Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.02.2014, Az. VI ZR 144/13

6. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 7575

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Gegenstand

Produkthaftung eines Stromnetzbetreibers für Überspannungsschäden an Haushaltsgeräten


Leitsatz

1. Führt eine übermäßige Überspannung zu Schäden an üblichen Verbrauchsgeräten, liegt ein Fehler des Produkts Elektrizität vor.

2. Nimmt der Betreiber des Stromnetzes Transformationen auf eine andere Spannungsebene - hier in die sogenannte Niederspannung für die Netzanschlüsse von Letztverbrauchern - vor, ist er Hersteller des Produkts Elektrizität.

3. In diesem Fall ist das Produkt Elektrizität erst mit der Lieferung des Netzbetreibers über den Netzanschluss an den Anschlussnutzer in den Verkehr gebracht.

Tenor

2 Die Revision gegen das Urteil der 16. Zivilkammer des [X.] vom 5. März 2013 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger macht gegen die Beklagte Schadensersatz wegen eines Überspannungsschadens geltend. Die Beklagte ist Betreiberin eines kommunalen Stromnetzes und stellt dieses den Stromproduzenten (Einspeisern) und Abnehmern zur Verfügung. Dazu transformiert sie den Strom auf eine andere Spannungsebene (Niederspannung). Der Kläger ist mit seinem Haus an das Niederspannungsnetz der Beklagten angeschlossen.

2

Am 6. Mai 2009 gab es eine Störung der Stromversorgung im Wohnviertel des [X.]. Nach einem Stromausfall trat in seinem Hausnetz eine Überspannung auf, durch die mehrere Elektrogeräte und die Heizung beschädigt wurden. Die Ursache für die Überspannung lag in der Unterbrechung von zwei sogenannten [X.] ([X.] = protective earth neutral) in der Nähe des Hauses des [X.], über die sein Haus mit der Erdungsanlage verbunden war.

3

Das Amtsgericht hat die auf Zahlung von 2.847,37 € nebst Zinsen und Kosten gerichtete Klage abgewiesen. Auf die Berufung des [X.] hat das [X.] das Urteil des Amtsgerichts teilweise abgeändert und die Beklagte zur Zahlung von 2.347,37 € nebst Zinsen und Kosten an den Kläger verurteilt. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Mit ihrer vom [X.] zugelassenen Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

I.

4

Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht dem Kläger nach § 1 Abs. 1 [X.] ein Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagte abzüglich der Selbstbeteiligung von 500 € gemäß § 11 [X.] zu. [X.] sei nach § 2 [X.] vom Schutzbereich des Gesetzes als Produkt umfasst. Ein Fehler im Sinne des § 3 [X.] liege vor, wenn berechtigte Sicherheitserwartungen hinsichtlich des gelieferten Stroms enttäuscht würden, also wenn er unzulässige Spannungs- oder Frequenzschwankungen aufweise. Die Beklagte sei jedenfalls deshalb im Sinne des § 4 [X.] als Herstellerin der fehlerhaften [X.] anzusehen, weil sie das Produkt - durch Transformation auf eine andere Spannungsebene - verändert habe.

5

Ansprüche aus dem [X.] seien nicht durch § 18 Nie[X.]pannungsanschlussverordnung ([X.]) gesperrt. Der Norm könne keine Beschränkung der Haftung auf verschuldensabhängige Tatbestände entnommen werden.

II.

6

Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht hat mit Recht eine Haftung der Beklagten für die durch die Überspannung verursachten Schäden gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1, § 2, § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 [X.] bejaht.

7

1. Das Berufungsgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass durch einen Fehler des Produkts [X.] Schäden an üblichen Verbrauchsgeräten des [X.] entstanden sind. Gemäß § 2 [X.] ist neben beweglichen Sachen auch [X.] ein Produkt im Sinne des [X.]es. Nach den getroffenen Feststellungen wies die [X.] aufgrund der Überspannung einen Fehler gemäß § 3 Abs. 1 [X.] auf, der die Schäden an den Elektrogeräten und der Heizung verursacht hat.

