Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.07.2015, Az. 9 B 17/15

9. Senat | REWIS RS 2015, 7516

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Gegenstand

Gebühr für die Beseitigung des Niederschlagswassers


Leitsatz

Das Äquivalenzprinzip und der Gleichheitssatz fordern in Verbindung miteinander, dass die Benutzungsgebühr nach dem Umfang der Benutzung bemessen wird, also nicht in einem groben Missverhältnis zu der Leistung der Verwaltung steht. Die Gebühren für die Beseitigung des Niederschlagswassers können in Ermangelung eines direkten Zusammenhangs grundsätzlich nur dann nach dem Wasserverbrauch bemessen werden (Frischwassermaßstab), wenn der Anteil der Kosten der Niederschlagswasserbeseitigung an den gesamten Entwässerungskosten geringfügig ist (im Anschluss an bisherige Rechtsprechung).

Gründe

1

Die Beschwerde, die sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache stützt, bleibt ohne Erfolg.

2

Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Frage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Den Darlegungen der Beschwerde lässt sich nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.

3

Die Beschwerde will geklärt wissen,

ob eine Entwässerungsgebührensatzung gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, wenn die Festsetzung der Niederschlagswassergebühren ausschließlich von der Größe der versiegelten Fläche des jeweiligen Grundstücks abhängig gemacht wird und ausschließlich die Grundstückseigentümer als Gebührenschuldner herangezogen werden, deren versiegelte Grundstücksfläche den festgelegten Maßstab überschreitet.

4

Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision schon deshalb nicht, weil sie sich in dem erstrebten Revisionsverfahren so nicht stellen würde. Die Beschwerde geht von einer unzutreffenden Prämisse aus, indem sie unterstellt, nach der einschlägigen landesrechtlichen Gebührenregelung (Entwässerungsgebührenortsgesetz - [X.] - i.d.F. vom 2. Januar 2011, [X.].[X.]. [X.]) würden Gebühren für Niederschlagswasser nur bei Grundstücken mit einer an das öffentliche Kanalsystem angeschlossenen versiegelten Fläche von 1 000 m² oder mehr erhoben, während für Grundstücke mit einer versiegelten Fläche von weniger als 1 000 m² nur eine [X.] zu zahlen sei. Damit verkennt sie, dass die Eigentümer kleinerer Grundstücke, auch soweit sie keinen Antrag auf getrennte Veranlagung stellen (§ 4 Abs. 2 [X.]), nicht die reine [X.], sondern die höhere - einen pauschalen Niederschlagswasserkostenanteil enthaltende - Abwassergebühr zu entrichten haben (§ 3 Abs. 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 Nr. 1 [X.]). Von einer "Doppelbelastung" der Eigentümer größerer Grundstücke kann daher entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht die Rede sein.

5

Unabhängig davon zeigt die Beschwerde einen grundsätzlichen Klärungsbedarf hinsichtlich des Art. 3 Abs. 1 GG nicht auf. Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] vermag die Rüge der Nichtbeachtung von Bundesrecht bei der Anwendung und Auslegung von Landesrecht eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nur dann zu begründen, wenn die Auslegung der - gegenüber dem Landesrecht als korrigierender Maßstab angeführten - bundesrechtlichen Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft; die angeblichen bundesrechtlichen Maßgaben, deren Tragweite und Klärungsbedürftigkeit sowie die Entscheidungserheblichkeit in dem anhängigen Verfahren sind in der Beschwerdebegründung darzulegen (vgl. nur BVerwG, Beschlüsse vom 8. Mai 2008 - 6 [X.] - [X.] 421 Kultur- und Schulwesen Nr. 132 Rn. 5 und vom 13. Mai 2008 - 9 B 19.08 - [X.] 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 107 Rn. 5 m.w.[X.]). Daran fehlt es hier. Der Hinweis der Beschwerde auf eine ersichtlich nicht einschlägige Entscheidung des [X.] (Urteil vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 - NJW 2015, 303 zur Privilegierung des Betriebsvermögens bei der Erbschaftssteuer) kann die Formulierung einer konkreten, aber fallübergreifenden Frage und die Darlegung ihrer Klärungsbedürftigkeit und Entscheidungserheblichkeit nicht ersetzen.

