E 175, 358).

2. Ausgehend hiervon ist die Annahme der Vorinstanzen, der Kläger sei im [X.]raum vom 2. bis zum 6. Mai 2022 infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert gewesen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

a) Grundsätzlich ist die Würdigung der [X.]eweise gemäß § 286 ZPO dem Tatrichter vorbehalten. [X.] ist nur zu prüfen, ob die [X.]eweiswürdigung in sich widerspruchsfrei und ohne Verletzung von Denkgesetzen und allgemeinen [X.] erfolgt ist, ob sie rechtlich möglich ist und ob das [X.]erufungsgericht alle für die [X.]eurteilung wesentlichen Umstände berücksichtigt hat (vgl. [X.] 8. September 2021 - 5 [X.] - Rn. 18, [X.]E 175, 358).

b) Dieser Überprüfung hält die Entscheidung des [X.]s für den [X.]raum vom 2. bis zum 6. Mai 2022 stand. Das [X.]erufungsgericht ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die [X.]eklagte den [X.]eweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 2. Mai 2022 nicht erschüttert hat.

aa) Das [X.] hat zunächst zutreffend angenommen, dass für die Frage der Erschütterung des [X.] der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht entscheidend ist, ob es sich um eine Eigenkündigung des Arbeitnehmers (vgl. dazu [X.] 8. September 2021 - 5 [X.] - Rn. 19, [X.]E 175, 358) oder um eine Kündigung des Arbeitgebers handelt. Auch bei einer Kündigung durch den Arbeitgeber kann der [X.]eweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert werden, wenn der Arbeitnehmer unmittelbar nach dem Zugang der Kündigung erkrankt und nach den Gesamtumständen des zu würdigenden Einzelfalls Indizien vorliegen, die Zweifel am [X.]estehen der Arbeitsunfähigkeit begründen. Hierauf deutet insbesondere eine zeitliche Koinzidenz zwischen Kündigungsfrist und Dauer der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit hin. Insoweit gilt nichts anderes als bei einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers (dazu [X.] 8. September 2021 - 5 [X.] - Rn. 19, aaO; [X.] [X.] 2023, 287, 288; [X.]issels/[X.] 24/2023 Anm. 6 unter [X.]; [X.]/[X.] 2. Aufl. EFZG § 5 Rn. 87; wohl auch [X.]/Mai NZA 2022, 97, 101). Die ernsthaften Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit gründen darin, dass der Arbeitnehmer zu einem [X.]punkt, zu dem feststeht, dass das Arbeitsverhältnis enden soll, arbeitsunfähig wird und bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bleibt. Dass eine vom Arbeitgeber erklärte Kündigung noch mit der Kündigungsschutzklage angegriffen werden kann, steht dem nicht entgegen. [X.]ei der näheren [X.]estimmung der Anforderungen an die wechselseitige Darlegungslast der Parteien ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber in aller Regel keine Kenntnis von den Krankheitsursachen hat und nur in eingeschränktem Maß in der Lage ist, Indiztatsachen zur Erschütterung des [X.] der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzutragen. Der Arbeitgeber muss gerade nicht, wie bei einer gesetzlichen Vermutung, Tatsachen darlegen, die dem [X.]eweis des Gegenteils zugänglich sind ([X.] 8. September 2021 - 5 [X.] - Rn. 14, aaO; unzutreffend daher die Kritik von [X.] 2022, 2676, 2678, die nicht berücksichtigt, dass es dem Arbeitnehmer nach der Senatsrechtsprechung in einer solchen Situation immer noch möglich ist, zu beweisen, dass er tatsächlich arbeitsunfähig war; zutreffend [X.]/Mai NZA 2022, 97, 101; [X.]/[X.] 9. Aufl. EFZG § 3 Rn. 79; [X.]/[X.] 2. Aufl. EFZG § 5 Rn. 89; [X.] [X.][X.] 2022, 1396, 1397).

bb) Die Annahme des [X.]erufungsgerichts, die zeitliche Koinzidenz des [X.]eginns der Arbeitsunfähigkeit mit der Kündigung der [X.] sei vorliegend in [X.]ezug auf die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 2. Mai 2022 nicht gegeben, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Kündigung ging dem Kläger erst einen Tag nach Ausstellung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger zum [X.]punkt der Ausstellung der [X.]escheinigung damit rechnen musste, dass das Arbeitsverhältnis in Kürze enden werde, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. So kann in solchen Fallkonstellationen bei der Prüfung ernsthafter Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit von [X.]edeutung sein, dass der Arbeitnehmer bereits vor Zugang der Kündigung von der Absicht des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis zu beenden, Kenntnis erlangt hat, etwa weil der Arbeitnehmer durch den [X.]etriebsrat nach § 102 Abs. 2 Satz 4 [X.]etrVG angehört wurde. Ähnliches gilt, wenn der Arbeitgeber erkennen lässt, ein befristetes Arbeitsverhältnis nicht verlängern zu wollen. Solche tatsächlichen Umstände lagen im Streitfall indes nicht vor. Nach den Feststellungen des [X.]s hatte der Kläger zum [X.]punkt der Ausstellung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung am 2. Mai 2022 keine Kenntnis davon, dass die [X.]eklagte beabsichtigte, das Arbeitsverhältnis zu kündigen. Dass er seit dem 21. April 2022 von der [X.] nicht mehr eingesetzt wurde, genügt für sich allein hierfür nicht.