8

Ein Produkt hat nach § 3 Abs. 1 [X.] einen Fehler, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände berechtigterweise erwartet werden kann. Abzustellen ist dabei nicht auf die subjektive Sicherheitserwartung des jeweiligen Benutzers, sondern objektiv darauf, ob das Produkt diejenige Sicherheit bietet, die die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält (vgl. Senatsurteile vom 16. Juni 2009 - [X.], [X.], 253 Rn. 12 mwN; vom 17. März 2009 - [X.], [X.], 649 Rn. 6; vom 5. Februar 2013 - [X.], [X.], 469 Rn. 12). Die nach § 3 Abs. 1 [X.] maßgeblichen Sicherheitserwartungen beurteilen sich grundsätzlich nach denselben objektiven Maßstäben wie die Verkehrspflichten des Herstellers im Rahmen der deliktischen Haftung gemäß § 823 Abs. 1 [X.] (vgl. Senatsurteil vom 16. Juni 2009 - [X.], aaO mwN). Dabei kann die Beachtung gesetzlicher Sicherheitsvorschriften oder die Befolgung technischer Normen, wie z.B. DIN-Normen oder sonstiger technischer Standards, von Bedeutung sein, wobei dies allerdings nicht bedeutet, dass ein Produkt bei Befolgung solcher Normen immer als fehlerfrei angesehen werden müsste (vgl. BT-Drucks. 11/2447, [X.]; Kullmann in Kullmann/[X.]/[X.]/[X.], Produzentenhaftung, [X.] [Stand: Juni 2010]; [X.]/[X.], [X.], 73. Aufl., § 3 [X.] Rn. 4; zu Verkehrssicherungspflichten Senatsurteil vom 9. September 2008 - [X.], [X.], 1551 Rn. 16 mwN).

9

Die Verordnung über Allgemeine Bedingungen für den Netzanschluss und dessen Nutzung für die [X.]sversorgung in Nie[X.]pannung vom 1. November 2006 (Nie[X.]pannungsanschlussverordnung - [X.], [X.]l. I [X.]7, zuletzt geändert durch Art. 4 der Verordnung vom 3. September 2010, [X.]l. I S. 1261) konkretisiert in ihrem Anwendungsbereich die berechtigten Sicherheitserwartungen an das Produkt [X.] (vgl. zu der Vorgängerverordnung [X.], BB 1991, 917, 920; [X.]., Die Haftung der Versorgungsunternehmen für Störungen in der [X.], 1988, [X.] f.; [X.] in [X.]/[X.], Kommentar zur [X.]-Richtlinie Produkthaftung, Band 1, 1986, Art. 2 Rn. 80 mit [X.]. 48; [X.]/[X.], [X.], Neubearb. 2014, § 2 [X.] Rn. 49). Gemäß § 16 Abs. 3 [X.] hat der Netzbetreiber Spannung und Frequenz möglichst gleichbleibend zu halten; allgemein übliche Verbrauchsgeräte und Stromerzeugungsanlagen müssen einwandfrei betrieben werden können (siehe auch [X.]/de Wyl, IR 2007, 77, 80; zu Spannung und Frequenz § 7 [X.], § 5 Abs. 1 Stromgrundversorgungsverordnung - StromGVV).

