Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.10.2016, Az. VIII ZR 300/15

VIII. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 4210

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:111016BVIIIZR300.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VIII ZR 300/15
vom

11. Oktober 2016

in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
BGB § 573 Abs. 2 Nr. 2
a)
Für eine Kündigung wegen Eigenbedarfs gemäß §
573 Abs. 2 Nr. 2 BGB reicht eine sogenannte Vorratskündigung, der ein gegenwärtig noch nicht absehbarer [X.] der [X.] zugrunde liegt, nicht aus (Bestätigung von [X.], Urteile vom 23.
September 2015 -
VIII [X.], NJW 2015, 3368; vom 18.
Mai 2005 -
VIII
ZR 368/03, NJW 2005, 2395). Vielmehr muss sich der [X.] so weit "verdichtet" haben, dass ein konkretes Interesse an einer als-baldigen Eigennutzung besteht (Bestätigung von [X.], Urteil vom 23.
September 2015 -
VIII
[X.], aaO).
b)
Setzt der Vermieter den behaupteten Selbstnutzungswillen nach dem Auszug des Mieters nicht in die Tat um, so liegt der Verdacht nahe, dass der Eigenbedarf nur vorgeschoben gewesen ist. Unter diesen Umständen ist es dem Vermieter zuzumu-ten, substantiiert und plausibel ("stimmig") darzulegen, aus welchem Grund der mit der Kündigung vorgebrachte Eigenbedarf nachträglich entfallen sein soll. Hierbei sind strenge Anforderungen zu stellen. Erst wenn der Vortrag des Vermieters die-sem Maßstab genügt, obliegt dem Mieter der Beweis, dass ein Selbstnutzungswille des Vermieters schon vorher nicht bestand (Bestätigung von [X.], Urteil vom 18.
Mai 2005 -
VIII
ZR 368/03, aaO).

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-

ZPO § 529 Abs. 1 Nr. 1, § 286 Abs. 1 A
Die Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts hinsichtlich der erstinstanzlichen Tat-sachenfeststellung
ist nicht auf den Umfang beschränkt, in dem eine zweitinstanzliche Tatsachenfeststellung der Kontrolle durch das Revisionsgericht unterliegt. Daher hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Überzeugungsbildung nicht nur auf Rechts-fehler zu überprüfen.
Vielmehr können sich Zweifel an der Richtigkeit oder Vollstän-digkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen im Sinne von §
529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Bewertungen der erstinstanzlichen Beweisaufnahme ergeben (im [X.] an [X.], Urteile vom 9. März 2005 -
VIII ZR 266/03, [X.]Z 162, 313, 316 f.; vom 21. Juni 2016 -
VI [X.], [X.], 1194; vom 29.
Juni 2016 -
VIII ZR 191/15, NJW 2016, 3015; Beschluss vom 10.
Mai 2016
-
VIII [X.], NJW-RR 2016, 982).
[X.], Beschluss vom 11. Oktober 2016 -
VIII ZR 300/15 -
LG [X.]

[X.]

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3
-

Der VIII. Zivilsenat des [X.] hat am 11. Oktober 2016 durch die Vorsitzende Richterin [X.], die Richterin [X.] sowie [X.]
Dr.
Achilles, Dr.
Bünger und Kosziol

beschlossen:

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird der Be-schluss des [X.] -
4. Zivilkammer -
vom 11.
November 2015 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.]s, an eine andere Kammer des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das [X.] werden nicht erhoben.
Der Streitwert für das [X.] wird

Gründe:
I.
Die Klägerin, die Mieterin einer Einzimmerwohnung des Beklagten in L.

war, nimmt diesen auf Schadensersatz wegen vorgetäuschten [X.] in Anspruch. Der Beklagte hatte das Mietverhältnis mit Schreiben vom 27. April 2011 zum 31. Januar 2012 gekündigt und geltend gemacht, die Wohnung werde "dringend"
benötigt, um seine pflegebedürftige, im Jahr 1926 1
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geborene Mutter, die allein in ihrem Einfamilienhaus in K.

