Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.03.2012, Az. VIII ZR 113/11

VIII. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 8182

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
V[X.] [X.]
Verkündet am:

14. März 2012

Ermel,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
ja
[X.]R:
ja
BGB § 157 D Ga
Eine infolge der Unwirksamkeit einer formularmäßig vereinbarten [X.] nach §
307 BGB entstehende planwidrige Regelungslücke in ei-nem Energieversorgungsvertrag mit einem (Norm-)Sonderkunden kann im We-ge der ergänzenden Vertragsauslegung (§§
157, 133 BGB) dahingehend [X.] werden, dass der Kunde die Unwirksamkeit derjenigen [X.], die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis füh-ren, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang
der jeweiligen Jahresrechnung, in der die Preis-erhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat.
[X.], Urteil vom 14. März 2012 -
V[X.] [X.] -
LG [X.]

[X.]

-
2 -
Der V[X.].
Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 14. Dezember 2011 durch den Vorsitzenden [X.], [X.]
Frellesen, die Richterin Dr.
Hessel sowie [X.]
[X.] und Dr.
Schneider
für Recht erkannt:
Auf die Revision der [X.] wird das Urteil der 10. Zivilkammer
des Landgerichts [X.] vom 9. Februar 2011 aufgehoben, soweit zum Nachteil der [X.] erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:
Der Kläger verlangt von der [X.], einem regionalen Gasversor-gungsunternehmen, welches den Kläger leitungsgebunden mit Erdgas versorg-nsen und die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren aufgrund unwirksamer Gaspreisanpassungen im Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis zum 30. September 2008. Die [X.]en schlossen am 7. April/1. Juni 1981 rückwirkend zum [X.] 1981 einen vorformulierten [X.] (Gasversorgungs-Sondervertrag). Als Arbeitspreis waren 4,2 Pf/kWh netto vereinbart, als [X.]

-
3 -
preis 36,40 DM/Monat netto. §
2 des Vertrages sieht vor, dass sich der [X.] ändert, wenn eine Änderung der allgemeinen Tarife der [X.] eintritt.
Nach §
5 Ziffer 1 kann der Vertrag erstmals nach Ablauf von 24 Monaten und danach jeweils mit einer Frist von drei Monaten zum Ende eines [X.] schriftlich gekündigt werden.
Die Beklagte änderte aufgrund der
Preisanpassungsklausel wiederholt ihre Preise. Der Kläger widersprach den Preisänderungen nicht. Zum 1. Okto-ber 2008 kündigte er den Vertrag und wechselte zu einem anderen Anbieter. Mit Schreiben vom 21. Februar 2009 beanstandete der Kläger die [X.] der [X.] und forderte die gezahlten [X.] zurück.
Er hat, ausgehend von dem ursprünglich vereinbarten Arbeitspreis in Höhe von 2,15 ct/kWh (4,2
Pf/kWh), den Rückforderungsanspruch mit 2.621,54

