Bundessozialgericht, Urteil vom 09.12.2016, Az. B 8 SO 14/15 R

8. Senat | REWIS RS 2016, 1021

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Gegenstand

(Sozialgerichtliches Verfahren - Statthaftigkeit der Berufung - Wert des Beschwerdegegenstands - Auslegung einer nicht eindeutigen Urteilsformel - Einbeziehung von Folgebescheiden - analoge Anwendung des § 86 SGG)


Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 15. April 2015 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

1

[X.] ist die Erstattung höherer Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung der Klägerin.

2

Die 1962 geborene Klägerin ist seit 1987 zu einem individuell auf sie abgestimmten Tarif bei der [X.] [X.] privat kranken- und pflegeversichert. Der Beitrag für die private Krankenversicherung, der von der Klägerin gezahlt wurde, betrug ab Januar 2010 700,16 Euro, ab Januar 2011 710,76 Euro monatlich; daneben hat sie monatliche Beiträge zur [X.] Pflegeversicherung entrichtet.

3

Die Klägerin bezieht seit dem [X.] von der Beklagten Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) nach dem [X.] - ([X.]). Nachdem die Beklagte dabei zunächst die Beiträge für die private Krankenversicherung sowie die Beiträge zur [X.] Pflegeversicherung vollständig übernommen hatte, bewilligte sie nach Anhörung der Klägerin für den [X.]raum vom 1. bis 31.12.2010 Grundsicherungsleistungen in Höhe von 1185,65 Euro und berücksichtigte (bei im Übrigen unveränderten Bedarfspositionen) nur noch einen Beitrag zur privaten Krankenversicherung in Höhe von 295,02 Euro (Bescheid vom 24.11.2010; Widerspruchsbescheid vom 12.1.2011). Vor Erlass des Widerspruchsbescheids bewilligte sie für die [X.] vom 1.1. bis 31.12.2011 Grundsicherungsleistungen in Höhe von 1190,65 Euro (erneut) unter Berücksichtigung eines Krankenversicherungsbeitrags in Höhe von nur 295,02 Euro (Bescheid vom 21.12.2010).

4

Das Sozialgericht (SG) [X.] hat den "Bescheid vom 24.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids" abgeändert und die Beklagte verurteilt, "die Kosten der privaten Kranken- und Pflegeversicherung in der Höhe zu übernehmen, wie er sich aus dem Versicherungsschein für die Krankenversicherung vom 23.11.2010 (…)" ergebe (Urteil vom 30.9.2013). Die Berufung der Beklagten hat das [X.] ([X.]) [X.] als unzulässig verworfen, weil der Wert des [X.] mit 405,14 Euro den für eine nicht zugelassene Berufung erforderlichen Beschwerdewert von 750 Euro nicht übersteige. Mit dem Bescheid vom 24.11.2010 sei ausschließlich über Leistungen für den Monat Dezember 2010 entschieden worden. Der Bescheid vom 21.12.2010, der eine Regelung erst für die [X.] ab dem 1.1.2011 enthalte, sei nicht nach § 86 Sozialgerichtsgesetz ([X.]) Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden. Eine analoge Anwendung des § 86 [X.] scheide aus (Urteil vom 15.4.2015).

5

Mit ihrer Revision macht die Beklagte eine Verletzung des § 86 [X.] geltend.

6

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des [X.] aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

7

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 2 [X.]G).