lebte, [X.].
Der nachfolgende Räumungsrechtsstreit wurde durch einen Prozessver-gleich beendet, in dem die [X.]en eine Räumungsfrist bis zum 31. August sollte. Seit dem Auszug der Klägerin im August 2012 steht die von ihr geräumte Wohnung leer. Die Mutter des Beklagten zog nicht um und verstarb am 7.
November 2014.
Zwischen den [X.]en ist im Wesentlichen im Streit, ob die Mutter des Beklagten ihr Haus in K.

verlassen und in die Wohnung nach L.

umziehen wollte.
Das Amtsgericht hat die Klage, die im Verfahren der Nichtzulassungsbe-u-ßergerichtlicher Anwaltskosten, jeweils nebst Zinsen, sowie -
sinngemäß -
Feststellung der Pflicht des Beklagten zur Erstattung aller sich aus der [X.] und Herausgabe der von der Klägerin gemieteten Wohnung ergebenden Kosten bis zum 31. August 2017 gerichtet ist, abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung der Klägerin durch Beschluss gemäß §
522 Abs. 2 ZPO zurück-gewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Nichtzulassungsbe-schwerde.

II.
Die zulässige Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß §
544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur [X.] an das Berufungsgericht. Die angefochtene Ent-2
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scheidung verletzt in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch der Kläge-rin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG).
1. Das Berufungsgericht hat das Schadensersatz-
und Feststellungsbe-gehren der Klägerin wegen vorgetäuschten Eigenbedarfs im Einklang mit dem Amtsgericht als unbegründet angesehen. Zur Begründung seiner Entscheidung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Die Beweiswürdigung durch das Amtsgericht lasse Rechtsfehler im [X.] von
§ 286 ZPO nicht erkennen. Es habe die tragenden Gründe der Beweis-würdigung soweit angeführt, dass eine sachentsprechende Beurteilung erkenn-bar geworden sei. Gedankliche Widersprüche, ein Verstoß gegen [X.] beziehungsweise Denkgesetze oder eine [X.] der Beweis-würdigung sei auch unter Würdigung der Berufungsbegründung nicht ersicht-lich. Auf der Grundlage der Beweisaufnahme habe das Gericht nachvollziehbar zu der Überzeugung gelangen können, dass ein Eigenbedarf für die Mutter des Beklagten zum Zeitpunkt der Kündigung vorgelegen habe und bis zum Auszug der Klägerin
nicht entfallen sei. Die Überzeugungsbildung des Amtsgerichts sei nachvollziehbar und nicht zu beanstanden.
Zwar sei es denkbar, dass die von der Berufung aufgeworfenen Fragen zu einer anderen Würdigung führen könnten. Nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung sei es jedoch möglich, dass unterschiedliche Gerichte in nicht zu beanstandender Weise zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen könnten.
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungs-gericht bei der Beurteilung, ob zum Zeitpunkt der Kündigung und bis zum [X.] der Kündigungsfrist tatsächlich Eigenbedarf bestanden hat, in mehrfacher Hinsicht entscheidungserhebliches Vorbringen der Klägerin unter Verletzung 6
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ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) außer [X.] hat.
Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der [X.] zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot des rechtlichen Gehörs als Prozessgrundrecht soll sicherstellen, dass die Ent-scheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in der unter-lassenen Kenntnisnahme und der Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der [X.]en haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines solchen [X.]es verstößt daher dann gegen Art. 103 Abs.
1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet ([X.], [X.], 492 Rn. 14; JZ
2015, 1053 Rn. 8; [X.], [X.] vom 22. März 2016 -
VI [X.], juris Rn.
4; vom 23.
August 2016
-
VIII ZR 178/15, [X.], 628 Rn. 10; jeweils mwN). Diese Grundsätze hat das Berufungsgericht verkannt.
a) Die Klägerin hat schon in erster Instanz behauptet und durch das Zeugnis des behandelnden Arztes der Mutter des Beklagten, Dr. med. V.

, unter Beweis gestellt, diese habe im April 2011 nicht die Absicht gehabt, ihr ei-genes Haus zu verlassen. Die Klägerin hat sich dabei auf ein vom Beklagten vorgelegtes Attest vom 4.
Juli 2014 gestützt, wonach die Patientin "in dieser Zeit"
im eigenen Haus versorgt gewesen sei, "die Kinder"
-
der Beklagte und seine Geschwister M.

und I.