u-fungsgericht hat auf die Berufung des [X.] die Beklagte zur Rückzahlung n ver-urteilt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die [X.] die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im We-sentlichen ausgeführt:
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5
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-
4 -
Dem Kläger stehe ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zu. Im Zeitraum vom
1. Januar 2006 bis 30. September 2009 habe der Kläger für die Gaslieferungen der [X.] le-diglich eizu entrichten gehabt.
Das vertragliche Preisänderungsrecht in § 2 des [X.] sei
-
was die Beklagte nicht in Abrede stelle
-
gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam, da die Klausel hinsichtlich des Umfangs der Preisänderung nicht klar und ver-ständlich sei und die Kunden deswegen unangemessen benachteilige. Ein ein-seitiges Preisanpassungsrecht der [X.] ergebe sich auch nicht aus einem Rückgriff auf die [X.] beziehungsweise die [X.], denn §
2 des [X.] enthalte eine ausdrückliche und abschließende Vereinbarung über die Preisanpassung.
Ein Anspruch der [X.] auf das erhöhte Entgelt folge auch nicht aus einer konkludenten vertraglichen Änderung des Gaspreises. Bei einer
einseiti-gen Erhöhung von Gaspreisen des Gasversorgers gegenüber Sonderkunden werde der Gaspreis auch dann nicht zum vereinbarten Preis, wenn der Kunde auf die ihm individuell bekannt gegebene Preiserhöhung weiterhin wider-spruchslos Gas beziehe. Beide [X.]en handelten insoweit in dem Bewusst-sein, die Erhöhungen des [X.] seien von dem vertraglichen Preisan-passungsrecht gedeckt, so dass dem Verhalten des [X.] nicht entnommen werden könne, er würde die Änderungen auch bei einer Unwirksamkeit des
ver-traglichen Preisänderungsrechts akzeptieren.
Ein Recht der [X.] zur einseitigen Preisänderung ergebe sich auch nicht durch ergänzende Vertragsauslegung gemäß §§ 133, 157 BGB. Eine sol-che komme nur in Betracht, wenn sich die mit dem Wegfall einer unwirksamen 7
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5 -
Klausel entstehende Lücke nicht durch [X.] Gesetzesrecht füllen lasse und dies zu einem Ergebnis führe, das den beiderseitigen Interessen nicht mehr in vertretbarer Weise Rechnung trage, sondern das Vertragsgefüge völlig ein-seitig zugunsten des Kunden verschiebe. Dies könne hier nicht festgestellt wer-den.
Der Vertrag sei auch nicht nach §
306 Abs.
3 BGB unwirksam. Denn ebenso wenig wie eine einseitige Vertragsverschiebung könne eine unzumutba-re Härte für die Beklagte durch das Festhalten an dem Vertrag festgestellt wer-den.
Dem Rückzahlungsanspruch stehe auch nicht der Einwand der Verwir-kung oder ein sonstiger Verstoß gegen [X.] und Glauben entgegen. Insoweit fehle es bereits am erforderlichen Zeitmoment, denn hierfür sei auf den
Zeit-punkt der Kenntnis von der Unwirksamkeit des vertraglich vereinbarten Preis-änderungsrechts abzustellen.
Unter Zugrundelegung der Verbrauchszahlen ergebe sich -
entgegen der Berechnung des [X.]
-
indes nur ein Rückforderungsanspruch in Höhe von

