Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.04.2018, Az. IX ZB 15/16

9. Zivilsenat | REWIS RS 2018, 9951

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Gegenstand

Vollstreckbarerklärung der Entscheidung eines ausländischen Gerichts


Tenor

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 3. Zivilsenats des [X.] vom 16. Februar 2016 wird auf Kosten der Antragstellerin als unzulässig verworfen.

Der Wert des Verfahrens der Rechtsbeschwerde wird auf 8.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin erwirkte am 4. Mai 2009 eine Entscheidung des Stadtgerichts von [X.], [X.], nach welcher der zwischenzeitlich verstorbene Vater der Antragsgegner    S.        (fortan: Erblasser) einen Betrag von 2.500.000 [X.] nebst Zinsen und Kosten an sie zu zahlen hatte. Mit Beschluss vom 9. Januar 2012 ordnete das [X.] an, dass die Entscheidung mit einer Vollstreckungsklausel zu versehen sei. Auf die sofortige Beschwerde des Erblassers hob das [X.] den Beschluss vom 9. Januar 2012 auf und wies den Antrag auf Vollstreckbarerklärung ab, weil die in diesem Verfahren vorgelegte Bescheinigung des Stadtgerichts von [X.] das Datum der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks nicht auswies; dass der Erblasser sich, wie die Antragstellerin behauptet hatte, auf das Verfahren eingelassen hatte, vermochte das Beschwerdegericht nicht festzustellen.

2

Nunmehr beantragt die Antragstellerin erneut, die Entscheidung des Stadtgerichts von [X.] für vollstreckbar zu erklären. Das [X.] hat antragsgemäß entschieden. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegner hat das Beschwerdegericht die Entscheidung des [X.]s aufgehoben und den Antrag abgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde will die Antragstellerin die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde der Antragsgegner erreichen.

II.

3

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO, § 15 [X.], Art. 44 [X.] statthaft (§ 15 Abs. 1 [X.], § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Sie ist jedoch unzulässig. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des [X.] (§ 15 Abs. 1 [X.], § 574 Abs. 2 ZPO).

4

1. Auf das Verfahren ist die Verordnung ([X.]) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 (fortan: [X.] aF) anzuwenden. Diese Verordnung ist in [X.] am 1. März 2002 und in [X.] mit dessen Beitritt zur [X.] am 1. Mai 2004 in [X.] getreten. Das Verfahren, welches dem für vollstreckbar zu erklärenden Titel zugrunde liegt, ist nach dem Inkrafttreten der Verordnung eingeleitet worden (Art. 66 Abs. 1, Art. 76 [X.] aF). Die Verordnung ([X.]) Nr. 1215/2012 des [X.] und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ([X.] Ia-VO) ist hier nicht anwendbar. Sie gilt erst ab dem 10. Januar 2015 (vgl. Art. 81 [X.] Ia-VO) für Verfahren, die am 10. Januar 2015 oder danach eingeleitet worden sind (Art. 66 [X.] Ia-VO).

5

2. Gemäß Art. 45 [X.] aF durfte die Vollstreckbarerklärung nur aus einem der in den Artikeln 34 und 35 aufgeführten Gründe versagt oder aufgehoben werden. Gemäß Art. 34 Nr. 2 [X.] aF wurde eine Entscheidung dann nicht anerkannt, wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hatte, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden war, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, der Beklagte hatte gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung hat das Beschwerdegericht bejaht, ohne dass insoweit ein Zulässigkeitsgrund (§ 574 Abs. 2 ZPO) ersichtlich wäre.

6

a) Ob die notwendigen Förmlichkeiten des Verfahrens eingehalten worden sind, insbesondere ob das verfahrenseinleitende Schriftstück rechtzeitig zugestellt worden ist, war gemäß Art. 54 [X.] aF anhand einer Bescheinigung zu prüfen, welche das Gericht des [X.] unter Verwendung des Formblatts gemäß Anhang V der [X.] aF ausstellte und welche der Antragsteller gemäß Art. 53 Abs. 2 [X.] aF vorzulegen hatte. Eine entsprechende Bescheinigung des Stadtgerichts [X.] vom 21. September 2012 hat die Antragstellerin vorgelegt. Nach dieser Bescheinigung ist dem Erblasser das verfahrenseinleitende Schriftstück am 22. Mai 2009 zugestellt worden.

