Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.10.2004, Az. 1 StR 254/04

1. Strafsenat | REWIS RS 2004, 1118

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 254/04
vom 19. Oktober 2004 in der Strafsache gegen

wegen schwerer Körperverletzung
- 2 - Der 1. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 19. Oktober 2004, an der teilgenommen haben: [X.] am [X.] [X.]

und [X.] am [X.] [X.], [X.], [X.]in am [X.] Elf, [X.] am [X.] Dr. [X.],

Bundesanwalt

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt und Rechtsanwältin

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt: - 3 - 1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 1. Dezember 2003 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine andere [X.] des [X.] zurückverwiesen. 2. Die Revision des Angeklagten gegen das oben benannte Urteil wird verworfen. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die hierdurch dem Nebenkläger entstandenen notwendigen Ausla-gen.
Von Rechts wegen

Gründe:
[X.] Das [X.] hat den Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren verur-teilt. An einem Schuldspruch wegen versuchten Totschlags sah sich die [X.] wegen Rücktritts des Angeklagten gehindert. Die Darlegungen hierzu beanstandet die Staatsanwaltschaft unter Erhebung der Sachrüge mit Erfolg. Der Angeklagte rügt ebenfalls die Verletzung materiellen Rechts. Die [X.] habe insbesondere zu Unrecht davon abgesehen, bei dem zur Tatzeit alkoholbedingt nicht ausschließbar erheblich vermindert schuldfähigen Ange-klagten den Strafrahmen gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB herabzusetzen. Der Revision des Angeklagten bleibt der Erfolg versagt. I[X.]
Die [X.] hat festgestellt:

Am Abend des 23. Dezember 2002 begab sich der damals 39jährige An-geklagte nach dem Besuch einer [X.] in [X.] nach [X.]in die ihm vertraute Gaststätte "[X.]" und "nervte" dort die Gäste mit seinen Sprüchen. Mit dem späteren Geschädigten, dem Zeugen [X.]

, den er lange kannte und neben den er sich schließlich gesetzt hatte, unterhielt er sich über alte Zeiten. Dabei - es war inzwischen 23.30 Uhr geworden - bezeichnete der Angeklagte den Zeugen [X.] wegen eines ca. zwanzig Jahre zurückliegen-den Vorfalls in der Jugendgruppe, der beide angehörten, als Verräter, ohne daß der Zeuge [X.] dies jedoch sonderlich ernst nahm. Da der Angeklagte der Aufforderung, damit aufzuhören, nicht nachkam, und stattdessen weiter insistierte, drehte sich [X.] mit den Worten "laß [X.] doch in Ruhe" und mit einer abwehrenden Handbewegung, die das Gesicht des Angeklagten streifte, einfach weg. Über dieses Desinteresse geriet der Angeklagte in Wut. Er nahm [X.] , zunächst noch sitzend, mit dem linken Arm in den "Schwitzkasten", aus dem dieser sich vergeblich [X.] versuchte. Als der Angeklagte im - 5 - Verlauf der Rangelei mit dem Geschädigten im Arm aufstand, fiel - auch - das Weizenbierglas des Angeklagten um und zerbrach. Schließlich zog der Ange-klagte den nach wie vor im "Schwitzkastengriff" gehaltenen, wegen Ausrut-schens kurzzeitig weggesackten Geschädigten mit dem linken Arm unter dem Kinn erneut hoch - dessen [X.] war deshalb gestreckt -, ergriff mit der rechten Hand den scharfkantigen Fuß des zerbrochenen Weizenbierglases und stieß ihm den [X.] von unten mit Wucht vorne in die freie [X.]region. Der Angeklagte fügte dem Zeugen [X.] eine tiefe, 15 cm lange und stark [X.] Stich-Schnittverletzung zu. Dies hätte, obwohl kein großes [X.]gefäß ver-letzt wurde, ohne schnellen Wundverschluß zu einem tödlichen Blutverlust füh-ren können. "Ohne daß er von dem Geschädigten durch Abwehrbewegungen oder durch die anderen Anwesenden oder sonst durch einen Umstand am [X.] Zustechen gehindert worden wäre, stach der Angeklagte nicht mehr auf den Geschädigten ein, sondern ließ den [X.] fallen. Er hielt den [X.] jedoch weiterhin im 'Schwitzkasten', wobei der verletzte [X.]be-reich verdeckt war. Dem Angeklagten war bei der Ausführung des Stiches mit dem [X.] klar, daß er mit dem von ihm geführten Stich in den [X.] den Geschädigten auch tödlich verletzen konnte. Diese Folge nahm er billigend in Kauf. Der Angeklagte, der zwar wußte, daß er den Geschädigten am [X.] ver-letzt hatte, ging jedoch zu diesem Zeitpunkt, als er die Wunde noch nicht sah, nicht davon aus, daß die Verletzung des Geschädigten lebensgefährlich oder gar tödlich war." Von der Wirtin am linken Arm gezogen, ließ der Angeklagte den Geschädigten dann los. Andere Gäste ergriffen erste Hilfsmaßnahmen. Die Wirtin rief den Notarzt. Der Geschädigte wurde ins Krankenhaus verbracht und sofort operiert. Wegen Verletzung der entsprechenden Muskelpartien hat er nach wie vor Schluck- und Sprechbeschwerden. Die Narbe am [X.] wird den Geschädigten dauerhaft entstellen. - 6 -
Im Verlauf des Abends hatte der Angeklagte vier Pils, fünf Gläser [X.] und drei Schnäpse getrunken. Seine Blutalkoholkonzentration betrug zur Tatzeit maximal 2,25 Promille. Der vereinsamte, arbeitslose Angeklagte ist trinkgewohnt. Er, so stellt die [X.] seinen Angaben folgend fest, hat vor der Tat ein bis zweimal wöchentlich - jedoch immer nach der Arbeit - [X.] in größeren Mengen zu sich genommen. Im Zeitraum von 1998 bis 2002 befand er sich [X.] zur Ausnüchterung in Polizeigewahrsam. Nach dem Tatgeschehen hat der Angeklagte seinen Alkoholkonsum einge-schränkt, was ihm, so ließ er sich ein, nicht schwer gefallen sei, da er keinen Alkohol brauche. Die sachverständig beratene [X.] konnte alkoholbe-dingte erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeit-punkt nicht ausschließen. Eine Alkoholabhängigkeit, einen Hang, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, verneint sie. [X.] ist der An-geklagte nicht.

