Bundesfinanzhof, Beschluss vom 09.02.2017, Az. X B 49/16

10. Senat | REWIS RS 2017, 15858

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

(Klärung der Höhe des Verlustrücktrags im Rücktragsjahr - Verfahrensfehler aufgrund fehlender Urteilsgründe i.S. des § 119 Nr. 6 FGO)


Leitsatz

NV: Unabhängig von dem Änderungsrahmen des § 177 Abs. 1 AO ist über die Höhe des Verlustrücktragsvolumens im Rücktragsjahr zu entscheiden .

Tenor

Auf die Beschwerde des [X.] wegen Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des [X.] vom 30. März 2016 4 K 238/15 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

Tatbestand

1

I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) erzielte im Streitjahr 2010 gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb einer Zimmerei. Da er seine Einkommensteuererklärung zunächst nicht einreichte, schätzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --[X.]--) die Besteuerungsgrundlagen. Diese Einkommensteuerfestsetzung wurde bestandskräftig.

2

Aufgrund eines Verlustrücktrags aus dem [X.] in das Streitjahr in Höhe von 17.047 € setzte das [X.] die Einkommensteuer im Änderungsbescheid vom 14. April 2014 auf 1.780 € herab.

3

Nach einer steuerlichen Außenprüfung verringerte das [X.] den Verlustrücktrag auf 9.659 € und erhöhte die Einkommensteuerfestsetzung auf 3.882 €. Im sich hieran anschließenden Einspruchsverfahren reichte der Kläger seine Einkommensteuererklärung nach und begehrte die Berücksichtigung des dort angegebenen Gewinns sowie der von ihm erklärten Vorsorgeaufwendungen. Außerdem verlangte er die Berücksichtigung des Verlustrücktrags aus dem [X.] in der ursprünglichen Höhe.

4

Das [X.] berücksichtigte in seiner Entscheidung zwar die erklärten Vorsorgeaufwendungen. Es erhöhte den Gewinn jedoch um den von ihm für die Jahre 2011 bis 2013 festgestellten durchschnittlichen [X.]. Einen erhöhten Verlustrücktrag aus dem [X.] lehnte das [X.] aufgrund der sich aus dieser Gewinnerhöhung ergebenden beschränkten Anfechtbarkeit nach § 351 Abs. 1 der Abgabenordnung ([X.]) ab. Denn eine niedrigere Einkommensteuer als die im Änderungsbescheid vom 14. April 2014 (1.780 €) dürfe nicht festgesetzt werden.

5

Mit seiner Klage wandte sich der Kläger gegen die Erhöhung des Gewinns aus Gewerbebetrieb um den geschätzten [X.]. Daneben begehrte er (weiterhin) die Berücksichtigung eines erhöhten Verlustrücktrags.

6

Das Finanzgericht ([X.]) wies die Klage als unbegründet ab. Eine Herabsetzung der Einkommensteuer unter den Betrag von 1.780 € sei aufgrund der Anfechtungsbeschränkung des § 351 Abs. 1 Satz 1 [X.] i.V.m. § 42 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) nicht möglich. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der Änderungsvorschrift des § 10d Abs. 1 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Auf die Zuschätzung in Höhe des durchschnittlichen [X.]s der Jahre 2011 bis 2013 ging das [X.] in den Entscheidungsgründen nicht ein.

7

Der Kläger rügt zum einen, das [X.] habe fehlerhaft das Klageverfahren nicht bis zur Entscheidung über die Höhe des gewerblichen Verlusts im Einspruchsverfahren gegen die Einkommensteuerfestsetzung 2011 ausgesetzt. Zum anderen sei das [X.]-Urteil nicht mit Gründen versehen. Denn das [X.] habe sich zur Höhe der [X.] nicht geäußert, obwohl dies [X.] gewesen sei.

8

Das [X.] tritt der Beschwerde entgegen.

