Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.10.2003, Az. 1 StR 402/03

1. Strafsenat | REWIS RS 2003, 1194

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[X.]/03vom15. Oktober 2003in der [X.] 2 -Der 1. Strafsenat des [X.] hat am 15. Oktober 2003 gemäߧ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 18. Juni 2003 mit den Feststellungen aufgehoben.Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auchüber die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurge-richt zuständige [X.] des [X.] zurückverwiesen.Gründe:Das [X.] hat die Angeklagte wegen versuchten Totschlags [X.] mit gefährlicher Körperverletzung zur Freiheitsstrafe von vier Jahrenverurteilt. Die Revision der Angeklagten hat mit der Sachbeschwerde Erfolg. I.1. Das [X.] hat festgestellt: Die Angeklagte befand sich in [X.] bei ihrem Freund [X.], dem späterenTatopfer. Dieser richtete eine Sylvesterfeier aus. Zum Jahreswechsel [X.] anderen Gäste vor das Haus, während die Angeklagte sich zurückziehenund etwas hinlegen wollte. Hiermit war [X.] "überhaupt nicht einver-standen". Er fing an zu schimpfen und es entspann sich ein mit Worten ausge-- 3 -tragener Streit. Er schenkte sich schließlich - allein im Wohnzimmer - ein GlasSekt ein, um "nörgelnd alleine zu zechen".Die Angeklagte wollte sich im Schlafzimmer auf die am Boden liegendeMatratze legen. Zuvor entnahm sie einer Küchenschublade ein scharfes [X.] mit einer Klingenlänge von ca. 20 cm, das sie neben sich auf [X.] legte. Aus ihren Erfahrungen der letzten zwölf Jahre, in denen [X.] immer wieder in Streitsituationen - "sogar mit Messern" - gegen-über ihren jeweiligen Lebenspartnern gewalttätig geworden war, wußte die An-geklagte, zu welchem Ergebnis diese Vorbereitung führen könnte. Damit, daß[X.] sie in Ruhe lassen würde, rechnete sie zu diesem Zeitpunkt nichternsthaft. Sie erwartete, daß er wieder zu ihr ins Schlafzimmer kommen würde,um sie zu beschimpfen und um zu streiten. [X.] hatte sie allerdings niegeschlagen; auch jetzt rechnete sie damit nicht. Sie sah allerdings billigendvoraus, daß sie bei einer Eskalation des Streits einen nicht mehr kontrollierba-ren Aggressionsausbruch haben könnte, in dessen Verlauf sie unter [X.] eigens bereit gelegten Messers ihren Freund auch so erheblich verletzenkönnte, daß er stürbe.Schließlich ging [X.] , der über das Verhalten der [X.] wütend war, tatsächlich zu ihr ins Schlafzimmer und trat gegen die [X.]. Er belegte sie mit Schimpfworten und wollte sie jetzt aus der Wohnungwerfen. Durch diese Beschimpfung in Verbindung mit ihrer Alkoholisierung(Blutalkoholkonzentration: 2,11 Promille) kam es bei der Angeklagten, wie vonihr vorhergesehen, zu einem [X.] mit einem aggressivenDurchbruch. Sie geriet in einen Zustand, "in dem sie nicht mehr wußte, was sietat" ([X.]). Sie nahm das Messer auf und stach wild und kraftvoll insgesamtdreimal auf [X.]ein. Zwei Stiche trafen diesen am linken [X.]