S.

, nicht die Mutter selbst -
jedoch geplant hätten, sie "evtl."
zu sich zu nehmen. Ferner hat die Klägerin den [X.] Dr. V.

zum Beweis dafür benannt, dass die Demenzerkrankung der
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nicht unter Betreuung stehenden -
Mutter des Beklagten nicht so weit fortge-schritten gewesen sei, dass ihr eigener Wille durch denjenigen ihrer Kinder hät-10
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te ersetzt werden können. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin das unerle-digt gebliebene [X.] wiederholt.
Dieser Vortrag ist entscheidungserheblich und vom Berufungsgericht übergangen worden. Denn Eigenbedarf (§ 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB) liegt nicht vor, wenn die vom Vermieter benannte [X.] gar nicht die Absicht hat, in die Wohnung einzuziehen (vgl. [X.], NJW
1993, 2165, 2166 [zu §
564b Abs. 2 Nr. 2 BGB aF]). Eine Beweisaufnahme zu diesem Vorbringen der Klägerin war daher erforderlich, denn die Nichterhebung des [X.] findet im Prozessrecht keine Stütze.
b) Des Weiteren hat das Berufungsgericht die Grundsätze der Wahrun-terstellung missachtet und auch dadurch den Anspruch der Klägerin auf [X.] Gehör verletzt.
Die Klägerin hat behauptet, die Mutter des Beklagten habe am 11. [X.] 2014 in einem Telefonat mit dem Zeugen B.

geäußert, sie habe "nie"
die Absicht gehabt, aus ihrem Haus auszuziehen. Das Amtsgericht hat den Zeugen nicht vernommen und zur Begründung ausgeführt, es könne als wahr unterstellt werden, dass die Mutter des Beklagten ihre Umzugsabsicht im Februar 2014 verneint habe. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin das [X.] wiederholt.
Das Berufungsgericht ist
dem unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht nachgegangen. Voraussetzung einer zulässigen Wahrunterstellung ist, dass die Behauptung so übernommen wird, wie die [X.] sie aufgestellt hat ([X.], Beschlüsse vom 24. September 2015 -
IX ZR 266/14, juris Rn. 8; vom 23. August 2016 -
VIII ZR 178/15, aaO Rn. 12). Bei vollständiger Wahrunterstel-lung folgte aus der Behauptung der Klägerin, dass die Mutter des Beklagten nicht nur zur [X.] im Februar 2014, sondern niemals ernstlich 12
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beabsichtigte, aus ihrem Haus auszuziehen. Damit ist die Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht nicht vereinbar.
c) Schließlich hat das Berufungsgericht das Vorbringen der Klägerin zur fehlenden Umzugsabsicht der Mutter des Beklagten bereits in [X.] nicht erfasst und damit erneut gegen das Verfahrensgrundrecht der Klägerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs verstoßen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 7. Juni 2016 -
EnVZ 30/15, juris Rn. 23; vom 24. November 2015 -
VIII ZR 36/15, juris Rn. 14; vom 21. Januar 2014 -
VIII ZR 72/13, juris Rn. 5).
Die Klägerin hat darauf hingewiesen, dass der Eigenbedarf im Kündi-gungsschreiben vom 27. April 2011 als "dringend"
und in der Klageschrift des Räumungsprozesses als "akut"
bezeichnet worden ist, die Wohnung hingegen
bis Mitte April 2013 als Fahrradstellplatz benutzt worden sei. Zwar hat das Be-rufungsgericht dazu ausgeführt, der zeitliche Ablauf spreche nicht gegen den geltend gemachten Eigenbedarf, weil dieser weder einen Notfall noch eine Zwangslage voraussetze. Diese Würdigung verkennt jedoch [X.] des Vortrags der Klägerin.
Denn der zeitliche Ablauf ist ein deutliches Anzeichen dafür, dass die Kündigung vom 27.
April 2011 zum 31. Januar 2012 eine mögliche spätere Nutzung erst vorbereiten sollte,
der [X.] der Mutter des Beklagten aber noch unbestimmt war und erst geweckt werden musste. Darauf können namentlich die Bekundungen der Zeugin I.