II.
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht in allen Punkten stand. Zu Recht geht das Berufungsgericht zwar davon aus, dass dem Kläger dem Grunde nach ein Anspruch aus §
812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB auf Rück-zahlung der aufgrund der unwirksamen Gaspreiserhöhungen für den Zeitraum von Januar 2006 bis September 2008 gezahlten [X.] zusteht. Das Berufungsgericht hat aber der Berechnung des Rückforderungsanspruchs 11
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6 -
rechtsfehlerhaft
den im Jahre 1981 vereinbarten [X.] von 4,2 Pf/kWh
(2,15 ct/kWh) zugrunde gelegt.
1. Das Berufungsgericht ist im [X.] an das Senatsurteil vom 17.
Dezember 2008 ([X.], [X.]Z 179, 186 ff.) zutreffend vom Vorlie-gen eines (Norm-)[X.] und von der Unwirksamkeit des in diesem Vertrag vorgesehenen Preisänderungsrechts der [X.] ausgegan-gen. Gegen diese rechtliche Bewertung wendet sich die Revision nicht.
2. Das Berufungsgericht hat auch mit Recht angenommen, dass weder in der Zahlung der Abrechnungen noch
in dem Weiterbezug von Gas nach [X.] der Preiserhöhungen eine konkludente Zustimmung des [X.] zur Erhöhung der Gaspreise liegt.
Eine Vertragsänderung bedarf entsprechender übereinstimmender Wil-lenserklärungen der vertragsschließenden [X.]en. Hier fehlt es schon an ei-nem entsprechenden Vertragsangebot der [X.]. Aus der maßgeblichen Sicht des Kunden lässt sich der Übersendung einer Jahresabrechnung, die ein-seitig erhöhte Preise ausweist, nicht der Wille des Versorgungsunternehmens entnehmen, eine Änderung des Gaslieferungsvertrages hinsichtlich des verein-barten Preises herbeizuführen (vgl. Senatsurteil vom 14. Juli 2010 -
V[X.]
ZR 246/08, [X.]Z 186, 180 Rn. 57 mwN).
Entgegen der Auffassung der Revision ändert sich diese Beurteilung nicht
dadurch, dass die Beklagte die Änderungen ihrer Preise nicht nur öffent-lich bekannt gab, sondern allen Kunden -
und damit auch dem Kläger
-
in indi-viduellen Schreiben ankündigte. Denn nach dem eigenen Vortrag der [X.] hat sie Preiserhöhungen dem Kläger lediglich bekannt gemacht. Dass hierin ein -
von dem Kläger auch ablehnbares
-
Angebot zur einvernehmlichen Ver-tragsanpassung liegen kann, ist für einen objektiven Empfänger (§§
133, 157 15
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-
7 -
BGB) nicht ersichtlich. Aus der Sicht des Kunden stellte sich die Mitteilung der [X.] vielmehr als Ausübung des vertraglich geregelten einseitigen [X.] dar und nicht als Angebot, den Preis einvernehmlich zu ändern.
3.
Da die Preisänderungsklausel unwirksam ist, hat der Kläger dem Grunde nach einen Anspruch aus §
812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB auf Rückzah-lung der aufgrund der unwirksamen Gaspreiserhöhungen für den Zeitraum von Januar 2006 bis September 2008 gezahlten [X.]. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist der Berechnung des Anspruchs jedoch nicht der bei Vertragsschluss geschuldete Anfangspreis zugrunde zu legen.
Dies ergibt sich aus einer
ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 157, 133 BGB) des [X.], deren Voraussetzungen das Berufungsgericht zu Unrecht verneint hat und die dazu führt, dass sich der Kläger
nicht darauf beru-fen kann, für den genannten Zeitraum nur den ursprünglich vereinbarten [X.] mit Rechtsgrund geleistet zu haben.
Beide [X.]en waren sich bei Vertragsschluss einig, dass der [X.] (Anfangs-)Preis
nur zu Beginn des [X.]ses gelten
und bei späteren Änderungen der allgemeinen Tarife
ein anderer Preis geschuldet sein sollte. Denn die Aufnahme eines Preisänderungsrechts zeigt den Willen der [X.]en, dass der Kunde -
und nicht das Versorgungsunternehmen
-
Preisän-derungen tragen soll, die etwa auf Veränderungen der Brennstoffbezugskosten oder der Lohn-
und Materialkosten zurückgehen. Aus der Aufnahme einer Preisänderungsklausel bei Vertragsschluss wird deutlich, dass sich die [X.]en von dem lebensnahen Bewusstsein haben leiten lassen, dass Preisänderungen im Laufe des auf unbestimmte Zeit angelegten Bezugsverhältnisses zu erwar-ten sind und deshalb der Gefahr einer zukünftigen Äquivalenzstörung in ange-messener Weise zu begegnen ist. Da die
von den [X.]en
vereinbarte Preis-19
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-
8 -
änderungsklausel
der Inhaltskontrolle nach § 307 BGB (Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB)
nicht standhält, ist daher im
Regelungsplan der [X.]en eine Lücke eingetreten (vgl. Senatsurteile
vom 1. Februar 1984 -
V[X.]
ZR 54/83, [X.]Z 90, 69, 74, und [X.], juris Rn.
27).
Diese Lücke im Vertrag ist im Wege einer ergänzenden Vertragsausle-gung gemäß §§ 157, 133 BGB in der Weise zu schließen, dass der Kläger die Unwirksamkeit derjenigen Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten [X.] übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat.
a) Zwar hat der Senat in Fällen, in denen
auf Feststellung der [X.] bestimmter Preiserhöhungen gerichtete Klagen
von (Norm-)Sonder-kunden Erfolg hatten, die Voraussetzungen einer ergänzenden Vertragsausle-gung
mit dem Ziel der Ersetzung einer unwirksamen Preisanpassungsklausel durch eine wirksame Klausel
als nicht erfüllt angesehen
(vgl. Senatsurteile vom 9.
Februar 2011 -
V[X.]
ZR 295/09, NJW 2011, 1342 Rn. 38 f.; vom 13. Januar 2010 -
V[X.]
ZR 81/08, NJW-RR 2010, 1202 Rn. 27; jeweils mwN). Diese
Fälle waren
aber dadurch gekennzeichnet, dass das
Energieversorgungsunterneh-men es selbst in der Hand
hatte, einer nach Widerspruch oder Vorbehaltszah-lung des Kunden zukünftig drohenden unbefriedigenden Erlössituation durch Ausübung des ihm vertraglich eingeräumten Kündigungsrechts in zumutbarer Weise zu begegnen.
Offen gelassen hat der Senat
die -
im Streitfall entscheidungserhebliche
-
Frage, ob eine nicht mehr hinnehmbare Störung des Vertragsgefüges dann an-zunehmen ist, wenn
es sich um ein langjähriges Gasversorgungsverhältnis 21
22
23