c) Soweit die [X.]eklagte die Verletzung des Verfahrens durch eine fehlerhafte [X.]eweiswürdigung rügt, liegt bereits keine zulässige Verfahrensrüge vor. Der Senat hat die Rüge geprüft und sieht gemäß § 564 Satz 1 ZPO von einer [X.]egründung ab.

3. Der Kläger hat für den [X.]raum vom 1. bis zum 6. Mai 2022 ausgehend von fünf Arbeitstagen zu sieben Stunden und einer [X.]ruttostundenvergütung in Höhe von 10,88 Euro einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall in Höhe von 380,80 Euro brutto.

4. Für diesen [X.]raum schuldet die [X.]eklagte nach § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 [X.]G[X.] Verzugszinsen, die dem Kläger gemäß § 187 Abs. 1 [X.]G[X.] ab dem Tag nach Eintritt der Fälligkeit zustehen (vgl. [X.] 8. September 2021 - 5 [X.] - Rn. 20 mwN). Anders als vom Arbeitsgericht angenommen hat die Auszahlung der Vergütung nicht am 15. Kalendertag des Folgemonats, sondern nach § 4 Abs. 2 Unterabs. 3 des [X.] spätestens am 15. [X.]ankarbeitstag des Folgemonats zu erfolgen. Da die Arbeitsvertragsparteien den [X.]egriff des [X.] nicht näher definiert haben, ist von einem allgemeinen Verständnis auszugehen (vgl. auch § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 [X.]; § 23 Abs. 1 Satz 2 SG[X.] IV), wonach [X.]ankarbeitstage solche Tage sind, an denen Kreditinstitute in der [X.] regelmäßig für den Publikumsverkehr geöffnet sind. Samstage und Sonntage sowie die bundesweiten gesetzlichen Feiertage sind keine [X.]ankarbeitstage. Die Fälligkeit des Vergütungsanspruchs für die [X.] vom 1. bis zum 6. Mai 2022 ist daher unter [X.]eachtung des bundeseinheitlichen gesetzlichen Feiertages [X.] (6. Juni 2022) am 22. Juni 2022, eingetreten. Zinsen kann der Kläger damit erst ab dem 23. Juni 2022 verlangen.

II. Die Revision ist hinsichtlich der Verurteilung der [X.] zur Entgeltfortzahlung für den [X.]raum vom 7. bis zum 31. Mai 2022 begründet. Das [X.]erufungsgericht hat insoweit rechtsfehlerhaft angenommen, der [X.]eweiswert der vom Kläger vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vom 6. Mai 2022 und vom 20. Mai 2022 sei durch die [X.]eklagte nicht erschüttert worden.

1. Zutreffend ist das [X.]erufungsgericht allerdings zunächst davon ausgegangen, dass für die [X.]eurteilung des [X.] von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen im Zusammenhang mit Kündigungen nicht entscheidend ist, ob für die Dauer der Kündigungsfrist eine oder mehrere [X.]escheinigungen vorgelegt werden (ebenso [X.] [X.] 2023, 287, 288; [X.]/Mai NZA 2022, 97, 101). Die ernsthaften Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit gründen - wie oben bereits ausgeführt (Rn. 18) - darin, dass der Arbeitnehmer zu einem [X.]punkt, zu dem feststeht, dass das Arbeitsverhältnis enden soll, arbeitsunfähig wird und bis zum Ablauf der Kündigungsfrist bleibt. Dass bei einer längeren Kündigungsfrist mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erforderlich sind, um diesen [X.]raum abzudecken, ist in erster Linie durch § 5 Abs. 4 Satz 1 der [X.] in der im Mai 2022 geltenden Fassung ([X.] aF) bedingt, wonach die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit im Grundsatz nicht für einen mehr als zwei Wochen im Voraus liegenden [X.]raum bescheinigt werden soll.

