Bundessozialgericht, Beschluss vom 24.10.2013, Az. B 13 R 230/13 B

13. Senat | REWIS RS 2013, 1692

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Gegenstand

Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör - Behandlung von kurzfristigen Anträgen auf Terminsverlegung


Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 14. Mai 2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Der Kläger [X.]det sich in der Sache dagegen, dass die Beklagte rückständige Beitragsforderungen gegen seine Altersrente aufrechnet.

2

Der im Jahre 1938 geborene Kläger (GdB von 90, Merkzeichen G, B; Bescheid des Versorgungsamtes vom 17.9.2012) ist als Rechtsanwalt tätig. Die Beklagte errechnete rückständige Pflichtbeiträge aufgrund versicherter selbständiger Tätigkeit des [X.] (iHv 48 677,60 €), mit denen sie ab November 2009 gegen seine laufende Altersrente mit einem Betrag iHv 800 € monatlich aufrechnete (Bescheid vom [X.]; Widerspruchsbescheid vom [X.]). Das [X.] hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 25.10.2011 abgewiesen. Das [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom [X.] die Berufung des [X.] gegen den Gerichtsbescheid zurückgewiesen.

3

Der Kläger ist mit Schreiben der Berichterstatterin des [X.] vom [X.] vom Termin zur mündlichen Verhandlung am [X.] benachrichtigt worden. Mit Schriftsatz vom [X.] hat er Akteneinsicht in seinen Kanzleiräumen beantragt mit der Begründung, dass sein Gesundheitszustand, insbesondere seine Sehbehinderung, die ihm zuvor eingeräumte Einsichtnahme auf der Geschäftsstelle ausschließe. Mit Schreiben vom 10.5.2013, das vorab per Telefax am 11.5.2013 beim [X.] eingegangen ist, hat der Kläger beantragt, den Termin aufzuheben. Er hat darauf hingewiesen, dass seine am [X.] durchgeführte Augenoperation nicht den erhofften Erfolg gehabt habe. Beim Lesen und Erfassen von Texten sei er auf den Einsatz [X.] angewiesen. Seine "nochmals anwaltlich versicherte Sehbehinderung" lasse derzeit keine Terminswahrnehmung zu, auch mangels ausreichender Vorbereitungszeit. Mit Schreiben der Berichterstatterin vom [X.] wurde der Kläger gebeten, glaubhaft zu machen (§ 227 Abs 2 ZPO), dass er seit der Terminsmitteilung gesundheitlich gehindert sei, den Termin ausreichend vorzubereiten. In der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Berichterstatterin mit zwei ehrenamtlichen [X.]n vom [X.] ist festgehalten, dass der Kläger trotz ordnungsgemäßer Terminsmitteilung nicht erschienen sei. Zudem ist dort vermerkt, dass die Sitzung am [X.] um 11.40 Uhr begann und um 11.50 Uhr endete. Der Kläger hat mit Schreiben vom [X.], das am selben Tag um 11.04 Uhr per Telefax beim [X.] eingegangen ist, eine ärztliche Bescheinigung vom [X.] eingereicht, wonach er vom [X.] bis einschließlich 24.5.2013 nicht arbeitsfähig sei. Mit Schreiben vom 16.5.2013 hat die Berichterstatterin dem Kläger mitgeteilt, dass sein Schreiben vom [X.] die zuständige Serviceeinheit an diesem Tag erst um 13.00 Uhr erreicht habe.

4

Mit der gegen das seine Berufung zurückweisende Urteil des [X.] vom [X.] eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger Verfahrensmängel (§ 160 Abs 2 [X.] SGG), ua die Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG). Das [X.] habe seinen [X.] zu Unrecht abgelehnt. Das [X.] habe den Rechtsstreit entschieden, ohne ihn anzuhören.

5

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des [X.] ist zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet.

6

Der Kläger hat den Zulassungsgrund des [X.] (§ 160 Abs 2 [X.] SGG) formgerecht (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) gerügt.

7

Der Verfahrensmangel liegt auch vor. Denn das [X.] hat mit der Entscheidung über die Berufung des [X.] im Termin zur mündlichen Verhandlung am [X.] den Anspruch des [X.] auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) verletzt.