Die Berufung der Beklagten ist nicht zulässig; der Wert des [X.] iS von § 144 Abs 1 Satz 1 [X.] [X.]G übersteigt 750 Euro nicht. Dieser Wert richtet sich danach, wozu das [X.] die Beklagte, die hier allein das Rechtsmittel führt, verurteilt hat. Ausgehend hiervon war die Berufung unzulässig, weil das [X.] über den im Wege der Anfechtungs- und Leistungsklage geltend gemachten Anspruch auf Übernahme höherer Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung (zur Abtrennbarkeit von Ansprüchen auf Übernahme von Beiträgen im Sinne eines eigenen Streitgegenstands vgl B[X.] [X.] 4-3500 § 32 [X.] Rd[X.]1 mwN) nur bezogen auf den Monat Dezember 2010 befunden hat. Es hat allein den Bescheid vom 24.11.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.1.2011 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, "die Kosten der privaten Kranken- und Pflegeversicherung in der Höhe zu übernehmen, wie er sich aus dem Versicherungsschein für die Krankenversicherung vom 23.11.2010" ergebe. Diese aus sich heraus nicht ganz eindeutige Urteilsformel (§ 136 Abs 1 [X.] [X.]G), die nicht ausdrücklich erkennen lässt, für welchen [X.]raum höhere Leistungen zugesprochen werden sollten, war zur Prüfung der [X.] der Berufung notwendigerweise auszulegen. Diese Auslegung, die das L[X.] unterlassen hat, ergibt unter Berücksichtigung von Tatbestand und Entscheidungsgründen (vgl [X.] in [X.]/[X.]/[X.], [X.]G, 11. Aufl 2014, § 136 RdNr 5c mwN), dass das [X.] lediglich für Dezember 2010 weitere Leistungen in Höhe von 405,14 Euro, die Differenz zwischen den von der Klägerin gezahlten und den von der Beklagten bereits übernommenen Beiträgen zur Kranken- und Pflegeversicherung für diesen Monat, zugesprochen hat. Der ausdrücklich genannte Bescheid vom 24.11.2010 regelt nämlich ausschließlich diesen [X.]raum und ist - wovon das L[X.] zutreffend ausgegangen ist - von späteren Bescheiden weder unmittelbar geändert noch ersetzt worden. Allein aus der Bezugnahme auf den Versicherungsschein vom 23.11.2010 im Tenor, der das [X.] betrifft, lässt sich nicht unzweifelhaft schließen, dass das [X.] über Dezember 2010 hinaus, sei es zukunftsoffen, sei es noch über den folgenden Bewilligungsabschnitt, den allerdings nur der Bescheid vom 21.12.2010, nicht aber der Bescheid vom 24.11.2010 regelt, höhere Leistungen zuerkannt hat.

Auf die Frage, ob das [X.] mit einer Beschränkung seiner Entscheidung auf den Monat Dezember 2010 den von der Klägerin an das Gericht herangetragenen Streitgegenstand verkannt hat (vgl § 123 [X.]G), kommt es mangels einer Berufung der Klägerin ebenso wenig an wie auf die vom L[X.] zu Unrecht verneinte Frage, ob der Bescheid vom 21.12.2010 in analoger Anwendung des § 86 [X.]G Gegenstand des Widerspruchs- und auch des Klageverfahrens geworden ist. Es besteht allerdings keine Veranlassung zu einer Änderung der Rechtsprechung, wonach Bewilligungsbescheide, die vor Erlass des Widerspruchsbescheids ergehen und Folgezeiträume betreffen, in entsprechender Anwendung des § 86 [X.]G Gegenstand des Widerspruchsverfahrens werden (Urteil vom 14.4.2011 - [X.] [X.] 12/09 R - Rd[X.]1, insoweit in B[X.]E 108, 123 ff = [X.] 4-3500 § 82 [X.] nicht abgedruckt; B[X.]E 115, 158 ff RdNr 9 = [X.] 4-2500 § 186 [X.]; Urteil vom 17.6.2008 - [X.] AY 11/07 R - Rd[X.]0). Entscheidender Unterschied zu § 96 [X.]G, der seit [X.] nicht mehr analog auf Folgebescheide für spätere Bewilligungszeiträume anwendbar ist, bleibt auch für [X.]räume seit dessen Änderung mit Wirkung vom [X.] durch das Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes (vom [X.] - BGBl I 444), dass bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids die Verwaltung das Verfahren in der Hand behält und damit ohne Weiteres alle bis zum Erlass des Widerspruchsbescheids ergangenen Bewilligungen überprüfen kann. Mit der Änderung des § 96 [X.]G ist zudem dessen Anwendungsbereich - und damit das Verbot einer analogen Anwendung für nicht abändernde bzw nicht ersetzende Bescheide - ausdrücklich nur auf die [X.] nach Erlass des Widerspruchsbescheids erstreckt worden (dazu [X.], [X.]); es kommt in der Neuregelung des § 96 [X.]G und den Materialien dazu gerade nicht zum Ausdruck, dass das von der Rechtsprechung des B[X.] entwickelte Verständnis des unverändert gebliebenen § 86 [X.]G ebenfalls korrigiert werden sollte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 [X.]G.

Meta

B 8 SO 14/15 R

09.12.2016

Bundessozialgericht 8. Senat

Urteil

Sachgebiet: SO

vorgehend SG Hamburg, 30. September 2013, Az: S 52 SO 52/11, Urteil

§ 144 Abs 1 S 1 Nr 1 SGG, § 86 SGG, § 96 Abs 1 SGG, § 136 Abs 1 Nr 4 SGG

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Urteil vom 09.12.2016, Az. B 8 SO 14/15 R (REWIS RS 2016, 1021)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 1021

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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