Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.07.2010, Az. XII ZB 135/09

12. Zivilsenat | REWIS RS 2010, 4578

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Gegenstand

Beschwerde im Sorgerechtsverfahren: Beginn der Beschwerdefrist mit Verkündung eines Beschlusses


Leitsatz

Durch die Verkündung eines Beschlusses (hier: in einem Verfahren über die elterliche Sorge) wird der Beginn der Beschwerdefrist nach fünf Monaten grundsätzlich dann nicht ausgelöst, wenn der beschwerte Beteiligte zum Termin zur mündlichen Verhandlung nicht ordnungsgemäß geladen worden ist (im Anschluss an BGH, 29. September 1998, KZB 11/98, NJW 1999, 143 und BGH, 7. Juli 2004, XII ZB 12/03, NJW-RR 2004, 1651) . Eine darüber hinausgehende Informationspflicht des beschwerten Beteiligten, der von dem Verfahren Kenntnis erlangt hat, scheidet jedenfalls dann aus, wenn ihm das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht ordnungsgemäß zugestellt worden ist und er sich auch nicht auf das Verfahren eingelassen hat .

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des [X.] wird der Beschluss des 7. Zivilsenats und [X.] des [X.] vom 3. Juli 2009 aufgehoben.

Das Verfahren wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des [X.] - an das [X.] zurückverwiesen.

[X.]: 3.000 €

Gründe

I.

1

Die beteiligten Eltern streiten über das Sorgerecht für ihre am 23. Dezember 2005 geborene Tochter [X.]. Der Vater ist [X.], die Mutter [X.]e.

2

Die mittlerweile geschiedenen Eltern heirateten 2004 und lebten mit dem Kind in [X.]. Nachdem die Mutter im Juli 2006 die Scheidung eingereicht hatte, verließ sie im August 2006 den Vater und zog mit dem Kind nach [X.] zu ihren Eltern.

3

Im September 2006 hat sie beim Amtsgericht [X.] die Übertragung der elterlichen Sorge sowie eine einstweilige Anordnung bezogen auf das Aufenthaltsbestimmungsrecht beantragt. Die [X.] wurden den von der Mutter benannten [X.] Rechtsanwälten des [X.] formlos übersandt. Die vom Amtsgericht erlassene einstweilige Anordnung konnte den Rechtsanwälten des [X.] nicht förmlich zugestellt werden, weil diese das Mandat niedergelegt hatten. Daraufhin hat das Amtsgericht auf Antrag der Mutter die öffentliche Zustellung der einstweiligen Anordnung sowie der Antragsschrift in der Hauptsache bewilligt und zugleich einen Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 28. März 2007 bestimmt. Die Ladung des [X.] ist wiederum öffentlich zugestellt worden. Im [X.] an die mündliche Verhandlung hat das Amtsgericht einen dem Antrag der Mutter entsprechenden Beschluss verkündet und diesen dem Vater wiederum öffentlich zugestellt.

4

Der Vater hat rund zwei Jahre später durch seine neuen Verfahrensbevollmächtigten Akteneinsicht nehmen lassen und sodann gegen den Beschluss Beschwerde eingelegt. Der Vater beruft sich darauf, dass die Beschwerdefrist mangels ordnungsgemäßer Zustellung nicht zu laufen begonnen habe. Die Voraussetzungen für eine öffentliche Zustellung hätten nicht vorgelegen. Die Beschwerdefrist habe auch nicht fünf Monate nach der Verkündung zu laufen begonnen, weil die Ladung zum Termin nicht wirksam zugestellt worden sei.

5

Das [X.] hat die Beschwerde des [X.] wegen Versäumung der Beschwerdefrist verworfen. Dagegen richtet sich die vom Vater eingelegte Rechtsbeschwerde, mit welcher er die Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und Zurückverweisung an das [X.] beantragt.

II.