8

Der Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne der aufgezeigten Vorschriften gebietet, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, muss den Beteiligten unabhängig davon, ob sie die Möglichkeit zur schriftlichen Vorbereitung des Verfahrens genutzt haben, Gelegenheit gegeben werden, ihren Standpunkt in einer mündlichen Verhandlung darzulegen (vgl [X.]-1500 § 160a [X.] mwN). Ferner ist dem Anspruch auf rechtliches Gehör in der Regel dadurch genügt, dass das Gericht die mündliche Verhandlung anberaumt (§ 110 Abs 1 S 1 SGG), der Beteiligte bzw sein Prozessbevollmächtigter ordnungsgemäß geladen und die mündliche Verhandlung zu dem festgesetzten [X.]punkt eröffnet wird (vgl [X.]-1500 § 160 [X.]3; BSG vom [X.] - B 6 [X.]/98 R - Juris RdNr 16).

9

Grundsätzlich stellt zwar allein der Umstand, dass ein Beteiligter außer Stande ist, zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen, und dies vorher mitteilt, noch keinen zwingenden Grund für eine Terminsverlegung dar (vgl Senatsbeschluss vom 24.9.2002 - [X.] [X.]/02 B - Juris RdNr 9; BSG vom 12.2.2003 - B 9 SB 5/02 R - Juris RdNr 11). Dies gilt insbesondere dann, [X.]n das Gericht auf die Möglichkeit hingewiesen hat, dass bei Fernbleiben eines Beteiligten nach Lage der Akten entschieden werden kann (vgl dazu § 110 Abs 1 S 2 SGG).

Ein Termin zur mündlichen Verhandlung kann - und ggf muss - jedoch gemäß § 202 SGG iVm dem entsprechend an[X.]dbaren § 227 Abs 1 S 1 ZPO bei Vorliegen erheblicher Gründe aufgehoben werden, auch [X.]n - wie vorliegend - das persönliche Erscheinen des [X.] nicht angeordnet worden ist (vgl Senatsbeschlüsse vom [X.] [X.]/05 B; vom 13.11.2008 - [X.] R 277/08 B - Juris RdNr 15 mwN). Ein iS des § 227 Abs 1 S 1 ZPO ordnungsgemäß gestellter [X.] mit einem hinreichend substantiiert geltend und ggf glaubhaft gemachten [X.] begründet grundsätzlich eine entsprechende Pflicht des Gerichts zur Terminsverlegung ([X.]-1750 § 227 [X.]; BSG vom 12.2.2003 - B 9 SB 5/02 R - Juris RdNr 11). Die Behandlung von Anträgen auf Terminsverlegung hat dabei der zentralen Gewährleistungsfunktion der mündlichen Verhandlung für den Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör zu genügen (vgl hierzu [X.]-1500 § 160 [X.]3 S 58).

Die Verletzung des rechtlichen Gehörs ist unabhängig von einem Verschulden des Gerichts ([X.] 62, 347, 352), insbesondere auch davon, [X.] innerhalb des Gerichts ggf ein Verschulden trifft (vgl [X.]-1500 § 160 [X.]3 S 59 f; [X.] vom [X.] - 9 C 49/85 - NJW 1986, 1125; [X.] vom [X.] - VIII R 48/92 - Juris RdNr 20). Vielmehr ist das Gericht insgesamt dafür verantwortlich, dass dem Gebot des rechtlichen Gehörs Rechnung getragen wird (vgl [X.]-1500 § 160 [X.]3 S 59 f; [X.] § 62 [X.] mwN). Im Übrigen gilt, dass der Anspruch auf ein faires Verfahren verbietet, dass ein Gericht aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen [X.] für die Beteiligten ableitet (vgl [X.] 60, 1, 6 f; 69, 381, 386; 75, 183, 190; [X.] vom [X.] - 1 BvR 448/06 - NZS 2011, 133; Senatsbeschluss vom 31.10.2012 - [X.] R 165/12 B - Juris RdNr 15). Wenn daher ein Terminsverlegungsantrag unberücksichtigt bleibt, der erst am Tage der mündlichen Verhandlung bei Gericht eingeht und dem [X.] bis zur Urteilsverkündung nicht mehr vorgelegt wird, ist das rechtliche Gehör verletzt (vgl [X.] § 62 [X.]; vgl auch [X.] zu § 62 SGG zu einem am Tag vor der mündlichen Verhandlung bei Gericht eingegangenen, aber unberücksichtigt gebliebenen [X.]).

