Bundessozialgericht, Beschluss vom 19.07.2010, Az. B 8 SO 35/10 B

8. Senat | REWIS RS 2010, 4681

© Bundessozialgericht, Dirk Felmeden

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage - Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit - Sozialhilfe - Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung - Diabetes mellitus - Empfehlungen des Deutschen Vereins - Divergenz - mangelnde Hinzuziehung eines Dolmetschers kein absoluter Revisionsgrund - Bezeichnung des Verfahrensmangels


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 24. März 2010 wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Der Kläger wendet sich gegen ein Urteil des [X.] ([X.]) [X.] vom [X.], mit dem dieses seine Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts ([X.]) [X.] vom [X.] zurückgewiesen hat. In der Sache ging es um die Gewährung eines ernährungsbedingten Mehrbedarfs nach § 30 Abs 5 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - ([X.]) wegen Diabetes mellitus.

2

Mit seiner Beschwerde macht der Kläger eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend und rügt eine Divergenz sowie das Vorliegen von Verfahrensfehlern. Von grundsätzlicher Bedeutung sei die Frage nach der Rechtsnatur der Empfehlungen des [X.] aus dem Jahre 2008 als antizipiertes Sachverständigengutachten. Höchstrichterliche Rechtsprechung zu diesen neuen Empfehlungen liege noch nicht vor. Das [X.] (B[X.]) habe in seiner Rechtsprechung (Urteil vom 15.4.2008 - [X.]/11b [X.]) herausgestellt, dass die Gerichte den krankheitsbedingten Mehrbedarf im Einzelnen feststellen und begründen müssten. Weder [X.] noch [X.] hätten demgegenüber ein Sachverständigengutachten eingeholt. Das Urteil des [X.] weiche deshalb nach seinem (des [X.]) "Dafürhalten" von der Rechtsprechung des B[X.] ab. Ob das Urteil auf dieser Abweichung beruhe, "hänge letztlich davon ab, welche Einzelfallermittlung das B[X.] für erforderlich halte". Schließlich beruhe die Entscheidung des [X.] darauf, dass es zur Berufungsverhandlung keinen Dolmetscher für [X.] herangezogen habe. Zwar sei er (der Kläger) zur Sitzung mit seiner deutsch sprechenden Tochter erschienen. Im Laufe der Verhandlung habe der Prozessbevollmächtigte jedoch die Verletzung rechtlichen Gehörs durch Nichthinzuziehung eines Dolmetschers gerügt, weil das [X.] der Tochter keine Gelegenheit zur Übersetzung gegeben habe und er (der Kläger) der Verhandlung nicht habe folgen können.

3

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung (§ 160 Abs 2 [X.] 1 Sozialgerichtsgesetz <[X.]G>), der Divergenz (§ 160 Abs 2 [X.] 2 [X.]G) und des [X.], auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 [X.] 3 [X.]G) nicht in der erforderlichen Weise dargelegt bzw bezeichnet sind (§ 160a Abs 2 Satz 3 [X.]G). Der [X.] konnte deshalb über die Beschwerde ohne Zuziehung [X.] gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 [X.]G iVm § 169 [X.]G entscheiden.

4

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Fragen sich stellen, dass diese Rechtsfragen noch nicht geklärt sind, weshalb deren Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung dieser Rechtsfragen erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss er mithin eine konkrete Rechtsfrage aufwerfen, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (= Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (vgl nur B[X.] SozR 3-1500 § 160a [X.] 34 S 70 mwN).

5

Zumindest die Klärungsfähigkeit und Klärungsbedürftigkeit sind nicht ausreichend erläutert. An der Darlegung der Klärungsfähigkeit fehlt es bereits deshalb, weil die Beschwerdebegründung jegliche Sachverhaltsfeststellung vermissen lässt, sodass weder die einzelnen Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung eines Mehrbedarfs noch der Streitgegenstand als solcher aus der Beschwerdebegründung heraus für den [X.] erkennbar sind, Letzteres insbesondere vor dem Hintergrund, dass im Berufungsverfahren die Berufungsfähigkeit des erstinstanzlichen Urteils nach § 144 [X.]G problematisiert worden ist. Zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit andererseits hätte sich der Kläger nicht mit der Behauptung begnügen dürfen, höchstrichterliche Entscheidungen lägen nicht vor, obwohl er selbst eine Entscheidung des B[X.] vom 15.4.2008 ([X.]/11b [X.]) zitiert, in der auf weitere Entscheidungen des B[X.] zur Rechtsnatur der Empfehlungen für die Gewährung von [X.] in der Sozialhilfe des [X.] für öffentliche und private Fürsorge e.V. verwiesen ist. Hier hätte es einer genaueren Herausarbeitung bedurft, weshalb diese Entscheidungen die aufgeworfene Rechtsfrage nicht abschließend geklärt haben.