Entscheidungsgründe

9

II. [X.] ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.

1. Nach § 116 Abs. 6 [X.]O kann der [X.] ([X.]) das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 [X.]O vorliegen. Ein Verfahrensfehler im Sinne der letztgenannten Vorschrift liegt vor, wenn das Urteil "nicht mit Gründen versehen ist" (§ 119 Nr. 6 [X.]O). Dies ist hier der Fall.

a) Der Verfahrensmangel nach § 119 Nr. 6 [X.]O liegt nur vor, wenn die Urteilsgründe ganz oder zum Teil fehlen und sie den Prozessbeteiligten keine Kenntnis darüber vermitteln, auf welchen Feststellungen, Erkenntnissen und rechtlichen Überlegungen das Urteil beruht. Dies erfordert nicht, dass jedes Vorbringen der Beteiligten im Einzelnen erörtert werden müsste; vielmehr liegt dieser Verfahrensmangel erst dann vor, wenn den Beteiligten die Möglichkeit entzogen ist, die getroffene Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Dagegen ist ein dahingehender Verfahrensmangel nicht gegeben, wenn noch zu erkennen ist, welche Überlegungen für das Gericht maßgeblich waren ([X.]-Urteil vom 18. August 2016 VI R 18/13, [X.]E 255, 58, Rz 12, m.w.[X.]). Anerkannt ist, dass das [X.] auf andere eigene Entscheidungen Bezug nehmen darf ([X.]-Beschluss vom 23. Oktober 2015 I[X.]92/15, [X.]/NV 2016, 217, Rz 7). Dies ist der Fall, wenn beide Entscheidungen zwischen den Beteiligten ergangen, gleichzeitig verkündet und am gleichen Tag zugestellt worden sind ([X.]-Urteil vom 10. April 1984 VIII R 229/83, [X.]E 141, 113, [X.] 1984, 591, m.w.[X.]). Auch eine Bezugnahme des [X.] in seinem Urteil auf die Einspruchsentscheidung des [X.] nach § 105 Abs. 5 [X.]O ist möglich und ausreichend, wenn das [X.] in dieser Entscheidung bereits zu [X.] vom Kläger im Klageverfahren vorgebrachten entscheidungserheblichen Einwendungen Stellung genommen hat (Senatsbeschluss vom 21. Oktober 2015 [X.]116/15, [X.]/NV 2016, 216, Rz 5).

b) Ausweislich des Tatbestands des [X.]-Urteils (dort S. 2) hat sich der Kläger neben der Berücksichtigung eines Verlustrücktrags aus dem [X.] in einer solchen Höhe, dass sich eine Einkommensteuerfestsetzung auf 0 € ergebe, auch (ausdrücklich) gegen die Erhöhung des Gewinns aus Gewerbebetrieb um den hinzugeschätzten [X.] gewandt. Zu diesem [X.] schweigt das [X.]-Urteil. Soweit es auf den Verlustrücktrag aus dem [X.] eingeht, erläutert das [X.] nur, warum § 10d Abs. 1 Satz 3 EStG einen höheren Verlustrücktrag, wie vom Kläger begehrt, hier nicht möglich mache und verweist insoweit auf den Änderungsrahmen nach § 177 Abs. 1 [X.]. Bezugnahmen auf andere [X.]-Entscheidungen zwischen den Beteiligten oder die Einspruchsentscheidung hinsichtlich der Höhe der [X.] in den Folgejahren enthält das [X.]-Urteil nicht.

c) Ein Eingehen auf die Höhe der [X.] im Streitjahr wäre aber erforderlich gewesen, um dem Kläger so nicht nur die Möglichkeit zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser Hinzuschätzung zu geben, sondern es ihm auch zu ermöglichen das Volumen seines Verlustrücktrags zu bestimmen. Denn anders als im Fall eines Verlustvortrags wird über den nach § 10d Abs. 1 EStG als Verlustrücktrag abgezogenen Betrag nicht im Feststellungsverfahren nach § 10d Abs. 4 Satz 1 EStG entschieden, das (erstmals) im Jahr der Verlustentstehung durchzuführen ist, sondern im Rahmen der Entscheidung zur Höhe des Gesamtbetrags der Einkünfte des Rücktragsjahres.