-
9 -
handelt, der betroffene Kunde den Preiserhöhungen und den darauf basieren-den Jahresabrechnungen über einen längeren Zeitraum nicht widersprochen hat und nunmehr auch für länger zurück liegende Zeitabschnitte die [X.] der Preiserhöhungen geltend macht (Senatsurteil vom 14. Juli 2010 -
V[X.]
ZR 246/08, aaO Rn. 52). Das
ist zu bejahen.
In diesen Fällen vermag die vertraglich vorgesehene, nur in die Zukunft wirkende
Kündigungsmöglichkeit des Energieversorgungsunternehmens die Regelungslücke im Vertrag
nicht in einer für beide Seiten zumutbaren Weise zu schließen. Denn
bevor der Kunde Widerspruch erhob oder Zahlungen nur noch unter Vorbehalt leistete, hatte das Energieversorgungsunternehmen
keinen Anlass, das bis dahin praktizierte Gleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung in Frage gestellt zu sehen und dementsprechend das [X.] zu kündigen.

b) Die ergänzende Vertragsauslegung hat sich nicht nur an dem hypo-thetischen [X.]willen, sondern auch an dem objektiven Maßstab von [X.] und Glauben zu orientieren
und muss zu einer die beiderseitigen Interessen ange-messen berücksichtigenden Regelung führen (Senatsurteile vom 1. Februar 1984 -
V[X.]
ZR 54/83, aaO [X.], und [X.], aaO Rn.
33).
Bereits des-halb kommt es nicht in Betracht, an die Stelle der unwirksamen, weil den [X.] des Klauselverwenders im Sinne des §
307 BGB unangemessen benachteiligenden Preisänderungsklausel im Wege der ergänzenden Vertrags-auslegung eine (wirksame)
Bestimmung gleichen Inhalts zu setzen. Auch wi-derspräche
dies
im Ergebnis dem in der Rechtsprechung des [X.] seit langem anerkannten Verbot der geltungserhaltenden Reduktion unan-gemessener Allgemeiner Geschäftsbedingungen (vgl.
Senatsurteil vom 3. No-vember 1999 -
V[X.]
ZR 269/98, [X.]Z 143, 103, 118 f. mwN). Es geht vielmehr darum
zu ermitteln, was die [X.]en bei einer angemessenen, objektiv-generalisierenden Abwägung ihrer Interessen nach [X.] und Glauben redli-cherweise vereinbart hätten, wenn sie bedacht hätten, dass die Wirksamkeit der 24

-
10 -
verwendeten Preisänderungsklausel jedenfalls unsicher war (vgl. Senatsurteile vom 1. Februar 1984 -
V[X.]
ZR 54/83, aaO S. 75; vom 12. Juli 1989 -
V[X.]
ZR 297/88, NJW 1990, 115
unter [X.] 1 c).