7

b) Welche Beweiskraft einer Bescheinigung nach Art. 54 [X.]VVO aF zukam, ist im Urteil des [X.] vom 6. September 2012 ([X.]/10, [X.] 2013, 427) hinreichend geklärt worden. Die zuständigen Stellen des [X.] durften im ersten Verfahrensabschnitt nur prüfen, ob die Förmlichkeiten für die Vollstreckbarkeit erfüllt waren (Art. 41 [X.] aF). Im Rechtsbehelfsverfahren hatte dagegen gemäß Art. 45 [X.] aF eine Prüfung der tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen der Art. 34 und 35 [X.] aF zu erfolgen. Insbesondere war die ordnungsgemäße Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks oder eines gleichwertigen Schriftstücks gemäß Art. 34 Nr. 2 [X.] aF zu prüfen. Die Bescheinigung nach Art. 54 [X.] aF schränkte den Umfang der Kontrollbefugnisse des zuständigen Gerichts nicht ein. Dies folgte zum einen daraus, dass für die Ausstellung der Bescheinigung nicht notwendig das Gericht oder die Behörde zuständig war, welches oder welche die zu vollstreckende Entscheidung erlassen hatte; der Bescheinigung kam daher nur die Aussagekraft einer bloßen Auskunft zu ([X.], aaO Rn. 36). Zum anderen enthielt die Bescheinigung nur das Datum der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks, nicht jedoch Angaben über die Modalitäten der Zustellung oder über die Anschrift des Beklagten, die zweckdienlich gewesen wären, um nachzuprüfen, ob sich der Beklagte verteidigen konnte ([X.], aaO Rn. 37). Das Verbot einer Nachprüfung in der Sache galt nach den Art. 36 und 45 Abs. 2 [X.] aF nur hinsichtlich der gerichtlichen Entscheidung des [X.] ([X.], aaO Rn. 34 f), stand also einer umfassenden Nachprüfung der ordnungsgemäßen Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks nicht entgegen.

8

c) In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen hat das Beschwerdegericht geprüft, ob die Bescheinigung vom 21. September 2012 die ordnungsgemäße Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks beweise. Es hat diese Frage verneint, weil das Stadtgericht [X.] in dieser Sache insgesamt drei unterschiedliche Bescheinigungen ausgestellt habe; zudem habe der Erblasser bereits im ersten Verfahren detailliert vorgetragen und urkundlich belegt, dass er seinen Wohnsitz in [X.] bereits Anfang Februar 2009 aufgegeben habe. Verfahrensgrundrechte der Antragstellerin wurden insoweit nicht verletzt. Insbesondere hat das Beschwerdegericht die Urkunde des Stadtgerichts [X.] vom 12. Dezember 2015 zur Kenntnis genommen, in der es heißt, der Punkt 4.4 sei in der früheren Bescheinigung nicht ausgefüllt worden. Eine Divergenz zum Beschluss des [X.] vom 4. Dezember 2013 (5 W 13/13, juris) liegt nicht vor. Das [X.] misst in dieser Entscheidung der Bescheinigung nach § 54 [X.] aF zwar die Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde zu. Das Beschwerdegericht hat eine Anwendung des § 415 ZPO (richtig: § 418 Abs. 1 ZPO) jedoch nicht generell, sondern wegen der drei voneinander abweichenden Bescheinigungen abgelehnt.

