Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.07.2011, Az. V ZB 222/10

V. Zivilsenat | REWIS RS 2011, 4515

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS

V ZB 222/10

vom

21. Juli
2011

in der Zurückschiebungshaftsache

-
2
-
Der V.
Zivilsenat des [X.] hat am 21.
Juli
2011
durch den Vor-sitzenden Richter Prof.
Dr.
[X.],
die Richter [X.] und Prof.
Dr.
Schmidt-Räntsch, die Richterin
Dr.
Stresemann
und
den Richter Dr.
Czub

beschlossen:
Der Antrag des Betroffenen auf Bewilligung von [X.] wird zurückgewiesen.
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass die Beschlüsse des [X.] vom 5.
August 2010
und der 11. Zivilkammer des [X.] vom 23. [X.] 2010 ihn in seinen Rechten verletzt haben.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die zur zweckentsprechen-den Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen al-ler Instanzen werden dem [X.] auferlegt.
Der Gegenstandswert des [X.] beträgt

Gründe:
I.
Der Betroffene, der [X.] St[X.]tsangehöriger ist, reiste Anfang [X.] 2010 mithilfe von [X.] unerlaubt in das [X.] ein.
Ein von ihm 1991 gestellter Asylantrag war 1993 bestandskräftig abgelehnt worden.
1
-
3
-
Am 4. August 2010 beantragte der Betroffene die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens. Einen Tag später wurde er vorläufig festgenommen.
Auf Antrag der Beteiligten zu 2 hat das Amtsgericht am 5. August 2010 die Haft zur Sicherung der Zurückschiebung des Betroffenen bis zum 5.
November 2010 und die sofortige Wirksamkeit seiner
Entscheidung ange-ordnet; die
dagegen gerichtete Beschwerde ist ohne Erfolg geblieben.
Mit Beschluss vom 5. Oktober 2010 hat der Senat die Vollziehung der [X.] einstweilen ausgesetzt.
Am 6. Oktober 2010 hat das Bundes-amt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: [X.]) den Asylantrag des Betroffenen nach Durchführung eines weiteren Asylverfahrens als offen-sichtlich unbegründet abgelehnt.
Mit der Rechtsbeschwerde beantragt der Betroffene die Feststellung, dass er durch die Entscheidungen des Amts-
und des [X.] in seinen Rechten verletzt worden ist.

II.
Das Beschwerdegericht meint, die [X.] habe gemäß
§
62 Abs.
2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 5 [X.] angeordnet werden dürfen. Sie sei nicht nach §
62 Abs. 2 Satz 4 [X.] unzulässig. Der Vertreter der Beteiligten zu
2 habe dargelegt, dass die Beschaffung der [X.] binnen weniger Wochen möglich sei und innerhalb von drei Monaten auch die sonstigen orga-nisatorischen Voraussetzungen für die
Abschiebung des Betroffenen geschaf-fen werden könnten. Dass der Betroffene inzwischen einen erneuten Asylan-trag gestellt habe hindere die Haftanordnung jedenfalls so lange nicht, bis das 2
3
4
5
6
-
4
-
[X.] über die Frage der Eröffnung eines neuen Verfahrens gemäß §
51 VwVfG entschieden habe.