II[X.] 1. Zur Revision der Staatsanwaltschaft: Der Senat verkennt nicht, daß sich die [X.] von dem Bemühen leiten ließ, der Tat und dem Täter bei der Bewertung des Geschehens und ins-besondere im Rechtsfolgenausspruch gerecht zu werden. Die Darlegungen der [X.] zum strafbefreienden Rücktritt des Angeklagten vom [X.] tragen gleichwohl nicht.
- 7 - Zutreffend hat die [X.] für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch und damit für die Voraussetzungen strafbefreienden Rück-tritts gemäß § 24 Abs. 1 1. Alt. StGB - denn zur Rettung des Geschädigten bei-zutragen, hatte der Angeklagte nichts beigetragen (§ 24 Abs. 1 2. Alt. StGB) und sich darum auch nicht bemüht (§ 24 Abs. 2 StGB) - darauf abgestellt, ob der Angeklagte nach der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshand-lung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hielt - sogenann-ter Rücktrittshorizont - (seit [X.]St 31, 170; vgl. [X.]/[X.] StGB 52. Aufl. § 24 Rdn. 15). Das [X.] hat dies verneint. Die [X.] hat dabei nicht verkannt, daß bei dem mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnden Täter Umstände festgestellt werden müssen, welche die Wertung des Gerichts [X.], der Täter habe bei Beendigung der Tathandlung einen tödlichen [X.] nicht (mehr) für möglich gehalten ([X.] - Senat - NStZ 1999, 299). Die Feststellungen hierzu sind jedoch nicht frei von Widersprüchen. Die fehlende Vorstellung des Angeklagten von möglicherweise lebensge-fährlichen Verletzungen nach der Beifügung des Stichs hat die [X.] allein daraus gefolgert, daß der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt die Wunde noch nicht gesehen hatte. Der allein hieraus gezogene Schluß steht aber im Widerspruch zu den Feststellungen der [X.] zum übrigen [X.]. Danach bedurfte es nicht erst eines Blicks auf die Wunde, um beim Ange-klagten das Bewußtsein für die möglicherweise tödlichen Folgen seines dem Geschädigten beigefügten Stichs zu wecken beziehungsweise aufrechtzuerhal-ten. Wenn der Angeklagte - wie die Strafammer festgestellt hat - den Glas-stumpf, gefährlich wie ein Messer, mit Wucht von vorne gegen den von ihm - 8 - gestreckten [X.] des Geschädigten in dem Bewußtsein, diesen mit dem Zuste-chen tödlich verletzen zu können, also mit bedingtem Tötungsvorsatz führte, leuchtet es nicht ein, ist es - jedenfalls ohne weitere Darlegungen - nicht ohne weiteres nachvollziehbar, warum der Angeklagte, nachdem er wie beabsichtigt zielgenau getroffen hatte, mit einer tödlichen Folge seines Stichs nun plötzlich nicht mehr gerechnet haben soll. Nach dem Stich mag der Angeklagte über sich selbst erschrocken sein, möglicherweise hielt er deshalb inne. Er mag [X.] und gehofft haben, daß sein Verhalten doch keine ernsthaften Verlet-zungen zeitigte. Ein möglicher negativer Ausgang stand ihm gerade dann aber klar vor Augen.
Der Blick auf die Wunde und den am Boden liegenden Geschädigten ver-schaffte ihm Gewißheit über die tatsächliche Gefahr. Für die Frage des strafbe-freienden Rücktritts vom [X.] hat dies im vorliegenden Fall aller-dings keine Relevanz mehr. Zu diesem Zeitpunkt war die für die Entscheidung der Frage, ob aus Sicht des Angeklagten ein beendeter oder ein unbeendeter Versuch vorlag, maßgebende Zeitspanne bereits abgelaufen, denn der Ange-klagte hatte keine Angriffsmöglichkeit mehr (vgl. [X.]St 31, 170 [176]; 36, 224 [225]). Der Geschädigte war durch die Umstehenden geschützt. Den Glas-stumpf hatte der Angeklagte gleich nach dem ersten Stich fallen lassen. Auf die Frage der - umgekehrten - "Korrektur des Rücktrittshorizonts" (vgl. [X.] NStZ 1998, 614) kann es deshalb hier nach den bisherigen Feststellungen der [X.] nicht mehr ankommen.
Da neue widerspruchsfreie Feststellungen, die einer Verurteilung wegen versuchten Totschlags entgegenstehen, nicht ausgeschlossen sind, kann der - 9 - Senat den Schuldspruch nicht selbst ändern. Die Sache bedarf daher insge-samt neuer Verhandlung und Entscheidung.