. [X.] -dritte Stich drang in die Brust [X.] s und durchtrennte zwei Rippen nahedem Brustbein; er traf den rechten Vorhof des Herzens und verletzte diesen.Der Stich war lebensgefährlich. Aufgrund glücklicher Umstände bildete sich [X.], das die Verletzung des rechten Vorhofs des Herzens verstopfte.Deshalb verstarb [X.] nicht alsbald, sondern konnte im Verlauf [X.] durch mehrere Operationen gerettet werden, nachdem dieSchwere der Verletzung schließlich erkannt worden war.Unmittelbar nach der Tat realisierte die Angeklagte, "was sie Schlimmesangerichtet" hatte ([X.]). Sie hockte sich zu ihrem Freund auf den Boden,nahm dessen Kopf auf ihren Schoß und versuchte ihn mit den Worten: "[X.], schrei nicht, es ist nichts passiert, ich liebe dich", zu trösten, bis sie voneinem herbeieilenden Gast ihres Freundes ins Wohnzimmer geschickt wurde.2. Der von der Kammer hinzugezogene psychiatrische Sachverständige,dem diese sich angeschlossen hat, hat ausgeführt, bei der Angeklagten sei seitlangem ein episodischer, exzessiver [X.] festzustellen, der auchin der Vergangenheit immer wieder zu schwersten aggressiven Durchbrüchengeführt habe, die mit Kontrollverlust und partieller Amnesie einhergegangenseien. Es liege eine neurotische Persönlichkeitsstörung vor. Im Laufe [X.], welcher der Tat voraufgegangenen sei, habe sich bei der [X.] affektiver Erregung ein aggressiver [X.] entwickelt, dersich im Moment des [X.] eingestellt habe. Die Fähigkeit zu einsichts-gemäßem Handeln sei zu diesem Zeitpunkt erheblich beeinträchtigt, mögli-cherweise ("nicht ausschließbar") sogar aufgehoben gewesen ([X.]). [X.] indessen nur für den Zeitpunkt des [X.], nicht für den davor lie-genden Zeitraum. Für diesen, also während der [X.] sich noch- 5 -entwickelt habe, könne allerdings eine erhebliche Einschränkung der [X.] nicht ausgeschlossen werden.Die [X.] hat dementsprechend zu Gunsten der Angeklagten an-genommen, daß ihre Steuerungsfähigkeit im Zeitpunkt des [X.] "nichtweiter vorhanden war". Die Angeklagte habe allerdings zuvor noch [X.] sie tat, als sie das Messer eigens aus der Küche geholt und neben sichauf der Matratze bereitgelegt habe.Die [X.] hat die Angeklagte deshalb unter dem [X.] vorverlegten Verantwortlichkeit des versuchten Totschlags in Tateinheit mitgefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen, erheblich verminderteSchuldfähigkeit zum Zeitpunkt des Bereitlegens des Messers angenommenund der Strafbemessung unter Berücksichtigung dieses Umstandes den Straf-rahmen des minder schweren Falles des Totschlags nach § 213 StGB zugrun-degelegt; diesen hat sie nach Versuchsgrundsätzen nochmals gemildert. II.Die Revision ist begründet. Der Schuldspruch hält sachlich-rechtlicherNachprüfung nicht stand.Das [X.] hat die Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktrittsder Angeklagten vom Versuch des Totschlags nicht erörtert (§ 24 Abs. 1 StGB).Dessen hätte es aber bedurft; denn die Angeklagte war ersichtlich nach demdritten Messerstich durch äußere Umstände nicht gehindert, weiter auf ihr Op-fer einzustechen. Auch ein Täter, der nach [X.] schuldunfähig wird [X.] mit natürlichem Vorsatz weiterhandelt, kann grundsätzlich mit straf-befreiender Wirkung vom Versuch zurücktreten ([X.]St 23, 356, 359 zu § 46Nr. 1 StGB aF; [X.]