III.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Anordnung der [X.] war rechtswidrig, weil weder das Amtsgericht noch das Beschwerdegericht die erforderliche Prognose nach §
62 Abs. 2 Satz 4 [X.] rechtsfehlerfrei vor-genommen hat.
1. Die Haftgerichte sind aufgrund von Art.
20 Abs.
3 GG verfassungs-rechtlich und aufgrund von §
26 FamFG einfachrechtlich verpflichtet, das [X.] der gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung der [X.] in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht umfassend zu prüfen. Insbesondere die für die Anwendung des §
62 Abs.
2
Satz
4
[X.] notwendige Prognose hat der Haftrichter auf der Grundlage einer hinreichend vollständigen [X.] zu treffen. Die Freiheitsgewährleistung des Art.
2 Abs.
2 GG setzt auch insoweit Maßstäbe für die Aufklärung des Sachverhalts. Es ist unverzicht-bare Voraussetzung rechtsst[X.]tlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende [X.] haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht ([X.], NJW 2009, 2659, 2660; Senat, Beschluss vom 11.
Mai 2011 -
V
ZB 265/10,
[X.]
2011, 302, 303 Rn.
8)
2. a) Eine diesen Anforderungen entsprechende
Prognose enthält der Beschluss des Amtsgerichts nicht. Darin heißt es lediglich, ein Zeitraum von drei Monaten sei notwendig, aber auch ausreichend, um die Zurückschiebung 7
8
9
-
5
-
des Betroffenen durchzuführen. Konkrete Angaben zum Ablauf des Zurück-schiebungsverfahrens fehlen ebenso wie die notwendige Darstellung,
in [X.] Zeitraum die einzelnen Schritte, hier insbesondere die Beschaffung des [X.], unter normalen Bedingungen durchlaufen werden [X.]. Soweit die Ausländerbehörde keine konkreten Tatsachen hierzu mitgeteilt
hatte, oblag es gemäß §
26 FamFG dem Gericht nachzufragen (vgl. Senat, [X.] vom 6.
Mai 2010 -
V
ZB 193/09, [X.] 2010, 361, 363; Beschluss vom 8.
Juli 2010 -
V
ZB 89/10, Rn.
8, juris; Beschluss vom 18.
August 2010 -
V
ZB 119/10, Rn.
22, juris).
b) Das Beschwerdegericht hat die Prognose in Bezug auf die tatsächli-chen
Umstände der geplanten Zurückschiebung zwar nachgeholt, aber überse-hen, dass in diese
auch etwaige [X.] einzubeziehen sind.
[X.]) Ein solches Hindernis ergab sich hier aus dem von dem Betroffenen gestellten [X.].
Gemäß §
71 Abs.
5
Satz 2 AsylVfG darf ein Auslän-der, der, wie der Betroffene, nach unanfechtbarer Ablehnung eines früheren Asylantrages erneut einen Asylantrag stellt (Folgeantrag), erst nach der Mittei-lung des [X.]es abgeschoben werden, dass die Voraussetzungen des §
51 Abs.
1 bis 3 VwVfG nicht vorliegen, es sei denn, der Ausländer soll, was hier nicht der Fall ist, in den sicheren Drittst[X.]t (§
26a [X.]) abgeschoben werden. Dieses mögliche Abschiebungshindernis muss bei der nach §
62 Abs.
2 Satz 4 [X.] anzustellenden Prognose berücksichtigt werden; der Haftrichter muss sich also vergewissern, dass mit einer Entscheidung des [X.] über das Vorliegen der Voraussetzungen des §
51 Abs. 1 bis 3 VwVfG innerhalb von drei Monaten gerechnet werden kann. Diese Verpflichtung entfällt nicht deshalb, weil ein Folgeantrag nach §
71 Abs.
8 AsylVerfG der Anordnung von [X.] nicht entgegensteht. Die genannte Vorschrift darf nicht als Rechtsgrundlage in Anspruch genommen werden, zeitlich unbeschränkt Ab-10
11
-
6
-
schiebehaft gegen einen Folgeantragsteller anzuordnen, solange das Bundes-amt noch nicht über den Folgeantrag entschieden hat (vgl. [X.], AsylVfG, 7.
Aufl., §
71 Rn.
441).
[X.]) Der Umstand, dass der Antrag von dem [X.] bereits am 6.
Oktober 2010 und damit zwei Monate nach der Inhaftierung des Betroffenen zurückgewiesen worden ist, lässt nicht den Schluss zu, dass die [X.] auch bei einer rechtsfehlerfreien Prognose
aufrechtzuerhalten gewesen wäre. Infolge der -
aus dem von der Rechtsbeschwerde eingereichten Vermerk er-sichtlichen
-
Entscheidung des [X.]s vom 12. August 2010, ein neues Asylverfahren durchzuführen, war die Haft nämlich während des [X.] unzulässig geworden (§
71 Abs.
8 Halbsatz 2 AsylVfG). Zugunsten des Betroffenen ist davon auszugehen, dass das Beschwerdegericht im Rah-men der für eine belastbare Prognose gebotenen Nachfrage bei dem Bundes-amt von der Durchführung des weiteren Asylverfahrens
und damit von dem [X.] noch im August 2010 erfahren und die Haftanordnung daraufhin unverzüglich aufgehoben hätte.

IV.
1. Der Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe ist unbegründet, weil es aufgrund der mit Schreiben vom 18. November 2010 mitgeteilten und von dem Betroffenen nicht ausgeräumten Bedenken an einer ordnungsgemä-ßen Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse fehlt.
2. [X.] beruht auf §
83 Abs.
2, §
81 Abs.
1, §
430 FamFG. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art.
5 Abs.
5 EMRK entspricht es billigem Ermessen,
dem [X.] als derjenigen Körperschaft, 12
13
14
-
7
-
der die Beteiligte zu 2 angehört, zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten (vgl. Senat, Beschluss vom 22.
Juli 2010 -
V
ZB 28/10, [X.] 2010, 316, 317). Die Festsetzung des [X.] folgt aus §
128c Abs.
2 [X.]. §
30 Abs.
2 KostO.
[X.]
Lemke
Schmidt-Räntsch

Stresemann
Czub

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 05.08.2010 -
5 XIV 1444 B -

LG Göttingen, Entscheidung vom 23.08.2010 -
11 T 3/10 -

Meta

V ZB 222/10

21.07.2011

Bundesgerichtshof V. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.07.2011, Az. V ZB 222/10 (REWIS RS 2011, 4515)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 4515

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

V ZB 222/10 (Bundesgerichtshof)

Sicherungshaftanordnung nach Asylfolgeantrag: Prognose über mögliches Wiederaufgreifen des Verfahrens


V ZB 222/10 (Bundesgerichtshof)


V ZB 213/09 (Bundesgerichtshof)

Abschiebehaftverfahren: Zeitpunkt des Vorliegens eines förmlichen Asylantrages bei Protokollierung eines Asylgesuchs bei der Einreise aus …


V ZB 98/11 (Bundesgerichtshof)


V ZB 45/12 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

V ZB 222/10

V ZB 14/10

V ZB 79/10

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.