Eine Entscheidung im Verlustrücktragsjahr über die nach § 10d Abs. 1 EStG als Verlustrücktrag "abgezogenen ... Beträge" als Grundlage der Feststellung des verbleibenden Verlustabzugs im Verlustentstehungsjahr gemäß § 10d Abs. 4 EStG setzt eine Entscheidung zur Höhe des Gesamtbetrags der Einkünfte des Rücktragsjahres voraus. Diese Größe bestimmt einerseits das Maximalvolumen für den Verlustrücktrag, ist andererseits aber zugleich Grundlage für die Ausübung des den Feststellungsbescheid des [X.] betreffenden Antrags gemäß § 10d Abs. 1 Satz 5 EStG, vom Verlustrücktrag im konkreten Streitfall (teilweise) abzusehen. Diese Entscheidung, die aus dem Verlustfeststellungsbescheid des [X.] nicht abzuleiten ist und --umgekehrt-- auch nicht selbst mit [X.] des § 171 Abs. 10 [X.] für diesen Feststellungsbescheid des [X.] ausgestattet ist, begründet eine Beschwer des Steuerpflichtigen. Denn im Rücktragsjahr ist nicht über die Höhe des (hier: in 2011) entstandenen Verlusts, sondern verbindlich darüber zu entscheiden, in welcher Höhe mit Blick auf die in diesem Veranlagungszeitraum verwirklichten Besteuerungsmerkmale ein Verlustrücktrag in Betracht kommt; diese Entscheidung über die Höhe der "abgezogenen ... Beträge" geht als Berechnungsgrundlage in den Feststellungsbescheid des [X.] ein, ohne dort selbständig anfechtbare Besteuerungsgrundlage zu sein (so ausdrücklich auch [X.]-Urteil vom 11. November 2014 I R 51/13, [X.]/NV 2015, 305, Rz 14, m.w.[X.]).

Vorliegend war also im Rahmen der streitigen Einkommensteuerfestsetzung über die Höhe des Verlustrücktrags zu entscheiden. Eine solche Entscheidung setzte voraus, dass sich das [X.] über die Höhe des Gesamtbetrags der Einkünfte Klarheit verschaffte. Insoweit musste es über die Höhe der [X.] entscheiden, unabhängig von dem Änderungsrahmen des § 177 Abs. 1 [X.]. Dies musste das [X.] in den Entscheidungsgründen den Beteiligten darlegen und erläutern. Da solches hier nicht geschah, ist das [X.]-Urteil insoweit ohne Gründe i.S. des § 119 Nr. 6 [X.]O.

2. Der Senat hält es für sachgerecht, nach § 116 Abs. 6 [X.]O zu verfahren, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen. Über die Frage, inwieweit das [X.] das Verfahren bis zur Entscheidung über das Einspruchsverfahren gegen die Einkommensteuerfestsetzung des Veranlagungszeitraums 2011 nach § 74 [X.]O aussetzen musste, ist im vorliegenden Verfahren deshalb nicht mehr zu entscheiden.

3. [X.] beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

X B 49/16

09.02.2017

Bundesfinanzhof 10. Senat

Beschluss

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 30. März 2016, Az: 4 K 238/15, Urteil

§ 115 Abs 2 Nr 3 FGO, § 116 Abs 6 FGO, § 119 Nr 6 FGO, § 10d Abs 1 S 3 EStG 2009, § 10d Abs 4 S 1 EStG 2009, § 177 Abs 1 AO, EStG VZ 2010

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Beschluss vom 09.02.2017, Az. X B 49/16 (REWIS RS 2017, 15858)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2017, 15858

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

X B 96/18 (Bundesfinanzhof)

Höhe des Verlustrücktrags im Rücktragsjahr


IX R 24/19 (Bundesfinanzhof)

Anfechtung eines Nullbescheids - Verlustrücktrag


I R 51/13 (Bundesfinanzhof)

Beschwer im Verlustrücktragsjahr


IX R 59/08 (Bundesfinanzhof)

Verlustrücktrag aus einem verjährten Verlustentstehungsjahr in ein offenes Rücktragsjahr möglich


IX R 7/21 (Bundesfinanzhof)

(Anschaffungsnahe Herstellungskosten - Entnahme einer Wohnung ist keine Anschaffung i.S. des § 6 Abs. 1 …


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.