Danach liegt ein Verstoß gegen die berechtigten Sicherheitserwartungen in das Produkt [X.] jedenfalls dann vor, wenn eine Überspannung wie im Streitfall zu Schäden an üblichen Verbrauchsgeräten führt (vgl. [X.]/de Wyl, aaO; [X.] in Danner/[X.], Energierecht, IV., § 16 [X.] Rn. 9 f. [Stand: Januar 2007]; de Wyl/[X.]/[X.], Netzanschluss- und Grundversorgungsverordnungen, 2008, § 16 [X.] Rn. 3). In diesem Fall ist der Bereich der Spannungsschwankungen, mit denen der Verkehr rechnen muss, nicht mehr eingehalten. Es wird allgemein angenommen, dass zumindest bei übermäßigen Frequenz- oder Spannungsschwankungen eine Haftung nach § 1 [X.] ausgelöst werden kann (vgl. [X.] in Foerste/[X.], [X.], 3. Aufl., § 47 Rn. 26; [X.], Produkthaftung, 2014, § 3 Rn. 299; [X.], [X.] 151 (1987), 1, 18; Kullmann in Kullmann/[X.]/[X.]/[X.], Produzentenhaftung, [X.] [Stand: September 2008] und in [X.], 6. Aufl., § 2 Rn. 5; [X.], [X.], 691, 697; MüKo[X.]/Wagner, 6. Aufl., § 2 [X.] Rn. 3; [X.]/[X.], aaO, § 2 [X.] Rn. 1 [X.]; [X.]/[X.], aaO, Rn. 45; [X.]/[X.], NJW 2007, 3601, 3604).

Die Revision wendet ohne Erfolg ein, das Berufungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen die redundante Auslegung des Nie[X.]pannungsnetzes der Beklagten dem Stand der Technik sowie der geübten Praxis in vielen [X.] Verteilungsnetzen entsprochen und die Anforderungen an die ausreichende Versorgungsqualität erfüllt habe. Denn abzustellen ist bei der verschuldensunabhängigen Haftung nach dem [X.] allein auf den Fehler des Produkts, nicht hingegen darauf, ob und ggf. welche Fehler dem [X.] selbst oder den diesem nachfolgenden Prozessen anhafteten. Im Streitfall war das Produkt [X.] fehlerhaft, weil - wegen der Unterbrechung der beiden [X.] - eine übermäßige Überspannung auftrat. [X.] kann, wie die von der Revision angesprochenen Fälle zu beurteilen sind, in denen die Unregelmäßigkeiten auf besondere Umstände wie etwa Naturgewalten zurückzuführen sind.

2. Die Beklagte ist als Herstellerin des fehlerhaften Produkts [X.] gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 [X.] anzusehen.

a) Nach dieser Vorschrift ist Hersteller im Sinne des [X.]es, wer das Endprodukt, einen Grundstoff oder ein [X.] hergestellt hat. Ebenso wie Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 85/374/[X.] des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte ([X.]. Nr. L 210 vom 7. August 1985, [X.], zuletzt geändert durch Art. 1 der Richtlinie 1999/34/[X.] vom 10. Mai 1999, [X.]. Nr. L 141 vom 4. Juni 1999, [X.]) definiert § 4 Abs. 1 Satz 1 [X.] weder den Begriff des [X.] noch den Begriff des Herstellers direkt. Er bestimmt nur, wer dem [X.] haftungsrechtlich zugeordnet werden muss (vgl. [X.]/[X.], Produkthaftungsrecht und [X.] - Produkthaftungsrichtlinie, 2. Aufl., [X.] § 4 Rn. 4; [X.], aaO, § 49 Rn. 2). Wer im Einzelfall Hersteller des Produkts [X.] ist, ist im Wege einer richtlinienkonformen Auslegung des § 4 Abs. 1 Satz 1 [X.] zu ermitteln (vgl. [X.], Urteil vom 29. Mai 1997 - [X.]/95, Slg. 1997, [X.] Rn. 38; [X.], aaO, § 3 Rn. 277; [X.]/[X.], aaO, Einl. zum [X.] Rn. 43 ff.). Die Auslegung muss sich so weit wie möglich am Wortlaut und Zweck der Richtlinie ausrichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen (vgl. [X.], Urteile vom 26. November 2008 - [X.], [X.]Z 179, 27 Rn. 19 mwN; vom 21. Dezember 2011 - [X.], [X.]Z 192, 148 Rn. 24 mwN). In diesem Zusammenhang ist im Streitfall insbesondere zu berücksichtigen, dass die Richtlinie 85/374/[X.] unter anderem das Ziel verfolgt, den Schutz der Verbraucher zu gewährleisten (vgl. [X.], Urteil vom 21. Dezember 2011 - [X.]/10, [X.], 34 Rn. 22, 31 - [X.]).