c) Nach Ansicht des Senats ist ein in diesem Sinne angemessener Inter-essenausgleich dadurch zu erzielen, dass der Kunde die Unwirksamkeit derje-nigen Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis überstei-genden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrech-nung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat.
aa) Bei langfristigen Vertragsverhältnissen, insbesondere solchen, die auf Leistungsaustausch gerichtet sind, besteht ein anerkennenswertes Bedürf-nis, das bei Vertragsschluss bestehende Verhältnis von Leistung und Gegen-leistung über die gesamte Vertragsdauer im Gleichgewicht zu halten (vgl. Se-natsurteile vom 1. Februar 1984 -
V[X.]
ZR 106/83, aaO
Rn.
32; vom 16. Januar 1985 -
V[X.]
ZR 153/83, [X.]Z 93, 252, 258).
Diesem Bedürfnis liefe es zuwider, wenn bei einem [X.] mit langer Laufzeit die Unwirksamkeit der Preiserhöhungen rückwirkend ohne zeitliche Begrenzung geltend gemacht werden könnte. Denn dies hätte zur Folge, dass der Energieversorger ohne Rücksicht auf Schwankungen seiner eigenen Bezugspreise für die gesamte Vertragslaufzeit nur den ursprünglich vereinbarten Preis beanspruchen könnte. Angesichts der Entwicklung der Energiepreise entstünde dadurch bei langfristi-gen Versorgungsverträgen regelmäßig ein gravierendes Ungleichgewicht von Leistung und Gegenleistung. Dies wäre unbillig und würde dem Kunden einen unverhofften und ungerechtfertigten
Gewinn verschaffen
(vgl. Senatsurteile vom 1. Februar 1984 -
V[X.]
ZR 54/83, aaO S. 77 f., und [X.], aaO; vom 25
26

-
11 -
12.
Juli 1989 -
V[X.]
ZR 297/88, aaO unter [X.], [X.]). Dies entspräche auch nicht dem objektiv zu ermittelnden hypothetischen [X.]willen.

bb) Bei der Beurteilung, welche Regelung als angemessener Interessen-ausgleich anzusehen ist, darf auch der mit dem Energiewirtschaftsrecht verfolg-te Zweck einer möglichst sicheren und preisgünstigen Energieversorgung (§
1 [X.]) nicht unberücksichtigt bleiben (vgl. Senatsurteil vom 2. Oktober 1991 -
V[X.]
ZR 240/90, NJW-RR 1992, 183 unter [X.] 2 a; [X.], [X.], 2003, §
1 Rn.
56). Zwar wurde er erstmals durch das [X.] vom 24. April 1998 ([X.] I S. 730) in den Gesetzestext
selbst aufgenommen. Er war jedoch auch
schon
in der Präambel des davor geltenden Energiewirt-schaftsgesetzes (in der im Bundesgesetzblatt Teil [X.], Gliederungsnummer 752-1, veröffentlichten bereinigten Fassung)
enthalten und konnte bereits damals für die Auslegung des Energierechts herangezogen werden ([X.], aaO Rn. 4; [X.], Strompreise zwischen Privatautonomie und staatlicher Kontrol-le, 2003, S. 9 f.; [X.]/[X.]/[X.], Energierecht, 2. Aufl., [X.]).
Das Ziel der Preisgünstigkeit ist nicht nur auf die möglichst billige Ener-gieversorgung der Endkunden ausgerichtet. Zu berücksichtigen sind zugleich die insbesondere durch die Kostenstruktur geprägte individuelle Leistungsfähig-keit der Versorgungsunternehmen sowie die Notwendigkeit, die Investitionskraft und die Investitionsbereitschaft
zu erhalten und angemessene Erträge zu er-wirtschaften ([X.]/[X.], Energierecht, Stand 2011, §
1 [X.] Rn. 19; [X.]/[X.], [X.], 2. Aufl., § 1 Rn. 28; vgl. [X.], aaO S. 30). Insofern wurde im Recht der Energielieferung stets vorausgesetzt, dass die Möglichkeit des Versorgers besteht, Änderungen der [X.], ohne den mit dem Kunden bestehenden Versorgungsvertrag kündigen zu müssen (vgl. [X.]. 77/79, [X.] [für die [X.]];
Senatsurteile vom 15.
Juli 2009 -
V[X.]
ZR 56/08, [X.]Z 182, 41 Rn. 24, und V[X.] ZR 225/07, [X.]Z 27
28

