Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.10.2021, Az. 4 StR 121/21

4. Strafsenat | REWIS RS 2021, 1911

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Strafsache wegen Totschlags mit Adhäsionsverfahren: Beweis- und Darlegungsanforderungen für Entschädigungsansprüche von Hinterbliebenen


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 27. November 2020 im Adhäsionsausspruch aufgehoben, soweit er verurteilt worden ist, an die [X.] monatliche Geldrenten zu zahlen, und soweit Schadensersatzpflichten des Angeklagten festgestellt worden sind; auch insoweit wird von einer Entscheidung im Adhäsionsverfahren abgesehen.

2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels, die insoweit durch das Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten und die den Neben- und [X.]n im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags zu der Freiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Im Adhäsionsverfahren hat es ihn zudem verurteilt, ein vererbtes Schmerzensgeld, [X.]er sowie monatliche [X.]n zu zahlen; weitere Schadensersatzpflichten des Angeklagten hat die Strafkammer festgestellt. Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 [X.].

2

1. Der Schuld- und Strafausspruch weist keine sachlich-rechtlichen Mängel auf.

3

2. Der Adhäsionsausspruch hat indes keinen Bestand, soweit das [X.] den [X.]n - der Ehefrau und den beiden Kindern des Getöteten - jeweils eine monatliche [X.] (§ 844 Abs. 2 BGB) zugesprochen und Schadensersatzpflichten des Angeklagten festgestellt hat.

4

a) Das [X.] hat die Grundlagen für Schadensersatzrenten der [X.] gemäß § 844 Abs. 2 BGB, der an die hypothetische Unterhaltspflicht des Geschädigten anknüpft, weder belegt noch hinreichend dargetan.

5

aa) Das [X.] hat die [X.] im Adhäsionsverfahren verkannt. Das Adhäsionsverfahren richtet sich im Wesentlichen nach den Grundsätzen der [X.] (vgl. [X.], Beschluss vom 13. Dezember 1990 - 4 [X.], [X.]St 37, 260, 261; [X.][X.], [X.], 26. Aufl., § 404 Rn. 8; KK-[X.]/[X.], 8. Aufl., § 404 Rn. 11). Das Gericht hat daher gemäß § 244 Abs. 2 [X.] von Amts wegen im [X.] die Umstände zu ermitteln, die für den Entschädigungsanspruch von Bedeutung sind (vgl. [X.][X.] aaO Rn. 9; [X.] in [X.]/[X.], [X.], 64. Aufl., § 404 Rn. 11).

6

Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht. Hinsichtlich der bei der (fiktiven) Unterhaltsberechnung heranzuziehenden Vermögensverhältnisse und Fixkosten verweisen sie lediglich auf den unstreitigen Vortrag der [X.] (§ 138 ZPO), was im Adhäsionsverfahren nicht genügt. Die den Ansprüchen zugrundeliegenden Feststellungen sind daher nicht belegt.

7

bb) Es kommt deshalb nicht mehr entscheidend darauf an, dass der Adhäsionsausspruch über die Schadensersatzrenten auch an durchgreifenden Darlegungsmängeln leidet. Die Grundlagen für die zugesprochenen Ansprüche sind nicht nachvollziehbar (vgl. zu den rechtlichen Anforderungen [X.], Beschluss vom 13. August 2015 - 2 StR 62/15 Rn. 5 mwN). Die Urteilsgründe lassen Erwägungen dazu vermissen, wie sich die Leistungsfähigkeit des Geschädigten und die Bedürftigkeit der [X.] voraussichtlich entwickelt hätten. Allein der Hinweis auf den insoweit anwendbaren § 287 ZPO (vgl. [X.][X.], [X.] in [X.]/[X.], jeweils aaO) genügt nicht. Auch die für 347 Monate angeordnete [X.] zugunsten der Ehefrau des Getöteten wird mit Blick auf ihre Dauer nicht erläutert.

8

Bei den Kindern des Getöteten tritt hinzu, dass in Ermangelung eindeutiger Feststellungen unklar bleibt, ob [X.] Unterhaltsrecht zur Anwendung kommen konnte. Diese [X.] hatten zur Tatzeit ihren gewöhnlichen Aufenthalt möglicherweise in [X.], was zur Anwendbarkeit des dortigen Rechts geführt haben könnte (Art. 3 des [X.] vom 23. November 2007; vgl. [X.] in [X.], [X.]., Art. 40 EGBGB Rn. 14 mwN).