/[X.] § 24 Rdn. 137 ff.). Der [X.] die Frage eines strafbefreienden Rücktritts vom Totschlagsversuch auchnicht selbst zu beantworten, weil die Feststellungen und die Beweiswürdigunghierzu sich als lückenhaft, unklar und deshalb insoweit nicht tragfähig erwei-sen.1. [X.] hätte zunächst die Bewertung erfordert, ob [X.] beendet war; [X.] wäre hier mangels konkreter Rettungsbe-mühungen der Angeklagten ein Rücktritt nicht mehr in Betracht gekommen(§ 24 Abs. 1 Satz 2 StGB). Für die Abgrenzung zwischen beendetem und un-beendetem Versuch ist die Vorstellung des [X.] nach Abschluß der [X.] maßgebend (sog. Rücktrittshorizont). Beendet ist [X.] erst dann, wenn der Täter nach der letzten Ausführungshandlung dietatsächlichen Umstände, die den [X.] - hier also den tödlichen Aus-gang - nahelegen, erkennt oder den [X.] in Verkennung der tatsächli-chen Ungeeignetheit der Handlung für möglich hält. Deshalb kommt es daraufan, ob nach den drei Messerstichen für die Angeklagte erkennbar eine unmit-telbare Lebensgefahr für das Opfer eingetreten war und ob sie mit einem tödli-chen Ausgang rechnete oder nicht. Im ersten Falle hätte die Angeklagte [X.] zur Verhinderung des Erfolges entfalten müssen, um straffrei zu blei-ben; daran fehlte es hier. Im zweiten Falle reichte es, daß sie mit der [X.] innehielt (vgl. nur [X.]St 35, 90, 93; [X.]R StGB § 24 Abs. 1 Satz 1Rücktritt 8; [X.]/[X.] 51. Aufl. § 24 Rdn. 15).Bei dieser gebotenen Bewertung hätte der Tatrichter sich weiter die [X.] vorlegen müssen, ob während des [X.] der Angeklagten deren Ein-sichtsfähigkeit jedenfalls insoweit erhalten war, daß sie eine Vorstellung vonden Folgen ihrer Messerstiche entwickeln konnte. Der [X.] wird- 7 -dazu in der Regel nicht in der Lage sein. [X.] er allerdings sein Handelnbewußt, wird das für ein Wiedererlangen der Einsichtsfähigkeit sprechen (vgl.dazu [X.]/[X.] § 24 Rdn. 138). Die Urteilsgründe deutenhierzu darauf hin, daß die [X.] von einer erhaltenen Einsichtsfähigkeitder Angeklagten ausgegangen ist, aber ihre Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit [X.] ausgeschlossen erachtet hat ([X.]). Allerdings erscheintdie Wortwahl der [X.] insoweit nicht eindeutig. So heißt es im Rahmender Feststellungen, die Angeklagte habe nicht mehr gewußt, was sie tat ([X.]. 9). Der psychiatrische Sachverständige hat auch von "partieller Amnesie"gesprochen ([X.]). Zwischen dem Ausschluß oder der Einschränkung [X.] und der Steuerungsfähigkeit ist indessen genau zuunterscheiden ([X.]St 40, 341, 349; [X.] bei [X.] 1987, 93; [X.]/[X.] 20 Rdn. 3).Hätte die Angeklagte unter Berücksichtigung ihres [X.] und des aggressiven Durchbruchs nach dem dritten Messerstich erfaßt,daß sie ihren Freund lebensgefährlich getroffen hatte und mit dessen Tod [X.], wäre der Versuch beendet gewesen. Da sie nach den bisherigenFeststellungen keine Rettungsbemühungen entfaltet hat, wäre sie dann inso-weit nicht straffrei (hinsichtlich des versuchten Totschlags §§ 212, 22, 23StGB).Die bislang getroffenen Feststellungen zur Frage der Beendigung [X.] sind unklar; die Würdigung setzt sich damit nicht ausein-ander: Einerseits erkannte die Angeklagte, was "sie Schlimmes angerichtethatte" ([X.] unten); andererseits versuchte sie ihren Freund u.a. mit [X.] zu trösten, es sei "nichts passiert" ([X.], 12), und sogar im [X.] wurde der [X.] der Verletzung "zunächst nicht direkt" erkannt ([X.] 8 -S. 17). Allerdings war der dritte Stich mit solcher Wucht geführt, daß zwei Rip-pen des Opfers durchtrennt wurden. All diese Umstände hätten der Bewertungbedurft.2. Sollte die Angeklagte die Lebensgefährlichkeit ihres Handelns nachdem dritten Stich zunächst nicht erkannt haben, käme ein freiwilliger Rücktrittvom unbeendeten [X.] in Betracht. Hier wäre zu prüfen gewesen,aus welchem Grunde die Angeklagte nicht weiter [X.]