-
12 -
182, 59 Rn. 22; vom 24. März 2010 -
V[X.]
ZR 178/08, [X.]Z 185, 96 Rn. 27,
und V[X.] ZR 304/08, NJW 2010, 2793 Rn. 34).
Dass das Energieversorgungsunternehmen die Möglichkeit hat, Kosten-steigerungen weiterzugeben, dient daneben auch dem Zweck der Versor-gungssicherheit (vgl. [X.]/[X.], aaO Rn. 7 und 26). Denn diese betrifft nicht nur die technische Sicherheit der Energieversorgung und die Sicherstel-lung einer mengenmäßig stets ausreichenden Versorgung der Abnehmer ([X.]. 806/96, [X.]; [X.], aaO S. 29). Sie hat vielmehr insoweit auch einen ökonomischen Aspekt, als die nötigen Finanzmittel für die Unterhaltung von Reservekapazitäten, für Wartungsarbeiten, Reparaturen, Erneuerungs-
und Ersatzinvestitionen bereit stehen müssen ([X.]/[X.], aaO Rn.
26; [X.], [X.], 2006, § 1 Rn. 27). Das wiederum setzt voraus, dass [X.] Mittel durch auskömmliche Versorgungsentgelte erwirtschaftet werden [X.].
cc) Die Rückforderung bereits gezahlter Entgelte durch den Kunden be-rührt die genannten
Zielsetzungen
des [X.], da hierdurch dem Versorger im Nachhinein die Möglichkeit genommen wird, [X.] an den Kunden weiterzugeben, ohne dass er sich einer möglichen [X.] durch eine Kündigung des [X.] entziehen kann, zu der er bei einem zeitnahen Widerspruch des Kunden Anlass gehabt hätte. Die [X.]en hätten daher, wenn sie erkannt hätten, dass die Wirksamkeit
der vereinbarten Preisanpassungsklausel
unsicher war, jedenfalls eine Regelung vereinbart, nach der es ausgeschlossen ist, nach einem längeren Zeitraum die Unwirksamkeit von Preisanpassungen geltend zu machen, die zuvor nicht in Frage gestellt worden sind.

29
30

-
13 -
dd) Die Bestimmung einer Frist, innerhalb derer der Kunde die Preiser-höhung beanstanden muss, um sich auf ihre Unwirksamkeit berufen zu können, trägt den Interessen beider [X.]en Rechnung. Ein Gasliefervertrag ist ein Dauerschuldverhältnis, bei dem ein besonderes Bedürfnis danach besteht, dass gegenseitige Ansprüche zeitnah geltend gemacht werden und sich nicht durch verspätete Geltendmachung aufsummieren (vgl. Senatsurteil vom 26. April 1989 -
V[X.] ZR 12/88, [X.], 1023 unter [X.] 5 a bb; vgl. für die Energiever-sorger die Abrechnungsfrist in §
40 Abs. 2 [X.]). Zudem handelt es sich um ein Schuldverhältnis mit einer Vielzahl von Kunden und damit auch einer [X.], die [X.] aufeinander aufbauen. Die in diesen Jahresabrechnungen enthaltenen Preiserhöhungen dürfen daher nicht unvertretbar lange mit Unsicherheiten behaftet sein. Es ist vielmehr erforderlich, dass die sich für beide Seiten stellende Frage, ob eine bestimmte Preiserhö-hung Bestand hat oder nicht, ohne größere praktische Schwierigkeiten beant-wortet werden kann. Damit wird dem Versorger eine verlässliche Basis für seine (Kosten-)Kalkulationen geschaffen, während der Verbraucher weiß, mit welchen Kosten er zu rechnen hat, um hiernach sein Verbrauchsverhalten und gegebe-nenfalls auch die Wahl des Energieversorgers auszurichten.
ee) Ein Interessenausgleich, der die Geltendmachung von Rechten von der Reaktion einer [X.] innerhalb gewisser Fristen abhängig macht, ist im Energierecht auch sonst verschiedentlich vorgesehen, so dass es nahe liegt, sich
an diesen
Vorbildern
auch für die hier im Wege ergänzender Vertragsaus-legung vorzunehmende Lückenschließung zu orientieren. Das gilt namentlich für die -
zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im Tarifkundenbereich geltende
-
[X.], die in besonderer Weise darauf abzielt, den mit der Leitungsgebun-denheit zusammenhängenden wirtschaftlich-technischen und rechtlichen Be-sonderheiten der Gasversorgung sowie dem energiepolitischen Ziel einer mög-31
32