S.

hindeuten ("Man macht nicht die Pferde scheu, bevor es soweit ist"; "steter Tropfen höhlt [X.]; von daher habe ich dieses Thema immer wieder angesprochen.").
Für eine Kündigung wegen Eigenbedarfs gemäß §
573 Abs. 2 Nr. 2 BGB reicht eine sogenannte Vorratskündigung, der ein gegenwärtig noch nicht ab-sehbarer [X.] der [X.] zugrunde liegt, jedoch
nicht 16
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aus (vgl. Senatsurteile vom 23.
September 2015 -
VIII [X.], NJW 2015, 3368 Rn.
22; vom 18.
Mai 2005 -
VIII
ZR 368/03, NJW 2005, 2395 unter [X.]; [X.], WuM
2002, 21, 22; jeweils mwN). Vielmehr muss sich der
Nutzungs-wunsch soweit "verdichtet"
haben, dass ein konkretes Interesse an einer als-baldigen Eigennutzung besteht (Senatsurteil vom 23. September 2015 -
VIII [X.], aaO).
3. Auf den vorgenannten Verfahrensverstößen beruht die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts, denn es ist nicht auszuschließen, dass es bei Berücksichtigung des genannten Vortrags der Klägerin eine Umzugsabsicht der Mutter des Beklagten verneint hätte.