b) Zur Richtlinie 85/374/[X.] hat der [X.] unter Bezugnahme auf die Begründung des [X.] vom 9. September 1976 (Bulletin der [X.], Beilage 11/76, [X.]. zu Art. 1 Nr. 6 = BT-Drucks. 7/5812, [X.] f. zu Art. 1 Buchst. e) darauf hingewiesen, dass nach Abwägung der jeweiligen Rollen der verschiedenen in den Herstellungs- und Vertriebsketten tätig werdenden Wirtschaftsteilnehmer die Entscheidung getroffen wurde, die Haftung für durch fehlerhafte Produkte verursachte Schäden in der durch die Richtlinie geschaffenen rechtlichen Regelung grundsätzlich dem Hersteller und nur in einigen beschränkten Fällen dem Importeur und dem Lieferanten aufzubürden. Da der Lieferant in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle lediglich das gekaufte Produkt unverändert weitergibt und nur der Hersteller die Möglichkeit hat, auf die Qualität des Produktes einzuwirken, wird es als angebracht angesehen, die Haftung für fehlerhafte Produkte auf den Hersteller zu konzentrieren (vgl. [X.], Urteil vom 10. Januar 2006 - [X.]/03, [X.], 1409 Rn. 27 ff. - [X.] und [X.]; Urteil vom 21. Dezember 2011 - [X.]/10, aaO, Rn. 25 - [X.]).

c) Bei der Auslegung des Herstellerbegriffs ist der enge Zusammenhang zu dem Produktbegriff des § 2 [X.] zu berücksichtigen (vgl. [X.]/[X.], aaO, § 4 [X.] Rn. 12; [X.], aaO, § 49 Rn. 3). Der Herstellerbegriff setzt danach grundsätzlich das "Erzeugen eines Produkts" im Sinne des § 2 [X.] voraus (vgl. Kullmann in Kullmann/[X.]/[X.]/[X.], aaO, [X.] [Stand: Juni 2009]). Nach der Begründung des [X.] vom 9. September 1976 sind mit dem Begriff des Herstellers alle Personen gemeint, die in eigener Verantwortung an dem Prozess der Herstellung des Produkts beteiligt waren (vgl. Bulletin der [X.], Beilage 11/76, [X.]. zu Art. 2 Nr. 7 = BT-Drucks. 7/5812, [X.] zu Art. 2 Buchst. a). In diesem Sinne wird auch im vierten Erwägungsgrund der Richtlinie ausgeführt, dass es der Schutz des Verbrauchers erfordert, dass alle am Produktionsprozess Beteiligten haften, wenn das Endprodukt oder der von ihnen gelieferte Bestandteil oder Grundstoff fehlerhaft ist (vgl. [X.], Urteil vom 21. Dezember 2011 - [X.]/10, aaO, Rn. 23 - [X.]; [X.]/[X.], aaO, § 4 Rn. 3 f.).

