Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.03.2009, Az. VI ZR 176/08

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2009, 4487

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES [X.]/08 Verkündet am: 17. März 2009 [X.], Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Ges[X.]häftsstelle Na[X.]hs[X.]hlagewerk: ja [X.]: nein [X.]R: ja [X.] § 3 Zur Produktsi[X.]herheit eines Gebä[X.]kstü[X.]ks mit einer Kirs[X.]hfüllung ("[X.]"). [X.], Urteil vom 17. März 2009 - [X.]/08 - [X.]AG [X.]
- 2 - Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat auf die mündli[X.]he Verhandlung vom 17. März 2009 dur[X.]h die Vizepräsidentin Dr. [X.], [X.], die Ri[X.]hterin [X.], [X.] und die Ri[X.]hterin von [X.] für Re[X.]ht erkannt: Auf die Revision der [X.] wird das Urteil der 10. Zivilkammer des [X.] vom 21. Mai 2008 aufgehoben. Auf die Berufung der [X.] wird das Urteil des Amtsgeri[X.]hts [X.] vom 5. Dezember 2007 abgeändert und die Klage abge-wiesen. Der Kläger hat die Kosten des Re[X.]htsstreits zu tragen. Von Re[X.]hts wegen

Tatbestand: Der Kläger nimmt die Beklagte, die eine Bä[X.]kerei und Konditorei betreibt, auf Ersatz materiellen und immateriellen S[X.]hadens in Anspru[X.]h. Er verzehrte am 29. Januar 2007 einen von der [X.] hergestellten [X.], ein Ge-bä[X.]kstü[X.]k mit Kirs[X.]hfüllung und [X.]. Zur Herstellung der Füllung ver-wendet die Beklagte Dunstsauerkirs[X.]hen, die im eigenen Saft liegen und über 1 - 3 - einen Dur[X.]hs[X.]hlag abgesiebt werden. Beim Verzehr dieses Gebä[X.]kstü[X.]ks biss der Kläger auf einen darin eingeba[X.]kenen Kirs[X.]hkern. Dabei bra[X.]h ein Teil [X.] oberen linken [X.] ab. Für die dadur[X.]h erforderli[X.]h gewordene zahn-prothetis[X.]he Versorgung hatte der Kläger einen Eigenanteil von 235,60 • zu zahlen. Er begehrt Ersatz dieser Kosten sowie ein angemessenes S[X.]hmer-zensgeld (Vorstellung: 200,00 •). Das Amtsgeri[X.]ht hat der Klage stattgegeben und die Berufung zugelas-sen. Diese hatte keinen Erfolg. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr Klageabweisungsbegehren weiter. 2 Ents[X.]heidungsgründe: [X.] Das Berufungsgeri[X.]ht bejaht eine Haftung der [X.] gemäß §§ 1 Abs. 1, 8 Satz 1 und 2 [X.]. Es meint, der von der [X.] hergestellte [X.] habe wegen des darin eingeba[X.]kenen Kirs[X.]hkerns einen Produkt-fehler aufgewiesen. Ein Haftungsauss[X.]hluss na[X.]h § 1 Abs. 2 Nr. 5 [X.] komme ni[X.]ht in Betra[X.]ht. 3 I[X.] Dagegen wendet si[X.]h die Revision mit Erfolg. 4 1. Das Berufungsgeri[X.]ht geht re[X.]htli[X.]h einwandfrei davon aus, dass ein Produkt gemäß § 3 Abs. 1 [X.] einen Fehler hat, wenn es ni[X.]ht die [X.] - 4 - [X.]herheit bietet, die unter Berü[X.]ksi[X.]htigung aller Umstände bere[X.]htigterweise erwartet werden kann. 6 a) Die na[X.]h § 3 Abs. 1 [X.] maßgebli[X.]hen Si[X.]herheitserwartungen beurteilen si[X.]h grundsätzli[X.]h na[X.]h denselben objektiven Maßstäben wie die Verkehrspfli[X.]hten des Herstellers im Rahmen der deliktis[X.]hen Haftung gemäß § 823 Abs. 1 BGB (vgl. [X.]/[X.], BGB [2003], § 3 [X.], Rn. 19, [X.]/[X.], 5. Aufl., § 3 [X.], Rn. 3; [X.]/[X.], Produzentenhaftung [Stand: September 2008], Bd. [X.], [X.] 1515, [X.]; Kullmann, Produkthaftungsre[X.]ht, 5. Aufl., Rn. 435). Auf wel[X.]hen Personen-kreis für die Bestimmung des zu erwartenden Si[X.]herheitsniveaus abzustellen ist, lässt der Wortlaut des Gesetzes offen. In der Literatur wird hierzu teilweise auf den Erwartungshorizont der dur[X.]h die fehlende Produktsi[X.]herheit [X.] ([X.]