9

d) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist das Beschwerdegericht auch nicht von der Rechtsprechung des [X.] zum Beweiswert ausländischer Urkunden abgewichen. Grundsätzlich kommt einer ausländischen öffentlichen Urkunde derselbe Beweiswert zu wie einer [X.] öffentlichen Urkunde ([X.], Beschluss vom 16. Januar 2007 - [X.], NJW-RR 2007, 1006 Rn. 13; BVerwG NVwZ 2010, 1162 Rn. 5; [X.], ZPO, 23. Aufl., § 415 Rn. 17; [X.]/[X.], 5. Aufl., § 415 Rn. 15; Prütting/Gehrlein/[X.], ZPO, 9. Aufl., § 415 Rn. 9; [X.]/[X.], ZPO, 32. Aufl., § 415 Rn. 3). Darauf kommt es nicht an. Das Beschwerdegericht misst der Bescheinigung keine Beweiswirkung bei, weil das Stadtgericht von [X.] in zuvor ausgestellten früheren Bescheinigungen kein Zustellungsdatum ausgewiesen hat. Damit stellt das Beschwerdegericht die Grundsätze zur Beweiswirkung einer ausländischen öffentlichen Urkunde nicht in Frage. Da die Bescheinigung nach Art. 54 [X.] aF keine vor der Behörde oder der [X.] abgegebene Erklärung betrifft, kommt allein eine Anwendung von § 418 ZPO in Betracht. Danach begründet eine von einer Behörde ausgestellte Bescheinigung vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen, sofern das Zeugnis auf der eigenen Wahrnehmung der Behörde oder der [X.] beruht (§ 418 Abs. 1, 3 ZPO). Damit könnte einer Bescheinigung nach Art. 54 [X.] aF hinsichtlich der [X.] und -zeit nur dann eine Beweiswirkung gemäß § 418 ZPO zukommen, wenn das ausstellende Gericht die Zustellung selbst vorgenommen hat. Hierzu haben die Antragsteller keinen Vortrag gehalten.

Eine weitergehende Beweiskraft der Urkunde erfordert eine entsprechende gesetzliche Anordnung (§ 418 Abs. 3 ZPO). Hinsichtlich der Bescheinigung nach Art. 54 [X.] aF fehlt eine solche gesetzliche Anordnung. Diese folgte insbesondere nicht aus den Vorschriften der [X.] aF über das Verfahren der Vollstreckbarerklärung ausländischer Entscheidungen. Nach dem oben zitierten Urteil des [X.] vom 6. September 2012 ([X.]/10, [X.] 2013, 427 Rn. 36) hatte die Bescheinigung nach Art. 54 [X.] aF nur im ersten Abschnitt des Verfahrens Bindungswirkung, in welchem die vorgeschriebenen Förmlichkeiten zu kontrollieren waren ([X.] IPrax 2013, 427 Rn. 28 f). Im zweiten Verfahrensabschnitt vor dem Beschwerdegericht kam der Bescheinigung dagegen lediglich der Beweiswert einer Auskunft zu ([X.], aaO Rn. 36).

3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 17 Abs. 2 [X.], § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO abgesehen.

Kayser     

        

Lohmann     

        

Pape   

        

Schoppmeyer     

        

Meyberg     

        

Meta

IX ZB 15/16

26.04.2018

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend OLG Düsseldorf, 16. Februar 2016, Az: I-3 W 157/15

Art 34 Nr 2 EGV 44/2001, Art 45 Abs 1 EGV 44/2001, Art 54 EGV 44/2001, § 415 ZPO, § 418 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26.04.2018, Az. IX ZB 15/16 (REWIS RS 2018, 9951)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 9951


Verfahrensgang

Der Verfahrensgang wurde anhand in unserer Datenbank vorhandener Rechtsprechung automatisch erkannt. Möglicherweise ist er unvollständig.

Az. IX ZB 15/16

Bundesgerichtshof, IX ZB 15/16, 26.04.2018.


Az. 3 W 157/15

Oberlandesgericht Düsseldorf, 3 W 157/15, 16.02.2016.


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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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Referenzen
Wird zitiert von

IX ZB 58/20

IX ZB 15/16

IX ZB 36/20

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