-
14 -
lichst kostengünstigen
Gasversorgung Rechnung zu tragen (vgl. [X.]. 77/79, [X.]).
So ist etwa in § 21 [X.] geregelt, dass Ansprüche wegen Fehlern bei der Ermittlung des Rechnungsbetrages auf einen Zeitraum von längstens zwei Jahren
beschränkt sind. Zur Begründung dafür führte der [X.] an: Es gelte zu vermeiden, dass der Kunde größeren Nachforderungen ausgesetzt werde, die weit in die Vergangenheit zurückreichten. Es empfehle sich daher, eine zeitliche Begrenzung festzulegen. Dabei sei zwar zu berück-sichtigen, dass dem [X.] Einnahmen entgehen könn-ten. Unter Abwägung dieser Umstände erscheine es aber gerechtfertigt, an [X.] für beide Seiten gleichen Ausschlussfrist von zwei Jahren festzuhalten. Bei-de Seiten müssten es in Kauf nehmen, dass ihnen im Einzelfall unter [X.] weitergehende Ansprüche auf Rückerstattung beziehungsweise [X.] abgeschnitten würden ([X.]. 77/79, [X.]). An dieser Zielsetzung hat die [X.] in ihrem §
18, der die Anspruchsbeschränkung gegenüber
§
21
[X.] von zwei auf drei Jahre erweitert, im Wesentlichen festgehalten, wobei der Verordnungsgeber auch hier darauf hingewiesen hat, dass diese Be-stimmung im Interesse einer reibungslosen Durchführung des [X.] und des Rechtsfriedens eine
zeitliche Beschränkung der Ansprüche ent-halte ([X.]. 306/06, [X.]).
In § 30 [X.] findet sich eine weitere zeitliche Begrenzung. Einwän-de gegen Rechnungen und Abschlagsberechnungen berechtigen zum [X.] oder zur Zahlungsverweigerung
nur, wenn sich aus den Um-ständen ergibt, dass offensichtliche Fehler vorliegen, und der Zahlungsauf-schub oder die Zahlungsverweigerung innerhalb von zwei Jahren nach Zugang der fehlerhaften Rechnung oder Abschlagsberechnung geltend gemacht wird. Zur Begründung heißt es:
Um die Abwicklung des [X.]ses 33
34