/[X.], aaO, Rn. 15 m.w.N.), teilweise aber au[X.]h auf die Erwartung des dur[X.]hs[X.]hnittli[X.]hen Benutzers oder Verbrau[X.]hers abgestellt (vgl. Kullmann, aaO, Rn. 435 f.). In der Sa[X.]he besteht jedo[X.]h Einig-keit, dass es für die Bestimmung des Fehlerbegriffs ni[X.]ht auf die subjektiven Si[X.]herheitserwartungen des konkret Ges[X.]hädigten ankommt, sondern dass in erster Linie die Si[X.]herheitserwartungen des Personenkreises maßgebli[X.]h sind, an den si[X.]h der Hersteller mit seinem Produkt wendet. Da der S[X.]hutzberei[X.]h der Haftung na[X.]h dem Produkthaftungsgesetz indessen ni[X.]ht auf die Erwerber oder Nutzer von Produkten bes[X.]hränkt ist, sondern au[X.]h unbeteiligte Dritte [X.], sind ni[X.]ht nur die Si[X.]herheitserwartungen des Adressatenkreises des vermarkteten Produkts zu berü[X.]ksi[X.]htigen, sondern darüber hinaus au[X.]h das S[X.]hutzniveau, wel[X.]hes Dritte bere[X.]htigterweise erwarten können, sofern sie mit der Sa[X.]he in Berührung kommen ([X.]/[X.], aaO, Rn. 5; [X.]/[X.], aaO, Rn. 15 ff. und Rn. 20). Maßgebli[X.]h ist der Si[X.]her-heitsstandard, den die in dem entspre[X.]henden Berei[X.]h herrs[X.]hende Ver-- 5 - kehrsauffassung für erforderli[X.]h hält (Senatsurteil vom 16. Februar 1972 - [X.] ZR 111/70 - [X.], 559, 560). 7 b) Ist die Ware für den Endverbrau[X.]her bestimmt, muss sie erhöhten Si-[X.]herheitsanforderungen genügen, die auf Wissen und Gefahrsteuerungspoten-tial des dur[X.]hs[X.]hnittli[X.]hen Konsumenten Rü[X.]ksi[X.]ht nehmen ([X.]/[X.], aaO, Rn. 8; S[X.]hmidt-Salzer/[X.], Kommentar [X.]-Ri[X.]htlinie Produkthaftung, 2. Aufl., [X.], Art. 6 Rn. 122). Die Haftung des Herstellers er-weitert si[X.]h gegenüber den allgemeinen Maßstäben dann, wenn seine Produkte an Risikogruppen vertrieben werden bzw. diese typis[X.]herweise gefährden. Dementspre[X.]hend bestimmt Art. 2 lit. b der [X.] 2001/95 [X.] ([X.]. [X.] L 11 vom 15. Januar 2002, [X.]), dass die Produktsi[X.]herheit au[X.]h von den Erwartungen sol[X.]her Produktbenutzer abhängt, die bei der Verwen-dung des Produkts einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind. In diesem Zusam-menhang werden ausdrü[X.]kli[X.]h vor allem Kinder genannt (vgl. [X.]/[X.], aaO, Rn. 28). Wird ein Produkt mehreren Adressatenkreisen dar-geboten, hat si[X.]h der Hersteller an der am wenigsten informierten und zur Ge-fahrsteuerung kompetenten Gruppe zu orientieren, also den jeweils hö[X.]hsten Si[X.]herheitsstandard zu gewährleisten ([X.] in: v. [X.], [X.], 2. Aufl., [X.], § 74, Rn. 46; [X.]/[X.], aaO). [X.]) Zur Gewährleistung der erforderli[X.]hen Produktsi[X.]herheit hat der [X.] diejenigen Maßnahmen zu treffen, die na[X.]h den Gegebenheiten des konkreten Falles zur Vermeidung bzw. Beseitigung einer Gefahr objektiv erfor-derli[X.]h und na[X.]h objektiven Maßstäben zumutbar sind (Kullmann/[X.], aaO; [X.], aaO, § 24, Rn. 1). Dabei sind Art und Umfang einer Si[X.]herungsmaß-nahme vor allem von der Größe der Gefahr abhängig (vgl. Senatsurteil [X.] 80, 186, 192). Je größer die Gefahren sind, desto höher sind die Anforderun-gen, die in dieser Hinsi[X.]ht gestellt werden müssen (Senatsurteil vom 26. Mai 8 - 6 - 1954 - [X.] ZR 4/53 - [X.], 364, 365; vgl. au[X.]h Senatsurteil [X.] 116, 60, 67 f. und [X.], NJW 1997, 249). Bei erhebli[X.]hen Gefahren für Leben und Gesundheit von Mens[X.]hen sind dem Hersteller deshalb weitergehende [X.] zumutbar als in Fällen, in denen nur Eigentums- oder Besitzstörungen oder aber nur kleinere körperli[X.]he Beeinträ[X.]htigungen zu befür[X.]hten sind (vgl. Senatsurteil [X.] 99, 167, 174 f.). 