6

1. Das [X.] ist der Auffassung, die Beschwerdefrist habe gemäß § 517 2. Halbs. ZPO fünf Monate nach der Verkündung zu laufen begonnen und sei daher vor Einlegung der Beschwerde abgelaufen. Die Regelung sei hier anwendbar, weil sich die Form der Bekanntmachung nach § 329 ZPO richte und die nach mündlicher Verhandlung erlassene Entscheidung zu verkünden gewesen sei. Die Verkündung müsse im Interesse der Rechtssicherheit nicht in jeder Hinsicht mangelfrei, sondern lediglich wirksam sein. Eine von der Rechtsprechung zugelassene Ausnahme von der [X.] in § 517 ZPO scheitere daran, dass der Vater jedenfalls Kenntnis von dem Verfahren und daher Anlass gehabt habe, sich um den Fortgang des Verfahrens zu kümmern. Selbst wenn die öffentliche Zustellung der [X.] nicht habe bewilligt werden dürfen, sei der Vater vom Verfahren jedenfalls informiert gewesen, weil er die [X.] und die zugehörigen eidesstattlichen Versicherungen tatsächlich erhalten habe. Diese seien zwar in [X.] abgefasst gewesen, die der Vater nicht beherrsche. Er habe diesen jedoch entnommen, dass es sich um ein die elterliche Sorge betreffendes Verfahren handele. Er sei demnach verpflichtet gewesen, sich zeitnah beim Amtsgericht [X.] nach dem Verfahren zu erkundigen. Damit sei auch der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nicht verletzt. Die internationale Zuständigkeit der [X.] Gerichte sei infolge des zwischenzeitlichen Wechsels des gewöhnlichen Aufenthalts gegeben, zumal der Vater auch keinen Rückführungsantrag gestellt habe. Dass die Mutter die öffentlichen Zustellungen eventuell erschlichen habe, sei nicht ausschlaggebend, weil diesbezüglich die Voraussetzungen des Restitutionsverfahrens vorrangig gelten würden. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand scheitere schließlich an der nicht gewahrten Wiedereinsetzungsfrist.

7

2. Diese Beurteilung hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

8

a) Für das Verfahren ist gemäß Art. 111 Abs. 1 [X.] noch das bis Ende August 2009 geltende Verfahrensrecht anwendbar, weil das Verfahren vor diesem Zeitpunkt eingeleitet worden ist (vgl. Senatsurteil vom 25. November 2009 - [X.] - FamRZ 2010, 192).

9

Die Rechtsbeschwerde ist nach § 621 e Abs. 2, 3 ZPO a.[X.]. § 522 Abs. 1 Satz 3, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig.

b) Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Entgegen der Auffassung des [X.]s ist die Beschwerdefrist nicht in Gang gesetzt worden und war somit bei Einlegung der Beschwerde nicht abgelaufen.

aa) Da der angefochtene Beschluss verkündet worden ist, gilt nach § 621 e Abs. 3 Satz 2 ZPO a.F. die Vorschrift des § 517 2. Halbs. ZPO entsprechend. Danach beginnt mangels wirksamer Zustellung des Beschlusses die einmonatige Beschwerdefrist fünf Monate nach dessen Verkündung zu laufen. Die Verkündung des Beschlusses war zulässig. Nach § 621 a Abs. 1 Satz 2 ZPO a.F. gelten für die Bekanntgabe des amtsgerichtlichen Beschlusses die Vorschriften der Zivilprozessordnung, mithin auch § 329 ZPO. Für die in § 329 ZPO vorgesehene Verkündung genügt es in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, dass eine fakultative mündliche Verhandlung stattgefunden hat (vgl. [X.]/Vollkommer ZPO 28. Aufl. § 329 Rdn. 12). Danach war die Verkündung des Beschlusses zulässig, nachdem das Familiengericht einen Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt und durchgeführt hatte (vgl. Keidel/[X.] Freiwillige Gerichtsbarkeit 15. Aufl. § 16 Rdn. 75 f.).

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist der Beschluss verkündet worden. In dem Sitzungsprotokoll ist niedergelegt, dass "folgender Beschluss" ergehe, daran anschließend ist der [X.] wiedergegeben. Dem ist auch ohne Verwendung des Begriffs eine Verkündung hinreichend deutlich zu entnehmen.

bb) Wie das [X.] bei seiner weiteren Beurteilung nicht verkannt hat, unterliegt die Anwendung des § 517 ZPO jedoch Einschränkungen, die sich aus dem Grundgedanken der Regelung ergeben.

Der Vorschrift des § 517 ZPO (vormals § 516 ZPO) liegt der Gedanke zugrunde, dass eine [X.], die vor Gericht streitig verhandelt hat, mit dem Erlass einer Entscheidung rechnen muss und dass es ihr deshalb zugemutet werden kann, sich danach zu erkundigen, ob und mit welchem Inhalt eine Entscheidung ergangen ist ([X.] Beschluss vom 29. September 1998 - KZB 11/98 - NJW 1999, 143, 144 m.w.N.; Senatsbeschluss vom 7. Juli 2004 - [X.] 12/03 - NJW-RR 2004, 1651, 1652). Eine Erkundigungspflicht scheidet demnach aus, wenn die beschwerte [X.] im anberaumten Termin nicht vertreten und auch nicht ordnungsgemäß geladen worden war ([X.] Beschluss vom 29. September 1998 - KZB 11/98 - NJW 1999, 143, 144 m.w.N.; Senatsbeschluss vom 7. Juli 2004 - [X.] 12/03 - NJW-RR 2004, 1651, 1652).

