Bundessozialgericht, Beschluss vom 02.11.2011, Az. B 11 AL 80/11 B

11. Senat | REWIS RS 2011, 1808

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Gegenstand

Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage - keine ausreichende Darlegung der Klärungsbedürftigkeit und -fähigkeit - Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben - fehlende Werkstattfähigkeit eines schwerbehinderten Menschen - Diskriminierungsverbot des UNBehRÜbk


Tenor

Der Antrag des [X.], ihm für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des [X.] vom 3. Juni 2011 Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt [X.], D., beizuordnen, wird abgelehnt.

Die Beschwerde des [X.] gegen die Nichtzulassung der Revision im vorbezeichneten Urteil wird als unzulässig verworfen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe

1

I. Mit Urteil vom 3.6.2011 hat das [X.] ([X.]) einen Anspruch des [X.] auf Kostenübernahme für Leistungen im Berufsbildungsbereich der Werkstatt für behinderte Menschen ([X.]) R. als Leistung zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben verneint. Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde eingelegt und die Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung von Rechtsanwalt [X.], D., beantragt. Er macht eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 [X.] 1 Sozialgerichtsgesetz ) geltend und rügt Verfahrensmängel iS des § 160 Abs 2 [X.] 3 SGG.

2

II. 1. Der Antrag auf Bewilligung von PKH ist abzulehnen.

3

Nach § 73a SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem [X.] ([X.]) nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Das ist hier nicht der Fall.

4

2. Die Beschwerde ist unzulässig. Die vorgebrachten Zulassungsgründe - grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und Verfahrensfehler - sind nicht in der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Weise dargelegt bzw bezeichnet.

5

a) Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese Fragen noch nicht geklärt sind, weshalb deren Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung dieser Rechtsfragen erwarten lässt. Insbesondere ist der Schritt darzustellen, der die Entscheidung der aufgezeigten Rechtsfrage erforderlich macht ([X.] [X.] 1500 § 160a [X.] 31; stRspr). Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine konkrete Rechtsfrage aufwerfen, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) [X.] (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (vgl nur [X.] [X.]-1500 § 160a [X.] 34 S 70 mwN). Dies ist hier nicht geschehen.

6

           

Der Kläger wirft folgende Rechtsfragen auf:

"1.     

Kann im Lichte des zwischenzeitlich von der [X.] ratifizierten, sowie am 01.01.2009 in [X.] getretenen Übereinkommens der [X.] vom 13.12.2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Behindertenrechtskonvention - [X.]) der Finanzierungsvorbehalt des § 136 Abs. 2 [X.] noch Vorrang gegenüber dem Wunsch- und Wahlrecht des Behinderten i. S. d. § 9 I [X.] haben?

2.    

Ist dem sich aus der [X.] ergebenden Diskriminierungsverbot von Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen und der garantierten bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, [X.] und kulturellen Menschenrechte dem [X.]. Wunsch- und Wahlrecht dergestalt Rechnung zu tragen, dass der mit [X.]-Urteil vom 29.06.1995 (11 [X.] 57/94) zur [X.]. 4 entwickelte Rechtssatz, dass Maßstab für die Werkstattfähigkeit von behinderten Menschen die Verhältnisse in der Werkstätte sind, in die der Schwerbehinderte aufgenommen werden soll, zumindest in Fällen aufgegeben werden muss, in denen die zuständige [X.] ausdrücklich die Bereitschaft bekundet, den Behinderten in den Berufsbildungsbereich aufzunehmen, jedoch dafür zusätzliche Personalmittel für einen erhöhten, von der Norm abweichenden Personalschlüssel benötigt?"

7

Damit wirft der Kläger zwar abstrakte Rechtsfragen auf. Er hat jedoch die Klärungsbedürftigkeit dieser beiden Rechtsfragen nicht ausreichend dargelegt. Denn sein Vorbringen, das vom [X.] in Bezug genommene Urteil des [X.] vom 29.6.1995 (11 [X.]/94 - [X.]E 76, 178 = [X.]-4100 § 58 [X.] 7) stehe im Widerspruch zu der [X.] und sei insoweit zeitlich und inhaltlich überholt, lässt eine substanziierte Darlegung und eine nähere inhaltliche Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des [X.] vermissen. So wird lediglich der Leitsatz [X.] 4 der genannten Entscheidung wiedergegeben, ohne darzulegen, dass und inwiefern der Entscheidung auch inhaltlich ein derartiger Rechtssatz zugrunde liegt. Auch der Widerspruch zur [X.] wird allein behauptet. Es wird insbesondere nicht substanziiert dargelegt, weshalb in der Ablehnung einer Kostenübernahme für eine (erforderliche) 1:1-Betreuung eine "Diskriminierung" des behinderten Menschen im Sinn der [X.] zu sehen sein soll. Insoweit fehlt es schon an einer Auseinandersetzung mit der in Art 2 [X.] enthaltenen Begriffsbestimmung der "Diskriminierung aufgrund von Behinderung".