. Nachdem [X.] sie daran ersichtlich nicht hinderten, könnte es an der [X.] gleichwohl fehlen, wenn willensunabhängige Umstände dieweitere Tatbegehung verhindert hätten. Solche sind bei unwiderstehlichen in-neren Hemmungen angenommen worden, etwa wenn der Täter infolgeSchocks oder seelischen Drucks unfähig zur weiteren Tatbegehung gewordenwar (vgl. [X.]St 9, 48, 53). Allerdings kann freiwilliger Rücktritt dann vorliegen,wenn Mitleid, seelische Erschütterung beim Anblick des bis dahin [X.] oder die Wiederkehr hinreichender Steuerungsfähigkeit nach Affektentla-dung ein willensgesteuertes Innehalten ermöglichen (vgl. zu alledem [X.]St 7,296, 299; 9, 48, 53; 21, 216, 217; 35, 184, 186; [X.]R StGB § 24 Abs. 1 Satz 1Versuch, unbeendeter 18; Freiwilligkeit 21; [X.] NStZ 1992, 536, 537; 1994,428 f.; NJW 1993, 2125, 2126; bei [X.] 1975, 541; vgl. auch [X.]bei [X.] 1952, 531; [X.]/[X.] 24 Rdn. 22 f.).Für die Entscheidung ist die objektive Sachlage nur insoweit von [X.], wie sie Rückschlüsse auf die innere Einstellung des [X.] gestattet([X.] StV 1988, 527). Bleibt offen, ob der Täter von der weiteren Tatausfüh-rung - hier des Totschlags - durch Umstände gehindert war, die von seinemWillen unabhängig waren, so ist nach dem [X.] von der [X.] Rücktritts auszugehen ([X.] bei [X.] 1982, 969; [X.] 1986, 271;- 9 -[X.] StV 1992, 10, 11; [X.], Beschluß vom 20. Januar 1995 - 2 StR 715/94;[X.]/[X.] 24 Rdn. 28).Unter Beachtung dieser Grundsätze hätte die [X.] es unter-nehmen müssen, den Sachverhalt zu klären und dazu Feststellungen zu tref-fen. Sodann wäre die erforderliche rechtliche Würdigung unter dem Gesichts-punkt eines etwaigen freiwilligen strafbefreienden Rücktritts anzustellen gewe-sen. Daran fehlt es.3. Das angefochtene Urteil kann im Schuldspruch und auch im Strafaus-spruch auf dem bezeichneten rechtlichen Mangel beruhen, wenngleich die ver-hängte Strafe auch unter dem alleinigen Gesichtspunkt der gefährlichen Kör-perverletzung als nicht zu hoch erscheinen mag. Der Grundsatz der [X.] steht einer Aufrechterhaltung des Schuldspruchs wegen ge-fährlicher Körperverletzung entgegen (vgl. [X.] 46. Aufl. § 353Rdn. 7).4. Der neue Tatrichter wird zu bedenken haben, daß die Annahme voll-ständig aufgehobener Steuerungsfähigkeit bei einem [X.] nur [X.] in Betracht kommt (vgl. [X.] NStZ 1995, 175, 176 = [X.]RStGB § 20 Affekt 3; [X.] NStZ 1997, 333 f.; siehe auch [X.] StV 1997, 630,631 a.E.; [X.] in [X.]. § 20 Rdn. 58). Er wird überdies zu prüfen ha-ben, ob die Angeklagte in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringenist (§ 63 StGB; vgl. [X.] StV 1999, 309 f.). Das Verschlechterungsverbot hin-dert ihn daran nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO). Die bisherigen Feststellungenkönnen nahelegen, daß die Angeklagte für die Allgemeinheit gefährlich ist, [X.] schon früher unter ähnlichen Bedingungen ihre Partner - auch mit [X.] - attackiert hat und ein Zeuge sie als "tickende Zeitbombe" [X.] hat ([X.] 11).- 10 -Nack Wahl Schluckebier Kolz Elf

Meta

1 StR 402/03

15.10.2003

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.10.2003, Az. 1 StR 402/03 (REWIS RS 2003, 1194)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2003, 1194

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