Das [X.] hat es offen gelassen, ob die vom Amtsgericht angeordneten öffentlichen Zustellungen unzulässig waren. Für das Rechtsbeschwerdeverfahren ist demnach jedenfalls zu unterstellen, dass die Voraussetzungen der öffentlichen Zustellung jeweils nicht vorlagen, sodass es an einer ordnungsgemäßen Ladung des [X.] zum vom Amtsgericht anberaumten Termin fehlt.

cc) Ob darüber hinausgehend die beschwerte [X.] bereits dann eine Erkundigungspflicht trifft, wenn sie nur von der Existenz des Verfahrens Kenntnis erhalten hat, hat der [X.] in der vom [X.] herangezogenen Entscheidung (vgl. [X.] Beschluss vom 1. März 1994 - [X.] - NJW-RR 1994, 1022) offen gelassen und sich im Übrigen für die weitere Voraussetzung der Unkenntnis vom Rechtsstreit auf Rimmelspacher (in: [X.] ZPO 3. Aufl. § 517 Rdn. 1, 18) bezogen. Dieser befürwortet indessen eine auch bei fehlender Ladung eingreifende [X.] eines Beklagten nur dann, wenn diesem die Klageschrift zugestellt wurde oder er sich auf das Verfahren eingelassen hat.

Auch nach dieser Auffassung würde demnach § 517 2. Halbs. ZPO im vorliegenden Fall nicht eingreifen, weil es an einer wirksamen Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks fehlt. Dem Vater als Verfahrensbeteiligten ist das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht zugestellt worden. Mangels einer ordnungsgemäßen Zustellung musste der Vater sich aber auf das Verfahren nicht einlassen. Das entspricht der Rechtslage bei der Anerkennung ausländischer Titel gemäß § 16 a Nr. 2 [X.] a.F. (ebenso § 328 Nr. 2 ZPO und § 109 Abs. 1 Nr. 2 FamFG), welche ausscheidet, wenn einem Beteiligten das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht ordnungsgemäß zugestellt worden ist und er sich zur Hauptsache nicht geäußert hat.

Der vom [X.] vertretenen weitergehenden Auffassung, dass auch die ohne Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks erlangte Kenntnis eine [X.] begründe, kann daher nicht gefolgt werden. Denn diese würde die oben genannte Befugnis des Beteiligten, sich auf das Verfahren nicht einzulassen, in ihr Gegenteil verkehren. Hinzu kommt, dass die Schriftstücke dem Vater auf [X.] übermittelt wurden und dass bei Übersendung der Antragsabschriften auch eine internationale Zuständigkeit der [X.] Gerichte nach Art. 8 Abs. 1 [X.] [X.] noch nicht bestanden haben dürfte. In Anbetracht des fehlenden Einverständnisses des [X.] dürfte durch den Umzug der Mutter mit dem Kind und den zwischenzeitlichen Aufenthalt in [X.]land zum Zeitpunkt der Kenntniserlangung des [X.] von dem Verfahren ein gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes in [X.]land noch nicht ohne weiteres begründet gewesen sein. Auch wenn die internationale Zuständigkeit inzwischen begründet sein dürfte, ist dieser Umstand jedenfalls nicht geeignet, noch nachträglich die vom [X.] angenommene [X.] zu begründen.

dd) Dass der Vater sich mit seinem Rechtsmittel nunmehr auf das Verfahren eingelassen hat, hat schließlich ebenfalls keine Auswirkungen, weil die Beschwerde jedenfalls rechtzeitig eingelegt und begründet worden ist. Einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bedarf es demnach nicht.

3. Der angefochtene Beschluss ist somit aufzuheben und die Sache an das [X.] zurückzuverweisen. Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass es für die Rechtzeitigkeit der Beschwerdeeinlegung und -begründung auf die Wirksamkeit der öffentlichen Zustellung der Anträge vom 13. September 2006 sowie der [X.] an den Vater ankommt.

[X.]                                  Dose

                  [X.]                                [X.]

Meta

XII ZB 135/09

21.07.2010

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Nürnberg, 3. Juli 2009, Az: 7 UF 250/09, Beschluss

§ 517 Halbs 2 ZPO, § 621e Abs 3 S 2 ZPO vom 26.03.2008

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 21.07.2010, Az. XII ZB 135/09 (REWIS RS 2010, 4578)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 4578

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