-
15 -
nicht auf lange Zeit mit Rechtsunsicherheiten zu belasten, sei es zweckmäßig, das Recht auf Zahlungsaufschub und -verweigerung auf einen Zeitraum von zwei Jahren nach Zugang der fehlerhaften Berechnung zu begrenzen ([X.]. 77/79, [X.]). Das bedeute nicht, dass der Kunde das Recht verliere, die mangelnde Berechtigung solcher Forderungen auch noch nach Ablauf von zwei Jahren geltend zu machen. Er solle dann allerdings spätere Zahlungen nicht mehr mit der Begründung verweigern können, frühere Forderungen ohne Rechtsgrund beglichen zu haben ([X.]. 77/79, aaO).
e) Einer derartigen ergänzenden Vertragsauslegung steht nicht entge-gen, dass theoretisch unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten zur Ausfüllung der durch die
Unwirksamkeit der Preisänderungsklausel entstandenen
vertragli-chen Regelungslücke in Betracht gekommen wären (vgl. Senatsurteile vom 1.
Februar 1984 -
V[X.]
ZR 54/83, aaO S. 80 f.; vom 12. Juli 1989 -
V[X.]
ZR 297/88, aaO unter [X.] 1 c mwN; [X.], Urteile vom 12. Oktober 2005 -
IV
ZR 162/03, [X.]Z 164, 297, 317 mwN; vom 6. November 2009 -
V
ZR 63/09, NVwZ 2010, 531 Rn. 43). Die vorstehend aus einer objektiv-generalisierenden Abwägung der gegenseitigen Interessen und den Erfordernissen einer [X.] Energiewirtschaft entwickelte, die Rechtsfolgen einer unwirksamen Preisanpassungsklausel begrenzende Regelung
stellt, was entscheidend ist,
eine
für beide Seiten zumutbare
Lösung dar.
Eine ergänzende Vertragsausle-gung setzt im Übrigen nicht voraus, dass sich für jede Einzelheit der "techni-schen"
Ausgestaltung der Vertragsergänzung konkrete Anhaltspunkte im Willen oder in den Erklärungen der Vertragsparteien nachweisen lassen (Senatsurteil vom 1. Februar 1984 -
V[X.]
ZR 54/83, aaO S. 81).

35

-
16 -
4. In Anwendung vorstehender Grundsätze ergibt sich für den Streitfall folgendes:
Der Kläger kann
der Berechnung des Rückforderungsanspruchs nicht den im Jahre 1981 vereinbarten [X.] von 2,15 ct/kWh zugrunde
le-gen
und somit die Unwirksamkeit sämtlicher Preiserhöhungen seit Vertragsbe-ginn geltend
machen. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger erstmals
mit Schreiben vom 21. Februar 2009 und damit nach [X.] den Preiserhöhungen widersprochen. Während der [X.] über einen Zeitraum von 27 Jahren hat der Kläger die Preiserhöhungen und Jahresabrechnungen ohne Beanstandungen hingenom-men
und damit der [X.]
keine Veranlassung gegeben, eine Beendigung des (Norm-)Sonderkundenverhältnisses -
etwa mit dem Ziel eines Übergangs in das [X.] (vgl. dazu Senatsurteil vom 9. Februar 2011 -
V[X.]
ZR 295/09, aaO; Senatsbeschluss vom 7. Juni 2011 -
V[X.]
ZR 333/10,
juris, Rn. 8; jew.
mwN)
-
in Erwägung zu ziehen.
Die Beklagte kann somit nicht an dem bei Vertragsschluss
vereinbarten
Preis festgehalten werden.
Welchen Arbeitspreis der Kläger seinem
Rückforderungsanspruch zu-grunde legen kann, hängt davon ab, wann dem Kläger die einzelnen Jahresab-rechnungen der [X.] zugegangen sind und gegen welche darin enthalte-nen Preiserhöhungen der Widerspruch des [X.] vom 21. Februar 2009 so-mit noch rechtzeitig erfolgt ist. Hierzu hat das Berufungsgericht
-
von seinem Standpunkt aus folgerichtig
-
keine Feststellungen getroffen.

36
37
38

-
17 -
[X.].
Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben; es ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist, da der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit die erforderlichen Feststellungen zum Zugang der Jahresabrechnungen getrof-fen werden können (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
[X.]
Dr. Frellesen
Dr. Hessel

Dr. [X.]
Dr. Schneider

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 12.01.2010 -
1 [X.]/09 -

LG [X.], Entscheidung vom 16.03.2011 -
10 [X.]/10 -

39

Meta

VIII ZR 113/11

14.03.2012

Bundesgerichtshof VIII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.03.2012, Az. VIII ZR 113/11 (REWIS RS 2012, 8182)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 8182

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VIII ZR 113/11

VIII ZR 304/08

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