6

Dazu im Widerspruch vertritt der Kläger selbst ohnedies mit seiner [X.] die Ansicht, das [X.] sei mit seiner Entscheidung von der bezeichneten Entscheidung des B[X.] abgewichen. Auch insoweit genügt die Beschwerdebegründung jedoch nicht den gesetzlichen Anforderungen. Eine Divergenz liegt nämlich nur dann vor, wenn das [X.] einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz des B[X.], des Gemeinsamen [X.]s der obersten Gerichtshöfe des [X.] oder des [X.]verfassungsgerichts aufgestellt hat; eine Abweichung liegt folglich nicht schon vor, wenn das Urteil des [X.] nicht den aufgestellten Kriterien dieser Rechtsprechung entspricht, sondern erst dann, wenn das [X.] diesen Kriterien widersprochen, also andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat (s nur B[X.] SozR 1500 § 160a [X.] 67). Eine solche angebliche Abweichung hat der Kläger indes nicht herausgearbeitet; vielmehr übt er in Wirklichkeit nur Kritik am Inhalt der Entscheidung, was für die Zulassung der Revision nicht genügt (vgl B[X.] SozR 1500 § 160a [X.] 7). Bezeichnend ist seine eigene Wortwahl, nach seinem "Dafürhalten" sei das [X.] von der Rechtsprechung des B[X.] abgewichen und die Frage, ob das Urteil auf der Abweichung beruhe, sei letztlich "davon abhängig, welche Einzelfallermittlungen das B[X.] für erforderlich halte". Auch für die [X.] fehlt es zudem an einer ausreichenden Sachverhaltsfeststellung, um die Entscheidungserheblichkeit für das Urteil des [X.] beurteilen zu können (vgl zu dieser Voraussetzung B[X.] SozR 1500 § 160a [X.] 54).

7

Schließlich fehlt es auch an einer ausreichenden Bezeichnung des Zulassungsgrundes eines [X.]. Macht ein Beschwerdeführer das Vorliegen von [X.] geltend, auf denen die angefochtene Entscheidung beruhen kann, müssen bei der Bezeichnung des [X.] wie bei einer Verfahrensrüge innerhalb einer zugelassenen Revision zunächst die diesen Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (B[X.] SozR 1500 § 160a [X.] 14, 24, 34 und 36). Darüber hinaus ist die Darlegung zu verlangen, dass und warum die Entscheidung des [X.] - ausgehend von dessen Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit der Beeinflussung des Urteils besteht (B[X.] SozR 1500 § 160a [X.] 14 und 36), es sei denn, es würden absolute Revisionsgründe gerügt, bei denen gemäß § 202 [X.]G iVm § 547 Zivilprozessordnung der Einfluss auf die Entscheidung unwiderlegbar vermutet wird (B[X.] SozR 1500 § 136 [X.] 8). Bei der Verletzung des § 187 Gerichtsverfassungsgesetz (Hinzuziehung eines Dolmetschers) handelt es sich jedoch nicht um einen absoluten Revisionsgrund (B[X.] SozR 3-1720 § 189 [X.] 1), sondern um eine spezielle Form der Gewährung rechtlichen Gehörs (BVerwG [X.] 310 § 55 VwGO [X.] 6). Aus diesem Grund wäre auch hier eine Sachverhaltsschilderung erforderlich gewesen, die gänzlich fehlt. Zudem hätte der Kläger vortragen müssen, was er bei Einschaltung eines Dolmetschers vorgetragen hätte, damit der [X.] überhaupt in die Lage versetzt wird zu beurteilen, ob das verhinderte Vorbringen Einfluss auf die Entscheidung der Vorinstanz hätte haben können (vgl nur [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 9. Aufl 2008, § 160a Rd[X.] 16d mwN zur Rechtsprechung). Da der Kläger in der mündlichen Verhandlung beim [X.] anwaltlich vertreten war, ist das von ihm gerügte Verhalten des [X.] nicht im Ergebnis so zu werten, als sei ihm die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung verwehrt worden, sodass es ausnahmsweise nach der Rechtsprechung einer näheren Darlegung des Beruhenkönnens nicht bedurft hätte (vgl zu dieser Voraussetzung nur den Beschluss des 7. [X.]s des B[X.] vom 21.7.2009 - B 7 [X.] 9/09 B - mwN - juris).

8

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 8 SO 35/10 B

19.07.2010

Bundessozialgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Duisburg, 28. April 2009, Az: S 16 SO 166/07, Urteil

§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 160 Abs 2 Nr 3 SGG, § 30 Abs 5 SGB 12, § 187 Abs 1 GVG, § 202 SGG, § 547 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 19.07.2010, Az. B 8 SO 35/10 B (REWIS RS 2010, 4681)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4681

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

B 8 SO 2/18 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache - Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage - höchstrichterliche …


B 7 AS 1/22 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Anforderungen an eine formgerechte Sachaufklärungsrüge - keine gerichtliche …


B 8 SO 61/10 B (Bundessozialgericht)

Nichtzulassungsbeschwerde - Divergenz und Verfahrensmangel - unzureichende Begründung


B 14 AS 177/17 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde wegen Divergenz - nicht ausreichende Begründung der Abweichung von einem Rechtssatz …


B 14 AS 72/18 B (Bundessozialgericht)

Sozialgerichtliches Verfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - Verfahrensmangel - Gebot des gesetzlichen Richters - Vorlage an das …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.