2. Na[X.]h diesen Grundsätzen hat das Berufungsgeri[X.]ht den von der [X.] hergestellten [X.] zu Unre[X.]ht als fehlerhaft beurteilt. 9 a) Da es si[X.]h bei einem Gebä[X.]kstü[X.]k um ein für den Endverbrau[X.]her be-stimmtes Lebensmittel handelt, muss es zwar grundsätzli[X.]h erhöhten Si[X.]her-heitsanforderungen genügen (vgl. Kullmann/[X.], aaO, [X.] 1520, [X.]). Dem steht entgegen der Auffassung der Revision au[X.]h ni[X.]ht entgegen, dass es si[X.]h bei der Kirs[X.]hfüllung um ein Naturprodukt handelt. Der Verbrau[X.]her, der ein verarbeitetes Naturprodukt verzehrt, darf davon ausgehen, dass si[X.]h der Hersteller im Rahmen des Verarbeitungsprozesses eingehend mit dem [X.] befasst und dabei Gelegenheit gehabt hat, von dem Naturprodukt aus-gehende Gesundheitsrisiken zu erkennen und zu beseitigen, soweit dies mög-li[X.]h und zumutbar ist (vgl. Bu[X.]hwaldt, [X.] 1999, 417, 421). 10 b) Wie die Revision mit Re[X.]ht geltend ma[X.]ht, kann aus Si[X.]ht des [X.] bei einer aus Steinobst bestehenden Füllung eines Gebä[X.]kstü[X.]ks ni[X.]ht ganz ausges[X.]hlossen werden, dass dieses in seltenen Fällen au[X.]h einmal [X.] oder Teile davon enthält. Eine vollkommene Si[X.]herheit wäre nur dann zu errei[X.]hen, wenn der Hersteller entweder die Kirs[X.]hen dur[X.]h ein engmas[X.]higes Sieb drü[X.]ken würde, wodur[X.]h nur Kirs[X.]hsaft hervorgebra[X.]ht würde, mit dem die Herstellung eines [X.]s ni[X.]ht mögli[X.]h wäre, oder wenn er jede einzelne Kirs[X.]he auf eventuell no[X.]h vorhandene Kirs[X.]hsteine [X.] - 7 - tersu[X.]hen würde. Ein sol[X.]her Aufwand ist dem Hersteller ni[X.]ht zumutbar. Er ist aber au[X.]h objektiv ni[X.]ht erforderli[X.]h, da dem Verbrau[X.]her, der auf einen einge-ba[X.]kenen Kirs[X.]hkern beißt, keine s[X.]hwerwiegende Gesundheitsgefahr droht, die um jeden Preis und mit jedem erdenkli[X.]hen Aufwand vermieden oder besei-tigt werden müsste. 12 Eine völlige Gefahrlosigkeit kann der Verbrau[X.]her ni[X.]ht erwarten. Das Maß der Verkehrssi[X.]herheit, das von einem Produkt bere[X.]htigterweise erwartet werden kann, hängt u.a. von seiner Darbietung (§ 3 Abs. 1 lit. a [X.]), also von der Art und Weise ab, in der es in der Öffentli[X.]hkeit präsentiert wird (Kullmann/[X.], aaO, [X.] 3604, [X.]). Bei einem Gebä[X.]kstü[X.]k, das unter der Bezei[X.]hnung "[X.]" angeboten wird, geht der Verbrau[X.]her davon aus, dass es unter Verwendung von Kirs[X.]hen hergestellt wird. Der Verbrau[X.]her weiß au[X.]h, dass die Kirs[X.]he eine Steinfru[X.]ht ist und dass ihr Fru[X.]htfleis[X.]h [X.] [X.] (Kirs[X.]hkern) enthält. Seine Si[X.]herheitserwartung kann deshalb bere[X.]htigterweise ni[X.]ht ohne weiteres darauf geri[X.]htet sein, dass das Gebä[X.]k-stü[X.]k "[X.]" zwar Kirs[X.]hen, aber keinerlei Kirs[X.]hkerne enthält. Eine sol-[X.]he Erwartung wäre vielmehr nur dann bere[X.]htigt, wenn bei der Darbietung ei-nes sol[X.]hen Gebä[X.]kstü[X.]ks der Eindru[X.]k erwe[X.]kt würde, dass dieses aus-s[X.]hließli[X.]h vollkommen entsteinte Kirs[X.]hen enthält. Daran fehlt es im Streitfall. - 8 - II[X.] 13 Die Kostenents[X.]heidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. [X.] Zoll [X.] Pauge von [X.] Vorinstanzen: AG [X.], Ents[X.]heidung vom 05.12.2007 - 42 C 213/07 - [X.], Ents[X.]heidung vom 21.05.2008 - 10 S 14/08 -

Meta

VI ZR 176/08

17.03.2009

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 17.03.2009, Az. VI ZR 176/08 (REWIS RS 2009, 4487)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2009, 4487

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