III.
Die angefochtene Entscheidung ist deshalb aufzuheben und der [X.] zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zu-rückzuverweisen (§ 544 Abs. 7 ZPO). Dabei macht der Senat von den [X.] des § 563 Abs. 1 Satz 2 ZPO sowie -
hinsichtlich der Kosten des Nicht-zulassungsbeschwerdeverfahrens
-
des § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG Gebrauch.
Für das weitere Berufungsverfahren sieht der Senat Anlass zu folgenden Hinweisen im Hinblick auf die Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts und auf die Darlegungslast des Vermieters bei einem im [X.] an den Auszug des Mieters nicht verwirklichten Eigenbedarf:
1. Die bisherigen Ausführungen des Berufungsgerichts zum Umfang [X.] lassen besorgen, dass es verkannt hat, dass diese nicht -
wie die revisionsrechtliche Prüfung -
auf eine reine Rechtskontrolle be-schränkt ist. Bei der Berufungsinstanz handelt es sich auch nach Inkrafttreten 20
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des [X.] um eine zweite -
wenn auch eingeschränkte -
Tatsacheninstanz, deren Aufgabe in der Gewinnung einer "fehlerfreien und überzeugenden"
und damit "richtigen"
Entscheidung des Einzelfalles besteht ([X.], Urteile vom 9. März 2005 -
VIII ZR 266/03, [X.]Z 162, 313, 315 f.; vom 8. Dezember 2015 -
X [X.], [X.]Z 208, 154 Rn. 33; vom 21. Juni 2016 -
VI [X.], [X.], 1194 Rn. 11; Beschluss vom 10. Mai 2016 -
VIII [X.], NJW-RR 2016, 982 [X.] mwN; siehe auch Begründung des [X.] eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drucks. 14/4722, [X.] f.; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks.
14/6036, [X.]).
Daher hat das Berufungsgericht die erstinstanzliche Überzeugungsbil-dung nicht nur auf Rechtsfehler zu überprüfen. Vielmehr können sich Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellun-gen im Sinne von §
529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, anders als das Berufungsgericht of-fenbar gemeint hat, auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Bewertungen der erstinstanzlichen Beweisaufnahme ergeben (vgl. [X.], Urteile vom 9. März 2005 -
VIII ZR 266/03, aaO S. 316 f.; vom 21. Juni 2016 -
VI [X.], aaO; vom 29. Juni 2016 -
VIII ZR 191/15, NJW 2016, 3015 Rn. 26; Beschluss vom 10. Mai 2016 -
VIII [X.], aaO Rn. 16; jeweils mwN). Besteht aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse -
nicht notwendig überwie-gende -
Wahrscheinlichkeit dafür, dass im Fall der Beweiserhebung die erstin-stanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, ist es somit zu einer erneu-ten Tatsachenfeststellung verpflichtet ([X.], Urteile vom 9.
März 2005 -
VIII ZR 266/03, aaO S. 317; vom 21. Juni 2016 -
VI [X.], aaO; jeweils mwN). Hält es das Berufungsgericht -
wie hier -
für denkbar, dass die von der Berufung aufgeworfenen Fragen zu einer anderen Würdigung führen können, besteht Anlass für die Überlegung, ob für die andere Würdigung zumindest eine [X.]
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11
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se Wahrscheinlichkeit spricht und deshalb Anlass zu einer Wiederholung der Beweisaufnahme besteht.
2. Der Mieter hat in die für den Eigenbedarf geltend gemachten Tatsa-chen regelmäßig keinen Einblick und kann ohne nähere Darlegung seitens des Vermieters nicht beurteilen, ob dessen Kündigung wegen Eigenbedarfs, die den Mieter zum Auszug veranlasst hat, berechtigt war. Setzt der Vermieter den be-haupteten Selbstnutzungswillen nach dem Auszug des Mieters nicht in die Tat um, so liegt der Verdacht nahe, dass der Eigenbedarf nur vorgeschoben gewe-sen ist (Senatsurteil vom 18.
Mai 2005 -
VIII ZR 368/03, aaO unter [X.]; siehe auch [X.], NJW 1997, 2377). Unter diesen Umständen ist es dem Vermieter zuzumuten, substantiiert und plausibel ("stimmig", siehe Senatsurteil vom 18.
Mai 2005 -
VIII ZR 368/03, aaO, unter Hinweis auf [X.], aaO) [X.], aus welchem Grund der mit der Kündigung vorgebrachte Eigenbedarf nachträglich entfallen sein soll; insoweit sind strenge Anforderungen zu
stellen. Erst wenn der Vortrag des Vermieters diesem Maßstab genügt, obliegt dem Mieter der Beweis, dass ein Selbstnutzungswille des Vermieters schon vorher nicht bestand (Senatsurteil vom 18.
Mai 2005 -
VIII ZR 368/03, aaO).
Das Berufungsgericht hat die Frage, ob der Beklagten den vorgenannten -
strengen -
Anforderungen an die Darlegung eines nachträglichen Wegfalls des Eigenbedarfs genügen, nicht erörtert. Das Amtsgericht hat angenommen, der Wegfall des Eigenbedarfs sei plausibel dargelegt, weil der Gesundheitszustand der Mutter sich im [X.] 2013 erheblich verschlechtert und ab diesem Zeit-punkt eine dauernde Pflegekraft erfordert habe, so dass ein Umzug in die zuvor von der Klägerin bewohnte (Einzimmer-)Wohnung nicht mehr möglich gewesen sei. Dabei ist allerdings unberücksichtigt geblieben, dass die Klägerin die [X.] bereits Ende August 2012 zurückgegeben hat, weshalb die erst ein Jahr später eingetretene Verschlechterung des Gesundheitszustandes nicht ansatz-25
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weise (und erst recht nicht bei der gebotenen Anlegung eines strengen [X.]) erklärt, warum der Eigenbedarf ein Jahr zuvor nicht zeitnah nach der Rückgabe verwirklicht worden ist. Auch der (angeblich) nicht besenreine Zu-stand der Wohnung bei Rückgabe und das Vorhandensein angeblicher (nicht näher bezeichneter) Schäden vermögen nicht zu erklären, warum der im [X.] und im Prozess als dringlich bezeichnete Eigenbedarf nicht im Spätsommer 2012 zügig verwirklicht worden ist, gegebenenfalls nach
kurz-fristiger Durchführung von Reinigungsarbeiten und Dokumentation etwaiger Schäden.
[X.]
[X.]
Dr. Achilles

Dr. Bünger
Kosziol
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 22.04.2015 -
1 C 723/14 -

LG [X.], Entscheidung vom 11.11.2015 -
43 [X.] -

Meta

VIII ZR 300/15

11.10.2016

Bundesgerichtshof VIII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 11.10.2016, Az. VIII ZR 300/15 (REWIS RS 2016, 4210)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 4210

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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