2. Das [X.] hat aber zu Unrecht nicht alle Umstände des vorliegenden Einzelfalls berücksichtigt und die berücksichtigten Umstände nicht frei von Widersprüchen gewürdigt.

a) Das [X.]erufungsgericht hat nicht genügend berücksichtigt, dass zwischen der in den [X.] festgestellten passgenauen Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit und der Kündigungsfrist eine zeitliche Koinzidenz bestand (dazu auch [X.]ürger/[X.] 2023, 1861, 1863). Die zunächst für den [X.]raum vom 2. bis zum 6. Mai 2022 bescheinigte Arbeitsunfähigkeit wurde nach Zugang der Kündigung vom 2. Mai 2022 durch den Arzt am 6. Mai 2022 zunächst unter Ausschöpfung der Frist von zwei Wochen gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 [X.] aF und am 20. Mai 2022 bis zur [X.]eendigung des Arbeitsverhältnisses am 31. Mai 2022 verlängert. [X.]ei der Würdigung dieses Sachverhalts hat das [X.] nicht in den [X.]lick genommen, dass die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit durch die [X.]escheinigungen vom 2. Mai 2022 und vom 6. Mai 2022 jeweils bis zu einem Freitag erfolgte, dagegen in der [X.]escheinigung vom 20. Mai 2022 Arbeitsunfähigkeit bis Dienstag, den 31. Mai 2022 und damit passgenau bis zur [X.]eendigung des Arbeitsverhältnisses attestiert wurde und der Kläger am 1. Juni 2022 eine neue [X.]eschäftigung aufgenommen hat. Darüber hinaus ist die zentrale [X.]egründung des [X.]s, der Kläger könne nicht erst durch Erhalt der arbeitgeberseitigen Kündigung dazu motiviert worden sein, einen Arzt aufzusuchen, um die Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erreichen, für den Arbeitsunfähigkeitszeitraum vom 7. bis zum 31. Mai 2022 nicht haltbar, denn dem Kläger lag am 6. und 20. Mai 2022 die Kündigung bereits vor. Sie ist ihm am 3. Mai 2022 zugegangen.

Das Zusammentreffen derart ungewöhnlicher Umstände, die zwar jeweils für sich betrachtet unverfänglich sein mögen, begründet in der Gesamtschau jedoch ernsthafte Zweifel am [X.]eweiswert der am 6. Mai 2022 und am 20. Mai 2022 ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. [X.]ei der [X.]ewertung der Umstände des Einzelfalls ist stets im [X.]lick zu behalten, dass an den Vortrag des Arbeitgebers zur Erschütterung des [X.] der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden, weil dieser nur über eingeschränkte Erkenntnismöglichkeiten verfügt. Der Arbeitgeber muss gerade nicht Tatsachen darlegen, die den [X.]eweis des Gegenteils begründen können ([X.]. Rn. 18).

b) Den sich aus den dargelegten Umständen ergebenden ernsthaften Zweifeln am [X.]eweiswert der am 6. Mai 2022 und am 20. Mai 2022 ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen steht die Annahme des [X.]s, für den [X.]eweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen spreche, dass der Kläger „aufgrund der Erstdiagnose durchgängig bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig war und es sich zudem nach dem - vom Kläger freiwillig offengelegten - I[X.]D-10-[X.]ode mit einer Infektion der oberen Atemwege um eine Erkrankung handelt, die ärztlicherseits in aller Regel gut und zweifelsfrei feststellbar ist“, nicht entgegen. Diese Annahme beruht auf einer mangelnden Sachverhaltsaufklärung und unvollständigen Würdigung des festgestellten Sachverhalts.

Das [X.]erufungsgericht hat nicht festgestellt, wie der Arzt die Erkrankung des [X.] diagnostiziert hat. Es hat nicht beachtet, dass im Streitzeitraum nach § 4 Abs. 5 Satz 2 [X.] aF die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nicht nur aufgrund einer unmittelbar persönlichen Untersuchung durch den Arzt oder einer mittelbar persönlichen Untersuchung im Wege einer Videosprechstunde möglich war, sondern unter den in § 8 Abs. 1 Satz 1 [X.] aF genannten Voraussetzungen ebenso nach telefonischer Anamnese (obwohl eine solche Feststellung nach bi[X.]eriger Rechtsprechung des [X.] nicht geeignet ist, einen Krankengeldanspruch zu begründen, vgl. [X.]SG 16. Dezember 2014 - [X.] 25/14 R - Rn. 13; dazu auch [X.]/[X.] 9. Aufl. EFZG § 3 Rn. 79; [X.]/[X.] 2. Aufl. EFZG § 5 Rn. 96). Wie das [X.] vor diesem Hintergrund zu der Annahme gelangen konnte, die Erkrankung des [X.] sei gut und zweifelsfrei feststellbar gewesen, hat es nicht begründet und erschließt sich auch nicht aus dem Vorbringen der Parteien. Abhängig von der Art der Untersuchung enthält die [X.] aF in Umsetzung von § 92 Abs. 4a SG[X.] V in der im Streitzeitraum geltenden Fassung in § 4 Abs. 5 Satz 4 und Satz 5 und § 5 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 unterschiedliche Vorgaben für die mögliche Dauer der zu bescheinigenden Arbeitsunfähigkeit (dazu [X.]/[X.] aaO; [X.]eckOK ArbR/[X.] Stand 1. Dezember 2023 EFZG § 5 Rn. 27.1 ff.; [X.] ArbR-Hd[X.]/[X.] 20. Aufl. § 98 Rn. 109a; [X.]/[X.] 2. Aufl. EFZG § 5 Rn. 92 ff.).

3. Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung des [X.]erufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO), soweit das [X.] die [X.]eklagte für den [X.]raum vom 7. bis zum 31. Mai 2022 zur Entgeltfortzahlung verurteilt hat. Die Entscheidung stellt sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (vgl. § 561 ZPO). Der Kläger trägt für diesen [X.]raum die volle Darlegungs- und [X.]eweislast für das [X.]estehen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit als Voraussetzung für den Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 EFZG. Da das [X.] - aus seiner Sicht konsequent - hierzu keine Feststellungen getroffen hat, ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 ZPO. Im fortgesetzten [X.]erufungsverfahren wird es ua. Folgendes zu beachten haben:

a) Der Kläger hat vorgetragen, dass die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit auch in der [X.] vom 7. bis zum 31. Mai 2022 auf der Diagnose nach I[X.]D-10-[X.]ode J06.9 (Akute Infektion der oberen Atemwege, nicht näher bezeichnet) und in der [X.] vom 20. bis zum 31. Mai 2022 zudem auf der Diagnose nach I[X.]D-10-[X.]ode R45.7 (Emotioneller Schock oder Stress, nicht näher bezeichnet) beruhte und den behandelnden Arzt von seiner Schweigepflicht entbunden. Das [X.] wird den Parteien Gelegenheit zu geben haben, unter [X.]erücksichtigung der Entscheidungsgründe des Revisionsurteils weiter zu einer in diesem [X.]raum bestehenden Arbeitsunfähigkeit vorzutragen. Es wird ggf. in eine [X.]eweisaufnahme einzutreten haben und erwägen müssen, den Kläger persönlich zu seiner behaupteten Arbeitsunfähigkeit anzuhören (§ 141 ZPO).

b) Entgegen der Auffassung der [X.] ist die Sache nicht wegen der Zurückweisung verspäteten Vorbringens des [X.] zu den Ursachen der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit und zur Entbindung des Arztes von der Schweigepflicht entscheidungsreif. Hat das [X.]erufungsgericht - wie hier - die Entscheidung über die Zurückweisung eines Angriffs- oder Verteidigungsmittels offengelassen, weil es das Vorbringen als nicht erheblich angesehen hat, darf das Revisionsgericht diese Entscheidung nicht nachholen, wenn es das Vorbringen für erheblich hält (vgl. [X.]GH 31. Mai 2017 - [X.]/16 - Rn. 15; 22. Mai 2012 - II [X.] - Rn. 25).

c) Sollte das [X.] zu der Auffassung gelangen, dass auch für den [X.]raum vom 7. bis zum 31. Mai 2022 ein Anspruch des [X.] auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gegeben ist, wird es bei der Entscheidung zu den Zinsen zu beachten haben, dass die Forderung auch für diesen [X.]raum erst am 15. [X.]ankarbeitstag des Folgemonats, dem 22. Juni 2022, fällig geworden wäre ([X.]. Rn. 22).

        

    [X.]    

        

    [X.]ubach    

        

    Neumann    

        

        

        

    Menssen    

        

    Markhof    

                 

Meta

5 AZR 137/23

13.12.2023

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Hildesheim, 26. Oktober 2022, Az: 2 Ca 190/22, Urteil

§ 3 Abs 1 S 1 EntgFG, § 4 Abs 1 EntgFG, § 5 Abs 1 S 2 EntgFG, § 187 Abs 1 BGB, § 286 Abs 2 Nr 1 BGB, § 288 Abs 1 BGB, § 286 ZPO, § 292 ZPO, § 92 Abs 4a SGB 5, § 92 Abs 1 S 2 Nr 7 SGB 5, § 5 Abs 4 S 1 AURL vom 19.11.2021

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 13.12.2023, Az. 5 AZR 137/23 (REWIS RS 2023, 10082)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 10082

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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5 AZR 335/22 (Bundesarbeitsgericht)

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung - Beweiswert


5 AZR 505/18 (Bundesarbeitsgericht)

Entgeltfortzahlung - Einheit des Verhinderungsfalls


5 AZR 149/21 (Bundesarbeitsgericht)

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung - Beweiswert


5 AZR 167/16 (Bundesarbeitsgericht)

In-vitro-Fertilisation - Entgeltfortzahlung - Mutterschutzlohn


18 Sa 1839/03 (Landesarbeitsgericht Hamm)


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2 Ga 6/24

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