d) Hersteller ist demnach jeder, in dessen Organisationsbereich das Produkt entstanden ist (vgl. [X.]/[X.], [X.], 149, 151; MüKo[X.]/Wagner, aaO, § 4 [X.] Rn. 6; [X.]/[X.], [X.], 8. Aufl., § 4 [X.] Rn. 2; Soergel/[X.], [X.], 13. Aufl., § 4 [X.] Rn. 3; siehe auch [X.], [X.] 2012, 197, 201; [X.]/[X.], aaO, § 4 [X.] Rn. 10). Der Umkehrschluss aus der Lieferantenhaftung nach § 4 Abs. 3 [X.] ergibt, dass die Herstellung vom Produktvertrieb bzw. Produkthandel abzugrenzen ist ([X.]/[X.], aaO, Rn. 8). Für die Abgrenzung ist entscheidend, ob in die Produktgestaltung oder in eine wesentliche Produkteigenschaft eingegriffen wird oder ob eine im Vergleich mit dem Herstellungsprozess nur unerhebliche Manipulation am Produkt erfolgt ([X.]/[X.], aaO Rn. 37; [X.]/[X.], aaO, Rn. 23; MüKo[X.]/Wagner, aaO, Rn. 12; siehe auch die Beispiele bei Kullmann in Kullmann/[X.]/[X.]/[X.], aaO, [X.] [Stand: September 2008]; [X.]. [X.], 6. Aufl., § 4 Rn. 16 ff.). Dabei kommt es insbesondere auf die sicherheitsrelevanten Eigenschaften des Produktes an (vgl. [X.], NJW-RR 2001, 458; MüKo[X.]/Wagner, aaO, Rn. 7, 12). Es kommt hingegen nicht darauf an, ob der Hersteller zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Produkts feststellbar war oder nicht. Dieser Gesichtspunkt kann allein für die Frage von Bedeutung sein, ob ein Lieferant gemäß § 4 Abs. 3 [X.] wie ein Hersteller haftet (Senatsurteil vom 21. Juni 2005 - [X.], [X.], 1297, 1298).

e) Nach diesen Grundsätzen ist die Beklagte im Streitfall als Herstellerin des Produkts [X.] anzusehen. Dies ergibt sich bereits aus der Feststellung des Berufungsgerichts, dass die Beklagte als Betreiberin des Stromnetzes in W. Transformationen auf eine andere Spannungsebene, nämlich die sogenannte Nie[X.]pannung für die Netzanschlüsse von [X.], vornimmt. In diesem Fall wird - an[X.] als bei einem reinen Lieferungs- oder Weiterverteilungsunternehmen - die Eigenschaft des Produkts [X.] durch den Betreiber des Stromnetzes in entscheidender Weise verändert, weil es nur nach der Transformation für den Letztverbraucher mit den üblichen Verbrauchsgeräten nutzbar ist. Folgerichtig wird auch im Schrifttum angenommen, dass in einem solchen Fall der "Lieferant" der [X.] mit der von ihm geänderten Eigenschaft als Hersteller anzusehen ist (vgl. MüKo[X.]/Wagner, aaO, Rn. 12; [X.], BB 1991, 917, 921; Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten [X.], 2001, [X.]; [X.]/[X.], aaO, 3605; für eine - regelmäßig gegebene - Haftung nach § 4 Abs. 3 [X.] [X.], [X.], 1457, 1460).

3. Die Revision beruft sich auch ohne Erfolg auf den Haftungsausschluss nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 [X.]. Sie meint, das Berufungsgericht habe rechtsfehlerhaft nicht berücksichtigt, dass das Produkt [X.] zu dem Zeitpunkt, zu dem der Strom in das Nie[X.]pannungsnetz eingespeist worden sei, keine unzulässigen Spannungs- und Frequenzschwankungen aufgewiesen habe und damit nicht fehlerhaft gewesen sei. Damit setzt sie jedoch den Zeitpunkt des Inverkehrbringens zu früh an. Der Strom ist nicht mit der Einspeisung in das Nie[X.]pannungsnetz in den Verkehr gebracht worden, sondern erst mit der Belieferung des [X.] über den Netzanschluss. Zu diesem Zeitpunkt war das Produkt [X.] fehlerhaft.

a) Nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 [X.] ist die Ersatzpflicht des Herstellers ausgeschlossen, wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Produkt den Fehler, der den Schaden verursacht hat, noch nicht hatte, als der Hersteller es in den Verkehr brachte. Der Begriff des Inverkehrbringens, den die Richtlinie nicht definiert, ist unter Berücksichtigung der Zielsetzung der Richtlinie und des mit ihr verfolgen Zwecks auszulegen. Die Fälle, in denen der Hersteller sich von seiner Haftung befreien kann (Art. 7 der Richtlinie), sind dabei im Interesse der durch ein fehlerhaftes Produkt Geschädigten eng auszulegen (vgl. [X.], Urteile vom 10. Mai 2001 - [X.]/99, NJW 2001, 2781 Rn. 14 f. - Veedfald; vom 9. Februar 2006 - [X.]/04, [X.], 825 Rn. 23 ff. - O'Byrne).