8

Ähnliches gilt für die weiteren, vom Kläger herangezogenen Bestimmungen der [X.] (zB Art 4 Abs 2 [X.] - Vorbehalt der verfügbaren Mittel der Vertragsstaaten). Soweit der Kläger selbst vorträgt, dass die Bestimmungen der [X.] grundsätzlich "keine unmittelbaren innerstaatlichen Rechtsansprüche" begründen könnten, ist nicht nachvollziehbar, dass aus den Regelungen der [X.] - etwa im Wege einer entsprechenden Gesetzesumsetzung bzw Gesetzesauslegung - ein subjektiv-öffentliches Recht des Einzelnen abgeleitet werden könnte, eine 1:1-Betreuung in einer "zuständigen" [X.] zu verlangen (vgl insoweit auch [X.] Urteil vom [X.] KR 10/0 R, Rd[X.] 19). So setzt sich die Beschwerdebegründung - abgesehen davon, dass es sich bei der fraglichen Leistung um eine Ermessensleistung (vgl § 97 Abs 1 [X.] ) handelt - schon nicht mit dem Wortlaut des § 136 Abs [X.] ([X.]) und dem benannten Wunsch- und Wahlrecht des Leistungsberechtigten nach § 9 [X.] auseinander. Gerade im Hinblick auf § 136 Abs 2 Satz 2 [X.] und im Lichte von § 9 Abs 1 [X.], der in seinem Wortlaut auf "angemessene" Wünsche abstellt, hätte dies nahe gelegen. Selbst wenn in § 9 Abs 1 [X.] nicht lediglich ein Programmsatz zu sehen sein sollte, hätte sich der Kläger jedenfalls auch mit den - in der vom [X.] zitierten Rechtsprechung des [X.] angesprochenen - Mindestvoraussetzungen für eine Tätigkeit in einer Werkstatt und den Grenzen einer Betreuung (vgl dazu auch § 9 Abs 3 Werkstattverordnung; Vater in [X.], Handkommentar zum [X.], 3. Aufl 2010, § 136 Rd[X.] 29) auseinander setzen müssen.

9

Darüber hinaus hat der Kläger auch den Anforderungen an die Darlegung der [X.] nicht Rechnung getragen. [X.] im Sinne von Entscheidungserheblichkeit bedeutet, dass es für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits auf die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ankommt und die Entscheidung bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers in seinem Sinne hätte ausfallen müssen (vgl [X.] [X.] 4-1500 § 160a [X.] 5 mwN; stRspr). Daran mangelt es zB, wenn die Entscheidung der Berufungsinstanz auf verschiedenen Begründungen gestützt wird, die nicht alle von der aufgeworfenen Rechtsfrage betroffen sind (vgl [X.] aaO Rd[X.] 3; [X.]-1500 § 160a [X.] 28). Dies ist hier der Fall.

Das [X.] hat die fragliche [X.] des [X.] nicht allein von dem der [X.] zur Verfügung stehenden Personalschlüssel abhängig gemacht. Vielmehr hat das [X.] die Verneinung der [X.] des [X.] auch auf die Entscheidung des [X.] vom 10.3.1994 (7 [X.] - [X.]-4100 § 58 [X.] 6) gestützt, wonach die Eignung eines behinderten Menschen zur Teilnahme an Maßnahmen im Arbeitstrainingsbereich einer [X.] voraussetzt, dass er werkstattfähig, dh gemeinschaftsfähig und nicht außerordentlich pflegebedürftig ist. Außerordentliche Pflegebedürftigkeit ist danach gegeben, wenn der behinderte Mensch so weitgehend von Pflege abhängig ist, dass - auch nach Teilnahme am Eingangsverfahren und Arbeitstraining - die Voraussetzungen für eine Aufnahme in den Arbeitsbereich nicht gegeben sind. Hiervon ausgehend hat das [X.] bei dem Kläger die [X.] wegen dessen außerordentlicher Pflegebedürftigkeit verneint. Zu dieser weiteren Begründung des [X.] enthält die Beschwerdebegründung keine Ausführungen.

b) Soweit der Kläger "außerdem … zwei Verfahrensmängel im Sinne des § 160 Abs. 2 [X.]. 3 SGG geltend macht", beschränkt sich sein gesamtes Vorbringen auf diesen einen Satz. Damit werden mögliche Fehler im Berufungsverfahren nicht "bezeichnet" (§ 160a Abs 2 Satz 3 SGG; vgl zu den Darlegungserfordernissen ua [X.] [X.] 1500 § 160a [X.] 14 und [X.] 36).

3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbs 2 SGG).

Da dem Kläger mangels Erfolgsaussicht der Nichtzulassungsbeschwerde PKH nicht zu bewilligen ist, hat er auch keinen Anspruch auf Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten nach § 73a SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO.

Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbs 2 iVm § 169 Satz 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

Meta

B 11 AL 80/11 B

02.11.2011

Bundessozialgericht 11. Senat

Beschluss

Sachgebiet: AL

vorgehend SG Leipzig, 23. Februar 2010, Az: S 16 AL 650/07, Urteil

§ 160a Abs 2 S 3 SGG, § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 97 Abs 1 SGB 3, § 102 Abs 1 SGB 3, § 102 Abs 2 SGB 3, § 9 Abs 1 SGB 9, § 40 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB 9, § 136 Abs 2 S 1 SGB 9, § 136 Abs 2 S 2 SGB 9, Art 2 UNBehRÜbk, Art 4 UNBehRÜbk

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 02.11.2011, Az. B 11 AL 80/11 B (REWIS RS 2011, 1808)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1808

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