9

cc) Die aufgezeigten Rechtsfehler lassen auch eine teilweise Aufrechterhaltung der Aussprüche zu den [X.]n durch ein Grundurteil nicht zu.

b) Die zugunsten der Kinder des Opfers festgestellte Verpflichtung des Angeklagten, ihnen über die befristet zugesprochenen bezifferten [X.]n hinaus „Schadensersatz durch Entrichtung einer monatlichen [X.] zu leisten“, leidet an denselben [X.]. Dem Senat ist dadurch die Überprüfung verwehrt, inwieweit ein Feststellungsinteresse zu bejahen ist (vgl. [X.], Beschluss vom 8. September 2021 - 4 StR 166/21 Rn. 16).

c) Auch die [X.], die sich auf „sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden“ der einzelnen [X.] erstrecken, halten den rechtlichen Anforderungen nicht stand. Das [X.] hat eigene Gesundheitsschäden und somit Schadensersatzansprüche der [X.] aus § 823 Abs. 1 BGB verneint. Es verbleibt damit kein Raum, neben den zuerkannten [X.] gemäß § 844 Abs. 3 BGB eine Ersatzpflicht für weitere immaterielle Schäden festzustellen (vgl. [X.], Urteil vom 17. Mai 2019 - 3 O 108/18, juris Rn. 158; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.], 2018, Teil 1 § 2 Rn. 5, 7; [X.] in [X.], [X.], 28. Aufl., § 844 BGB Rn. 32). Zugleich ist nicht ersichtlich, dass die [X.] weitere materielle Schäden ersetzt verlangen könnten.

d) Eine Zurückverweisung der Sache nur zur teilweisen Erneuerung des [X.] scheidet aus (vgl. [X.], Beschlüsse vom 12. November 2019 - 3 [X.] Rn. 7 und vom 14. Dezember 2011 - 5 StR 471/11, [X.]R [X.] § 406 Grundurteil 6 Rn. 4). Vielmehr ist auch im dargelegten Umfang von einer Entscheidung im Adhäsionsverfahren abzusehen (§ 406 Abs. 3 Satz 3 [X.]).

3. Angesichts des geringen Erfolgs der Revision ist es nicht unbillig, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels und den notwendigen Auslagen der Nebenkläger zu belasten (§ 473 Abs. 4 [X.]). Gleiches gilt für die durch das Adhäsionsverfahren entstandenen Kosten und notwendigen Auslagen der [X.] (§ 472a Abs. 2 [X.]). Insoweit war insbesondere zu berücksichtigen, dass Gerichtsgebühren nur nach dem Wert des zuerkannten Anspruchs anfallen und die [X.] durch denselben beigeordneten Rechtsanwalt vertreten werden.

Sost-Scheible     

        

Bender     

        

Quentin

        

Rommel     

        

Scheuß     

        

Meta

4 StR 121/21

13.10.2021

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Siegen, 27. November 2020, Az: 31 Ks 3/20

§ 244 Abs 2 StPO, § 403 StPO, §§ 403ff StPO, § 138 ZPO, § 287 ZPO, § 823 Abs 1 BGB, § 844 Abs 2 BGB, § 844 Abs 3 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13.10.2021, Az. 4 StR 121/21 (REWIS RS 2021, 1911)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 1911

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

1 StR 240/23 (Bundesgerichtshof)

Zulässigkeit von Adhäsionsanträgen auf Hinterbliebenengeld; Erlass eines Grundurteils


4 StR 300/21 (Bundesgerichtshof)

Adhäsionsentscheidung bei Totschlag: Zuerkennung von Hinterbliebengeld bei Nachweis einer tatsächlich gelebten sozialen Beziehung; Bindung an …


3 StR 546/16 (Bundesgerichtshof)

Revision im Strafverfahren: Prüfung der Verfahrensvoraussetzung eines wirksamen Adhäsionsantrages bei Beschränkung der Revision auf den …


6 StR 48/20 (Bundesgerichtshof)

Adhäsionsverfahren bei einem Tötungsdelikt: Voraussetzung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld


4 StR 178/19 (Bundesgerichtshof)

Zulässigkeit von Feststellungen über Höhe eines Adhäsionsanspruchs im Grundurteil


Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.