6

Das [X.] hat zudem bereits eingehend zu den Vorgaben Stellung genommen, die sich aus dem Äquivalenzprinzip und dem Gleichheitssatz für die Ausgestaltung des Maßstabes von Entwässerungsgebühren ergeben. Beide Grundsätze fordern danach in Verbindung miteinander, dass die Benutzungsgebühr nach dem Umfang der Benutzung bemessen wird, also nicht in einem groben Missverhältnis zu der Leistung der Verwaltung steht. In Anbetracht des [X.] kann nicht verlangt werden, dass der zweckmäßigste, vernünftigste, gerechteste oder wahrscheinlichste Maßstab angewendet wird. Vielmehr sind Durchbrechungen des Gleichheitssatzes durch Typisierungen und Pauschalierungen zulässig, solange die dadurch entstehende Ungleichbehandlung noch in einem angemessenen Verhältnis zu den erhebungstechnischen Vorteilen der Typisierung steht (s. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 25. März 1985 - 8 B 11.84 - [X.] 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 53 S. 39, vom 19. September 2005 - 10 [X.] 2.05 - juris Rn. 8 und vom 20. September 2007 - 9 [X.] 2.07 - [X.] 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 105 Rn. 5, jeweils m.w.[X.]).

7

Auf der anderen Seite ist allerdings auch geklärt, dass der Grundsatz der Typengerechtigkeit nur auf solche Sachbereiche Anwendung findet, in denen eine ausgeprägt an der [X.] ausgerichtete Gebührengestaltung unproblematisch möglich ist und die Zahl der Ausnahmen, bei denen eine Differenzierung nach der [X.] entfällt, ohne unangemessenen erhebungstechnischen Aufwand gering gehalten werden kann (BVerwG, Beschlüsse vom 11. November 2011 - 9 [X.] - juris Rn. 2 und vom 2. April 2013 - 9 [X.] 4.12 - juris Rn. 2). Um eine solche Gebührengestaltung geht es bei der Anwendung des [X.] auf eine Niederschlagswassergebühr nicht, denn zwischen dem Wasserverbrauch und der Menge des in die Kanalisation eingeleiteten Niederschlagswassers besteht kein direkter Zusammenhang. Daher können die Gebühren für die Beseitigung des Niederschlagswassers im Wesentlichen nur dann wie die [X.]en nach dem Wasserverbrauch bemessen werden, wenn der Anteil der Kosten der Niederschlagswasserbeseitigung an den gesamten Entwässerungskosten geringfügig ist, d.h. nicht mehr als 12 % beträgt (BVerwG, Beschlüsse vom 25. März 1985 - 8 B 11.84 - [X.] 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 53 S. 39 und vom 2. April 2013 - 9 [X.] 4.12 - juris Rn. 2). Ein Vorbehalt ist allenfalls für solche Fallgestaltungen gerechtfertigt, in denen die Umstellung auf einen flächenbezogenen Maßstab ohne unvertretbaren finanziellen Aufwand nicht möglich oder ein besonderer Ausgleich für Benachteiligungen, insbesondere durch eine Gebührendegression für [X.], vorgesehen ist (BVerwG, Beschlüsse vom 13. Mai 2008 - 9 B 19.08 - [X.] 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 107 Rn. 7 und vom 2. April 2013 - 9 [X.] 4.12 - juris Rn. 2).