- 10 - 2. Zur Revision des Angeklagten: a) Es mag dahinstehen, ob die Feststellungen des [X.] die An-nahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit tra-gen. Denn dies belastet ihn nicht.
Es ist frei von [X.], daß die [X.] trotz verminderter Schuldfähigkeit davon abgesehen hat, den Strafrahmen gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zu verschieben. Dies steht in Einklang mit Tendenzen der neue-ren Rechtsprechung zur Bewertung zu verantwortender Trunkenheit in diesem Zusammenhang (vgl. [X.] NStZ 2003, 480; [X.]R § 21 Strafrahmenverschie-bung 32; [X.], Beschluß vom 17. August 2004 - 5 [X.] -).
Der Tatrichter entscheidet über die fakultative Strafrahmenverschiebung aufgrund einer Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Gesichtspunkte. Be-ruht die erheblich verminderte Schuldfähigkeit auf zu verantwortender Trun-kenheit, spricht dies allerdings auch ohne einschlägige Vorverurteilungen in der Regel gegen eine Verschiebung des Strafrahmens. Einer umfassenden Darstellung aller in die Abwägung einzubeziehenden Umstände in den schriftli-chen Urteilsgründen bedarf es nur in Ausnahmefällen. Es genügt die Mitteilung der ausschlaggebenden Aspekte. Revisionsrechtlicher Überprüfung ist die Ent-scheidung über die fakultative Strafrahmenverschiebung nur eingeschränkt zugänglich; insoweit steht dem Tatrichter ein weiter Ermessensspielraum zu. Diesen respektiert der Senat.
Die knappe, auf die Mitteilung der wesentlichen Umstände beschränkte Begründung der [X.] zur Ablehnung der fakultativen [X.] - schiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB genügt hier zur revisionsrechtlichen Bewertung, daß ein Ermessensfehlgebrauch auszuschließen ist.
b) Auch im übrigen ergab die sachlichrechtliche Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.

[X.] Kolz [X.]

Elf

[X.]

Meta

1 StR 254/04

19.10.2004

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 19.10.2004, Az. 1 StR 254/04 (REWIS RS 2004, 1118)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2004, 1118

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