Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.10.2015, Az. V ZB 81/15

5. Zivilsenat | REWIS RS 2015, 4537

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Gegenstand

Wiedereinsetzung: Pflicht des unzuständigen Gerichts zur Weiterleitung eines Berufungsschriftsatzes an das Berufungsgericht


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des [X.] wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des [X.] vom 26. März 2015 aufgehoben.

Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gewährt.

Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.], an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Gegenstandswert des [X.] beträgt 2.000 €.

Gründe

I.

1

Das Amtsgericht hat die Klage des [X.] abgewiesen. Das Urteil ist ihm am 2. Mai 2014 zugestellt worden. Am 7. Mai 2014 hat der Kläger mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten bei dem Amtsgericht Berufung eingelegt und zugleich Akteneinsicht beantragt. Auf Verfügung des Amtsrichters ist ihm die Gerichtsakte überlassen worden. Am 4. Juni 2014 hat der Amtsrichter den Prozessbevollmächtigten des [X.] telefonisch darauf hingewiesen, dass das Rechtsmittel beim unzuständigen Gericht eingelegt worden sei. Daraufhin hat dieser am 6. Juni 2014 beim [X.] Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

2

Das [X.] hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

3

Nach Ansicht des Berufungsgerichts war das Amtsgericht aufgrund einer nachwirkenden Fürsorgepflicht zwar gehalten, durch Hinweise oder geeignete Maßnahmen eine Fristversäumung des Rechtsmittelführers zu verhindern. Die Einsichtnahme in die Akten durch den Prozessbevollmächtigten des [X.] habe aber die Fürsorgepflicht unterbrochen. Diesem sei ein für die Fristversäumnis mitursächliches Fehlverhalten vorzuwerfen, da er während der Einsichtnahme in die Akten die ordnungsgemäße Berufungseinlegung nicht überprüft habe.

III.

4

Die nach § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 und 2 Nr. 2 Fall 2 ZPO statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.

5

1. Das Berufungsgericht geht zwar zutreffend davon aus, dass der Kläger die Berufungsfrist (§ 517 ZPO) versäumt hat, weil die Einreichung einer Rechtsmittelschrift bei einem unzuständigen Gericht nicht fristwahrend wirkt und der Schriftsatz vom 6. Juni 2014 nicht innerhalb eines Monats seit Zustellung des erstinstanzlichen Urteils (2. Juni 2014) an das [X.] gelangt ist.

6

2. Dem Kläger ist auf seinen rechtzeitigen Antrag hin jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§§ 233, 234 ZPO).

7

a) Ein Rechtssuchender darf darauf vertrauen, dass ein mit der Sache bereits befasstes Gericht einen bei ihm eingereichten, aber für das Rechtsmittelgericht bestimmten Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang dorthin weiterleiten wird. Geht der Schriftsatz dabei so zeitig ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf die [X.] auch darauf vertrauen, dass er noch fristgerecht bei dem Rechtsmittelgericht eingeht. Geschieht dies tatsächlich nicht, ist der [X.] Wiedereinsetzung in den vorigen Stand unabhängig davon zu gewähren, auf welchen Gründen die fehlerhafte Einreichung beruht (vgl. [X.] 93, 99, 115; Senat, Beschluss vom 28. Juni 2007 - [X.], [X.], 1276, 1277). Hiernach durfte der Kläger darauf vertrauen, dass seine mehr als drei Wochen vor Ablauf der Berufungsfrist bei dem Amtsgericht eingereichte Berufungsschrift an das [X.] weitergeleitet werden und dort rechtzeitig eingehen würde. Das Amtsgericht hatte dem Prozessbevollmächtigten des [X.] zwar unmittelbar nach Übersendung der Berufungsschrift die Akten zur Einsicht übersandt. Dieser hatte sie aber am 21. Mai 2013 und damit etwa eineinhalb Wochen vor Ablauf der Berufungsfrist zurückgereicht. Es war nach dem gewöhnlichen Geschäftsablauf damit zu rechnen, dass die Berufungsschrift innerhalb dieses Zeitraumes an das am selben Ort ansässige Berufungsgericht weitergeleitet und rechtzeitig eingehen würde.

8

b) Die Verpflichtung des Amtsgerichts, den [X.] an das [X.] weiterzuleiten, entfiel entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht deshalb, weil der Prozessbevollmächtigte des [X.] während der Einsichtnahme in die Akten die ordnungsgemäße Berufungseinlegung nicht nochmals überprüft hat. Ob dieser die falsche Adressierung der Berufungsschrift anlässlich der Akteneinsicht erkennen konnte oder tatsächlich erkannt hat, ist unerheblich. Der Rechtssuchende darf darauf vertrauen, dass das mit der Sache befasst gewesene Gericht den bei ihm eingegangenen, aber für das Rechtsmittelgericht bestimmten Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang dorthin weiterleiten wird ([X.] 93, 99, 115). Wer darauf vertrauen darf, dass sein Fehler korrigiert wird, darf dies auch und gerade dann tun, wenn er seinen Fehler bemerkt hat oder hätte bemerken müssen (Senat, Beschluss vom 28. Juni 2007 - [X.], [X.], 1276, 1277 mwN).

Schmidt-Räntsch                       Czub                               Weinland

                              Kazele                     [X.]

Meta

V ZB 81/15

01.10.2015

Bundesgerichtshof 5. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Stralsund, 26. März 2015, Az: 1 S 116/14

§ 233 ZPO, § 234 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.10.2015, Az. V ZB 81/15 (REWIS RS 2015, 4537)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 4537

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3 U 19/19 (Oberlandesgericht Düsseldorf)


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Wird zitiert von

V ZB 81/15

V ZB 71/20

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