Nach der Rechtsprechung des [X.] setzt ein Inverkehrbringen voraus, dass das Produkt den vom Hersteller eingerichteten Prozess der Herstellung verlassen hat und in einen Prozess der Vermarktung eingetreten ist, in dem es in ge- oder verbrauchsfertigem Zustand öffentlich angeboten wird (vgl. [X.], Urteil vom 9. Februar 2006 - [X.]/04, aaO - O'Byrne, zu Art. 11 der Richtlinie; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 2. Aufl., § 1 [X.] Rn. 17; MüKo[X.]/Wagner, aaO, § 1 [X.] Rn. 24 ff.; [X.]/[X.], aaO, § 1 [X.] Rn. 44 ff.). Die [X.] und die Begründungen zum Entwurf des [X.]es haben eine [X.]äuterung des Begriffs des Inverkehrbringens nicht als erforderlich angesehen, weil sich der Begriff "aus seinem natürlichen Wortsinn von selbst verstehe" (Bulletin der [X.], Beilage 11/76, [X.]. zu Art. 5 = BT-Drucks. 7/5812, S. 8 sowie BT-Drucks. 11/2447, [X.]). Die amtliche Begründung zu § 1 [X.] führt dazu aus, ein Produkt sei gewöhnlich in den Verkehr gebracht, wenn es in die [X.] gegeben worden sei, also wenn der Hersteller es aufgrund seines Willensentschlusses einer anderen Person außerhalb seiner Herstellersphäre übergeben habe (BT-Drucks. 11/2447, [X.]). Diese Ansicht wird jedenfalls hinsichtlich des Endherstellers geteilt, weil aus seiner Perspektive ein Inverkehrbringen nur die Abgabe an den Handel oder an den Endverbraucher sein könne ([X.], aaO, Art. 7 Rn. 15; vgl. auch § 6 des [X.] [X.]es, wonach ein Produkt in den Verkehr gebracht ist, sobald es der Unternehmer einem anderen in dessen Verfügungsmacht oder zu dessen Gebrauch übergeben hat).

b) Bei der Übertragung dieser Grundsätze auf den Streitfall ist zu beachten, dass Art. 7 der Richtlinie 85/374/[X.] im Unterschied zu deren Art. 11 eng auszulegen ist (vgl. [X.], Urteil vom 9. Februar 2006 - [X.]/04, aaO - O'Byrne). Zudem sind die Besonderheiten des Produkts [X.] zu berücksichtigen. Im Hinblick darauf liegt ein Inverkehrbringen des Produkts [X.] erst mit der Lieferung des von dem Netzbetreiber übergabefähig transformierten Stroms über den Netzanschluss an den [X.] vor (vgl. [X.] in [X.]/[X.], aaO; [X.], BB 1991, 917, 923; [X.]., Die Haftung der Versorgungsunternehmen für Störungen in der [X.], 1988, [X.], 250 f.; Schweers, Vertragsbeziehungen und Haftung im novellierten [X.], 2001, [X.]2). Denn aus der Nie[X.]pannungsanschlussverordnung ergibt sich, dass der Netzbetreiber gerade für die Stromqualität am Netzanschluss verantwortlich ist. Der Netzanschluss verbindet das [X.]sversorgungsnetz der allgemeinen Versorgung mit der elektrischen Anlage des Anschlussnehmers. Er beginnt an der Abzweigstelle des Nie[X.]pannungsnetzes und endet grundsätzlich mit der Hausanschlusssicherung (vgl. § 5 [X.]). Netzanschlüsse werden durch den Netzbetreiber hergestellt (§ 6 Abs. 1 Satz 1 [X.]). Sie gehören noch zu den Betriebsanlagen des Netzbetreibers (§ 8 Abs. 1 Satz 1 [X.]). Die Nutzung durch den Letztverbraucher mit den üblichen Verbrauchsgeräten beginnt mithin beim Netzanschluss und setzt einen fehlerfreien Strom zum Zeitpunkt der Entnahme des Stroms aus dem [X.]sversorgungsnetz der allgemeinen Versorgung voraus. Nur dies wird den Interessen der durch die Richtlinie 85/374/[X.] geschützten geschädigten [X.] gerecht, für die entscheidend ist, dass ihnen eine fehlerfreie [X.] über ihren Stromanschluss zur Verfügung gestellt wird. Das Argument der Revision, der Herstellungsprozess "Umwandlung von Strom aus Mittelspannung in Nie[X.]pannung" sei mit der fehlerfreien Umspannung und Einspeisung in das Nie[X.]pannungsnetz abgeschlossen, greift zu kurz. Zwar qualifiziert - wie gezeigt - jedenfalls die Umspannung die Beklagte als Herstellerin im Sinne des [X.]es. Daraus folgt aber nicht, dass das Produkt [X.] mit Abschluss des [X.] auch ihre Sphäre als Herstellerin verlassen hätte. Denn ihre Verantwortung für die Qualität des gelieferten Stroms (vgl. § 16 Abs. 3 und 4, § 7 [X.]) wirkt bis zum Zeitpunkt der Übergabe an den [X.] weiter. Die Beklagte, welche dafür nach § 1 Abs. 4 [X.] die Beweislast trägt, hat nichts dafür vorgetragen, dass zu dem nach den vorstehenden Ausführungen maßgeblichen Zeitpunkt ein fehlerfreies Produkt vorgelegen hat.