8

Einen darüber hinausgehenden grundsätzlichen Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde - unbeschadet der vom Senat geteilten Zweifel, ob das Oberverwaltungsgericht die vorbezeichneten Rechtsgrundsätze zutreffend auf den Streitfall angewendet hat - nicht auf. Soweit zwischen den Beteiligten Meinungsverschiedenheiten darüber bestehen, ob die Anwendung eines uneingeschränkt flächenbezogenen Maßstabes für die Niederschlagswassergebühr unter den hier vorliegenden Umständen zu einem unvertretbaren Mehraufwand führen würde, fehlt es an hinreichenden tatsächlichen Feststellungen des [X.]. Rechtsfragen, die sich in einem Revisionsverfahren erst auf der Grundlage weiterer, von der Vorinstanz nicht festgestellter Tatsachen stellen würden, können die Zulassung der Revision regelmäßig - und auch hier - nicht rechtfertigen (stRspr, s. BVerwG, Beschlüsse vom 17. März 2000 - 8 B 287.99 - BVerwGE 111, 61 <62> und vom 11. Juli 2014 - 9 B 58.13 - juris Rn. 11). Das Oberverwaltungsgericht hat zwar angenommen, dass für das umstrittene Gebührenmodell im Hinblick auf die spezifische Siedlungsstruktur in [X.]en "gewichtige Gründe der [X.]" sprächen; eine Ermittlung der konkreten Entwässerungsverhältnisse für jedes einzelne auch der kleineren Grundstücke mit einer an die Kanalisation angeschlossenen Fläche von weniger als 1 000 m² hätte einen deutlich höheren Verwaltungsaufwand zur Folge. In diesem Zusammenhang hat sich das Oberverwaltungsgericht aber nicht mit möglichen Typisierungen bei der Ausgestaltung einer durchgehend flächenbezogenen Niederschlagswassergebühr auseinandergesetzt (vgl. etwa [X.], Urteil vom 29. April 1999 - 23 [X.] - juris Rn. 38 und Beschluss vom 4. August 2014 - 20 ZB 14.576 - ZfW 2015, 20 = juris Rn. 4 m.w.[X.] zum Maßstab eines "Gebietsabflussbeiwertes" im Sinne eines Mittelwertes für den statistisch zu erwartenden Anteil der bebauten und befestigten Flächen an der [X.]) und dazu keine tatsächlichen Feststellungen getroffen. Soweit auf der Grundlage solcher Feststellungen die Erhebung einer separaten Niederschlagswassergebühr keinen unvertretbaren Mehraufwand verursachen und daher bundesrechtlich geboten sein sollte, stehen die betreffenden Rechtsgrundsätze ersichtlich, ohne dass dies in einem Revisionsverfahren geklärt werden müsste, nicht in der Weise zur Disposition des Einzelnen, dass eine verfassungskonforme Gebührenerhebung je nach Grundstücksgröße von einer besonderen Antragstellung des jeweiligen Gebührenschuldners abhängig gemacht werden könnte (vgl. auch [X.], Urteil vom 23. September 2009 - RN 3 K 08.01610 - juris Rn. 44 zum sog. "[X.] Modell").

9

Soweit die Klägerin als Eigentümerin eines Grundstücks mit mehr als 1 000 m² versiegelter Fläche sinngemäß die Teilnichtigkeit der angegriffenen Regelung im Hinblick auf eine unzureichende Trennung von [X.] und Niederschlagswassergebühr für kleinere Grundstücke rügt, stehen wiederum diejenigen Grundsätze fest, nach denen die Teilnichtigkeit einer Norm zu deren Gesamtnichtigkeit führt. Dies ist nach ständiger Rechtsprechung davon abhängig, ob - erstens - die Beschränkung der Nichtigkeit eine mit höherrangigem Recht vereinbare sinnvolle (Rest-) Regelung des [X.] belässt und ob - zweitens - ein entsprechender hypothetischer Wille des [X.] angenommen werden kann (vgl. [X.], Urteile vom 28. Mai 1993 - 2 [X.] u.a. - [X.]E 88, 203 <333> und vom 17. Dezember 2014 - 1 BvL 21/12 - NJW 2015, 303 Rn. 97 ff.; s. zu kommunalabgabenrechtlichen Satzungen auch BVerwG, Beschlüsse vom 28. August 2008 - 9 [X.] - [X.] 401.9 Beiträge Nr. 56 Rn. 13 und vom 13. Januar 2012 - 9 [X.] - [X.] 310 § 88 VwGO Nr. 42 Rn. 5, jeweils m.w.[X.]). Ob das Berufungsgericht aus den anerkannten Rechtsgrundsätzen die richtigen Folgerungen gezogen hat, ist auch in diesem Zusammenhang nicht von allgemeiner Bedeutung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG

Meta

9 B 17/15

28.07.2015

Bundesverwaltungsgericht 9. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, 21. Oktober 2014, Az: 1 A 68/13, Urteil

Art 3 Abs 1 GG, EntwGebOG BR 2012

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 28.07.2015, Az. 9 B 17/15 (REWIS RS 2015, 7516)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 7516

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Festsetzung einer Schmutzwassergebühr


Referenzen
Wird zitiert von

4 A 1352/12

4 A 617/10

Zitiert

1 BvL 21/12

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x

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