Der Kläger hat seinen mit Schriftsatz vom 10.5.2013 gestellten Antrag auf Terminsaufhebung mit dem Hinweis auf seine Augenerkrankung begründet, die eine Terminswahrnehmung nicht zulasse. Seine seit [X.] bestehende Arbeitsunfähigkeit hat er durch ärztliches Attest belegt. Obwohl das Attest noch vor der mündlichen Verhandlung beim Gericht eingegangen ist, hat es das [X.] bei seiner Entscheidung über die Berufung des [X.] nicht berücksichtigt. Im Ergebnis unerheblich ist, dass das Attest erst ca eine halbe Stunde vor Sitzungsbeginn beim [X.] eingegangen ist (Eingang des Faxes um 11.04 Uhr; Terminierung 11.15 Uhr, tatsächlicher Sitzungsbeginn 11.40 Uhr) und die zuständige Serviceeinheit erst nach [X.] um 13.00 Uhr erreicht hat.

Das rechtliche Gehör des [X.] wäre nur dann nicht verletzt, [X.]n das Attest des [X.] so kurzfristig beim [X.] eingegangen wäre, dass es nach den Umständen des Einzelfalls ausgeschlossen gewesen wäre, dass es die zuständige [X.]in noch erreicht hätte (vgl [X.]-1500 § 160 [X.]3 S 59). Eine solche Situation lag hier nicht vor. Der Kläger hat auf die Dringlichkeit in seinem Schreiben vom [X.] deutlich hingewiesen, indem er es mit dem Zusatz "[X.] Sofort vorlegen! Termin: Heute!" versehen hatte. Die verbleibende [X.] von ca 30 Minuten bis zum Sitzungsbeginn war nicht unangemessen zu kurz, weil diese [X.]spanne innerhalb der ortsüblichen Geschäftszeiten eines Gerichts lag (hier vor 12.00 Uhr), in der die [X.] des Gerichts regelmäßig besetzt ist. Im Übrigen wäre es ausreichend gewesen, [X.]n das Telefax des [X.] die zuständige [X.]in bis zur Urteilsverkündung erreicht hätte.

Da die [X.]in den Kläger am Vortag der mündlichen Verhandlung selbst zur Vorlage eines Nachweises seiner Verhinderung aufgefordert hatte, hätte nahegelegen, die [X.] zu bitten, evtl eingehende Post sofort vorzulegen oder jedenfalls unmittelbar vor Sitzungsbeginn nachzufragen, ob ein Schreiben des [X.] eingegangen ist. Denn üblicherweise sind der [X.] die am selben Tag stattfindenden Sitzungen bekannt und dazugehörige Posteingänge werden entsprechend sorgfältig behandelt. Die Ungewissheit, aus welchem Grund das Attest des [X.] den Senat nicht rechtzeitig vor der Urteilsverkündung erreicht hat, kann aber aus den dargelegten Gründen nicht zu Lasten des [X.] gehen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass bei sofortiger Weiterleitung des Schriftverkehrs das Attest den Senat noch rechtzeitig erreicht hätte. Hindernisse in der Gerichtsorganisation, die einer sofortigen Weitergabe des Faxes entgegengestanden hätten, sind nicht ersichtlich.

Die unterbliebene Verlegung oder Vertagung des Termins stellt sich als Verstoß gegen die Verpflichtung zur Gewährung des rechtlichen Gehörs im gerichtlichen Verfahren dar (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) und ist damit ein wesentlicher Verfahrensmangel. Die angefochtene Entscheidung kann darauf auch beruhen. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die einen Verfahrensbeteiligten daran gehindert hat, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, die darauf ergangene Entscheidung beeinflusst hat; einer Angabe, welches Vorbringen durch das beanstandete Verfahren verhindert worden ist, bedarf es nicht (BSG vom 12.2.2003 - B 9 SB 5/02 R - Juris RdNr 13; [X.]-1500 § 160 [X.]3 S 62; Senatsbeschluss vom 13.11.2008 - [X.] R 277/08 B - Juris RdNr 18).

Auf der Grundlage von § 160a Abs 5 SGG macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der abschließenden Entscheidung des [X.] vorbehalten.

Meta

B 13 R 230/13 B

24.10.2013

Bundessozialgericht 13. Senat

Beschluss

Sachgebiet: R

vorgehend SG Frankfurt, 25. Oktober 2011, Az: S 31 R 93/10, Gerichtsbescheid

§ 62 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 202 SGG, § 227 Abs 1 ZPO, § 227 Abs 2 ZPO, Art 103 Abs 1 GG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 24.10.2013, Az. B 13 R 230/13 B (REWIS RS 2013, 1692)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 1692

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1 BvR 448/06

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