4. Das Berufungsgericht hat mit Recht und von der Revision unbeanstandet angenommen, dass die Vorschrift des § 18 [X.] der Haftung der Beklagten nicht entgegensteht. Es hat zutreffend auf die Begründung der Nie[X.]pannungsanschlussverordnung hingewiesen, nach der § 18 [X.] die Haftung der Netzbetreiber nach dem [X.] unberührt lässt (BR-Drucks. 367/06, [X.]0). Dementsprechend bezieht § 18 Abs. 1 Satz 1 [X.] sich schon dem Wortlaut nach nur auf die Haftung aus Vertrag, Anschlussnutzungsverhältnis oder unerlaubter Handlung.

5. Der erkennende Senat ist nicht gehalten, den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 1 bis 3 AEUV um eine Vorabentscheidung zu ersuchen. Die Vorlagepflicht letztinstanzlicher Gerichte der Mitgliedstaaten entfällt, wenn die betreffende gemeinschaftsrechtliche Bestimmung bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder wenn die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel kein Raum mehr bleibt (vgl. [X.], Urteile vom 6. Oktober 1982 - [X.]/81 - [X.], Slg. 1982, 3415, 3429 f., Rn. 14 ff. und vom 15. September 2005 - [X.]/03 - [X.], Slg. 2005, [X.], 8206 Rn. 33 und ständig; [X.], Beschluss vom 22. März 2010 - [X.] 16/09, [X.]Z 185, 30 Rn. 33). Angesichts der augenfälligen Herstellereigenschaft des den Strom transformierenden Netzbetreibers und der daraus folgenden Verantwortung für die Stromqualität bei der Übergabe an den Verbraucher ist letzteres der Fall.

[X.]                         Pauge

             [X.]                      Offenloch

Meta

VI ZR 144/13

25.02.2014

Bundesgerichtshof 6. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Wuppertal, 5. März 2013, Az: 16 S 15/12, Urteil

§ 1 Abs 1 S 1 ProdHaftG, § 2 ProdHaftG, § 3 Abs 1 ProdHaftG, § 4 Abs 1 ProdHaftG, § 5 NAV, § 6 Abs 1 S 1 NAV, Art 3 Abs 1 EWGRL 374/85, Art 7 EWGRL 374/85

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 25.02.2014, Az. VI ZR 144/13 (REWIS RS 2014, 7575)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 7575

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